Der neue Roman von Erfolgsautorin Sarah Jäger («Nach vorn, nach Süden», «Die Nacht so groß wie wir», «Schnabeltier deluxe»). Mit vielen Illustrationen von Sarah Maus.
Sommerferien! Alle Menschen sind draußen, sitzen im Eiscafé oder liegen am Badesee. Nur der vierzehnjährige Juri bleibt zu Hause, denn Juris Lieblingsort ist sein Zimmer - hier fühlt er sich sicher. Knapp zwei Wochen vor Schulbeginn erhält er eine Nachricht von Ava. Die beiden kennen sich aus der Grundschule, seit Jahren haben sie nichts voneinander gehört. Ava würde liebend gern mit anderen Menschen im Freibad sein. Doch Ava hat Hausarrest. «Wegen so einer Sache», sagt sie. Obwohl die beiden unterschiedlicher nicht sein könnten, folgen auf Text- und Sprachnachrichten über Joghurteis mit Himbeersauce und schlimmste Geburtstage schon bald erste Geständnisse. Über kleine Geheimnisse und große Ängste. Bis Avas wilde Geschichten das gerade erst gewonnene Vertrauen ins Wanken bringen.
Sommerferien! Alle Menschen sind draußen, sitzen im Eiscafé oder liegen am Badesee. Nur der vierzehnjährige Juri bleibt zu Hause, denn Juris Lieblingsort ist sein Zimmer - hier fühlt er sich sicher. Knapp zwei Wochen vor Schulbeginn erhält er eine Nachricht von Ava. Die beiden kennen sich aus der Grundschule, seit Jahren haben sie nichts voneinander gehört. Ava würde liebend gern mit anderen Menschen im Freibad sein. Doch Ava hat Hausarrest. «Wegen so einer Sache», sagt sie. Obwohl die beiden unterschiedlicher nicht sein könnten, folgen auf Text- und Sprachnachrichten über Joghurteis mit Himbeersauce und schlimmste Geburtstage schon bald erste Geständnisse. Über kleine Geheimnisse und große Ängste. Bis Avas wilde Geschichten das gerade erst gewonnene Vertrauen ins Wanken bringen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2024Astronaut und Vogel
Sarah Jäger führt zwei sehr unterschiedliche Teenager zusammen und experimentiert mit Chatnachrichten
Von Eva-Maria Magel
Bücher für Kinder und Jugendliche sind schneller. Sie greifen aktuelle Themen auf und experimentieren formal, vom Erzählen im Langgedicht bis zu Text-Bild-Kombinationen jeder Art. Im besten Fall bekommt man beides, eine Lernkurve und ein ästhetisches Erlebnis.
Das wäre alles auch in "Und die Welt, sie fliegt hoch" von Sarah Jäger möglich. Ein Text aus kurzen Botschaften, ein Dialog gedruckt wie ein Gedicht, verwoben mit den Illustrationen von Sarah Maus. Darin nähern sich ein schräger Vogel, linke Buchseite, und ein Astronaut, rechte Buchseite, an. Jeder allein in seiner Sphäre, beide in den Sommerferien in ihren Zimmern. Das ist kurios genug, und es bleibt so, auch wenn wir bald erfahren, dass die lebhafte Vogel-Ava und der stille Astro-Juri, 14 Jahre alt und früher in derselben Grundschulklasse, offenbar von sehr unterschiedlichen Gründen festgehalten werden.
Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen sind längst ein Thema in der Jugendliteratur, Jäger verbindet es mit der Isolation der Pandemie und ihren Folgen für die seelische Gesundheit, eine große Frage. Sie wählt einen passenden Kunstgriff: Juri und Ava schicken einander Chatnachrichten. So wie viele Kinder und Jugendliche es tun, die lieber Sprachnachrichten aufnehmen oder tippen, statt zu sprechen oder zu telefonieren. Was zumal Juri entgegenkommt.
Ava, die diesen Dialog beginnt, und man versteht am Ende, warum, findet so die einzige Brücke zu Juri. Schon immer war ihm alles zu viel, Schule bereitete ihm Bauchschmerzen. Lockdown und Homeschooling waren für ihn Erleichterung - nun kann er die Nähe der anderen, den Schulbetrieb gar nicht mehr ertragen. Er verlässt kaum sein Zimmer. Und lässt zunächst eher widerwillig zu, dass da jemand reinkommt, zumindest digital. Die beiden öffnen einander ihre Seelen, bringen sich an den Rand des Befreundetseins, erzählen davon, wie aus Kindern Jugendliche werden, wenn sie sich plötzlich an ihr Kindsein erinnern.
Die Chats bilden das Zögerliche der Öffnung ab, in einer Sprache, die mal in gekünstelt originellen Wendungen, oft floskelhaft, zwar so schlicht ist, wie es Chatnachrichten eben sind. Das allerdings reduziert den Reiz der Erzählung auf die dem Thema angemessene Form. Die in Schwarz-Weiß gehaltene Gestaltung bemüht sich darum, der kargen Textebene etwas hinzuzufügen, überwindet aber das bloß Illustrative selten. So huscht der Blick lesend im Links-rechts-Muster zwischen krakeelenden Vögeln und lungernden Astronauten über die Doppelseiten, bis klar ist, dass auch Ava nicht nur ein sonniges Leben hat. Die Chancen eines Erzählens im Chatformat sind noch lange nicht ausgereizt.
Sarah Jäger: "Und die Welt, sie fliegt hoch."
Illustriert von Sarah Maus. Rotfuchs Verlag, Hamburg 2024. 272 S., geb., 20,- Euro. Ab 12 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sarah Jäger führt zwei sehr unterschiedliche Teenager zusammen und experimentiert mit Chatnachrichten
Von Eva-Maria Magel
Bücher für Kinder und Jugendliche sind schneller. Sie greifen aktuelle Themen auf und experimentieren formal, vom Erzählen im Langgedicht bis zu Text-Bild-Kombinationen jeder Art. Im besten Fall bekommt man beides, eine Lernkurve und ein ästhetisches Erlebnis.
Das wäre alles auch in "Und die Welt, sie fliegt hoch" von Sarah Jäger möglich. Ein Text aus kurzen Botschaften, ein Dialog gedruckt wie ein Gedicht, verwoben mit den Illustrationen von Sarah Maus. Darin nähern sich ein schräger Vogel, linke Buchseite, und ein Astronaut, rechte Buchseite, an. Jeder allein in seiner Sphäre, beide in den Sommerferien in ihren Zimmern. Das ist kurios genug, und es bleibt so, auch wenn wir bald erfahren, dass die lebhafte Vogel-Ava und der stille Astro-Juri, 14 Jahre alt und früher in derselben Grundschulklasse, offenbar von sehr unterschiedlichen Gründen festgehalten werden.
Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen sind längst ein Thema in der Jugendliteratur, Jäger verbindet es mit der Isolation der Pandemie und ihren Folgen für die seelische Gesundheit, eine große Frage. Sie wählt einen passenden Kunstgriff: Juri und Ava schicken einander Chatnachrichten. So wie viele Kinder und Jugendliche es tun, die lieber Sprachnachrichten aufnehmen oder tippen, statt zu sprechen oder zu telefonieren. Was zumal Juri entgegenkommt.
Ava, die diesen Dialog beginnt, und man versteht am Ende, warum, findet so die einzige Brücke zu Juri. Schon immer war ihm alles zu viel, Schule bereitete ihm Bauchschmerzen. Lockdown und Homeschooling waren für ihn Erleichterung - nun kann er die Nähe der anderen, den Schulbetrieb gar nicht mehr ertragen. Er verlässt kaum sein Zimmer. Und lässt zunächst eher widerwillig zu, dass da jemand reinkommt, zumindest digital. Die beiden öffnen einander ihre Seelen, bringen sich an den Rand des Befreundetseins, erzählen davon, wie aus Kindern Jugendliche werden, wenn sie sich plötzlich an ihr Kindsein erinnern.
Die Chats bilden das Zögerliche der Öffnung ab, in einer Sprache, die mal in gekünstelt originellen Wendungen, oft floskelhaft, zwar so schlicht ist, wie es Chatnachrichten eben sind. Das allerdings reduziert den Reiz der Erzählung auf die dem Thema angemessene Form. Die in Schwarz-Weiß gehaltene Gestaltung bemüht sich darum, der kargen Textebene etwas hinzuzufügen, überwindet aber das bloß Illustrative selten. So huscht der Blick lesend im Links-rechts-Muster zwischen krakeelenden Vögeln und lungernden Astronauten über die Doppelseiten, bis klar ist, dass auch Ava nicht nur ein sonniges Leben hat. Die Chancen eines Erzählens im Chatformat sind noch lange nicht ausgereizt.
Sarah Jäger: "Und die Welt, sie fliegt hoch."
Illustriert von Sarah Maus. Rotfuchs Verlag, Hamburg 2024. 272 S., geb., 20,- Euro. Ab 12 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Juri wäre gern Astronaut, aber traut sich vor Angst gar nicht mehr aus seinem Zimmer, erklärt Rezensentin Christine Knödler, er hat "Angst vor der Welt". Da erreicht ihn plötzlich aus Zufall eine Nachricht von Ava auf dem Handy, die ihr Zimmer wegen Hausarrest nicht verlassen darf - das ist laut Knödler die Prämisse von Sarah Jägers Jugendroman. Die Geschichte ist komplett in Form von Textnachrichten verfasst, man muss sich "einlassen auf dieses Hin und Her", gibt Knödler zu bedenken, aber es lohnt sich, denn die beiden Protagonisten können so ihre Sorgen, Hoffnungen und auch die Gegensätze zwischen sich erkunden. Ava ist ein eher quirliges Scheidungskind, Juri ist in sich gekehrt, im Laufe der Nachrichten lernen sie sich gut kennen und stellen sich die Fragen um Freundschaft, Liebe und Pläne, die Jugendliche umtreiben - woraus ein lesenswertes, "poetisches Protokoll" entsteht, wie die Rezensentin bekräftigt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.03.2024Hallo, ist
da jemand?
Kunstvoller Höhenflug: Sarah Jägers
Jugendroman „Und die Welt, sie fliegt hoch“
besteht komplett aus Kurznachrichten.
VON CHRISTINE KNÖDLER
Der Himmel ist beliebt in diesem Frühjahr. Die Weite des Alls dient gleich mehrmals als Kulisse für Jugendromane, auch der Countdown für einen Raketenstart läuft nicht nur einmal. In „Himmelwärts“ von Karen Köhler antwortet eine Astronautin zwei Mädchen, die einen Funkspruch ins All senden. In „Und die Welt, sie fliegt hoch“ von Sarah Jäger gibt Juri, 14, den Astronauten. Doch fliegen kann er nicht. Ganz im Gegenteil. Er verschanzt sich lieber in seinem Zimmer, vom Kosmos träumt er nur.
Draußen, wo Juri nicht ist, ist Sommer. Die anderen sind im Freibad oder im Eiscafé, die Ferien gehen zu Ende, der Countdown läuft. Denn Juri will nicht zurück in die Schule. Er fürchtet sich vor der Welt. Wie ein Komet schlägt da eine Whatsapp-Nachricht ein. „Hallo, ist da jemand?“, fragt Ava. Juri fragt: „Woher hast du meine Handynummer?“ Ava und er kennen sich aus der Grundschule, seitdem hatten sie nichts mehr miteinander zu tun. Jetzt hat Ava Hausarrest, „wegen einer Sache“, und langweilt sich.
Zwei hocken in ihren Zimmern. Die eine darf nicht raus – der andere will nicht. Zwischen diesen Polen entwickelt die Autorin Sarah Jäger ein exzellentes Spiel aus Behauptung und Wirklichkeit, Außenwahrnehmung und Innensicht, Selbstdarstellung und Selbsterkenntnis. Dafür bedient sie sich einer Form, die so jugendnah und zeitgemäß wie ungewöhnlich ist: Der Roman besteht ausschließlich aus Kurznachrichten. Avas Sätze stehen auf den linken Seiten – Juris auf den rechten. Das ist kühn – und gewöhnungsbedürftig, denn es stört den Lesefluss, es bildet aber auch ab, was die beiden sind: absolut gegensätzlich. Und für einander ein Gegenüber.
In Ava trifft eine quasselstrippige Stimmungskanone auf den schüchternen Schweiger Juri. Sie sammelt Postkarten mit Wolken und Himmel drauf – er faltet Origami-Tiere. Sie möchte immer im Mittelpunkt stehen – er hat Furcht, gesehen zu werden. Sie wartet ungeduldig auf seine Antworten – er fragt sich selber viel. Sie denkt sich Sachen aus und redet, redet sie sich raus? Juri jedenfalls kommt ihr immer wieder auf die Spur. Ums Spurenlesen geht es, dafür braucht es Vertrauen, das gilt genauso für die Leserinnen und Leser: Auch sie müssen sich einlassen auf dieses Hin und Her, das immer tiefer geht.
Ava und Juri erzählen einander von Katastrophen-Geburtstagen und von einem Kostümfest. Sie ging als komischer Vogel – er als Astronaut. Auf den Illustrationen von Sarah Maus steigen Papierflieger in den Himmel – und landen im Papierkorb. Juris Astronautenmontur wird zum Schutzanzug, zur Ganzkörpertarnung – der komische Vogel sieht ziemlich zerrupft und wütend aus. Er wird zum Vogel Strauß, der den Kopf in den Sand steckt, schließlich zum Specht, der gegen Juris Türen hämmert.
Denn Ava und Juri sprechen immer offener an, was sie umtreibt. Ava ist ein Trennungskind, sie kann anstrengend sein, das weiß sie – dass sie den anderen zu viel wird, ist ihre größte Angst. Juri hatte schon immer vor vielem Angst – inzwischen verzweifelt er an der Welt. Beide sollen erwachsen werden und wissen nicht, wie. Er schreibt: „Ich habe das Gefühl, dass mir nur in meinem Zimmer nichts passieren kann, dass ich nur hier sicher bin“. Sie sagt: „Mit dir habe ich das Gefühl, genau richtig zu sein.“
Aus getauschten Geheimnissen werden Fragen ans Leben: Woran merkt man, dass man befreundet ist? Was ist der Unterschied zwischen Wünschen und Vorsätzen? Wie viel Wahrheit kann man wagen? Darf man Geschichten erzählen, die nicht stimmen? Ist Erfinden lügen? Sind Lügen Verrat? Die Themen des Romans bilden als Kapitelüberschriften einen Countdown. Sie heißen: „10: Begegnung“, „9: Geburt“, „8: Zimmer“, später „Endgegner“, „Liebe“, „Tod“. Wie Raumstationen im Universum werden sie für Juri und Ava zu Stationen der eigenen Verortung. Am Ende schließt sich der Kreis: „Die Welt, sie fliegt hoch – und alle gucken zu“. Sowohl Ava als auch Juri nehmen ihren Abflug ins eigene Leben in Angriff, der sich für sie anfühlt wie eine Apokalypse, ein Moment der unumkehrbaren Veränderung. Ava wird „die Sache“ aussprechen, Juri wird rausgehen. Der Chatverlauf ist zum poetischen Protokoll geworden. Das letzte Kapitel heißt, schwerelos, „0: Zukunft?“
Sarah Jäger:
Und die Welt, sie fliegt hoch. Mit Illustrationen von Sarah Maus.
Rotfuchs, Hamburg 2024.
272 Seiten, 20 Euro.
Ab zwölf Jahren.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
da jemand?
Kunstvoller Höhenflug: Sarah Jägers
Jugendroman „Und die Welt, sie fliegt hoch“
besteht komplett aus Kurznachrichten.
VON CHRISTINE KNÖDLER
Der Himmel ist beliebt in diesem Frühjahr. Die Weite des Alls dient gleich mehrmals als Kulisse für Jugendromane, auch der Countdown für einen Raketenstart läuft nicht nur einmal. In „Himmelwärts“ von Karen Köhler antwortet eine Astronautin zwei Mädchen, die einen Funkspruch ins All senden. In „Und die Welt, sie fliegt hoch“ von Sarah Jäger gibt Juri, 14, den Astronauten. Doch fliegen kann er nicht. Ganz im Gegenteil. Er verschanzt sich lieber in seinem Zimmer, vom Kosmos träumt er nur.
Draußen, wo Juri nicht ist, ist Sommer. Die anderen sind im Freibad oder im Eiscafé, die Ferien gehen zu Ende, der Countdown läuft. Denn Juri will nicht zurück in die Schule. Er fürchtet sich vor der Welt. Wie ein Komet schlägt da eine Whatsapp-Nachricht ein. „Hallo, ist da jemand?“, fragt Ava. Juri fragt: „Woher hast du meine Handynummer?“ Ava und er kennen sich aus der Grundschule, seitdem hatten sie nichts mehr miteinander zu tun. Jetzt hat Ava Hausarrest, „wegen einer Sache“, und langweilt sich.
Zwei hocken in ihren Zimmern. Die eine darf nicht raus – der andere will nicht. Zwischen diesen Polen entwickelt die Autorin Sarah Jäger ein exzellentes Spiel aus Behauptung und Wirklichkeit, Außenwahrnehmung und Innensicht, Selbstdarstellung und Selbsterkenntnis. Dafür bedient sie sich einer Form, die so jugendnah und zeitgemäß wie ungewöhnlich ist: Der Roman besteht ausschließlich aus Kurznachrichten. Avas Sätze stehen auf den linken Seiten – Juris auf den rechten. Das ist kühn – und gewöhnungsbedürftig, denn es stört den Lesefluss, es bildet aber auch ab, was die beiden sind: absolut gegensätzlich. Und für einander ein Gegenüber.
In Ava trifft eine quasselstrippige Stimmungskanone auf den schüchternen Schweiger Juri. Sie sammelt Postkarten mit Wolken und Himmel drauf – er faltet Origami-Tiere. Sie möchte immer im Mittelpunkt stehen – er hat Furcht, gesehen zu werden. Sie wartet ungeduldig auf seine Antworten – er fragt sich selber viel. Sie denkt sich Sachen aus und redet, redet sie sich raus? Juri jedenfalls kommt ihr immer wieder auf die Spur. Ums Spurenlesen geht es, dafür braucht es Vertrauen, das gilt genauso für die Leserinnen und Leser: Auch sie müssen sich einlassen auf dieses Hin und Her, das immer tiefer geht.
Ava und Juri erzählen einander von Katastrophen-Geburtstagen und von einem Kostümfest. Sie ging als komischer Vogel – er als Astronaut. Auf den Illustrationen von Sarah Maus steigen Papierflieger in den Himmel – und landen im Papierkorb. Juris Astronautenmontur wird zum Schutzanzug, zur Ganzkörpertarnung – der komische Vogel sieht ziemlich zerrupft und wütend aus. Er wird zum Vogel Strauß, der den Kopf in den Sand steckt, schließlich zum Specht, der gegen Juris Türen hämmert.
Denn Ava und Juri sprechen immer offener an, was sie umtreibt. Ava ist ein Trennungskind, sie kann anstrengend sein, das weiß sie – dass sie den anderen zu viel wird, ist ihre größte Angst. Juri hatte schon immer vor vielem Angst – inzwischen verzweifelt er an der Welt. Beide sollen erwachsen werden und wissen nicht, wie. Er schreibt: „Ich habe das Gefühl, dass mir nur in meinem Zimmer nichts passieren kann, dass ich nur hier sicher bin“. Sie sagt: „Mit dir habe ich das Gefühl, genau richtig zu sein.“
Aus getauschten Geheimnissen werden Fragen ans Leben: Woran merkt man, dass man befreundet ist? Was ist der Unterschied zwischen Wünschen und Vorsätzen? Wie viel Wahrheit kann man wagen? Darf man Geschichten erzählen, die nicht stimmen? Ist Erfinden lügen? Sind Lügen Verrat? Die Themen des Romans bilden als Kapitelüberschriften einen Countdown. Sie heißen: „10: Begegnung“, „9: Geburt“, „8: Zimmer“, später „Endgegner“, „Liebe“, „Tod“. Wie Raumstationen im Universum werden sie für Juri und Ava zu Stationen der eigenen Verortung. Am Ende schließt sich der Kreis: „Die Welt, sie fliegt hoch – und alle gucken zu“. Sowohl Ava als auch Juri nehmen ihren Abflug ins eigene Leben in Angriff, der sich für sie anfühlt wie eine Apokalypse, ein Moment der unumkehrbaren Veränderung. Ava wird „die Sache“ aussprechen, Juri wird rausgehen. Der Chatverlauf ist zum poetischen Protokoll geworden. Das letzte Kapitel heißt, schwerelos, „0: Zukunft?“
Sarah Jäger:
Und die Welt, sie fliegt hoch. Mit Illustrationen von Sarah Maus.
Rotfuchs, Hamburg 2024.
272 Seiten, 20 Euro.
Ab zwölf Jahren.
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Auch ein Must-Read für Erwachsene, die tiefgründige, melancholischen und doch warmherzige Geschichten schätzen. Karin Chao Rieser Nachrichten 20241004
Hallo, ist
da jemand?
Kunstvoller Höhenflug: Sarah Jägers
Jugendroman „Und die Welt, sie fliegt hoch“
besteht komplett aus Kurznachrichten.
VON CHRISTINE KNÖDLER
Der Himmel ist beliebt in diesem Frühjahr. Die Weite des Alls dient gleich mehrmals als Kulisse für Jugendromane, auch der Countdown für einen Raketenstart läuft nicht nur einmal. In „Himmelwärts“ von Karen Köhler antwortet eine Astronautin zwei Mädchen, die einen Funkspruch ins All senden. In „Und die Welt, sie fliegt hoch“ von Sarah Jäger gibt Juri, 14, den Astronauten. Doch fliegen kann er nicht. Ganz im Gegenteil. Er verschanzt sich lieber in seinem Zimmer, vom Kosmos träumt er nur.
Draußen, wo Juri nicht ist, ist Sommer. Die anderen sind im Freibad oder im Eiscafé, die Ferien gehen zu Ende, der Countdown läuft. Denn Juri will nicht zurück in die Schule. Er fürchtet sich vor der Welt. Wie ein Komet schlägt da eine Whatsapp-Nachricht ein. „Hallo, ist da jemand?“, fragt Ava. Juri fragt: „Woher hast du meine Handynummer?“ Ava und er kennen sich aus der Grundschule, seitdem hatten sie nichts mehr miteinander zu tun. Jetzt hat Ava Hausarrest, „wegen einer Sache“, und langweilt sich.
Zwei hocken in ihren Zimmern. Die eine darf nicht raus – der andere will nicht. Zwischen diesen Polen entwickelt die Autorin Sarah Jäger ein exzellentes Spiel aus Behauptung und Wirklichkeit, Außenwahrnehmung und Innensicht, Selbstdarstellung und Selbsterkenntnis. Dafür bedient sie sich einer Form, die so jugendnah und zeitgemäß wie ungewöhnlich ist: Der Roman besteht ausschließlich aus Kurznachrichten. Avas Sätze stehen auf den linken Seiten – Juris auf den rechten. Das ist kühn – und gewöhnungsbedürftig, denn es stört den Lesefluss, es bildet aber auch ab, was die beiden sind: absolut gegensätzlich. Und für einander ein Gegenüber.
In Ava trifft eine quasselstrippige Stimmungskanone auf den schüchternen Schweiger Juri. Sie sammelt Postkarten mit Wolken und Himmel drauf – er faltet Origami-Tiere. Sie möchte immer im Mittelpunkt stehen – er hat Furcht, gesehen zu werden. Sie wartet ungeduldig auf seine Antworten – er fragt sich selber viel. Sie denkt sich Sachen aus und redet, redet sie sich raus? Juri jedenfalls kommt ihr immer wieder auf die Spur. Ums Spurenlesen geht es, dafür braucht es Vertrauen, das gilt genauso für die Leserinnen und Leser: Auch sie müssen sich einlassen auf dieses Hin und Her, das immer tiefer geht.
Ava und Juri erzählen einander von Katastrophen-Geburtstagen und von einem Kostümfest. Sie ging als komischer Vogel – er als Astronaut. Auf den Illustrationen von Sarah Maus steigen Papierflieger in den Himmel – und landen im Papierkorb. Juris Astronautenmontur wird zum Schutzanzug, zur Ganzkörpertarnung – der komische Vogel sieht ziemlich zerrupft und wütend aus. Er wird zum Vogel Strauß, der den Kopf in den Sand steckt, schließlich zum Specht, der gegen Juris Türen hämmert.
Denn Ava und Juri sprechen immer offener an, was sie umtreibt. Ava ist ein Trennungskind, sie kann anstrengend sein, das weiß sie – dass sie den anderen zu viel wird, ist ihre größte Angst. Juri hatte schon immer vor vielem Angst – inzwischen verzweifelt er an der Welt. Beide sollen erwachsen werden und wissen nicht, wie. Er schreibt: „Ich habe das Gefühl, dass mir nur in meinem Zimmer nichts passieren kann, dass ich nur hier sicher bin“. Sie sagt: „Mit dir habe ich das Gefühl, genau richtig zu sein.“
Aus getauschten Geheimnissen werden Fragen ans Leben: Woran merkt man, dass man befreundet ist? Was ist der Unterschied zwischen Wünschen und Vorsätzen? Wie viel Wahrheit kann man wagen? Darf man Geschichten erzählen, die nicht stimmen? Ist Erfinden lügen? Sind Lügen Verrat? Die Themen des Romans bilden als Kapitelüberschriften einen Countdown. Sie heißen: „10: Begegnung“, „9: Geburt“, „8: Zimmer“, später „Endgegner“, „Liebe“, „Tod“. Wie Raumstationen im Universum werden sie für Juri und Ava zu Stationen der eigenen Verortung. Am Ende schließt sich der Kreis: „Die Welt, sie fliegt hoch – und alle gucken zu“. Sowohl Ava als auch Juri nehmen ihren Abflug ins eigene Leben in Angriff, der sich für sie anfühlt wie eine Apokalypse, ein Moment der unumkehrbaren Veränderung. Ava wird „die Sache“ aussprechen, Juri wird rausgehen. Der Chatverlauf ist zum poetischen Protokoll geworden. Das letzte Kapitel heißt, schwerelos, „0: Zukunft?“
Sarah Jäger:
Und die Welt, sie fliegt hoch. Mit Illustrationen von Sarah Maus.
Rotfuchs, Hamburg 2024.
272 Seiten, 20 Euro.
Ab zwölf Jahren.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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da jemand?
Kunstvoller Höhenflug: Sarah Jägers
Jugendroman „Und die Welt, sie fliegt hoch“
besteht komplett aus Kurznachrichten.
VON CHRISTINE KNÖDLER
Der Himmel ist beliebt in diesem Frühjahr. Die Weite des Alls dient gleich mehrmals als Kulisse für Jugendromane, auch der Countdown für einen Raketenstart läuft nicht nur einmal. In „Himmelwärts“ von Karen Köhler antwortet eine Astronautin zwei Mädchen, die einen Funkspruch ins All senden. In „Und die Welt, sie fliegt hoch“ von Sarah Jäger gibt Juri, 14, den Astronauten. Doch fliegen kann er nicht. Ganz im Gegenteil. Er verschanzt sich lieber in seinem Zimmer, vom Kosmos träumt er nur.
Draußen, wo Juri nicht ist, ist Sommer. Die anderen sind im Freibad oder im Eiscafé, die Ferien gehen zu Ende, der Countdown läuft. Denn Juri will nicht zurück in die Schule. Er fürchtet sich vor der Welt. Wie ein Komet schlägt da eine Whatsapp-Nachricht ein. „Hallo, ist da jemand?“, fragt Ava. Juri fragt: „Woher hast du meine Handynummer?“ Ava und er kennen sich aus der Grundschule, seitdem hatten sie nichts mehr miteinander zu tun. Jetzt hat Ava Hausarrest, „wegen einer Sache“, und langweilt sich.
Zwei hocken in ihren Zimmern. Die eine darf nicht raus – der andere will nicht. Zwischen diesen Polen entwickelt die Autorin Sarah Jäger ein exzellentes Spiel aus Behauptung und Wirklichkeit, Außenwahrnehmung und Innensicht, Selbstdarstellung und Selbsterkenntnis. Dafür bedient sie sich einer Form, die so jugendnah und zeitgemäß wie ungewöhnlich ist: Der Roman besteht ausschließlich aus Kurznachrichten. Avas Sätze stehen auf den linken Seiten – Juris auf den rechten. Das ist kühn – und gewöhnungsbedürftig, denn es stört den Lesefluss, es bildet aber auch ab, was die beiden sind: absolut gegensätzlich. Und für einander ein Gegenüber.
In Ava trifft eine quasselstrippige Stimmungskanone auf den schüchternen Schweiger Juri. Sie sammelt Postkarten mit Wolken und Himmel drauf – er faltet Origami-Tiere. Sie möchte immer im Mittelpunkt stehen – er hat Furcht, gesehen zu werden. Sie wartet ungeduldig auf seine Antworten – er fragt sich selber viel. Sie denkt sich Sachen aus und redet, redet sie sich raus? Juri jedenfalls kommt ihr immer wieder auf die Spur. Ums Spurenlesen geht es, dafür braucht es Vertrauen, das gilt genauso für die Leserinnen und Leser: Auch sie müssen sich einlassen auf dieses Hin und Her, das immer tiefer geht.
Ava und Juri erzählen einander von Katastrophen-Geburtstagen und von einem Kostümfest. Sie ging als komischer Vogel – er als Astronaut. Auf den Illustrationen von Sarah Maus steigen Papierflieger in den Himmel – und landen im Papierkorb. Juris Astronautenmontur wird zum Schutzanzug, zur Ganzkörpertarnung – der komische Vogel sieht ziemlich zerrupft und wütend aus. Er wird zum Vogel Strauß, der den Kopf in den Sand steckt, schließlich zum Specht, der gegen Juris Türen hämmert.
Denn Ava und Juri sprechen immer offener an, was sie umtreibt. Ava ist ein Trennungskind, sie kann anstrengend sein, das weiß sie – dass sie den anderen zu viel wird, ist ihre größte Angst. Juri hatte schon immer vor vielem Angst – inzwischen verzweifelt er an der Welt. Beide sollen erwachsen werden und wissen nicht, wie. Er schreibt: „Ich habe das Gefühl, dass mir nur in meinem Zimmer nichts passieren kann, dass ich nur hier sicher bin“. Sie sagt: „Mit dir habe ich das Gefühl, genau richtig zu sein.“
Aus getauschten Geheimnissen werden Fragen ans Leben: Woran merkt man, dass man befreundet ist? Was ist der Unterschied zwischen Wünschen und Vorsätzen? Wie viel Wahrheit kann man wagen? Darf man Geschichten erzählen, die nicht stimmen? Ist Erfinden lügen? Sind Lügen Verrat? Die Themen des Romans bilden als Kapitelüberschriften einen Countdown. Sie heißen: „10: Begegnung“, „9: Geburt“, „8: Zimmer“, später „Endgegner“, „Liebe“, „Tod“. Wie Raumstationen im Universum werden sie für Juri und Ava zu Stationen der eigenen Verortung. Am Ende schließt sich der Kreis: „Die Welt, sie fliegt hoch – und alle gucken zu“. Sowohl Ava als auch Juri nehmen ihren Abflug ins eigene Leben in Angriff, der sich für sie anfühlt wie eine Apokalypse, ein Moment der unumkehrbaren Veränderung. Ava wird „die Sache“ aussprechen, Juri wird rausgehen. Der Chatverlauf ist zum poetischen Protokoll geworden. Das letzte Kapitel heißt, schwerelos, „0: Zukunft?“
Sarah Jäger:
Und die Welt, sie fliegt hoch. Mit Illustrationen von Sarah Maus.
Rotfuchs, Hamburg 2024.
272 Seiten, 20 Euro.
Ab zwölf Jahren.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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