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Ist es für einen Herrscher besser, geliebt oder gefürchtet zu werden? Da sich beides schwer vereinen lasse, gibt Machiavelli in Der Fürst, seiner berühmten Abhandlung zu den Grundsätzen der Staatsräson, der Furcht den Vorrang. In ihrem neuen Buch schließt die israelische Soziologin Eva Illouz in zweierlei Hinsicht an Machiavelli an: Sie unterstreicht die Bedeutung von Emotionen in der Politik und arbeitet heraus, wie Rechtspopulisten bestimmte Gefühle instrumentalisieren. Israel ist seit seiner Gründung wie kaum ein anderes Land von Sicherheitsfragen geprägt. In dieser Situation sei dem…mehr

Produktbeschreibung
Ist es für einen Herrscher besser, geliebt oder gefürchtet zu werden? Da sich beides schwer vereinen lasse, gibt Machiavelli in Der Fürst, seiner berühmten Abhandlung zu den Grundsätzen der Staatsräson, der Furcht den Vorrang. In ihrem neuen Buch schließt die israelische Soziologin Eva Illouz in zweierlei Hinsicht an Machiavelli an: Sie unterstreicht die Bedeutung von Emotionen in der Politik und arbeitet heraus, wie Rechtspopulisten bestimmte Gefühle instrumentalisieren.
Israel ist seit seiner Gründung wie kaum ein anderes Land von Sicherheitsfragen geprägt. In dieser Situation sei dem langjährigen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu das machiavellistische Kunststück gelungen, gerade wegen der Furcht, die er sät, geliebt zu werden. Anhand ausführlicher Interviews mit u. a. Menschenrechtsaktivisten zeigt Illouz, wie Angst und Ressentiment Gesellschaften spalten und die Demokratie unterminieren.
Autorenporträt
Eva Illouz, geboren 1961, ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität Jerusalem sowie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique, CSE-EHESS in Paris. Für ihr Werk erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Anneliese-Maier-Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung und den EMET-Preis für Sozialwissenschaften. Ihre Bücher werden in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.04.2023

Weniger
Misstrauen
wagen
Eva Illouz nimmt vier
undemokratische Gefühle
unter die Lupe – und
ein vernachlässigtes
demokratisches:
die Brüderlichkeit.
Taugt sie zur Rettung
des Liberalismus vor
dem Populismus?
Die großen Demonstrationen in Israel in den vergangenen Monaten galten dem Versuch der rechtspopulistischen Regierung Benjamin Netanjahus, die Unabhängigkeit der Justiz abzuschaffen – und mit ihr die Demokratie. Gesetze auf ihre Rechtmäßigkeit prüfen zu lassen, so der Plan, soll künftig nämlich nicht mehr möglich sein. Noch ist nichts entschieden, aber die Mehrheitsverhältnisse in der Knesset lassen wenig Raum für Hoffnung.
Im Ausland machten die Proteste zudem deutlich, dass die Lage Israels nicht nur außen- und sicherheitspolitisch, sondern auch innenpolitisch prekär ist. Der rechte Populismus hat das Land, auf das sich sonst gern – und bislang auch aus guten Gründen – als „einzige Demokratie im Nahen Osten“ berufen wird, nicht bloß vorübergehend im Griff. Um seine Macht dauerhaft zu sichern, probiert er, das politische System tiefgreifend und unwiderruflich zu verändern.
Das neue Buch „Undemokratische Emotionen“ der französisch-israelischen Star-Soziologin Eva Illouz, die 2011 mit ihrem Buch „Warum Liebe weh tut“ berühmt wurde und an der Hebräischen Universität Jerusalem lehrt, kommt da gespenstisch pünktlich. Passend zur Lage betrachtet Illouz Israel darin nicht als ewigen religiösen Krisenherd, sondern als Prototyp einer politisch-gesellschaftlichen Entwicklung im Westen, die sich anderswo nur noch nicht so weit entfaltet hat.
Der Konflikt mit den Palästinensern ist entsprechend nicht Endpunkt, sondern Ausgangspunkt der Überlegungen. Er sei, so Illouz, der Grund für die klare Unterscheidung zwischen Freund und Feind, die das Selbstverständnis des israelischen Staates präge, was wiederum die ideale Quelle für negative Gefühle sei, die ihrerseits der wahre universale Rohstoff sind, aus denen der Populismus überall seine Macht zimmere.
Den linken Trick, soziale Fragen kurzerhand zu Fragen der Moral zu machen (und also des besseren, überlegenen Lebens), haben Netanjahu, Orbán, Le Pen und Trump geklaut und mit umgekehrten Vorzeichen versehen. Unmoralisch ist bei ihnen, was gerade noch als Inbegriff der Progressivität galt: Weltoffenheit etwa oder die Zustimmung zu Einwanderung.
Angst ist das erste der vier undemokratischen Gefühle, dem sich Illouz in ihrer eindrucksvoll umsichtigen und begrifflich instruktiven Analyse widmet. Die 62-Jährige hat dafür auch Interviews mit israelischen Bürgerinnen und Bürgern geführt hat, die immer wieder ausführlich als Frage-Antwort-Sequenzen in den Text eingebaut sind. Sie wirken wie Realitätschecks.
Von allen kollektiven Emotionen hält Illouz die Angst für die schlimmste, weil sie es den Einzelnen erschwere, zwischen echten und eingebildeten Gefahren zu unterscheiden. Zudem nähre sie Hass, da sie zu seiner Rechtfertigung beitrage. Mit Judith Shklar teilt Illouz die Ansicht, dass die liberale Demokratie die Regierungsform sei, die die Angst am meisten verabscheuen muss. Alle zentralen Elemente liberaler Regierung – Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Gewaltenteilung – tragen schließlich nicht nur dazu bei, Angst zu vertreiben, ohne die weitreichende Abwesenheit von Furcht lassen sie sich vielmehr gar nicht erst etablieren.
Und doch falle es auch demokratisch gewählten Politikerinnen und Politikern schwer, auf das Schüren von Ängsten zu verzichten. Es ist zu effektiv. Wie Netanjahu verdankten viele populistische Regierungschefs ihre – oft erstaunlich dauerhafte – Macht einer wundersamen Fähigkeit, auf die die Fürsten und Tyrannen der Renaissance neidisch wären: Sie haben es geschafft, „durch die Angst, die sie säen, geliebt zu werden“. Netanjahu habe intuitiv verstanden, dass „der Kern der israelischen Seele die Angst ist“. Und „rücksichtslos und manipulativ“ habe er es sich für seine eigenen Interessen zunutze gemacht. Alle Gegner – Araber wie linke Parteien – sind damit bei ihm umgehend „Staatsfeinde“ und also „Quellen der Angst“.
Im zweiten Kapitel geht es um die Politik der Abscheu, der Komplementärtaktik zur Politik der Angst. Während diese die Menschen gegen einen Feind vereint, sorge jene für anhaltende Distanz zum vermeintlichen bedrohlichen Anderen, um zu verhindern, dass seine Gleichheit oder Überlegenheit anerkannt werden könne.
Das Ressentiment wiederum, als auf einem Gefühl der Unterlegenheit und des Neides beruhende, oft unbewusste Abneigung, sei die negative Emotion, mit der sich geschickt die Unterschiede verwischen ließen zwischen Identität und Gerechtigkeit, Universalismus und Partikularismus, Opfer und Unterdrücker. Wobei, so Illouz, das Gekränkt- und Opfersein „verquererweise“ erst durch die linken Demokratisierungsbewegungen der Siebziger und Achtziger plausibel gemacht wurden. Arglist der Geschichte: „Politisch gesehen ist das Ressentiment das ambivalente Gefühl schlechthin, weil es genuin demokratische Ansprüche auf Gleichheit einschließt, die in einer Atmosphäre der Rache leicht von antidemokratischen Führern zweckentfremdet werden können.“ Sein Übriges tut schließlich der blinde Nationalstolz, oft befeuert von religiösem Fanatismus: „Ist das Land einmal zum heiligen gemacht, dann wird die Forderung nach Loyalität zur Nation total.“
Wenig von dem, was Illouz darlegt, ist natürlich im engen Sinne völlig neu. Wie auch, der Populismus entfaltet sich seit Jahren und wird tagtäglich dabei beobachtet und beschrieben. Die großen Linien einer Entwicklung geraten allerdings im Trubel der immer neuen kleinen Ereignisse gerne aus dem Blick. Und mit der je nächsten Wahlniederlage von Populisten scheint das Problem auch erst mal mal wieder gebannt. Politisch-soziologische Analysen haben dagegen, wenn sie glücken, ihr Stärke darin, tiefenschärfer und begrifflich genauer sein zu können. Illouz’ Zugang über die Beobachtung und Erforschung politischer Gefühle scheint außerdem nicht nur prädestiniert zu sein, grundlegende Veränderungen der Situation erkennbar zu machen, sondern auch ideal geeignet, besser abschätzen zu können, wie nachhaltig sie längst sind.
Die Tatsache zum Beispiel, dass es der Populismus geschafft hat, einen „Diskurs der Rebellion“ zu verkörpern, und die Linke nicht länger als die natürliche Instanz des sozialen Protests wahrgenommen wird, prägt die Politik wohl längst tiefgreifender, als sich das nicht nur grüne Politiker einzugestehen wagen. Wie sonst ist zu erklären, dass Mitglieder der „Letzten Generation“, die im verzweifelten Kampf gegen die Gleichgültigkeit gegenüber der Klimakatastrophe nichts anderes tun, als gelegentlich Straßen zu blockieren, bis weit in bürgerliche Milieus hinein so gehasst werden? Nicht nur in Israel, dort jedoch besonders weitreichend sei es den „rechten Populisten“ gelungen, die „traditionelle Beziehung der Linken zu den arbeitenden Schichten zu kappen und die Linke als Repräsentantin der Eliten darzustellen“.
Was nun? Welche Gefühle können liberale Gesellschaften zusammenhalten? Illouz ist nicht der Ansicht, dass dem Schüren von Angst, Abscheu, Ressentiment und blindem Nationalstolz bloß ihr Gegenteil, die wahre Liebe entgegengesetzt werden müsste: „Liebe kann keinesfalls die Grundlage staatsbürgerlicher Bindungen sein.“ Mit Hannah Arendt hält sie die Liebe für viel zu wählerisch (sie kann sich nicht einfach auf viele andere erstrecken, ohne ihr Wesen aufzugeben) und zu narzisstisch (man liebt am anderen immer auch, dass man von ihm geliebt wird), um eine sinnvolle politische Kraft sein zu können. Auch die jüngst so viel beschworene Solidarität kommt bei Illouz nicht allzu gut weg. Ein Schritt in die richtige Richtung, das schon, aber letztlich noch zu sehr bloß eine emotionale Verpflichtung gegenüber denen, die wir als uns ähnlich ansehen würden.
Mehr traut Illouz dem Mitgefühl und vor allem der Brüderlichkeit (deren patriarchalen Unterton sie erstaunlicherweise völlig unbeachtet lässt) zu, weil „beide Emotionen die radikale Fremdheit und Unterschiedlichkeit“ derer voraussetzten, denen sie gelten. Brüderlichkeit ist für sie die – auf einer universalen Idee von Gerechtigkeit fußende – Fähigkeit zu einer wohlwollend anteilnehmenden oder zumindest „nicht misstrauischen“ Gefühlshaltung fremden Anderen gegenüber. Die emblematische Formel lautet: „Brüderlichkeit ist das Empfinden, das den Universalismus zum Affekt werden lässt.“ Weniger Misstrauen wagen.
Ob durch warmherzigen Idealismus dieser Art das Grundproblem behoben werden kann, dass der Liberalismus die eher kaltherzige Fokussierung auf individuelle Freiheitsrechte stark begünstigt, ist natürlich die entscheidende Frage. Womöglich reichte es vorerst aber auch schon, wenn mit dem Nachdenken über die Brüderlichkeit das Gespür für die demokratischen Pflichten wieder stärker würde. Es scheint doch etwas zu gründlich abhanden gekommen zu sein und könnte nebenbei ja auch beim anstehenden Kampf gegen die Klimakatastrophe ganz nützlich sein.
Nicht nur allen, die Israel besser verstehen wollen, sondern auch allen, die den Rechtspopulismus allgemein gründlicher begreifen möchten, sei die Lektüre des Buchs dringend empfohlen. Die alte Losung „Fürchtet euch nicht!“ hat danach noch einmal einen ganz anderen, ungleich dringlicheren Klang.
JENS-CHRISTIAN RABE
Israel ist hier
nicht einfach religiöser
Krisenherd, sondern
politischer Prototyp
für den Westen
Eva Illouz: Undemokratische Emotionen - Das Beispiel Israel. Aus dem Englischen von Michael Adrian. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023. 259 Seiten, 18 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur 9punkt-Rezension

Die Linke hat nach den Pogromen der Hamas "moralisch und intellektuell eine sehr wichtige Prüfung nicht bestanden. Die Linke wird sich von diesem Zusammenbruch nicht erholen", sagt die israelisch-französische Soziologin Eva Illouz, im FR-Gespräch, in dem sie aber vor allem mit Benjamin Netanjahu abrechnet: "Er wird als derjenige in die Geschichte eingehen, der die größte Katastrophe über Israel gebracht hat."

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»... dieses Buch [bietet] nicht nur eine erstklassige Einführung in die Theorien über den Rechtspopulismus. Sondern es ist die bislang beste Analyse der allerneuesten Entwicklung des jüdischen Staates.« Micha Brumlik DIE ZEIT 20230511