Australien und Europa, Queerness und Judentum, Popkultur und Opernbühne - Barrie Kosky, gefeierter Opernregisseur und meisterhafter Jongleur scheinbar unvereinbarer Gegensätze, lässt uns in »Und Vorhang auf, hallo!« an seinem außergewöhnlichen Leben teilhaben. Geboren und aufgewachsen in Australien, 15 000 Kilometer Luftlinie entfernt von Europa, der Wiege der Oper, hat er schon früh seine Liebe zu dieser Kunstform entdeckt. Wie kam es dazu? Wie passen diese beiden Welten zusammen? Was verbindet das Musiktheater, die australische Kindheit und Jugend von Barrie Kosky und seine Karriere in den europäischen Kulturmetropolen?
Sieben Figuren aus der Welt des Musiktheaters geben darüber Aufschluss, anhand von ihnen tauchen wir ein in die Biografie des weltberühmten Opernregisseurs, in seine Gedankenwelt, Erfahrungen und Fantasien, in seine Beziehung zu den verschiedenen Opern, ihren Urhebern und Protagonist:innen und lernen diese wiederum aus Koskys besonderer Perspektive ganz neu kennen.
Sieben Figuren aus der Welt des Musiktheaters geben darüber Aufschluss, anhand von ihnen tauchen wir ein in die Biografie des weltberühmten Opernregisseurs, in seine Gedankenwelt, Erfahrungen und Fantasien, in seine Beziehung zu den verschiedenen Opern, ihren Urhebern und Protagonist:innen und lernen diese wiederum aus Koskys besonderer Perspektive ganz neu kennen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.03.2023Zuschauer sind keine Schüler, sondern Komplizen
Mit Sinn für wundervolle Mischungen: Barrie Kosky erzählt gut gelaunt aus seinem Leben und von der Arbeit an seinen Operninszenierungen.
Der Titel, "Und Vorhang auf, hallo!", ist schon mal toll. Selbst wer nicht gleich parat hat, dass es eine Zeile ist aus dem Eingangslied der "Muppet Show", ist gleich bereit, sich in Frack und Fummel zu schmeißen. Und was noch besser ist als die Wahl des Titels: der Autor Barrie Kosky, Regisseur und von 2012 bis 2022 Intendant der Komischen Oper Berlin, wird der darin liegenden Verheißung gerecht. Sein Buch über "ein Leben mit Salome, Mariza, Miss Piggy & Co" ist eine gut gelaunte, einfallsreiche, aber nie zwanghaft originelle Reihe von Überlegungen zur Oper, angereichert mit Autobiographischem.
Das Autobiographische ist ihm wichtig, zu Recht, und nicht allein weil es sehr schön erzählt ist. Kosky ist ein origineller Mann, aber hat sich auch nicht selbst erfunden. Was er wurde, verdankt er wesentlich seiner Großmutter Magda Löwy. Sie stammte aus einer jüdischen Familie großbürgerlichen Zuschnitts, einmal in der Woche ging es in die Budapester Oper, wo man eine Loge besaß, einmal im Monat nach Wien, das war noch besser. Nicht mehr ganz jung, heiratete sie einen australischen Pelzhändler und ging 1934 mit ihm in seine Heimat, die sie sich wohl als eine Art Land des Lächelns vorgestellt hatte.
Es wurde eine grimmige Enttäuschung: Aus der kultivierten Welt Mitteleuropas hatte es sie in eine "angelsächsische Middle-class-Wüste" verschlagen. Aber mit der Energie, die so vielen Menschen dieser Zeit eigen war, behauptete sie sich und ihre Ideale. Der Mann starb früh, sie heiratete nicht mehr und lebte als eine wenn auch nicht sehr lustige Witwe in Opposition zu ihrer Umgebung. Einmal in der Woche ging sie nun in die Oper von Melbourne oder ins Konzert, den Enkel Barrie nahm sie mit. Er hatte sich das Werk vorher auf Platten anzuhören und das Textbuch zu lesen. Dann holte sie ihn von der Schule ab, aß mit ihm und sprach über das, was es später zu hören geben würde - auf Deutsch, das war für sie die Sprache der Kultur.
Und der Enkel war begeistert. Er empfand den wöchentlichen Operntermin nicht als Belehrung, sondern als "reinsten Genuss". Dazu wird beigetragen haben, dass er beobachtete, wie die sonst so ernste Großmutter in und nach der Vorstellung vor Lebensfreude sprühte. Ihre Lieblingswerke? "Tristan", "Herzog Blaubarts Burg" und Kálmáns "Gräfin Mariza". In deren Titelfigur mag sie sich gefunden haben wie in Judith, Blaubarts Frau. Bei der Gräfin Mariza wird mancher schlucken, aber wer so denkt, sollte doch zugeben, dass eine solche Kombination allein schon den Reiz der persönlichen Wahrhaftigkeit, der Vorurteilsfreiheit hat: So wundervoll ist das Leben gemischt.
Und für diese wundervolle Mischung hat Kosky einen besonderen Sinn. Er vergleicht die kompositorische Methode etwa Emmerich Kálmáns oder Paul Abrahams mit der Béla Bartóks: in der Integration populärer, bis dahin missachteter Musik. Er beschreibt seine Faszination durch das Musical "A Chorus Line": Tänzerinnen und Tänzer werden für eine Show gesucht, sie müssen vortanzen, Auskunft geben über sich, wollen in die Show hinein und "werden angeleitet von einer Stimme aus dem Dunkeln, die selbst nie in Erscheinung tritt. Das Schloss mit Pailletten." Er plädiert für Puccini und das Melodramatische und spricht über Musik, die ihn zu Tränen rührt, die Lieder von Schumann und Kurt Weill.
"Und Vorrang auf, hallo!" ist ein kurzes und nicht gerade peinlich aufgeräumtes Buch. Auf das Eingangskapitel (nicht nur) über seine Jugend und die Großmutter folgen sechs weiter, die mit den Namen großer Opernfiguren überschrieben sind, in denen es aber keineswegs nur um diese geht. Der Autor spricht über Grundsätze der Interpretation, die Probenarbeiten und erzählt immer wieder auch aus seinem Leben. Und ziemlich bald treten dem Leser des Buches die Vorzüge nicht nur des Autors, sondern auch des Regisseurs entgegen. In allem zeigt sich eine selbstverständliche, kindlich-jünglingshafte und niemals verlorene Freude an der Kunst und der Bühne. Der Vorhang geht auf, gleich geschieht etwas Wunderbares, und alle sind dabei.
Kosky ist ganz frei vom Verdacht des Reaktionären, deswegen ist es so interessant, Bekenntnisse zu lesen, die alt sind, aber, wie die Erfolge des Regisseurs zeigen, offenbar noch immer recht frisch: Die Bühne hat keinen Schulungsauftrag, Zuschauer sind keine Schüler, sondern Komplizen, oder, wie es im Buch heißt, "Kompliz:innen". Nicht das Konzept der Regie oder Dramaturgie bestimmt den Abend, sondern die Überzeugungskraft der Darsteller, "Menschen in Fleisch und Blut". Die Regie, die mit einem genau ausgearbeiteten Konzept die Proben beginnt, lässt den Vorstellungen der Sänger nur noch wenig Raum. Bringt man die Interpretationsansätze zu Figuren zur Sprache, "besteht die Gefahr, sie zu reduzieren". Bitte keine deutsche "Faust-aufs-Auge-Dramaturgie".
Und wirklich haben die Arbeiten Kosky nie dies Reduzierte aus Bescheidwissen. Auch wer etwa seiner Bayreuther "Meistersinger"-Deutung widersprechen würde, im zweiten Akt nicht einen Kampf zwischen dem Eigenen (deutsche Kunst) und Andersartigem sieht, wird doch sehen, wie genau alles gearbeitet ist, und das Schlussbild des Aktes bewundern müssen: einen langsam sich füllenden Ballonkopf mit der bösartigen Karikatur eines Judengesichts. Das Publikum nahm das Bild mit "Beklemmung" auf, wie es sich der Regisseur gewünscht hatte. Und Kosky selbst war sehr bewegt von der Situation, er hatte seinen "Frieden mit Wagner geschlossen", war geheilt. Das Publikum hatte auch was davon. Herzlichen Dank, Frau Löwy! STEPHAN SPEICHER
Barrie Kosky mit Rainer Simon: "Und Vorhang auf, hallo!". Ein Leben mit Salome, Mariza, Miss Piggy & Co.
Insel Verlag, Berlin 2023. 250 S., Abb., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit Sinn für wundervolle Mischungen: Barrie Kosky erzählt gut gelaunt aus seinem Leben und von der Arbeit an seinen Operninszenierungen.
Der Titel, "Und Vorhang auf, hallo!", ist schon mal toll. Selbst wer nicht gleich parat hat, dass es eine Zeile ist aus dem Eingangslied der "Muppet Show", ist gleich bereit, sich in Frack und Fummel zu schmeißen. Und was noch besser ist als die Wahl des Titels: der Autor Barrie Kosky, Regisseur und von 2012 bis 2022 Intendant der Komischen Oper Berlin, wird der darin liegenden Verheißung gerecht. Sein Buch über "ein Leben mit Salome, Mariza, Miss Piggy & Co" ist eine gut gelaunte, einfallsreiche, aber nie zwanghaft originelle Reihe von Überlegungen zur Oper, angereichert mit Autobiographischem.
Das Autobiographische ist ihm wichtig, zu Recht, und nicht allein weil es sehr schön erzählt ist. Kosky ist ein origineller Mann, aber hat sich auch nicht selbst erfunden. Was er wurde, verdankt er wesentlich seiner Großmutter Magda Löwy. Sie stammte aus einer jüdischen Familie großbürgerlichen Zuschnitts, einmal in der Woche ging es in die Budapester Oper, wo man eine Loge besaß, einmal im Monat nach Wien, das war noch besser. Nicht mehr ganz jung, heiratete sie einen australischen Pelzhändler und ging 1934 mit ihm in seine Heimat, die sie sich wohl als eine Art Land des Lächelns vorgestellt hatte.
Es wurde eine grimmige Enttäuschung: Aus der kultivierten Welt Mitteleuropas hatte es sie in eine "angelsächsische Middle-class-Wüste" verschlagen. Aber mit der Energie, die so vielen Menschen dieser Zeit eigen war, behauptete sie sich und ihre Ideale. Der Mann starb früh, sie heiratete nicht mehr und lebte als eine wenn auch nicht sehr lustige Witwe in Opposition zu ihrer Umgebung. Einmal in der Woche ging sie nun in die Oper von Melbourne oder ins Konzert, den Enkel Barrie nahm sie mit. Er hatte sich das Werk vorher auf Platten anzuhören und das Textbuch zu lesen. Dann holte sie ihn von der Schule ab, aß mit ihm und sprach über das, was es später zu hören geben würde - auf Deutsch, das war für sie die Sprache der Kultur.
Und der Enkel war begeistert. Er empfand den wöchentlichen Operntermin nicht als Belehrung, sondern als "reinsten Genuss". Dazu wird beigetragen haben, dass er beobachtete, wie die sonst so ernste Großmutter in und nach der Vorstellung vor Lebensfreude sprühte. Ihre Lieblingswerke? "Tristan", "Herzog Blaubarts Burg" und Kálmáns "Gräfin Mariza". In deren Titelfigur mag sie sich gefunden haben wie in Judith, Blaubarts Frau. Bei der Gräfin Mariza wird mancher schlucken, aber wer so denkt, sollte doch zugeben, dass eine solche Kombination allein schon den Reiz der persönlichen Wahrhaftigkeit, der Vorurteilsfreiheit hat: So wundervoll ist das Leben gemischt.
Und für diese wundervolle Mischung hat Kosky einen besonderen Sinn. Er vergleicht die kompositorische Methode etwa Emmerich Kálmáns oder Paul Abrahams mit der Béla Bartóks: in der Integration populärer, bis dahin missachteter Musik. Er beschreibt seine Faszination durch das Musical "A Chorus Line": Tänzerinnen und Tänzer werden für eine Show gesucht, sie müssen vortanzen, Auskunft geben über sich, wollen in die Show hinein und "werden angeleitet von einer Stimme aus dem Dunkeln, die selbst nie in Erscheinung tritt. Das Schloss mit Pailletten." Er plädiert für Puccini und das Melodramatische und spricht über Musik, die ihn zu Tränen rührt, die Lieder von Schumann und Kurt Weill.
"Und Vorrang auf, hallo!" ist ein kurzes und nicht gerade peinlich aufgeräumtes Buch. Auf das Eingangskapitel (nicht nur) über seine Jugend und die Großmutter folgen sechs weiter, die mit den Namen großer Opernfiguren überschrieben sind, in denen es aber keineswegs nur um diese geht. Der Autor spricht über Grundsätze der Interpretation, die Probenarbeiten und erzählt immer wieder auch aus seinem Leben. Und ziemlich bald treten dem Leser des Buches die Vorzüge nicht nur des Autors, sondern auch des Regisseurs entgegen. In allem zeigt sich eine selbstverständliche, kindlich-jünglingshafte und niemals verlorene Freude an der Kunst und der Bühne. Der Vorhang geht auf, gleich geschieht etwas Wunderbares, und alle sind dabei.
Kosky ist ganz frei vom Verdacht des Reaktionären, deswegen ist es so interessant, Bekenntnisse zu lesen, die alt sind, aber, wie die Erfolge des Regisseurs zeigen, offenbar noch immer recht frisch: Die Bühne hat keinen Schulungsauftrag, Zuschauer sind keine Schüler, sondern Komplizen, oder, wie es im Buch heißt, "Kompliz:innen". Nicht das Konzept der Regie oder Dramaturgie bestimmt den Abend, sondern die Überzeugungskraft der Darsteller, "Menschen in Fleisch und Blut". Die Regie, die mit einem genau ausgearbeiteten Konzept die Proben beginnt, lässt den Vorstellungen der Sänger nur noch wenig Raum. Bringt man die Interpretationsansätze zu Figuren zur Sprache, "besteht die Gefahr, sie zu reduzieren". Bitte keine deutsche "Faust-aufs-Auge-Dramaturgie".
Und wirklich haben die Arbeiten Kosky nie dies Reduzierte aus Bescheidwissen. Auch wer etwa seiner Bayreuther "Meistersinger"-Deutung widersprechen würde, im zweiten Akt nicht einen Kampf zwischen dem Eigenen (deutsche Kunst) und Andersartigem sieht, wird doch sehen, wie genau alles gearbeitet ist, und das Schlussbild des Aktes bewundern müssen: einen langsam sich füllenden Ballonkopf mit der bösartigen Karikatur eines Judengesichts. Das Publikum nahm das Bild mit "Beklemmung" auf, wie es sich der Regisseur gewünscht hatte. Und Kosky selbst war sehr bewegt von der Situation, er hatte seinen "Frieden mit Wagner geschlossen", war geheilt. Das Publikum hatte auch was davon. Herzlichen Dank, Frau Löwy! STEPHAN SPEICHER
Barrie Kosky mit Rainer Simon: "Und Vorhang auf, hallo!". Ein Leben mit Salome, Mariza, Miss Piggy & Co.
Insel Verlag, Berlin 2023. 250 S., Abb., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Stephan Speicher ist hingerissen von diesem Buch des Opernregisseurs Barrie Kosky, das der ehemalige Intendant der Komischen Oper Berlin zusammen mit Rainer Simon verfasst hat. Von Koskys Kindheit mit opernseliger Oma liest er ebenso angerührt wie er sich vom Kenner die Kompositionen von Paul Abrahams oder Puccini oder die Grundsätze der Interpretation erläutern lässt. Dass der Autor die Freude an seinem Fach nie verloren hat, spürt Speicher auf jeder Seite. Gut auch, dass nichts Reaktionäres, Pädagogisches diese Erinnerungen trübt, findet er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Mit Sinn für wundervolle Mischungen: Barrie Kosky erzählt gut gelaunt aus seinem Leben und von der Arbeit an seinen Operninszenierungen.« Stephan Speicher Frankfurter Allgemeine Zeitung 20230328