Evadne Mounts dritter Fall
Zehn kleine Negerlein in den Schweizer Bergen: Mit einem Pfeil im Herzen wird die Leiche des gefeierten Schriftstellers und berüchtigten Querulanten Gustav Slavorigin auf dem Gelände des Sherlock-Holmes-Festivals in Meiringen aufgefunden, einem kleinen Ort nahe den Reichenbachfällen, in denen schon der Urvater aller Detektive im Kampf mit Professor Moriarty seinen vermeintlichen Tod fand. Da das Kopfgeld von hundert Millionen Dollar, die ein reaktionärer Texaner auf Slavorigins streitbaren Kopf ausgesetzt hatte, wirklich jeden der Anwesenden zum Verdächtigen macht, ist einmal mehr der unschlagbare Spürsinn der Meisterdetektivin Evadne Mount gefragt, die wir hier in ihrem dritten Fall brillieren sehen – doch selbst sie könnte diesen Fall nicht lösen, käme ihr nicht ein neuer und gänzlich unerwarteter Partner zu Hilfe. "Und dann gab’s keinen mehr" ist ein hochintelligenter, anspielungsreicher Krimi, der bei aller Verspieltheit und der pikanten Würzmischung aus Zitaten und sprechenden Namen mit gänzlich unerwarteten Wendungen aufwartet und so ein atemraubendes Lesevergnügen verschafft. Man wird sich dieser erneuten Hommage an den klassischen englischen Kriminalroman und seine berühmten Vertreter erst wieder entziehen können, wenn das ungewöhnliche Detektiv-Team die "whodunit"-Frage auf erstaunliche Weise aufgeklärt hat.
Zehn kleine Negerlein in den Schweizer Bergen: Mit einem Pfeil im Herzen wird die Leiche des gefeierten Schriftstellers und berüchtigten Querulanten Gustav Slavorigin auf dem Gelände des Sherlock-Holmes-Festivals in Meiringen aufgefunden, einem kleinen Ort nahe den Reichenbachfällen, in denen schon der Urvater aller Detektive im Kampf mit Professor Moriarty seinen vermeintlichen Tod fand. Da das Kopfgeld von hundert Millionen Dollar, die ein reaktionärer Texaner auf Slavorigins streitbaren Kopf ausgesetzt hatte, wirklich jeden der Anwesenden zum Verdächtigen macht, ist einmal mehr der unschlagbare Spürsinn der Meisterdetektivin Evadne Mount gefragt, die wir hier in ihrem dritten Fall brillieren sehen – doch selbst sie könnte diesen Fall nicht lösen, käme ihr nicht ein neuer und gänzlich unerwarteter Partner zu Hilfe. "Und dann gab’s keinen mehr" ist ein hochintelligenter, anspielungsreicher Krimi, der bei aller Verspieltheit und der pikanten Würzmischung aus Zitaten und sprechenden Namen mit gänzlich unerwarteten Wendungen aufwartet und so ein atemraubendes Lesevergnügen verschafft. Man wird sich dieser erneuten Hommage an den klassischen englischen Kriminalroman und seine berühmten Vertreter erst wieder entziehen können, wenn das ungewöhnliche Detektiv-Team die "whodunit"-Frage auf erstaunliche Weise aufgeklärt hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.11.2008Im Namen von Sherlock Holmes und Miss Marple
Gilbert Adairs fulminanter dritter Fall für Evadne Mount
Von Tobias Döring
Täglich fahren an die tausend Züge vom Bahnhof Paddington im Westen Londons ab. Wer aber je in einen Zug gestiegen ist, der 16.50 Uhr ab Paddington fuhr, musste sich gewiss die bange Frage stellen, was es auf dieser Reise Schreckliches zu sehen geben wird. Denn Abfahrtszeit und -ort sind nun mal in einem der beliebtesten Mordfälle der Kriminalgeschichte verewigt, mit denen einst die unverwüstliche Miss Marple Licht ins Dämmern der feinen englischen Klassengesellschaft brachte. Denn Zufall kann es ja gewiss nicht sein, wenn sich Dinge derart zueinanderfügen - immerhin sind wir im Krimi und damit in einem dichten Zeichenkosmos, wo alles zum Indiz wird.
"Nun hasse ich Zufälle von ganzem Herzen", erklärt denn auch Evadne Mount, die Wiedergängerin Miss Marples in Gilbert Adairs aktueller Trilogie, "weil ich sie als Kapriolen der Vernunft und seltsame Einfälle des Augenblicks betrachte." Deshalb muss es also mehr als Zufall sein, dass auch der Name dieses Autors passionierten Krimilesern längst bekannt ist: Adair hieß das Mordopfer, mit dem Sherlock Holmes im Jahre 1903 nach zehnjähriger Abwesenheit die Ermittlungsarbeit wiederaufnahm. Was also passiert, wenn ein Autor namens Adair den Zug um 16.50 Uhr ab Paddington nimmt und unterwegs per Telefon eine Einladung nach Meiringen erhält, also ausgerechnet in den kleinen Schweizer Ort, wo Sherlock Holmes, wie es 1893 hieß, vermeintlich umgekommen ist?
Im September 2011 trifft sich eine Gruppe internationaler Schriftsteller zum Meiringer Literaturfestival, das ganz im Zeichen Sherlock Holmes steht. Unter den Teilnehmenden ist nicht nur Jochen Schimmang, Adairs deutscher Übersetzer und Fußnotenautor, der ihm hier erneut mit watsonhafter Fürsorge zur Seite steht, sondern auch ein alteuropäischer Intellektueller namens Slavorigin, der sich vor Jahren mit seiner Polemik gegen George W. Bush den Zorn amerikanischer Waffen-Lobbyisten zugezogen hat und seither seines Lebens nicht mehr sicher ist. Am 11. des Monats wird er tatsächlich im lokalen Sherlock-Holmes-Museum tot aufgefunden, die Kehle allerdings von einem scharfen Pfeil durchbohrt, ein Opfer also der bekannten Waffe Wilhelm Tells. Wie es sich fügt, ist auch Evadne Mount zur Stelle und mischt sich ungebeten in die Ermittlungen der Polizei ein.
Wer meint, dass dies ein paar Zufälle zu viel sind, sollte sich von ganzem Herzen auf die Lektüre des Romans einlassen. Denn derlei Kapriolen der Vernunft sind für Adair nichts als sportliche Herausforderung, sie sämtlich und mit leichter Hand in eine höchst vergnügliche, intelligent konstruierte und dazu auch noch wirklich spannende Krimihandlung einzubauen. Nach "Mord auf ffolkes Manor" und "Ein stilvoller Mord in Elstree" in den letzten beiden Jahren schickt er uns hier bereits zum dritten Mal in ein wahres Spiegelkabinett aus historischen Anspielungen, literarischen Indizien und kriminalistischer Fährtensuche. Dass er dazu nicht nur mit Agatha Christie und Conan Doyle das Goldene Zeitalter des Whodunit wunderbar heraufbeschwört, sondern mit den seit dem 11. September 2001 grassierenden Verschwörungstheorien zugleich auch noch den kulturellen Zeichenvorrat unserer Zeit durchplündert, erhöht gewissermaßen nur den Wetteinsatz. Immer wieder überholen die Fiktionen bei Adair die Wirklichkeit, und immer wieder fragt man sich als Leser Zug um Zug, ob sein durchtriebenes Spiel gelingen kann.
Wie es ausgeht, darf naturgemäß an dieser Stelle nicht verraten werden. Von Umberto Eco wissen wir allerdings, dass der Kriminalroman jede erdenkliche Täterschaft schon lange durchgespielt hat - bis auf eine Variante: dass nämlich der Leser selbst der Mörder ist. Mit "Der Name der Rose" wollte Eco diese, wie er meinte, letzte Lücke schließen. Mit der Lektüre von "Und dann gab's keinen mehr" jedoch erfahren wir, dass selbst der große Eco (übrigens auch zum Festival nach Meiringen geladen) eine letzte Möglichkeit der Mordkombinatorik übersehen hat, und just diese ist es, die Adair hier ausprobiert. Über deren Erfolg entscheiden letztlich nur die Leser - genau wie seinerzeit bei Conan Doyle, der 1893 vergeblich versuchte, sich seiner unsterblichen Figur in den Reichenbachfällen bei Meiringen zu entledigen, bevor er sie auf Druck der Leserschaft wiederbeleben musste. Daher dürfen wir an dieser Stelle ganz gewiss im Namen aller klugen Köpfe auch Adairs hirnerfrischendem Buch unbedingt so große Bestseller-Erfolge wünschen, auf dass sein bitteres Ende, wie es der Titel ankündigt, beizeiten revidiert wird.
- Gilbert Adair: "Und dann gab's keinen mehr". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Jochen Schimmang. C. H. Beck Verlag, München 2008. 272 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gilbert Adairs fulminanter dritter Fall für Evadne Mount
Von Tobias Döring
Täglich fahren an die tausend Züge vom Bahnhof Paddington im Westen Londons ab. Wer aber je in einen Zug gestiegen ist, der 16.50 Uhr ab Paddington fuhr, musste sich gewiss die bange Frage stellen, was es auf dieser Reise Schreckliches zu sehen geben wird. Denn Abfahrtszeit und -ort sind nun mal in einem der beliebtesten Mordfälle der Kriminalgeschichte verewigt, mit denen einst die unverwüstliche Miss Marple Licht ins Dämmern der feinen englischen Klassengesellschaft brachte. Denn Zufall kann es ja gewiss nicht sein, wenn sich Dinge derart zueinanderfügen - immerhin sind wir im Krimi und damit in einem dichten Zeichenkosmos, wo alles zum Indiz wird.
"Nun hasse ich Zufälle von ganzem Herzen", erklärt denn auch Evadne Mount, die Wiedergängerin Miss Marples in Gilbert Adairs aktueller Trilogie, "weil ich sie als Kapriolen der Vernunft und seltsame Einfälle des Augenblicks betrachte." Deshalb muss es also mehr als Zufall sein, dass auch der Name dieses Autors passionierten Krimilesern längst bekannt ist: Adair hieß das Mordopfer, mit dem Sherlock Holmes im Jahre 1903 nach zehnjähriger Abwesenheit die Ermittlungsarbeit wiederaufnahm. Was also passiert, wenn ein Autor namens Adair den Zug um 16.50 Uhr ab Paddington nimmt und unterwegs per Telefon eine Einladung nach Meiringen erhält, also ausgerechnet in den kleinen Schweizer Ort, wo Sherlock Holmes, wie es 1893 hieß, vermeintlich umgekommen ist?
Im September 2011 trifft sich eine Gruppe internationaler Schriftsteller zum Meiringer Literaturfestival, das ganz im Zeichen Sherlock Holmes steht. Unter den Teilnehmenden ist nicht nur Jochen Schimmang, Adairs deutscher Übersetzer und Fußnotenautor, der ihm hier erneut mit watsonhafter Fürsorge zur Seite steht, sondern auch ein alteuropäischer Intellektueller namens Slavorigin, der sich vor Jahren mit seiner Polemik gegen George W. Bush den Zorn amerikanischer Waffen-Lobbyisten zugezogen hat und seither seines Lebens nicht mehr sicher ist. Am 11. des Monats wird er tatsächlich im lokalen Sherlock-Holmes-Museum tot aufgefunden, die Kehle allerdings von einem scharfen Pfeil durchbohrt, ein Opfer also der bekannten Waffe Wilhelm Tells. Wie es sich fügt, ist auch Evadne Mount zur Stelle und mischt sich ungebeten in die Ermittlungen der Polizei ein.
Wer meint, dass dies ein paar Zufälle zu viel sind, sollte sich von ganzem Herzen auf die Lektüre des Romans einlassen. Denn derlei Kapriolen der Vernunft sind für Adair nichts als sportliche Herausforderung, sie sämtlich und mit leichter Hand in eine höchst vergnügliche, intelligent konstruierte und dazu auch noch wirklich spannende Krimihandlung einzubauen. Nach "Mord auf ffolkes Manor" und "Ein stilvoller Mord in Elstree" in den letzten beiden Jahren schickt er uns hier bereits zum dritten Mal in ein wahres Spiegelkabinett aus historischen Anspielungen, literarischen Indizien und kriminalistischer Fährtensuche. Dass er dazu nicht nur mit Agatha Christie und Conan Doyle das Goldene Zeitalter des Whodunit wunderbar heraufbeschwört, sondern mit den seit dem 11. September 2001 grassierenden Verschwörungstheorien zugleich auch noch den kulturellen Zeichenvorrat unserer Zeit durchplündert, erhöht gewissermaßen nur den Wetteinsatz. Immer wieder überholen die Fiktionen bei Adair die Wirklichkeit, und immer wieder fragt man sich als Leser Zug um Zug, ob sein durchtriebenes Spiel gelingen kann.
Wie es ausgeht, darf naturgemäß an dieser Stelle nicht verraten werden. Von Umberto Eco wissen wir allerdings, dass der Kriminalroman jede erdenkliche Täterschaft schon lange durchgespielt hat - bis auf eine Variante: dass nämlich der Leser selbst der Mörder ist. Mit "Der Name der Rose" wollte Eco diese, wie er meinte, letzte Lücke schließen. Mit der Lektüre von "Und dann gab's keinen mehr" jedoch erfahren wir, dass selbst der große Eco (übrigens auch zum Festival nach Meiringen geladen) eine letzte Möglichkeit der Mordkombinatorik übersehen hat, und just diese ist es, die Adair hier ausprobiert. Über deren Erfolg entscheiden letztlich nur die Leser - genau wie seinerzeit bei Conan Doyle, der 1893 vergeblich versuchte, sich seiner unsterblichen Figur in den Reichenbachfällen bei Meiringen zu entledigen, bevor er sie auf Druck der Leserschaft wiederbeleben musste. Daher dürfen wir an dieser Stelle ganz gewiss im Namen aller klugen Köpfe auch Adairs hirnerfrischendem Buch unbedingt so große Bestseller-Erfolge wünschen, auf dass sein bitteres Ende, wie es der Titel ankündigt, beizeiten revidiert wird.
- Gilbert Adair: "Und dann gab's keinen mehr". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Jochen Schimmang. C. H. Beck Verlag, München 2008. 272 S., geb., 18,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Merten Worthmann zeigt sich ziemlich überrascht, wie Gilbert Adair seine Evadne-Mount-Trilogie abschließt. Er freut sich aber gleichzeitig daran, dass Adair von seiner eigenen Masche offensichtlich so gelangweilt war, dass er "sein Erfolgsmodell spektakulär entgleisen" lässt. Worthmann stellt fest: "Ein postmoderner Pasticheur wie Adair hat natürlich die Freiheit, mal mehr postmodern und mal mehr Pasticheur zu sein". Im letzten Teil der Trilogie gewinnt offensichtlich seine postmoderne Seite. Doch trotz des angesichts dieser Gewichtung zu erwartenden "Querverweis-Dickichts" lässt sich der Roman "so angenehm wegschmökern wie seine Vorgänger". Und dabei schreibt Adair Worthmanns Meinung nach auch noch "komisch und klug".
© Perlentaucher Medien GmbH
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