Oskar Beck: Und alles wegen Ali - Geschichten zu 50 Jahren Sport Sportgeschichten sind Zeitgeschichte. In seinem Buch "Und alles wegen Ali" beschreibt der Sportjournalist und Kolumnist Oskar Beck Begegnungen und Begebenheiten - und wirft mit seinen Porträts, Erzählungen und Kolumnen einen kritisch-unbestechlichen, aber auch augenzwinkernden Blick auf die Entwicklung von Sport und Gesellschaft. Das Buch "Und alles wegen Ali" ist eine Zeitreise.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.07.2021Für Nostalgiker und sogenannte Zuspätgeborene
Günter Netzer und die Engel im Himmel, Ernst Happel als Beethoven in der Endphase: Oskar Becks Geschichten zum Sport / Von Hans-Joachim Leyenberg
Diese Geschichten aus einer untergegangenen Zeit könne man einem modernen Menschen von heute eigentlich nicht zumuten. Diese steile These in eigener Sache von Autor Oskar Beck ist als Zweckpessimismus abzuhaken. Der Sportjournalist des Jahrgangs 1949 ist trunken von alldem, was er gesehen, erlebt, aufgesogen, empfunden und entsprechend publiziert hat in 50 Journalistenjahren. Er war kein rasender Reporter, dafür sind seine Texte zu ausgeruht. Seine Entdeckungsreisen führten zu den Geschichten hinter den Geschichten. Warum Johan Cruyff 1974, im WM-Finale zu München, nur ein Schatten seiner selbst war? Ja, "Terrier" Hans-Hubert Vogts hatte sich in ihn verbissen, aber es ist nur die halbe Wahrheit. Mehr wird an dieser Stelle nicht verraten. Das Personenregister derer, denen sich Beck widmet, reicht von Andre Agassi bis zu Zinédine Zidane. Aber wo verläuft die Altersgrenze der "Zuspätgeborenen", wie Beck jene anspricht, die mit einst prominenten Namen wie Dieter Baumann, Georg Best, Hans Blickensdörfer, Jimmy Connors, Joachim Deckarm, Helmut Haller, Armin Hary, Ben Johnson, Billie Jean King, Rudolf Kreitlein, Gustav "Bubi" Scholz oder Mike Tyson überhaupt noch etwas anfangen können? Versprochen: Für "Zuspätgeborene" ist es eine unterhaltsame Zeit- und Entdeckungsreise, für Nostalgiker älterer Semester die Wiederbegegnung mit Aha-Effekt.
Beck ist einer, der klare Kante zeigt und entsprechend formuliert. Den Schiedsrichter Gottfried Dienst, der vor Jahrzehnten im Wembley-Stadion (Tor oder nicht Tor?) den Engländern einen Treffer gegen Helmut Schöns Truppe zusprach, straft der bekennende Schwabe als "gottlose Pfeife" ab. Seinem laufenden Landsmann Baumann nimmt Beck die Zahnpasta-Geschichte ab, im Steuerfall Uli Hoeneß überwiegt, als dieser einsitzt, Mitleid statt Häme. An sprachliche Grenzen stößt Beck bekennend erst, wenn es darum geht, einen wie Messi zu preisen, wenn bereits alles, aber auch alles gesagt ist. Becks Zitatenschatz ist eine Fundgrube, er hat sich die ungebrochene Sympathie für kantige Typen bewahrt und wird zum Weichzeichner, wenn der Sport, wie etwa für den Fechter Matthias Behr, zur Tragik seines Lebens wird. Oder wenn Beck an Gertrude Ederle erinnert, die im August 1926 als erste Frau den Ärmelkanal durchschwommen hat - erst gefeiert, dann vergessen von der Welt. Da ist die Ode an den bodenständigen Vorstopper Hans-Georg Schwarzenbeck, ohne den Franz Beckenbauer, dieses "Ausnahmegeschöpf", wohl kaum zur Lichtgestalt aufgestiegen wäre. Es ist eine beneidenswert vitale Sprache, mit der dieser selbsternannte "Griffelspitzer" in unseren computergestützten Zeiten zur Sache kommt. "Die Nummer 10 ist die Diva unter den Rückennummern", bleibt eine Formulierung für die Ewigkeit. Großer Sport war für ihn stets großes Theater mit großen Gefühlen.
Er ist ein glühender Liebhaber des lebensbejahenden Fußballs. Wie sonst hätte er Günter Netzers Londoner Traumfußball bei der 72er EM-Endrunde so hymnisch feiern können, wie er es getan hat. "Die Kirchenglocken haben geläutet, und auf der Tribüne tunkten die Geschichtsschreiber wie elektrisiert ihre Feder in goldene Tinte, um das Einmalige für die Nachwelt der Zuspätgeborenen festzuhalten." Zu dick aufgetragen nach "hemmungslosen Steilpässen" des ersten Popstars des Fußballs? Nö, so war es und nicht anders. Helmut Schön hat einmal gestanden, immer dann das Video mit dem Wembley-Spiel hervorzukramen, wenn ihm nach einem Stimmungsaufheller zumute war. Becks Folgerung: "Falls er das Video auch mitgenommen hat in den Himmel, legen die Engel dort heute noch ergriffen die Harfen beiseite."
Die Zeit des Wirtschaftswunders ging in die Verlängerung, hofierte und tolerierte Typen und hielt ein Füllhorn an Möglichkeiten für Schreiberlinge parat. "Die Fußballer und die Journalisten waren damals noch zu vertrauensvollen Dialogen fähig", erinnert sich Beck wehmütig. Der Boulevard und Max Merkel, dieser Wiener Schlawiner "mit seinem bitterbösen Mut zur brutalen Wahrheit", spielten Doppelpass. Als Ernst Happel beim Hamburger SV anheuerte, erlaubte sich der größte Zyniker seines Standes die Bemerkung, sein österreichischer Landsmann auf der Trainerbank sehe aus "wie Beethoven in der Endphase".
Es grenzt an Selbstverleugnung, wenn Beck die Frage, ob früher alles besser war, für sich mit "früher war alles anders" beantwortet. Im Nachgang, nach 95 Betrachtungen zum Zustand des Sports und seinem Stand in der Gesellschaft, gesteht er immerhin, den alten Zeiten nachzutrauern. Seine "verrückten Reportertage, an denen einem der Zufall und das Glück gleichzeitig die Hand schütteln", waren weder Zufall noch Glück, sondern die Essenz seiner Neugier und Leidenschaft. Sie haben ihn zu dem gemacht, was sein Buch ausmacht.
Oskar Beck: "Und alles wegen Ali". Geschichten zu 50 Jahren Sport. Editions Debuts, Stuttgart 2021, Hardcover, 432 S., 29,- Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Günter Netzer und die Engel im Himmel, Ernst Happel als Beethoven in der Endphase: Oskar Becks Geschichten zum Sport / Von Hans-Joachim Leyenberg
Diese Geschichten aus einer untergegangenen Zeit könne man einem modernen Menschen von heute eigentlich nicht zumuten. Diese steile These in eigener Sache von Autor Oskar Beck ist als Zweckpessimismus abzuhaken. Der Sportjournalist des Jahrgangs 1949 ist trunken von alldem, was er gesehen, erlebt, aufgesogen, empfunden und entsprechend publiziert hat in 50 Journalistenjahren. Er war kein rasender Reporter, dafür sind seine Texte zu ausgeruht. Seine Entdeckungsreisen führten zu den Geschichten hinter den Geschichten. Warum Johan Cruyff 1974, im WM-Finale zu München, nur ein Schatten seiner selbst war? Ja, "Terrier" Hans-Hubert Vogts hatte sich in ihn verbissen, aber es ist nur die halbe Wahrheit. Mehr wird an dieser Stelle nicht verraten. Das Personenregister derer, denen sich Beck widmet, reicht von Andre Agassi bis zu Zinédine Zidane. Aber wo verläuft die Altersgrenze der "Zuspätgeborenen", wie Beck jene anspricht, die mit einst prominenten Namen wie Dieter Baumann, Georg Best, Hans Blickensdörfer, Jimmy Connors, Joachim Deckarm, Helmut Haller, Armin Hary, Ben Johnson, Billie Jean King, Rudolf Kreitlein, Gustav "Bubi" Scholz oder Mike Tyson überhaupt noch etwas anfangen können? Versprochen: Für "Zuspätgeborene" ist es eine unterhaltsame Zeit- und Entdeckungsreise, für Nostalgiker älterer Semester die Wiederbegegnung mit Aha-Effekt.
Beck ist einer, der klare Kante zeigt und entsprechend formuliert. Den Schiedsrichter Gottfried Dienst, der vor Jahrzehnten im Wembley-Stadion (Tor oder nicht Tor?) den Engländern einen Treffer gegen Helmut Schöns Truppe zusprach, straft der bekennende Schwabe als "gottlose Pfeife" ab. Seinem laufenden Landsmann Baumann nimmt Beck die Zahnpasta-Geschichte ab, im Steuerfall Uli Hoeneß überwiegt, als dieser einsitzt, Mitleid statt Häme. An sprachliche Grenzen stößt Beck bekennend erst, wenn es darum geht, einen wie Messi zu preisen, wenn bereits alles, aber auch alles gesagt ist. Becks Zitatenschatz ist eine Fundgrube, er hat sich die ungebrochene Sympathie für kantige Typen bewahrt und wird zum Weichzeichner, wenn der Sport, wie etwa für den Fechter Matthias Behr, zur Tragik seines Lebens wird. Oder wenn Beck an Gertrude Ederle erinnert, die im August 1926 als erste Frau den Ärmelkanal durchschwommen hat - erst gefeiert, dann vergessen von der Welt. Da ist die Ode an den bodenständigen Vorstopper Hans-Georg Schwarzenbeck, ohne den Franz Beckenbauer, dieses "Ausnahmegeschöpf", wohl kaum zur Lichtgestalt aufgestiegen wäre. Es ist eine beneidenswert vitale Sprache, mit der dieser selbsternannte "Griffelspitzer" in unseren computergestützten Zeiten zur Sache kommt. "Die Nummer 10 ist die Diva unter den Rückennummern", bleibt eine Formulierung für die Ewigkeit. Großer Sport war für ihn stets großes Theater mit großen Gefühlen.
Er ist ein glühender Liebhaber des lebensbejahenden Fußballs. Wie sonst hätte er Günter Netzers Londoner Traumfußball bei der 72er EM-Endrunde so hymnisch feiern können, wie er es getan hat. "Die Kirchenglocken haben geläutet, und auf der Tribüne tunkten die Geschichtsschreiber wie elektrisiert ihre Feder in goldene Tinte, um das Einmalige für die Nachwelt der Zuspätgeborenen festzuhalten." Zu dick aufgetragen nach "hemmungslosen Steilpässen" des ersten Popstars des Fußballs? Nö, so war es und nicht anders. Helmut Schön hat einmal gestanden, immer dann das Video mit dem Wembley-Spiel hervorzukramen, wenn ihm nach einem Stimmungsaufheller zumute war. Becks Folgerung: "Falls er das Video auch mitgenommen hat in den Himmel, legen die Engel dort heute noch ergriffen die Harfen beiseite."
Die Zeit des Wirtschaftswunders ging in die Verlängerung, hofierte und tolerierte Typen und hielt ein Füllhorn an Möglichkeiten für Schreiberlinge parat. "Die Fußballer und die Journalisten waren damals noch zu vertrauensvollen Dialogen fähig", erinnert sich Beck wehmütig. Der Boulevard und Max Merkel, dieser Wiener Schlawiner "mit seinem bitterbösen Mut zur brutalen Wahrheit", spielten Doppelpass. Als Ernst Happel beim Hamburger SV anheuerte, erlaubte sich der größte Zyniker seines Standes die Bemerkung, sein österreichischer Landsmann auf der Trainerbank sehe aus "wie Beethoven in der Endphase".
Es grenzt an Selbstverleugnung, wenn Beck die Frage, ob früher alles besser war, für sich mit "früher war alles anders" beantwortet. Im Nachgang, nach 95 Betrachtungen zum Zustand des Sports und seinem Stand in der Gesellschaft, gesteht er immerhin, den alten Zeiten nachzutrauern. Seine "verrückten Reportertage, an denen einem der Zufall und das Glück gleichzeitig die Hand schütteln", waren weder Zufall noch Glück, sondern die Essenz seiner Neugier und Leidenschaft. Sie haben ihn zu dem gemacht, was sein Buch ausmacht.
Oskar Beck: "Und alles wegen Ali". Geschichten zu 50 Jahren Sport. Editions Debuts, Stuttgart 2021, Hardcover, 432 S., 29,- Euro
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