Als der römische Dichter Horaz sein Ende nahen fühlte, wollte er etwas schreiben, "das niemand entbehren kann, weder Arm noch Reich, weder Jung noch Alt". Herausgekommen sind 20 Briefe voller Weisheit, Lebenslust und hintergründigem Humor. Ihre Aktualität und Faszination ist bis heute ungebrochen. Christoph Schmitz-Scholemann hat die raffiniert gebauten lateinischen Verse in ein unaufdringlich rhythmisiertes "elegantes Neuhochdeutsch transformiert" (Wulf Kirsten). So wird die Lektüre des 2000 Jahre alten Textes zu einem ästhetischen und moralischen Vergnügen für Leserinnen und Leser des 21. Jahrhunderts.Enthält eine Zeittafel zum Leben des Horaz und ein Nachwort des Übersetzers. Überarbeitete Neuausgabe des 2005 unter dem Titel "Cum ridere voles..." erschienenen vergriffenen Erstauflage.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2020Als die Römer Netflix schauten
Uwe Tellkamp steuert ein Vorwort zu Christoph Schmitz-Scholemanns Horaz-Übersetzung bei
In einer Anmerkung zu seiner Übersetzung der Briefe des Horaz seufzte Wieland: "Diese ganze Epistel ist so voller Anspielungen." Wohl wahr! Aber genau das macht ihren Reiz aus, und natürlich hatte das auch in Wieland erst richtig den Spürhund geweckt, weshalb der Umfang seiner Einleitung und des Erläuterungsteils die eigentliche Länge der Horaz'schen Briefe weit übertrifft. Das war auch deshalb nötig, weil er das Versmaß des Hexameters in seiner Übersetzung streng wahrte. Das musste auf Kosten des Inhalts gehen, denn Horaz hatte seine beiden mit "Epistulae" betitelten Bücher im zweiten vorchristlichen Jahrzehnt zwar als literarische Werke verfasst - es handelt sich also analog zum Kunstmärchen um so etwas wie Kunstbriefe -, aber sie enthalten dennoch mehr als genug Lebenspraktisches, das dann in einer anderen Sprache als dem Lateinischen hinter dem formalen Aspekt unterzugehen droht.
Die jüngste deutsche Übertragung der Briefe stammt von Christoph Schmitz-Scholemann und erschien erstmals 2005. Der ehemalige Bundesarbeitsrichter hat dabei zur Wahrung des inhaltlichen Gehalts auf deutsche Hexameter verzichtet und eine nur leicht archaisierend wirkende rhythmische Prosa gewählt. Dadurch kann er sich einen Anmerkungsapparat ersparen, weil Horaz plötzlich wieder ganz zeitgemäß wird: Seine Beobachtungen und Bemerkungen über das Rom der frühen Kaiserzeit kommen so scharf und ironisch daher, dass sich heutige Kolumnisten schämen müssten angesichts von Texten, die vor mehr als zweitausend Jahre geschrieben wurden, aber an Frische den ihren deutlich überlegen sind.
Schmitz-Scholemanns Übersetzung beider Briefbände, die auf den berühmten letzten des zweiten Buchs, die sogenannte "Ars poetica", verzichtet, weil die bereits in zahlreichen Separatpublikationen vorliegt, erschien seinerzeit als Broschüre der Literarischen Gesellschaft Thüringen und ist längst vergriffen. Deshalb hat sie der westfälische Elsinor Verlag nun wiederaufgelegt, leicht vom Übersetzer überarbeitet, vor allem aber um ein Vorwort aus prominenter Feder ergänzt: Uwe Tellkamp leitet das kleine Buch ein. Damit kann die Neuausgabe sogar noch über den eleganten und tatsächlich äußerst zugänglichen deutschen Text hinaus Interesse für sich beanspruchen.
Was den Autor des Erfolgsromans "Der Turm" an Horaz reizt, ist klar: Frei- und Frechheit eines Schriftstellers in politisch repressiver Zeit. Horaz war ein Gegenspieler von Octavian gewesen, bevor dieser als Augustus Kaiser wurde. Fortan hatte sich der Schriftsteller zu arrangieren, er wurde so etwas wie ein Auftragsschreiber des Augustus. Tellkamp, der bekanntlich seine Schwierigkeiten mit der Politik der Bundesregierung hat, spätestens seit der Flüchtlingsdebatte, erkennt darin wohl ein Rollenvorbild. Allerdings kann bei ihm von Arrangement, gar Auftragsschreiberei keine Rede sein. Das, was Horaz auch ausmacht, die Nonchalance, mit der er seine Überzeugungen dem Bedürfnis nach einem guten Leben unterwarf, ist Tellkamps Sache gerade nicht.
"Lebensschrift" betitelt der sein Vorwort. Es ist weitgehend unpolitisch formuliert, wenn man von einer Gleichsetzung der Jahre kurz vor der Zeitenwende mit unserer Gegenwart absieht: "Rom steht reich und rechtssicher, Wasserleitungen, Straßenbau und Stromversorgung funktionieren, das Netz muß ausgebaut werden, gut, wo nicht, der Senat ist korrupt, schlecht, also wie überall, aus den Provinzen drängen unablässig Fremde herein, teils sind sie auf der Flucht vor Kriegen, teils kommen sie, weil Rom ein besseres Leben verspricht, weltoffen, bunt, voller Wind- und Sonnenenergie, und die schnelle Sesterze, hört man, dem Pharmareferenten ebenso offensteht wie dem Poker- oder Massagekundigen." Das hat ziemlichen Witz, und vor allem verschränkt Tellkamp die Zeitebenen auf eine Weise miteinander, wie wir sie auch aus den bislang vorveröffentlichten kleinen Passagen der fürs kommende Jahr erwarteten "Turm"-Fortsetzung "Lava" kennen. Tellkamp pflegt mit solchem magischen Historiographismus einen Kunstgriff, der in so wunderbaren Autoren wie Wolf von Niebelschütz und Christoph Ransmayr seine Vorläufer hat.
Und so wird in Uwe Tellkamps Rom des Horaz Netflix geschaut und am Computer gespielt, Briefpost frankiert und auch über die Fernsehgebühren geklagt. "Kulturen wachsen und vergehen für den, der zurückschaut, nicht nacheinander, sondern nebeneinander", heißt es einmal. Das ist der Kern dieser ungewöhnlichen Poetik. Vielleicht dürfen wir ja doch noch darauf hoffen, dass der Schriftsteller Tellkamp den politischen Autor eines Tages wieder ablöst. "Den Schuh nach den Maßen des eigenen Fußes wählen - das ist wahre Kunst", übersetzt Schmitz-Scholemann den Abschlusssatz des siebten Briefs: Metiri se quemque suo modulo ac pede, verum est! Ein guter Ratschlag des antiken an den modernen Autor: Dann käme auch die Literatur wieder auf die Füße.
ANDREAS PLATTHAUS
"Und zum Glück fehlt mir nichts - Nur Du". Die Briefe des Horaz.
Aus dem Lateinischen von Christoph Schmitz-Scholemann. Mit einem Vorwort von Uwe Tellkamp. Elsinor Verlag, Coesfeld 2020. 116 S., br., 14,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Uwe Tellkamp steuert ein Vorwort zu Christoph Schmitz-Scholemanns Horaz-Übersetzung bei
In einer Anmerkung zu seiner Übersetzung der Briefe des Horaz seufzte Wieland: "Diese ganze Epistel ist so voller Anspielungen." Wohl wahr! Aber genau das macht ihren Reiz aus, und natürlich hatte das auch in Wieland erst richtig den Spürhund geweckt, weshalb der Umfang seiner Einleitung und des Erläuterungsteils die eigentliche Länge der Horaz'schen Briefe weit übertrifft. Das war auch deshalb nötig, weil er das Versmaß des Hexameters in seiner Übersetzung streng wahrte. Das musste auf Kosten des Inhalts gehen, denn Horaz hatte seine beiden mit "Epistulae" betitelten Bücher im zweiten vorchristlichen Jahrzehnt zwar als literarische Werke verfasst - es handelt sich also analog zum Kunstmärchen um so etwas wie Kunstbriefe -, aber sie enthalten dennoch mehr als genug Lebenspraktisches, das dann in einer anderen Sprache als dem Lateinischen hinter dem formalen Aspekt unterzugehen droht.
Die jüngste deutsche Übertragung der Briefe stammt von Christoph Schmitz-Scholemann und erschien erstmals 2005. Der ehemalige Bundesarbeitsrichter hat dabei zur Wahrung des inhaltlichen Gehalts auf deutsche Hexameter verzichtet und eine nur leicht archaisierend wirkende rhythmische Prosa gewählt. Dadurch kann er sich einen Anmerkungsapparat ersparen, weil Horaz plötzlich wieder ganz zeitgemäß wird: Seine Beobachtungen und Bemerkungen über das Rom der frühen Kaiserzeit kommen so scharf und ironisch daher, dass sich heutige Kolumnisten schämen müssten angesichts von Texten, die vor mehr als zweitausend Jahre geschrieben wurden, aber an Frische den ihren deutlich überlegen sind.
Schmitz-Scholemanns Übersetzung beider Briefbände, die auf den berühmten letzten des zweiten Buchs, die sogenannte "Ars poetica", verzichtet, weil die bereits in zahlreichen Separatpublikationen vorliegt, erschien seinerzeit als Broschüre der Literarischen Gesellschaft Thüringen und ist längst vergriffen. Deshalb hat sie der westfälische Elsinor Verlag nun wiederaufgelegt, leicht vom Übersetzer überarbeitet, vor allem aber um ein Vorwort aus prominenter Feder ergänzt: Uwe Tellkamp leitet das kleine Buch ein. Damit kann die Neuausgabe sogar noch über den eleganten und tatsächlich äußerst zugänglichen deutschen Text hinaus Interesse für sich beanspruchen.
Was den Autor des Erfolgsromans "Der Turm" an Horaz reizt, ist klar: Frei- und Frechheit eines Schriftstellers in politisch repressiver Zeit. Horaz war ein Gegenspieler von Octavian gewesen, bevor dieser als Augustus Kaiser wurde. Fortan hatte sich der Schriftsteller zu arrangieren, er wurde so etwas wie ein Auftragsschreiber des Augustus. Tellkamp, der bekanntlich seine Schwierigkeiten mit der Politik der Bundesregierung hat, spätestens seit der Flüchtlingsdebatte, erkennt darin wohl ein Rollenvorbild. Allerdings kann bei ihm von Arrangement, gar Auftragsschreiberei keine Rede sein. Das, was Horaz auch ausmacht, die Nonchalance, mit der er seine Überzeugungen dem Bedürfnis nach einem guten Leben unterwarf, ist Tellkamps Sache gerade nicht.
"Lebensschrift" betitelt der sein Vorwort. Es ist weitgehend unpolitisch formuliert, wenn man von einer Gleichsetzung der Jahre kurz vor der Zeitenwende mit unserer Gegenwart absieht: "Rom steht reich und rechtssicher, Wasserleitungen, Straßenbau und Stromversorgung funktionieren, das Netz muß ausgebaut werden, gut, wo nicht, der Senat ist korrupt, schlecht, also wie überall, aus den Provinzen drängen unablässig Fremde herein, teils sind sie auf der Flucht vor Kriegen, teils kommen sie, weil Rom ein besseres Leben verspricht, weltoffen, bunt, voller Wind- und Sonnenenergie, und die schnelle Sesterze, hört man, dem Pharmareferenten ebenso offensteht wie dem Poker- oder Massagekundigen." Das hat ziemlichen Witz, und vor allem verschränkt Tellkamp die Zeitebenen auf eine Weise miteinander, wie wir sie auch aus den bislang vorveröffentlichten kleinen Passagen der fürs kommende Jahr erwarteten "Turm"-Fortsetzung "Lava" kennen. Tellkamp pflegt mit solchem magischen Historiographismus einen Kunstgriff, der in so wunderbaren Autoren wie Wolf von Niebelschütz und Christoph Ransmayr seine Vorläufer hat.
Und so wird in Uwe Tellkamps Rom des Horaz Netflix geschaut und am Computer gespielt, Briefpost frankiert und auch über die Fernsehgebühren geklagt. "Kulturen wachsen und vergehen für den, der zurückschaut, nicht nacheinander, sondern nebeneinander", heißt es einmal. Das ist der Kern dieser ungewöhnlichen Poetik. Vielleicht dürfen wir ja doch noch darauf hoffen, dass der Schriftsteller Tellkamp den politischen Autor eines Tages wieder ablöst. "Den Schuh nach den Maßen des eigenen Fußes wählen - das ist wahre Kunst", übersetzt Schmitz-Scholemann den Abschlusssatz des siebten Briefs: Metiri se quemque suo modulo ac pede, verum est! Ein guter Ratschlag des antiken an den modernen Autor: Dann käme auch die Literatur wieder auf die Füße.
ANDREAS PLATTHAUS
"Und zum Glück fehlt mir nichts - Nur Du". Die Briefe des Horaz.
Aus dem Lateinischen von Christoph Schmitz-Scholemann. Mit einem Vorwort von Uwe Tellkamp. Elsinor Verlag, Coesfeld 2020. 116 S., br., 14,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Andreas Platthaus erkennt den Anspielungsreichtum und die ironische Frische der Briefe des Horaz. Davon können sich heutige Kolumnisten eine Scheibe abschneiden, findet er. Die vorliegende, leicht überarbeitete Prosa-Übersetzung von Christoph Schmitz-Scholemann von 2005 scheint Platthaus gut lesbar, ja "zeitgemäß". Das "weitgehend unpolitische", kunstvolle Vorwort von Uwe "Der Turm" Tellkamp veranlasst Platthaus zu der Hoffnung, Tellkamp möge bald wieder Schriftsteller sein, nicht politisierender Autor.
© Perlentaucher Medien GmbH
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