Wir wären doch alle gern ein bisschen schöner! Blonder, muskulöser, um die Hüften eine Spur schlanker. Kein Grund zur Scham, mit diesen eitlen Träumen snd wir nicht allein!Nadia Budde holt die ganze schräge Verwandtschaft - von Onkel Waldemar bs Opa Archibald - jede Menge guter Freunde und illustre Nachbarn auf die Seiten dieses Bilderbuches und wir sehen gleich, wo es hapert:"Unser Nachbar Thilo Schramm hat zu viele Kilogramm". Der kleine Bruder Olli träumt von einem ordentlichen Bizeps, Waldemar von glattem Haar, die kleinen Jungs im Nachbarhaus wären gern wie Supermann und sind - wenn wir ehrlich sind - davon so weit entfernt wie ihre vierschrötigen Schwestern in Rosa von wahren Elfen.Und weil sie alle ganz hinreißend (und so lustig!) sind, wie sie da stehen, hadernd mit dem, was fehlt oder zuviel ist, spricht uns am Ende einer aus der Seele, den der ganze Firlefanz um die Schönheit nicht juckt. Es ist Onkel Parzival, dem ist sein Äußeres egal. Und der findet: "Eins ist wichtig, wie du bist, so bist du richtig!" Und wenigstens kurzzeitig sind Onkel Waldemar, Thilo Schramm und unsere properen Elfen doch ziemlich erleichtert!
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.03.2013Von Natur eine komische Frisur
Nadia Buddes neues Bilderbuch für Selbstbewusstsein und Toleranz
Nadia Budde ist die derzeit originellste deutschsprachige Autorin und eine der ausdrucksvollsten Illustratorinnen für Kleinkinderbücher. Ihr Eins, zwei, drei, Tier war so erfolgreich, dass sie ihr Prinzip der absurden Reimreihe sogar noch ins Englische übertragen durfte. Übersetzen hätte man es ja nicht können. Aber Nadia Budde hat erst im vergangenen Sommer bewiesen, dass sie ihren skurrilen Humor zweisprachig im Griff hat. Da lieferte sie mit Der Lorax die bisher einzig gelungene Übersetzung eines der unübersetzbaren Bücher von Dr. Seuss ab. In Deutschland werden ihre Bücher von Eltern inzwischen mit ähnlicher Vorfreude erwartet wie die Werke des Grüffelo-Teams Axel Scheffler und Julia Donaldson.
Mit denen verbindet sie aber nur wenig. Nadia Buddes Zeichnungen sind mit viel flinkerem Strich geschaffen, ihre Texte verweigerten sich bisher konsequent den Traditionen des Erzählens und der Logik. Gemeinsam ist ihr mit den weltberühmten Kollegen, dass man als Vorleser seinen Spaß schon alleine dadurch hat, dass Sprachrhythmus und Wortwahl stimmen. Denn nichts ist quälender, als am Ende des Tages einen holpernden Text rezitieren zu müssen (vom Schaden für das kindliche Sprachgefühl ganz abgesehen).
Für ihr neuestes Buch Und außerdemsind Borsten schön ! hat sie sich allerdings erstmals auf eine klassische Erzähllinie eingelassen. Da ärgert sich zunächst ein Stachelschwein: „Leider hab’ ich von Natur, eine komische Frisur.“ Es folgt eine charmante Aufzählung aller möglichen (artfremder) Verwandter und Freunde, die sich ebenfalls über ihr Äußeres grämen. Und die Igel, der Seehund, die Schildkröte und die Schulhofrabauken sind so liebevoll unansehnlich gezeichnet , dass ihre Beschwerden über Borsten, Locken, Falten oder plumpe Statur von vorneherein nur lustig wirken.
Wer nun schon alle anderen Nadia-Budde-Bücher kennt, der mag ein wenig enttäuscht sein. Hier toasten keine traurigen Tiger Tomaten, hier will niemand mit Pfauen kauen und um kurz nach sechs kommt auch keine Echs. Doch am Ende reicht es schon, dass nun mal jemand anderes außer den liebenden Eltern die Schlüsselbotschaft an kindlichem Selbstbewusstsein und Toleranz formuliert: „Meinem Onkel Parzival ist sein Äußeres egal. Und er findet: Eins ist wichtig. Wie du bist, so bist du richtig!“ (ab 3 Jahre)
ANDRIAN KREYE
Nadia Budde: Und außerdem sind Borsten schön! Peter Hammer 2013. 32 Seiten, 13,90 Euro.
ILLUSTRATION AUS NADIA BUDDE: UND AUSSERDEM SIND BORSTEN SCHÖN!
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Nadia Buddes neues Bilderbuch für Selbstbewusstsein und Toleranz
Nadia Budde ist die derzeit originellste deutschsprachige Autorin und eine der ausdrucksvollsten Illustratorinnen für Kleinkinderbücher. Ihr Eins, zwei, drei, Tier war so erfolgreich, dass sie ihr Prinzip der absurden Reimreihe sogar noch ins Englische übertragen durfte. Übersetzen hätte man es ja nicht können. Aber Nadia Budde hat erst im vergangenen Sommer bewiesen, dass sie ihren skurrilen Humor zweisprachig im Griff hat. Da lieferte sie mit Der Lorax die bisher einzig gelungene Übersetzung eines der unübersetzbaren Bücher von Dr. Seuss ab. In Deutschland werden ihre Bücher von Eltern inzwischen mit ähnlicher Vorfreude erwartet wie die Werke des Grüffelo-Teams Axel Scheffler und Julia Donaldson.
Mit denen verbindet sie aber nur wenig. Nadia Buddes Zeichnungen sind mit viel flinkerem Strich geschaffen, ihre Texte verweigerten sich bisher konsequent den Traditionen des Erzählens und der Logik. Gemeinsam ist ihr mit den weltberühmten Kollegen, dass man als Vorleser seinen Spaß schon alleine dadurch hat, dass Sprachrhythmus und Wortwahl stimmen. Denn nichts ist quälender, als am Ende des Tages einen holpernden Text rezitieren zu müssen (vom Schaden für das kindliche Sprachgefühl ganz abgesehen).
Für ihr neuestes Buch Und außerdemsind Borsten schön ! hat sie sich allerdings erstmals auf eine klassische Erzähllinie eingelassen. Da ärgert sich zunächst ein Stachelschwein: „Leider hab’ ich von Natur, eine komische Frisur.“ Es folgt eine charmante Aufzählung aller möglichen (artfremder) Verwandter und Freunde, die sich ebenfalls über ihr Äußeres grämen. Und die Igel, der Seehund, die Schildkröte und die Schulhofrabauken sind so liebevoll unansehnlich gezeichnet , dass ihre Beschwerden über Borsten, Locken, Falten oder plumpe Statur von vorneherein nur lustig wirken.
Wer nun schon alle anderen Nadia-Budde-Bücher kennt, der mag ein wenig enttäuscht sein. Hier toasten keine traurigen Tiger Tomaten, hier will niemand mit Pfauen kauen und um kurz nach sechs kommt auch keine Echs. Doch am Ende reicht es schon, dass nun mal jemand anderes außer den liebenden Eltern die Schlüsselbotschaft an kindlichem Selbstbewusstsein und Toleranz formuliert: „Meinem Onkel Parzival ist sein Äußeres egal. Und er findet: Eins ist wichtig. Wie du bist, so bist du richtig!“ (ab 3 Jahre)
ANDRIAN KREYE
Nadia Budde: Und außerdem sind Borsten schön! Peter Hammer 2013. 32 Seiten, 13,90 Euro.
ILLUSTRATION AUS NADIA BUDDE: UND AUSSERDEM SIND BORSTEN SCHÖN!
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Einmal mehr ist Fridtjof Küchemann ganz hingerissen von Nadia Buddes ihm inzwischen so gut bekannten "ungleichmäßigen Strich" eines ausgefranzten Filzstifts, den er auch in dem Kinderbuch "Und außerdem sind Borsten schön!" wiederentdeckt. Eine ganze Schar kurioser Gestalten begegnet Küchemann hier, die allesamt mit einem kleinen, unglücklichen Stachelschwein befreundet sind und unzufrieden mit ihrem Äußeren sind: Während die Eule Brigitte etwa versucht, durch ein Korsett eine dünnere Mitte zu bekommen, beklagt ihr Mann, das Nilpferd, seinen zu dicken Hals. Bald, so der Rezensent, nimmt Budde aber auch die Menschen auf's Korn: Jungs, die von Waschbrettbäuchen träumen und Mädchen, die aussehen wollen wie Elfen, begegnen dem Kritiker ebenso wie von Schönheitsoperationen komplett entstellte Gestalten. Ohne dabei je missionarisch oder anklagend zu sein, betrachte die Illustratorin die Unzufriedenheit und die Träume ihrer liebevoll und "durchdacht" ausgewählten Gestalten, lobt der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.06.2013Es hat doch jeder was zu jammern, aber niemand einen Grund
Wieder Borstiges von Nadia Budde: In zwei Büchern singt die Berliner Illustratorin der Eigenliebe und den Eigentümlichkeiten von Kulturfolgern ein Lied.
Diese weit aufgerissenen Kulleraugen, das Struppige, der ungleichmäßige Strich eines ausgefransten Filzstifts, der die mit Farbflächen kolorierten Figuren schwarz konturiert: Wer einmal eines der Bilderbücher von Nadia Budde in der Hand hatte, wird jedes weitere gleich erkennen. Und er wird es schnellstmöglich ebenfalls zur Hand nehmen, in Vorfreude auf den zugleich zarten und ruppigen Witz, der die Werke der Berliner Künstlerin ausmacht. Jetzt sind gleich zwei neue Bücher Buddes erschienen, das eine, "Und außerdem sind Borsten schön!", ein klassisches Bilderbuch mit 32 Seiten, das andere die 140 Seiten starke Sammlung der Beobachtungen, Assoziationen und Spielereien, die Nadia Budde von Februar 2011 an in einer Kolumne der "Berliner Zeitung" zu "Großstadttieren" veröffentlicht hat.
Nadia Budde ist eine Sammlerin, ihre Bücher sind nicht selten Reihenschaltungen von Spinnereien, von Abweichungen wie in ihrem Debüt, "Eins zwei drei Tier", das im Jahr 2000 gleich mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet worden ist, von Alliterationen wie in "Trauriger Tiger toastet Tomaten" aus dem Jahr 2006, von seltsamen Weltallwesen wie in "Unheimliche Begegnungen auf Quittenquart", 2010 erschienen. In "Großstadttiere" hat die Bilderbuchkünstlerin Kulturfolger versammelt, vom Waschbären bis zur Pharaoameise, die der menschlichen Bewegung "raus aufs Land" entgegen vor "der Monotonie der modernen Landwirtschaft, dem Dünger, den Pestiziden, den begradigten Flussläufen und den Jägern" in unsere Städte geflohen sind. Und sich den Lebensbedingungen dort nach ihren Möglichkeiten anpassen: schönstes Material für die Gedankenspiele der Autorin.
Dass es vor Altkleidercontainern mitunter ähnlich aussieht wie bei von Waschbären durchwühlten Mülltonnen, lässt ja eigentlich nur einen Schluss zu: Die Tiere kleiden sich ein. Dass Altschuhcontainer indes verschont werden, zieht Budde konsequent zur Bestätigung dieses Verdachts heran: Wenigstens bei Schuhen haben sie Geschmack. Oder kommen doch nicht ganz aus ihrer Tierhaut.
Aus tierischer Sicht und mit Buddes Lakonie lässt sich das Phänomen der Verstädterung so beschreiben: "Manche Tiere bleiben einfach da, wo sie immer schon waren, und wachen eines Morgens als Großstadttier auf." Die Möwe gibt sich auch fern von allen größeren Gewässern größte Mühe, uns glauben zu machen, das Meer sei gar nicht weit: "Laut umkreischt sie die städtischen Mülldeponien, so dass man meinen könnte, ein Strand sei in der Nähe." Dem armen Marder, bestimmt nur seines Namens wegen so unbeliebt, sollten wir eigentlich entgegenkommen, indem wir einfach die Motorhauben unserer Autos auflassen und das Fahrrad nehmen. In London, ihrer heimlichen Hauptstadt, sollen Füchse bereits in Downing Street No. 11 zur Untermiete gewohnt haben. Wohingegen man in Moskau noch froh sein kann, wenn es das Wolfsrudel vor dem Supermarkt einzig auf die Einkäufe abgesehen hat. In Zürich schließlich hat sich eine ganze Reihe Exoten auf Dauerurlaub eingefunden: Tapezierspinnen, Alpensegler und Asiatische Marienkäfer zum Beispiel, an denen sich ganz bestimmt ein Phänomen ebenfalls beobachten lässt, auf das die aufmerksame Illustratorin weiter vorne im Buch bereits zu sprechen gekommen ist: der "Turm auf dem Kopf", der tatsächlich manches Urlaubsfoto und auch diese Seite unten ziert.
Buddes Spielereien mit Stadt und Tier haben etwas Kindliches, und auch wenn sich die Kolumne ursprünglich vor allem an erwachsene Zeitungsleser gerichtet haben wird, werden auch Kinder von acht Jahren an Spaß mit ihnen haben. Mit dem Bilderbuch "Und außerdem sind Borsten schön!" indes verhält es sich genau umgekehrt: Es richtet sich an vier, fünf Jahre alte Kinder, offenbart aber eine Lebensweisheit, die man durchaus auch manchem Erwachsenen ans Herz legen möchte. Nadia Budde versammelt allerlei seltsame Gestalten, allesamt Verwandte oder Freunde eines kleinen, unglücklichen Stachelschweins, und alle Gestalten eint die Unzufriedenheit mit ihrem Äußeren.
Das Froschmädchen Monalies wünscht sich eine andere Augenfarbe, Opa Archibald, eine Schildkröte, beklagt das hohe Alter, eine Eule namens Brigitte versucht mittels Korsett eine dünne Mitte zu erreichen, während sich ihr Mann, ein Nilpferd, eher am Hals zu dick findet. So macht sich Nadia Budde ihren Reim, kommt unauffällig von den Tieren auf die Menschen, schließlich auf die aus unserer Hochglanzwelt vertrauten Attribute idealer Schönheit zu sprechen, den Waschbrettbauch, verstärkte Lippen, glatte Nasen oder diverse Muskelmassen, um nach dem Umblättern eine Reihe entsprechend ausgestatteter, aber vollends entstellter Wesen an uns vorüberziehen zu lassen, die zwar selbstgefällig lächeln, ansonsten aber an Hässlichkeit nicht zu übertreffen sind.
Der Anblick Onkel Parzivals, der sich auf die folgende Doppelseite fläzt, ist dann in doppelter Hinsicht eine Erleichterung: In Unterhemd und Trainingshose, einen Grashalm im Mund, liegt er da, borstig wie sein Neffe, dabei unverkennbar menschlich, und anders als jenem ist ihm sein Äußeres egal. "Und er findet: Eins ist wichtig . . .", wird die Weisheit des Buchs vor den bislang vorgestellten Figuren verkündet, die Onkel Parzival schon erwartungsvoll anstarren: "Wie du bist, so bist du richtig!"
So schlicht und schön die Botschaft, so charmant ihr Zusammenspiel mit der Widerborstigkeit von Buddes Figuren auch ist: Seinen Glanz bekommt dieses Bilderbuch durch die unbekümmert wirkende, dabei aber fein durchdachte Auswahl der Gestalten, ihrer individuellen Unzufriedenheit und ihrer Träume. Statt sich missionarisch an den kindlichen Phantasien oder anklagend an den Idealen der Erwachsenen abzuarbeiten oder aber jeden direkten Bezug zu unserer Wirklichkeit politisch korrekt auszuklammern, mischt Nadia Budde sogar innerfamiliär Mensch und Tier - und lässt einen Pudel an der Leine seine Flecken beklagen, um kurz darauf die Mädchen aus dem Haus, sommersprossenübersät, langnasig oder pummelig, wie sie sind, davon träumen zu lassen, wie Elfen auszusehen. Und die Jungs von nebenan davon, ein Supermann zu sein, so hager oder rundlich, blass oder noch in Windeln sie auch dastehen mögen. Schließlich sollte der Abstand von Wunsch und Wirklichkeit niemanden ernstlich vom Träumen abhalten.
Der schönste Twist allerdings gelingt der Künstlerin beim Traum des kleinen Olli: Der eifert seiner Tante Polly nach, einer stattlichen jungen Frau mit roten Haarspangen und überaus athletischem, tatsächlich am ehesten an Supermann erinnerndem Körperbau. Der schmale Olli schaut zu ihr auf und macht mit seinen bescheidenen Mitteln Muskeln. In einem Punkt jedoch hat er es seinem Vorbild bereits gleichtun können: Den im Zickzackmuster gestreiften Rock trägt der Kleine schon genauso wie die Tante.
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Nadia Budde: "Und außerdem sind Borsten schön!"
Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2013. 32 S., geb., 14,90 [Euro]. Ab 4 J.
Nadia Budde: "Großstadttiere".
Verlagshaus Jacoby & Stuart, Berlin 2013. 140 S., geb., 18,- [Euro]. Ab 8 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wieder Borstiges von Nadia Budde: In zwei Büchern singt die Berliner Illustratorin der Eigenliebe und den Eigentümlichkeiten von Kulturfolgern ein Lied.
Diese weit aufgerissenen Kulleraugen, das Struppige, der ungleichmäßige Strich eines ausgefransten Filzstifts, der die mit Farbflächen kolorierten Figuren schwarz konturiert: Wer einmal eines der Bilderbücher von Nadia Budde in der Hand hatte, wird jedes weitere gleich erkennen. Und er wird es schnellstmöglich ebenfalls zur Hand nehmen, in Vorfreude auf den zugleich zarten und ruppigen Witz, der die Werke der Berliner Künstlerin ausmacht. Jetzt sind gleich zwei neue Bücher Buddes erschienen, das eine, "Und außerdem sind Borsten schön!", ein klassisches Bilderbuch mit 32 Seiten, das andere die 140 Seiten starke Sammlung der Beobachtungen, Assoziationen und Spielereien, die Nadia Budde von Februar 2011 an in einer Kolumne der "Berliner Zeitung" zu "Großstadttieren" veröffentlicht hat.
Nadia Budde ist eine Sammlerin, ihre Bücher sind nicht selten Reihenschaltungen von Spinnereien, von Abweichungen wie in ihrem Debüt, "Eins zwei drei Tier", das im Jahr 2000 gleich mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet worden ist, von Alliterationen wie in "Trauriger Tiger toastet Tomaten" aus dem Jahr 2006, von seltsamen Weltallwesen wie in "Unheimliche Begegnungen auf Quittenquart", 2010 erschienen. In "Großstadttiere" hat die Bilderbuchkünstlerin Kulturfolger versammelt, vom Waschbären bis zur Pharaoameise, die der menschlichen Bewegung "raus aufs Land" entgegen vor "der Monotonie der modernen Landwirtschaft, dem Dünger, den Pestiziden, den begradigten Flussläufen und den Jägern" in unsere Städte geflohen sind. Und sich den Lebensbedingungen dort nach ihren Möglichkeiten anpassen: schönstes Material für die Gedankenspiele der Autorin.
Dass es vor Altkleidercontainern mitunter ähnlich aussieht wie bei von Waschbären durchwühlten Mülltonnen, lässt ja eigentlich nur einen Schluss zu: Die Tiere kleiden sich ein. Dass Altschuhcontainer indes verschont werden, zieht Budde konsequent zur Bestätigung dieses Verdachts heran: Wenigstens bei Schuhen haben sie Geschmack. Oder kommen doch nicht ganz aus ihrer Tierhaut.
Aus tierischer Sicht und mit Buddes Lakonie lässt sich das Phänomen der Verstädterung so beschreiben: "Manche Tiere bleiben einfach da, wo sie immer schon waren, und wachen eines Morgens als Großstadttier auf." Die Möwe gibt sich auch fern von allen größeren Gewässern größte Mühe, uns glauben zu machen, das Meer sei gar nicht weit: "Laut umkreischt sie die städtischen Mülldeponien, so dass man meinen könnte, ein Strand sei in der Nähe." Dem armen Marder, bestimmt nur seines Namens wegen so unbeliebt, sollten wir eigentlich entgegenkommen, indem wir einfach die Motorhauben unserer Autos auflassen und das Fahrrad nehmen. In London, ihrer heimlichen Hauptstadt, sollen Füchse bereits in Downing Street No. 11 zur Untermiete gewohnt haben. Wohingegen man in Moskau noch froh sein kann, wenn es das Wolfsrudel vor dem Supermarkt einzig auf die Einkäufe abgesehen hat. In Zürich schließlich hat sich eine ganze Reihe Exoten auf Dauerurlaub eingefunden: Tapezierspinnen, Alpensegler und Asiatische Marienkäfer zum Beispiel, an denen sich ganz bestimmt ein Phänomen ebenfalls beobachten lässt, auf das die aufmerksame Illustratorin weiter vorne im Buch bereits zu sprechen gekommen ist: der "Turm auf dem Kopf", der tatsächlich manches Urlaubsfoto und auch diese Seite unten ziert.
Buddes Spielereien mit Stadt und Tier haben etwas Kindliches, und auch wenn sich die Kolumne ursprünglich vor allem an erwachsene Zeitungsleser gerichtet haben wird, werden auch Kinder von acht Jahren an Spaß mit ihnen haben. Mit dem Bilderbuch "Und außerdem sind Borsten schön!" indes verhält es sich genau umgekehrt: Es richtet sich an vier, fünf Jahre alte Kinder, offenbart aber eine Lebensweisheit, die man durchaus auch manchem Erwachsenen ans Herz legen möchte. Nadia Budde versammelt allerlei seltsame Gestalten, allesamt Verwandte oder Freunde eines kleinen, unglücklichen Stachelschweins, und alle Gestalten eint die Unzufriedenheit mit ihrem Äußeren.
Das Froschmädchen Monalies wünscht sich eine andere Augenfarbe, Opa Archibald, eine Schildkröte, beklagt das hohe Alter, eine Eule namens Brigitte versucht mittels Korsett eine dünne Mitte zu erreichen, während sich ihr Mann, ein Nilpferd, eher am Hals zu dick findet. So macht sich Nadia Budde ihren Reim, kommt unauffällig von den Tieren auf die Menschen, schließlich auf die aus unserer Hochglanzwelt vertrauten Attribute idealer Schönheit zu sprechen, den Waschbrettbauch, verstärkte Lippen, glatte Nasen oder diverse Muskelmassen, um nach dem Umblättern eine Reihe entsprechend ausgestatteter, aber vollends entstellter Wesen an uns vorüberziehen zu lassen, die zwar selbstgefällig lächeln, ansonsten aber an Hässlichkeit nicht zu übertreffen sind.
Der Anblick Onkel Parzivals, der sich auf die folgende Doppelseite fläzt, ist dann in doppelter Hinsicht eine Erleichterung: In Unterhemd und Trainingshose, einen Grashalm im Mund, liegt er da, borstig wie sein Neffe, dabei unverkennbar menschlich, und anders als jenem ist ihm sein Äußeres egal. "Und er findet: Eins ist wichtig . . .", wird die Weisheit des Buchs vor den bislang vorgestellten Figuren verkündet, die Onkel Parzival schon erwartungsvoll anstarren: "Wie du bist, so bist du richtig!"
So schlicht und schön die Botschaft, so charmant ihr Zusammenspiel mit der Widerborstigkeit von Buddes Figuren auch ist: Seinen Glanz bekommt dieses Bilderbuch durch die unbekümmert wirkende, dabei aber fein durchdachte Auswahl der Gestalten, ihrer individuellen Unzufriedenheit und ihrer Träume. Statt sich missionarisch an den kindlichen Phantasien oder anklagend an den Idealen der Erwachsenen abzuarbeiten oder aber jeden direkten Bezug zu unserer Wirklichkeit politisch korrekt auszuklammern, mischt Nadia Budde sogar innerfamiliär Mensch und Tier - und lässt einen Pudel an der Leine seine Flecken beklagen, um kurz darauf die Mädchen aus dem Haus, sommersprossenübersät, langnasig oder pummelig, wie sie sind, davon träumen zu lassen, wie Elfen auszusehen. Und die Jungs von nebenan davon, ein Supermann zu sein, so hager oder rundlich, blass oder noch in Windeln sie auch dastehen mögen. Schließlich sollte der Abstand von Wunsch und Wirklichkeit niemanden ernstlich vom Träumen abhalten.
Der schönste Twist allerdings gelingt der Künstlerin beim Traum des kleinen Olli: Der eifert seiner Tante Polly nach, einer stattlichen jungen Frau mit roten Haarspangen und überaus athletischem, tatsächlich am ehesten an Supermann erinnerndem Körperbau. Der schmale Olli schaut zu ihr auf und macht mit seinen bescheidenen Mitteln Muskeln. In einem Punkt jedoch hat er es seinem Vorbild bereits gleichtun können: Den im Zickzackmuster gestreiften Rock trägt der Kleine schon genauso wie die Tante.
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Nadia Budde: "Und außerdem sind Borsten schön!"
Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2013. 32 S., geb., 14,90 [Euro]. Ab 4 J.
Nadia Budde: "Großstadttiere".
Verlagshaus Jacoby & Stuart, Berlin 2013. 140 S., geb., 18,- [Euro]. Ab 8 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Witzige Reime und liebevoll-bissige Zeichnungen charakterisieren die (Anti-) Helden, die nicht perfekt, aber doch hinreißend sind. Aus dem Spiel mit kleinen Schönheitsfehlern macht die Autorin ein großes Schmunzelvergnügen." WESTDEUTSCHE ZEITUNG