Produktdetails
  • Verlag: Schneiderbuch
  • Seitenzahl: 188
  • Altersempfehlung: 13 bis 16 Jahre
  • Abmessung: 190mm
  • Gewicht: 273g
  • ISBN-13: 9783505108921
  • ISBN-10: 3505108928
  • Artikelnr.: 24875261
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.1995

Milde lächeln die Entwurzelten
Michael Schulte muß umziehen Von Michael Allmaier

Was läßt sich gegen ein liebenswertes Buch vorbringen? Im Fall von Michael Schultes neuem Roman "Unbekannt verzogen" leider eine ganze Menge. Zunächst, daß es gar kein Roman ist - jedenfalls keiner mit einem Anfang, einem Ende und einer sich entwickelnden Handlung dazwischen. Es geht um Umzüge, einen Erzähler, der, nicht zum ersten Mal, seine Habe in Pappkartons verstaut und dabei an Stationen und verpaßte Gelegenheiten seines Lebens erinnert wird. Damit es nicht sentimental gerät, sind da auch noch allerlei Chiffren der Mobilität: der Fliegende Holländer, Postboten, Makler, Möbelpacker - letztere samt Schutzgeist "GdM" als Gewährsgröße für die metaphysische Überhöhung des Themas.

Der Schutzgeist weiß auch, wie man Bücher schreibt: "Gerade die Einführung einer unsichtbaren Hauptperson wird Ihrem Werk jene übersinnliche Substanz verleihen, die gegenwärtig so gefragt ist", rät er dem Erzähler. Da möchte man nicht widersprechen, ebensowenig wie den an anderer Stelle notierten Vorsätzen, die Personenzahl zu begrenzen und die Idee des Ortswechsels leitmotivisch weiterzuverfolgen. Der Verfasser jedoch verliert sich mehr und mehr in Anekdoten und Einzelbeobachtungen - was der Umschlagtext als "absurd-komisch" anpreist, hinterläßt am Ende einen Beigeschmack von Beliebigkeit.

Nun ist die lächelnde Verweigerung für Schultes Schreiben programmatisch. Doch diesmal tut sie sich gegen den erfahrungsgespeisten Strom des Narrativen schwer. Wenn im modernen Menschen, wie Hans Magnus Enzensberger behauptet, die Rastlosigkeit der Jäger, Sammler und Hirten wieder hervorbricht, muß man Schulte zu den emsigen Sammlern zählen. Seine Fundstücke sind Erinnerungen, die ihm bei jedem Umzug wieder zwischen die Finger geraten, gleichsam als Tauschwert für jene Habseligkeiten, die unweigerlich zurückbleiben. Eine allem Übermut trotzende Lebenserfahrung spricht mitunter aus dem Roman, etwa wenn der Autor das Ausmisten des Schreibtischs beim Umziehen bedrückend findet und zum Beweis einen Zettelkasten voller Versäumnisse vor dem Leser ausleert.

Als Herausgeber und Biograph Karl Valentins mußte sich Michael Schulte oft mit diesem vergleichen lassen, was aber nicht aufgeht. Anders als seine Figur grinst er auch nicht "das hämische Grinsen des sozial Entwurzelten", sondern präsentiert sich, zumal in "Unbekannt verzogen", als weltgewandter, versöhnlicher Schnurren-Erzähler, verwandt eher noch dem Iren Flann O'Brien.

Dem sagte man nach, das Schreiben sei ihm so leichtgefallen, daß es ihn langweilte. Dem Schriftsteller Schulte geht es offenkundig ähnlich. Allein seine Vergleiche machen das Buch lesenswert - ob da ein Sommer so trocken ist, "daß die Bäume den Hunden hinterherrennen" oder jemand flüchtet "wie vom Erlkönig gepeitscht". Mal dehnt er in alttestamentarischer Aufzählungswut einen Satz über eine Seite, mal verknappt er gehässig. Vor allem in der zweiten Hälfte des Buches klingt Schultes Leichtigkeit jedoch auch nach Langeweile. Dann parodiert er nachlässig fremde Stimmen, statt die eigene zu suchen, und fällt aus seiner Rolle, noch ehe er sie einnehmen konnte.

Michael Schulte ist ein erfahrener Autor und bei weitem nicht so jugendlich, wie sein munterer Stil glauben macht. Vielversprechend seit seinem Debüt vor fünfundzwanzig Jahren, läuft er Gefahr, ewiges Talent zu bleiben. Sein neues Buch bewahrt ihn nicht davor. Aber liebenswert ist es trotzdem.

Michael Schulte: "Unbekannt verzogen". Roman. Schöffling & Co. Verlag, Frankfurt am Main 1995. 382 S., geb., 42,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr