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»Willkommen an Bord Däumling du, Menschlein, brandneu. / Zierliche Nymphe, zitternd wie Espenlaub, Milchtrinker, Wicht. / Alles dank dir, Glückskind, beginnt nun, gut griechisch, mit Eu .../ Wie sie Dich halten, Krabbenfang, ängstlich, daß nichts zerbricht«, begrüßt der gerade Vater gewordene Dichter die Tochter, wohl wissend um die eigene Vernarrtheit, die anderen womöglich fragwürdig ist. Aber was liegt näher, als sich dem Ansturm der Erwartungen, den Gebärden und dem Geschrei des Neugeborenen ganz hinzugeben? - Die Gedichte dieses Bandes, »wie von selbst entstanden und halb belustigt, halb…mehr

Produktbeschreibung
»Willkommen an Bord Däumling du, Menschlein, brandneu. / Zierliche Nymphe, zitternd wie Espenlaub, Milchtrinker, Wicht. / Alles dank dir, Glückskind, beginnt nun, gut griechisch, mit Eu .../ Wie sie Dich halten, Krabbenfang, ängstlich, daß nichts zerbricht«, begrüßt der gerade Vater gewordene Dichter die Tochter, wohl wissend um die eigene Vernarrtheit, die anderen womöglich fragwürdig ist. Aber was liegt näher, als sich dem Ansturm der Erwartungen, den Gebärden und dem Geschrei des Neugeborenen ganz hinzugeben? - Die Gedichte dieses Bandes, »wie von selbst entstanden und halb belustigt, halb verwundert aufgezeichnet, halten die Momente fest, in denen ein Kind zum ersten Mal ... zumeist noch unbewußt, sich einübt ins Leben«. Movens des Schreibens dieser Verse war für Grünbein die Neugier auf etwas, was der Selbsterfahrung unzugänglich bleibt: Niemandes Erinnerung reicht zurück in die ersten zwanzig Monate des eigenen Lebens, und so sah er sich bei der Betrachtung der Tochter immer auch sich selbst gegenüber, mehr noch, er blickte ins Innere der Lebensuhr.
Autorenporträt
Grünbein, Durs§
Durs Grünbein wurde am 9. Oktober 1962 in Dresden geboren. Er ist einer der bedeutendsten und auch international wirkmächtigsten deutschen Dichter und Essayisten. Nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs führten ihn Reisen durch Europa, nach Südostasien und in die Vereinigten Staaten. Er war Gast des German Department der New York University und der Villa Aurora in Los Angeles. Für sein Werk erhielt er eine Vielzahl von Preisen, darunter den Georg-Büchner-Preis, den Friedrich-Nietzsche-Preis, den Friedrich-Hölderlin-Preis sowie den polnischen Zbigniew Herbert International Literary Award. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Er lebt in Berlin und Rom.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.12.2002

Sieh an, dein Kind
Affenliebe, Affenangst: Durs Grünbeins Album für seine Tochter

Das Kinderzimmer liegt direkt neben dem alchemistischen Labor des Zaubermeisters. Von der Wiege zur Phiole und wieder zurück sind es nur ein paar Schritte. In seinen "Berliner Aufzeichnungen", den Notaten aus dem Jahr 2000, hat Durs Grünbein sein Arbeitszimmer als "Giftküche" beschrieben: "Hier destilliere ich meinen ganz besonderen Alkohol aus zwölf Prozent Weltschmerz, achtzig Prozent Rebellion gegen die Zeit und einem winzigen Rest von Stolz, den ich in Verse verwandle." Nicht wenig von diesem Stolz galt damals der Tochter Vera. "Das erste Jahr", der Titel der Aufzeichnungen, die im vorigen Herbst erschienen, bezog sich auf des Dichters Erstgeborene ebensosehr wie auf das neue Millennium, an dessen Beginn die "kleine Psyche" das Licht der Welt erblickte. Die Geburt seines Kindes, für den Dichter ein Jahrtausendereignis.

Daher ist es nur folgerichtig, daß sich Grünbein jetzt entschlossen hat, die Gedichte, die er in Veras ersten zwölf Lebensmonaten für seine Tochter geschrieben hat und die verstreut bereits in den "Berliner Aufzeichnungen" enthalten waren, in einem eigenen Bändchen der bibliophilen Insel-Bücherei zu versammeln. "Una Storia Vera" enthält vierzehn Gedichte aus dem "Ersten Jahr" und achtzehn weitere, die das zweite Lebensjahr der Tochter beschreiben. Diese Verse, schreibt Grünbein in den einleitenden Sätzen, "wollen nichts sein als das, was sie sind, Variationen über ein einziges Thema: die früheste Kindheit. Ihr Duktus ist das Entzücken aus nächster Nähe." Ein Entzücken, das nahezu ungebrochen auf den Leser übergeht. Dieses "Kinderalbum in Versen", von dem der Untertitel spricht, ist das heitere und schwermütige, verliebte und verlorene, mal törichte, dann wieder melancholisch-weltweise Dokument der Liebe eines Vaters zu seinem Kind: ein Hausbuch für alle Väter und jene, die es werden wollen. Aber auch Mütter dürften Gefallen daran finden, wenngleich väterlicher Besitzanspruch und ein gewisser Verdrängungseifer nicht zu übersehen sind, wie indessen der Dichter sofort eingesteht: "Verzeih mir. Dein Vater haut auf den Putz, / Weil er sonst nichts zu bieten hat. Vor allem nicht diese Brust."

Immer wieder wird so der Betrachter zum Betrachteten, wechselt die Perspektive, und an die Stelle der Beobachtung des neuen Lebens tritt die Selbstreflexion. Das geschieht nicht beiläufig, sondern bewußt, ist geradezu programmatisch. Nicht "Affenliebe", sondern "Anthropologie" sei der Antrieb seiner Verse, schreibt Grünbein, die "wissenschaftliche Neugier auf etwas, das einem an sich selbst für immer unzugänglich bleibt": der dunkle Kontinent der ersten Lebensmonate, die niemandes Erinnerung heraufbeschwören kann. Aber die Expedition in die kindliche Urwelt führt fast immer zurück zum Betrachter und seiner existentiellen Erfahrung der Vaterschaft, dem Blick "ins Innere der Lebensuhr". Im Werden des Kindes sieht der Dichter das eigene Verschwinden vorweggenommen und sucht, von Schwindel erfaßt, seine "Zuflucht in Versen".

Nicht bloße Reimlust will Grünbein am dichterischen Werk wissen, sondern den "Überlebensreflex". Aber weil auch die väterliche Affenliebe ein Reflex ist, und offenbar ein poetisch mächtiger, findet sich hier gleich neben hochgestimmter Poetik die Windel voll "Kindspech-Lakritze", wird die "Arme Gotik" mit dem "Filigran Deiner Finger" verglichen, sind Fieberattacken, die ersten Zähne, der gefährliche Ausflug auf eine Leiter im unbewachten Moment oder die Zukunft als siebzehnjährige "Klassenschöne" ebenso einige Verse wert wie das herzzerreißende Gefühl existentieller Fremdheit: "Heute dachte ich beim Anblick ihres Nackens, / Der kleinen Ader an der Schläfe, ohne Wehmut, / Daß sie mich überleben wird. / Von ihrer Zukunft weiß ich soviel wie sie von der Vergangenheit / Des Menschen heute, der ihr Vater ist, // Sie hat mir leid getan, wie sie da saß / halb unterm Schreibtisch, in der Hand die Murmel. / Getrennte waren wir, zwei Fremde in der Zeit. / Sie von da aufzuheben fehlte mir die Kraft."

So spürt der Dichter schon in der ersten Begegnung den Abschied, in der Freude den Schmerz, im jähen Glück das ferne Leid. Nicht lange nach Veras erstem Geburtstag werden die ersten, die frühen Fotografien betrachtet, wehmütig und mißgestimmt: "Daß sie launisch wird, sehr eigen, autonom, / Kurz, ein Mensch - ists das, was dich empört?" Argwöhnisch gerät nun jeder Ausdruck des eigenen Willens unter Abnabelungsverdacht: "Sieh an, dein Kind, es weicht vor dir zurück. / Das Eigene, so plötzlich wird es eigen." Und am rührendsten ist dieses kleine rührende Album einer großen Vaterliebe, wenn aus der zärtlichen Affenliebe nagende Affenangst wird und der Poet die eigene Zukunft im Schicksal des abgelegten Teddys, des verstoßenen Stofftiers erkennt: "Favorit ist, wer umschlungen wird im Schlaf. / All die andern spürn, daß sie nur Staffage sind. / Unterm Staub samt Preisschild döst ein Schaf. / Ach, dein Name, Grausamkeit, ist Kind."

Durs Grünbein: "Una Storia Vera". Ein Kinderalbum in Versen. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2002. Insel-Bücherei Nr. 1237. 43 S., geb., 11,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Gar nicht so einfach, einem Durs Grünbein die "väterlichen Adorationspoeme" nicht allzu übel zu nehmen. Aber Iris Radisch meistert dieser Aufgabe mit Eleganz. Zwar pustet sie mächtig und haut gleich im ersten Satz drauf "Vor den Töchtern schreiben die Väter." Aber sie wird dann auch milder, weil sie ja versteht und natürlich billigt, dass die Herren Dichter von ihren Kindern entzückt sind - und überhaupt, sonst "wäre die deutsche Lyrik um manches teure Wiegenlied ärmer". Also sei's drum: muss man zwar trotzdem die antikisierenden Pose bespötteln und kann sich dennoch freuen an der "kleinen quietschenden Orchidee". Und manchmal, findet sie erleichtert, wird das Kind sogar richtig "lebendig", und dankt dem Dichter, dass er sein "Tiefdruckbeilagen-Deutsch" durch freches Kreuzreimen ersetzt hat. Puh, geschafft.

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