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Oliver führt in London ein Leben wie im Film. Nach dem Umzug aus Mannheim hat er Turnstyle Movies erfolgreich umgekrempelt; er hat eine kluge Engländerin geheiratet; und auch seine Affäre mit Anu ist wunderbar unkompliziert. Was ihm fehlt, ist ein Freund, mit dem er seinen Erfolg teilen kann. Bei einer Preview entdeckt er Orlando, jung, schwarz, charismatisch. Gemeinsam streifen sie durch die nächtliche Stadt, und es ist, als wären sie auf der anderen Seite der Leinwand. Aber wohin schaut man von dort aus? Turnstyle soll fusionieren, Olivers Ehe stürzt in eine Krise. Noch dazu ist der junge…mehr

Produktbeschreibung
Oliver führt in London ein Leben wie im Film. Nach dem Umzug aus Mannheim hat er Turnstyle Movies erfolgreich umgekrempelt; er hat eine kluge Engländerin geheiratet; und auch seine Affäre mit Anu ist wunderbar unkompliziert. Was ihm fehlt, ist ein Freund, mit dem er seinen Erfolg teilen kann. Bei einer Preview entdeckt er Orlando, jung, schwarz, charismatisch. Gemeinsam streifen sie durch die nächtliche Stadt, und es ist, als wären sie auf der anderen Seite der Leinwand. Aber wohin schaut man von dort aus? Turnstyle soll fusionieren, Olivers Ehe stürzt in eine Krise. Noch dazu ist der junge Freund weit mehr als der begabte Außenseiter, den er in ihm sieht: Orlando braucht kein Publikum, er braucht Hilfe. Und auf einmal ist es an Oliver, nicht nur den Film zu retten, der sein Leben ist, sondern auch seinen einzigen Freund. Elegant und leichtfüßig erzählt Ulf Erdmann Ziegler von Schein und Sein im glitzernden London des Millenniums. Und vom Mut, den es braucht, um man selbst zu sein.
Autorenporträt
Ziegler, Ulf ErdmannUlf Erdmann Ziegler, geboren 1959 in Neumünster/ Holstein. Sein Roman Hamburger Hochbahn stand auf Platz 1 der SWR-Bestenliste, 2008 erhielt er den Friedrich-Hebbel-Preis. 2012 erschien Nichts Weißes, später nominiert für den Deutschen Buchpreis und den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis, »eine neue Art realistischen Erzählens«. Ulf Erdmann Ziegler lebt in Frankfurt am Main.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Martin Halter staunt, was Ulf Erdmann Ziegler alles in einen Roman über eine Männerfreundschaft packen kann: Das ganze Reich der Zeichen, das Kino, Renaissancemalerei, Metaphysik und New Economy. Ziegler ist gelernter Kommunikationsdesigner, und das merkt der Rezensent auch. Daran, wie der Autor Zeichen und Bilder verknüpft, wie er vor- und zurückblendet, Handlungsebenen herumschiebt und eine Familiengeschichte mit Essay bestückt, dass dem Rezensenten der Kopf raucht. Das Buch - ein Parlando an der Bar auf höchstem Niveau, meint Halter, voller geistreicher Bonmots und beredtem Schweigen aus den "geöffneten Schleusen der Wortlosigkeit".

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.03.2015

Der Mann, der die Bilder liebte

Ikonographische Kneipentour: Ulf Erdmann Zieglers Roman "Und jetzt du, Orlando!" ist eine großartige Hommage an das analoge Kino, in dem das Wünschen und Weinen noch geholfen haben.

Wenn zwei leitende Angestellte eines kleinen, aber feinen Londoner Filmverleihs am Freitagabend um die Häuser ziehen, ist es natürlich keine ordinäre Afterwork-Kneipentour. London ist in den neunziger Jahren noch nicht die gentrifizierte, globalisierte Glitzermetropole von heute, das "Lego-Ufo" der Shopping Malls und Bankenpaläste. Und Oliver Hoelzle und sein Freund Orlando treffen sich jedenfalls nicht in den Yuppie-Bars der City, sondern weit draußen in den Docklands, zwischen Flohmärkten, Baracken und Müllhalden, in verräucherten, versifften Schuppen und plüschigen Pubs wie dem "Duke of Wellington". Atmosphäre und Publikum nehmen sie allerdings nur aus den Augenwinkeln wahr: Wenn Orlando und Oliver miteinander trinken und reden, ist es immer ein kleines kunst- und kulturgeschichtliches Kolloquium, Tresen-Parlando auf höchstem Niveau. Cineasten aus Profession und Leidenschaft, haben sie für jede Erfahrung, jedes Bild, jede Station ihres Lebens ein passendes Filmzitat, ein geistreiches Bonmot ("Die Mystik ist ja die Esoterik des Mittelalters") oder wenigstens ein beredtes Schweigen aus den "geöffneten Schleusen der Wortlosigkeit" parat. Die Welt ist ein Fleischwolf: "Egal was man oben reintut, unten kommt immer ein Woody-Allen-Film heraus."

Oliver, der Erzähler, wuchs im pietistischen Schwaben auf, in seinem Elternhaus herrschte eine calvinistische Bauhaus-Pädagogik und die Liebe zur rechtwinkligen Vernunft. Als Kind kam er mit roten Ohren aus Filmen wie "Her mit den kleinen Engländerinnen"; in Mannheim, wo er Betriebswirtschaft studierte, machte ihn eine Robert-Altman-Werkreihe zum Filmfreak, und in London dann wurden die Bilder endgültig zu seinem Schicksal: Oliver wurde Prokurist bei Turnstyle Movies und heiratete eine englische Kunsthistorikerin. Barbaras Spezialgebiet ist die Beweinung Christi vom dreizehnten bis zum zwanzigsten Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung von Genderaspekten, für Oliver war das Weinen der Männer im Kino mehr als ein akademisches "Motiv". Er lernte Orlando bei der Preview von Lars von Triers "Breaking the Waves" kennen, als die beiden Männer sich ihrer Tränen nicht schämten. Am Ende wird er seinen toten Freund beweinen.

Orlando ist deutlich rätselhafter als Oliver: geborener Kosmopolit, bisexuell, charismatisch, ein schwarzer Jude, der akzentfrei Deutsch spricht, verstoßen von seiner Hippiemutter und gehasst von seinem Bruder Jason. "Du bist eben du, Orlando", sagt Oliver über seinen Freund, "du bist jüdisch, verbildet, elegant, schwul, einsam, all das. Oder all das nicht. Nein, ich werde dich sein lassen, was du sein willst." Orlando ist alles, was Oliver nicht ist. Er spricht wenig, aber er kann Olivers Redefluss mit knappen Worten resümieren und sogar antizipieren, und das macht ihn zu seinem Wunschbruder. Oliver ist manchmal sentimental und nostalgisch, aber er ist vor allem der "Technokrat mit Herz", der Turnstyle Movies nüchtern und umsichtig in die Ära der Digitalisierung steuert. Er ist der Buchhalter, der vor seinem Deutschtum nach England, ins Land der kultivierten Anarchie, floh; jetzt erzählt er Orlandos Geschichte, als wäre es seine eigene: "Du weißt, was ich meine, nicht wahr?" Oliver ist der Narziss im Spiegel, hörbar begeistert von seiner eigenen Rede, aber er kann auch im rechten Moment einen Schritt zurücktreten: Ich habe genug geredet, jetzt bist du dran.

Ulf Erdmann Ziegler hat visuelle Kommunikation in Dortmund und Berlin studiert; davon profitierte er als Journalist und auch in seiner zweiten Karriere als Schriftsteller. In seinem letzten Roman "Nichts Weißes" setzte er sich auf originelle Weise mit Schrift und Typographie auseinander, diesmal beschreibt er Möglichkeiten und Grenzen visueller Kommunikation durch Bilder in Öffentlichkeit und Privatleben. Ziegler bewegt sich sehr souverän im Reich der Zeichen und Bilder, er verknüpft elegant Vor- und Rückblenden, Zeit- und Realitätsebenen, deutsche und englische Familiengeschichten und streut immer wieder beiläufig kleine Essays über Androgynität in der Renaissancemalerei oder den Mini Cooper als Mythos der Moderne ein.

Allerdings wirkt es doch ziemlich prätentiös, wie er bewegte Bilder und bewegende Szenen zu Standfotos einfriert und mit klugen Reflexionen und Zitaten zu Menetekeln aufdonnert. "Der ist ja schlau", staunen die Leute über den Buchhalter-Künstler, der vom Hölzle aufs Stöckchen, von Antonioni auf Leonardo und von den alten Holländern zu Godard, Truffaut und Fassbinder kommt. Zieglers leichtfüßige Nouvelle Vague wird von seiner Neigung zu Bedeutungs- und Bildungshuberei gelegentlich fast erdrückt.

"Und jetzt du, Orlando" ist die Geschichte einer (leicht homoerotisch getönten) Männerfreundschaft und nicht zuletzt ein Abgesang auf das alte, analoge Kino, in dem das Wünschen und Weinen noch geholfen haben. Die Welt der Nickelodeons und Programmkinos, der Filmvorführer, Autorenfilmer und Kinospinner ist dem Untergang geweiht, und das macht die Männer einsam. Oliver weiß alles über Metaphysik und New Economy, Tarkowski und die Beweinung Christi, aber Barbara, die "Miss Marple der Ikonographie", und seine Tochter Kathy entgleiten ihm zunehmend. "Der Mann, der die Bilder liebt, versteht nichts von der Welt." Aber wer ins Kino geht, hat jedenfalls immer Freunde zum Reden, Lachen und Beweinen. Es wird noch eine Zeit kommen, "in der wir um das Kino weinen werden".

MARTIN HALTER.

Ulf Erdmann Ziegler: "Und jetzt du, Orlando!" Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 214 S., geb., 18,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Ulf Erdmann Zieglers Roman Und jetzt du, Orlando! ist eine großartige Hommage an das analoge Kino, in dem das Wünschen und Weinen noch geholfen haben.« Martin Halter Frankfurter Allgemeine Zeitung 20150311