Geschichten von einarmigen Banditen in Secondhandläden, von Eulen in Athen, weißen Kannibalen im Innviertel und dem Justemilieu der heimischen Architekturszene: Auch in Friedrich Achleitners neuem Buch wird, wie es ein Kritiker treffend formulierte, "mit minimalem Aufwand maximale Wirkung erzielt". Wie ein Akrobat steigt der Autor, einst Mitglied der legendären Wiener Gruppe um H. C. Artmann und Konrad Bayer, auf das Drahtseil und vollführt in seinen Prosaminiaturen Gedankenkapriolen voller Witz und absurdem Humor.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2006Daumendrehen als Kunstprozeß
Offener Sprachvollzug: Friedrich Achleitners Sinnzersplitterungen
Als Friedrich Achleitner seine neue Serie von Texten schrieb, konnte er nicht wissen, wie genau ihn die österreichische Wirklichkeit, die noch jeden Satiriker seit Karl Kraus im Nu übertroffen hat, beim Wort vorwegnehmen sollte. Denn daß die neue "Exzellenz-Universität" ausgerechnet in den Gebäuden der Nervenheilanstalt Gugging angesiedelt werden soll, war ebensowenig vorherzusehen wie der nun erzielte Doppelsinn der jedem Wiener Kind vertrauten Drohung "Du kommst nach Gugging!" Nicht auszudenken, was da an Vernetzungen, Synergieeffekten und Transdisziplinarität kommen wird, jedenfalls versprach das zuständige Ministerium schon mehrfach ein "tolles Institut".
Es muß an dieser Kongenialität von Politik und Satire liegen, daß in Österreich das Sprachdenken künstlerische wie philosophische Dignität erlangt hat: Aus dem mehr oder weniger gedankenlosen Mißbrauch der Sprache leitete Kraus den Ersten Weltkrieg her, Wittgenstein die Grundprobleme der Philosophie. Achleitner, der aus der experimentellen Wiener Gruppe kommt, fängt in seinen konstruktiven Sprachspielen Splitter jenes postmodernen Irrsinns ein, den wir für die Welt halten. Die Texte tauchen schwebend aus dem Nichts, ein Wort gibt das andere, und schon hat ein Wirtschaftsforscher, der das Wort "kuhhandel" erklären möchte, die Wirtschaftsforschung erklärt.
Ähnlich konzis verfährt der Text "gugelhupf, als whiskyflasche betrachtet". Napfkuchen (horribile dictu) und Glasbehältnis werden durch Designerjargon so austauschbar, daß die Sprachmaske geläufiger Kunstkritik ins Rutschen kommt. Das "daumendrehen" wird hingegen als komplexer Kunstprozeß liebevoll beschrieben, bildet es doch ein "probates mittel, jede sekunde zur ewigkeit zu machen". Wer hätte indes Mitleid mit dem "misanthropen", der die "menschheit aus trotteln und arschlöchern" bestehen läßt, von seinen beiden Kategorien aber selbst in die Enge getrieben wird? Wer kennt keinen "radikalpensionisten"? Wer wüßte einen Ausweg aus dem Dilemma, in dem Teufel, Engel und "ein gewisser marx" mit Neoliberalismus wie Kapitalismuskritik an der Wirklichkeit des Marktes von "trier" scheitern? Eine Worttapete für Gerhard Rühm als spätes Stückchen "Konkrete Poesie" warnt indes vor oberflächlichem, das heißt inhaltsorientiertem Lesen.
Achleitners Kunst entspringt der Sprache. Die Wirklichkeit verfängt sich nur beiläufig in ihr. Der Text "würdenträger" spielt allein zwischen Worten, der Titel "und oder oder und" verweist auf einen Dialog der beiden deutschen Konjunktionen, und die "klassiker unter sich" verdichten die österreichische Literaturgeschichte zu sieben Zeilen. Kaum ein Text enttäuscht, und alles in allem liefert er nicht weniger als eine praktische Einführung in die österreichische Spielart reflexiver Sprachkritik. Nicht nur deutschen Hochschulpolitikern sei das Buch zur Vorbeugung ans Herz gelegt.
THOMAS POISS
Friedrich Achleitner: "und oder oder und". Paul Zsolnay Verlag, Wien 2006. 109 S., geb., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Offener Sprachvollzug: Friedrich Achleitners Sinnzersplitterungen
Als Friedrich Achleitner seine neue Serie von Texten schrieb, konnte er nicht wissen, wie genau ihn die österreichische Wirklichkeit, die noch jeden Satiriker seit Karl Kraus im Nu übertroffen hat, beim Wort vorwegnehmen sollte. Denn daß die neue "Exzellenz-Universität" ausgerechnet in den Gebäuden der Nervenheilanstalt Gugging angesiedelt werden soll, war ebensowenig vorherzusehen wie der nun erzielte Doppelsinn der jedem Wiener Kind vertrauten Drohung "Du kommst nach Gugging!" Nicht auszudenken, was da an Vernetzungen, Synergieeffekten und Transdisziplinarität kommen wird, jedenfalls versprach das zuständige Ministerium schon mehrfach ein "tolles Institut".
Es muß an dieser Kongenialität von Politik und Satire liegen, daß in Österreich das Sprachdenken künstlerische wie philosophische Dignität erlangt hat: Aus dem mehr oder weniger gedankenlosen Mißbrauch der Sprache leitete Kraus den Ersten Weltkrieg her, Wittgenstein die Grundprobleme der Philosophie. Achleitner, der aus der experimentellen Wiener Gruppe kommt, fängt in seinen konstruktiven Sprachspielen Splitter jenes postmodernen Irrsinns ein, den wir für die Welt halten. Die Texte tauchen schwebend aus dem Nichts, ein Wort gibt das andere, und schon hat ein Wirtschaftsforscher, der das Wort "kuhhandel" erklären möchte, die Wirtschaftsforschung erklärt.
Ähnlich konzis verfährt der Text "gugelhupf, als whiskyflasche betrachtet". Napfkuchen (horribile dictu) und Glasbehältnis werden durch Designerjargon so austauschbar, daß die Sprachmaske geläufiger Kunstkritik ins Rutschen kommt. Das "daumendrehen" wird hingegen als komplexer Kunstprozeß liebevoll beschrieben, bildet es doch ein "probates mittel, jede sekunde zur ewigkeit zu machen". Wer hätte indes Mitleid mit dem "misanthropen", der die "menschheit aus trotteln und arschlöchern" bestehen läßt, von seinen beiden Kategorien aber selbst in die Enge getrieben wird? Wer kennt keinen "radikalpensionisten"? Wer wüßte einen Ausweg aus dem Dilemma, in dem Teufel, Engel und "ein gewisser marx" mit Neoliberalismus wie Kapitalismuskritik an der Wirklichkeit des Marktes von "trier" scheitern? Eine Worttapete für Gerhard Rühm als spätes Stückchen "Konkrete Poesie" warnt indes vor oberflächlichem, das heißt inhaltsorientiertem Lesen.
Achleitners Kunst entspringt der Sprache. Die Wirklichkeit verfängt sich nur beiläufig in ihr. Der Text "würdenträger" spielt allein zwischen Worten, der Titel "und oder oder und" verweist auf einen Dialog der beiden deutschen Konjunktionen, und die "klassiker unter sich" verdichten die österreichische Literaturgeschichte zu sieben Zeilen. Kaum ein Text enttäuscht, und alles in allem liefert er nicht weniger als eine praktische Einführung in die österreichische Spielart reflexiver Sprachkritik. Nicht nur deutschen Hochschulpolitikern sei das Buch zur Vorbeugung ans Herz gelegt.
THOMAS POISS
Friedrich Achleitner: "und oder oder und". Paul Zsolnay Verlag, Wien 2006. 109 S., geb., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ein begeisterter Thomas Poiss kann dieses Buch nur empfehlen: Schön irritierende findet er es, auch weil es mitunter "geläufige Sprachmasken der Kunstkritik ins Rutschen" bringe. Kaum ein Text ist dabei, an dem der Rezensent Kritik anzumelden hat. Insgesamt lieferte der Band dem Rezensenten eine exzellente Einführung in reflexive Sprachkritik nach österreichischer Art. Er möchte den Band nicht nur hiesigen Hochschulverantwortlichen vorbeugend anempfehlen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Kaum ein Text enttäuscht, und alles in allem liefert er nicht weniger als eine praktische Einführung in die österreichische Spielart reflexiver Sprachkritik. Nicht nur deutschen Hochschulpolitikern sei das Buch zur Vorbereitung ans Herz gelegt." Thomas Poiss, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.03.06
"Achleitners Prosastücke: kleine Glücklichmacher aus der Feder eines großen Widerspruchsgeistes." Ronald Pohl, Der Standard, 18.02.06
"Achleitners Prosastücke: kleine Glücklichmacher aus der Feder eines großen Widerspruchsgeistes." Ronald Pohl, Der Standard, 18.02.06