"I was born with skins too few. Or they were scrubbed off me by...robust and efficient hands." The experiences absorbed through these "skins too few" are evoked in this memoir of Doris Lessing's childhood and youth as the daughter of a British colonial family in Persia and Southern Rhodesia Honestly and with overwhelming immediacy, Lessing maps the growth of her consciousness, her sexuality, and her politics, offering a rare opportunity to get under her skin and discover the forces that made her one of the most distinguished writers of our time.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.02.1995Tyrannei der Linie
Doris Lessing autorisiert ihre Biographie Von Renate Schostack
Was bewegt eine Schriftstellerin, nachdem sie gut zwei Dutzend überwiegend den Linien des eigenen Lebens folgende Bücher geschrieben hat, nun auch noch eine Autobiographie zu verfassen? Doris Lessing will sich vor Fälschungen schützen. Die authorized version soll, nachdem bereits einige unautorisierte entstanden seien, von ihr selbst kommen.
Sie weiß, daß sie "in einer außergewöhnlichen Zeit gelebt" hat, "der letzten Phase des britischen Kolonialreichs in Afrika". Doris Lessing ist ein Kind dieses Empires. 1919 in Persien geboren, kam sie mit fünf Jahren nach Rhodesien, in das heutige Zimbabwe. Als dreißigjährige Frau zog sie mit dem jüngsten ihrer drei Kinder, ihr erstes Romanmanuskript im Gepäck und noch immer Kommunistin, zurück ins englische Mutterland. Diese dreißig Jahre behandelt der erste Band der Autobiographie, dessen Titel einem Schlager jener Zeit entnommen ist.
Über ihrer Kindheit, schreibt Doris Lessing, habe "eine dunkelgraue Wolke wie Giftgas" gelegen. Die Autorin erklärt die Düsternis historisch mit dem Ersten Weltkrieg, der das Leben ihrer Eltern zerstört habe, lebensgeschichtlich psychoanalytisch mit der Geburtszange, die sie ins Dasein zog, aber auch mit dem Hinweis, daß die Mutter den Bruder bevorzugte. Haß ist ein Grundwort der Autobiographie.
Die Eltern waren den falschen Versprechungen einer Londoner Empire-Ausstellung gefolgt. Der Vater, der im Ersten Weltkrieg ein Bein verloren hatte, verließ England im Zorn. Die Mutter, eine tüchtige Londoner Krankenschwester, träumte vom gesellschaftlichen Aufstieg in den Kolonien. Mit Hüten, Gesellschaftskleidern, Paradeuniform, Visitenkarten, Silberbesteck bricht das Paar auf in den Busch. Ein Foto zeigt das Heim der Familie, in dem die Träume schwanden: eine aus Gras und Lehm in die Wildnis gebaute Hütte.
Die gescheiterten Erwartungen der Eltern, ihre Erfolglosigkeit, wachsende Armut und steigende Bitternis rufen in dem Mädchen nicht Mitleid, sondern Wut hervor. Insbesondere das Verhältnis zur Mutter ist von pathologischem Haß gekennzeichnet. Die Schreiberin beschönigt nichts, schont sich nicht. Auch als der Vater stirbt, verfällt die Tochter nicht in Trauer, sondern in Rage. Doch es ist nicht nur die Lieblosigkeit gegen die Eltern. Die junge Frau liebt nicht einmal die Männer, die sie heiratet. Eigentlich liebt sie nur ihre Tiere.
Doris Lessing verabscheut alle Autoritäten, die Familie, die Schule, England. Die Grundmelodie ihrer Kindheit lautet: "Ich will nicht, ich will nicht." Sie sei ihr Leben lang das Kind gewesen, "das laut sagte: Der Kaiser ist nackt". Selbstkritisch fügt sie hinzu: Diese Begabung könne bedeuten, daß man andere Qualitäten nicht wahrnehme. Diese Erkenntnis wird freilich für ihre Autobiographie nicht immer fruchtbar. Die Schilderung der Zeit in einer von süddeutschen Nonnen geleiteten Schule ist dafür ein Beispiel. Hitler, ungewaschene Nonnen, sadistische Bilder - gemeint sind Kruzifixe - und kümmelgewürztes, fettes bayerisches Essen verarbeitet sie zu einem Horrorgemälde, dessen Comic-Qualität den deutschen Leser schon wieder mit Heiterkeit erfüllen kann.
Mit vierzehn verläßt sie die High School, damit sich wiederum gegen die Mutter auflehnend, die der Tochter immer wieder Stipendien erkämpft hatte. Der Vater, des Frauenkampfes im Hause überdrüssig, weist dem feindseligen Teenager die Tür. In der Hauptstadt Salisbury schlägt sich Doris Tayler als Kinderfräulein, Telefonistin, Sekretärin durchs Leben. Die Rast- und Ziellosigkeit jener Jahre vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verknüpft die Verfasserin mit der nervösen Unruhe der heranwachsenden Frau, die ihren Körper, ihre Sexualität entdeckt. Ihre weibliche Natur ist ein Hauptelement der Autobiographie.
Schon der erste Satz des Buches gibt diesen Ton an. Von einer Großmutter heißt es: "Sie war sehr hübsch, aber sie hatte nichts im Kopf als Pferde und Tanzen." Die Schreiberin identifiziert sich mit der nie gekannten Großmutter und all den unbekannten aufsässigen Frauen der Familiengeschichte. Jung, hübsch, blitzgescheit, tüchtig, spontan, amüsant, wie sie sich nicht ohne Koketterie beschreibt, reklamiert sie, ohne den Terminus zu verwenden, das Recht auf Selbstverwirklichung. Immer wieder will sie ein Recht haben auf dies und jenes, auf Alkohol, Zigaretten und natürlich Sex. Sie beschreibt, vom Hochgefühl des Frauseins besessen, Sexualleben, Schwangerschaften, Geburten, Säuglingspflege. Die "elementare weibliche Rücksichtslosigkeit, die sich den Mann nimmt, wenn die Natur bereit ist", erfüllt sie mit Ehrfurcht. Doch weil sie nicht zur Gefangenen dieser Natur werden will, läßt sie sich, ehe sie dreißig wird, sterilisieren.
Wer sich von dem Buch Auskunft erhofft, wie Doris Lessing zum Schreiben kam, geht leer aus. Von Leseorgien des Kindes ist die Rede, Buchtitel werden genannt. Das Schulkind schreibt erstaunlich frühreife Gedichte und preisgekrönte Aufsätze, sie schreibt als junge Mutter Kurzgeschichten, die in schicken Illustrierten erscheinen. Aber das Schreiben ereignet sich "einfach so". Häufig finden sich Verweise auf ihre Bücher, etwa daß sie dies in jenem Roman, jener Erzählung beschrieben habe. Solche Bemerkungen mögen für den Literarhistoriker interessant sein; den Leser der Autobiographie machen sie zum Zaungast, der mit den Resten der Lebensmahlzeit abgespeist wird.
Zeit ihres Lebens hielt Doris Lessing es für ihre schriftstellerische Aufgabe, soziale und politische Konstellationen zu verdeutlichen. Man darf den Schluß ziehen, daß ihre rebellische Natur und die erlebte Wirklichkeit des Kolonialismus sie zum Schreiben gebracht haben. Schon als Mädchen hat sie den beobachtenden, den beurteilenden Blick. Sie sieht die Beschränktheit und Brutalität der Männer wie die Nervosität und Frustration der Frauen. Langeweile, geistige Öde, Borniertheit prägen die Atmosphäre. Das Unverständnis für die Schwarzen erfüllt sie mit Empörung.
Der Haß auf England wird zum Haß auf den Kolonialismus. "Wie berauscht" ist die junge Frau, als sie auf eine Gruppe von Menschen trifft, "die alles lesen" und über das Eingeborenenproblem so denken wie sie selbst. Für die Atheistin wird die Begegnung mit der kleinen kommunistischen Zelle zu einem Erweckungserlebnis. Sie verläßt ihren Mann und die beiden kleinen Kinder, denen sie erklärt, sie müsse das tun, damit sie später "in einer wunderschönen, vollkommenen Welt leben könnten".
Die Schilderung der Verführung durch den Kommunismus, die Beschreibung der grotesken Gruppenpraktiken und der Menschen, die sie ausüben, sind, auch wenn man sie schon aus dem "Goldenen Notizbuch" oder den "Kindern der Gewalt" kennt, der interessanteste Teil der Autobiographie. Kritisch, ironisch kommentiert die Autorin die Zeit, da sie sich mit ihren Genossen auf dem Weg zum Paradies glaubte. In diesem Zusammenhang findet sich das fesselndste Porträt des Buchs, das ihres zweiten Ehemanns Gottfried Lessing. Der hochintelligente, elegante Mann aus reicher, kultivierter deutsch-russischer Familie muß in dem rückständigen Salisbury wie ein Weltwunder gewirkt haben. Hitler hatte den Juden zum Kommunisten gemacht. Er war schweigsam, voller Zynismus und verachtete die Literatur. Dennoch hielt es die junge Genossin für ihre "Pflicht als Revolutionärin", den "feindlichen Ausländer" zu heiraten, zumal "die Partei" Affären nicht duldete. Die Scheidung war von vornherein geplant.
Die Schilderung des Ehe- und Liebeslebens, traurig, gehemmt, puritanisch, ist nicht ohne komische Züge. Fassungslos sieht die junge Frau die preußische Ordnung im Kleiderschrank des Gatten: "... zehn Paar vorbildlich zusammengerollte Socken, nach Farben geordnet und akkurat nebeneinander. In der Schublade daneben liegen fein säuberlich geordnete Unterhosen und Unterhemden. In der breiten Schublade liegen, keinen Millimeter von ihrem Stammplatz weggerückt, drei Stapel mit gebügelten Hemden, weiß, farbig und gestreift." Bald graut ihr vor dem kalten Tonfall des Mannes, der "die Tyrannei der Linie" vertritt.
Nach dem Krieg "schiebt" das Ehepaar, auf die Einreisegenehmigung nach England wartend, "schnell ein Kind dazwischen". Schon 1949 kehrte Gottfried Lessing nach Ost-Berlin zurück. Bald bricht er, inzwischen ein hundertzehnprozentiger Kommunist, den Kontakt zum Sohn und zur früheren Frau ab. Er gehörte zur Elite des DDR-Staats; seine Schwester heiratete Klaus Gysi, er selbst machte als DDR-Diplomat Karriere. Zuletzt war er Botschafter in Uganda, wo er, im Bürgerkrieg um Idi Amin, 1979 ermordet wurde.
Die Lebensgeschichte ist flüssig, doch ohne schriftstellerischen Ehrgeiz geschrieben und überliefert viele Alltagsszenen. Eine Intellektuelle ist Doris Lessing nicht. Das zeigt sehr deutlich ein schwaches Kapitel über ein jüdisches Emigrantenpaar aus Wien, das sich über "Ideen" streitet. Bemerkungen zur Zeitgeschichte und zum Leben sind oft von entlarvender Naivität. Die Gemeinde der Doris Lessing wird die Fortsetzung dennoch mit Spannung erwarten.
Doris Lessing: "Unter der Haut". Autobiographie 1919-1949. Aus dem Englischen übersetzt von Karen Nölle-Fischer. Hoffmann und Campe, Hamburg 1994. 523 S., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Doris Lessing autorisiert ihre Biographie Von Renate Schostack
Was bewegt eine Schriftstellerin, nachdem sie gut zwei Dutzend überwiegend den Linien des eigenen Lebens folgende Bücher geschrieben hat, nun auch noch eine Autobiographie zu verfassen? Doris Lessing will sich vor Fälschungen schützen. Die authorized version soll, nachdem bereits einige unautorisierte entstanden seien, von ihr selbst kommen.
Sie weiß, daß sie "in einer außergewöhnlichen Zeit gelebt" hat, "der letzten Phase des britischen Kolonialreichs in Afrika". Doris Lessing ist ein Kind dieses Empires. 1919 in Persien geboren, kam sie mit fünf Jahren nach Rhodesien, in das heutige Zimbabwe. Als dreißigjährige Frau zog sie mit dem jüngsten ihrer drei Kinder, ihr erstes Romanmanuskript im Gepäck und noch immer Kommunistin, zurück ins englische Mutterland. Diese dreißig Jahre behandelt der erste Band der Autobiographie, dessen Titel einem Schlager jener Zeit entnommen ist.
Über ihrer Kindheit, schreibt Doris Lessing, habe "eine dunkelgraue Wolke wie Giftgas" gelegen. Die Autorin erklärt die Düsternis historisch mit dem Ersten Weltkrieg, der das Leben ihrer Eltern zerstört habe, lebensgeschichtlich psychoanalytisch mit der Geburtszange, die sie ins Dasein zog, aber auch mit dem Hinweis, daß die Mutter den Bruder bevorzugte. Haß ist ein Grundwort der Autobiographie.
Die Eltern waren den falschen Versprechungen einer Londoner Empire-Ausstellung gefolgt. Der Vater, der im Ersten Weltkrieg ein Bein verloren hatte, verließ England im Zorn. Die Mutter, eine tüchtige Londoner Krankenschwester, träumte vom gesellschaftlichen Aufstieg in den Kolonien. Mit Hüten, Gesellschaftskleidern, Paradeuniform, Visitenkarten, Silberbesteck bricht das Paar auf in den Busch. Ein Foto zeigt das Heim der Familie, in dem die Träume schwanden: eine aus Gras und Lehm in die Wildnis gebaute Hütte.
Die gescheiterten Erwartungen der Eltern, ihre Erfolglosigkeit, wachsende Armut und steigende Bitternis rufen in dem Mädchen nicht Mitleid, sondern Wut hervor. Insbesondere das Verhältnis zur Mutter ist von pathologischem Haß gekennzeichnet. Die Schreiberin beschönigt nichts, schont sich nicht. Auch als der Vater stirbt, verfällt die Tochter nicht in Trauer, sondern in Rage. Doch es ist nicht nur die Lieblosigkeit gegen die Eltern. Die junge Frau liebt nicht einmal die Männer, die sie heiratet. Eigentlich liebt sie nur ihre Tiere.
Doris Lessing verabscheut alle Autoritäten, die Familie, die Schule, England. Die Grundmelodie ihrer Kindheit lautet: "Ich will nicht, ich will nicht." Sie sei ihr Leben lang das Kind gewesen, "das laut sagte: Der Kaiser ist nackt". Selbstkritisch fügt sie hinzu: Diese Begabung könne bedeuten, daß man andere Qualitäten nicht wahrnehme. Diese Erkenntnis wird freilich für ihre Autobiographie nicht immer fruchtbar. Die Schilderung der Zeit in einer von süddeutschen Nonnen geleiteten Schule ist dafür ein Beispiel. Hitler, ungewaschene Nonnen, sadistische Bilder - gemeint sind Kruzifixe - und kümmelgewürztes, fettes bayerisches Essen verarbeitet sie zu einem Horrorgemälde, dessen Comic-Qualität den deutschen Leser schon wieder mit Heiterkeit erfüllen kann.
Mit vierzehn verläßt sie die High School, damit sich wiederum gegen die Mutter auflehnend, die der Tochter immer wieder Stipendien erkämpft hatte. Der Vater, des Frauenkampfes im Hause überdrüssig, weist dem feindseligen Teenager die Tür. In der Hauptstadt Salisbury schlägt sich Doris Tayler als Kinderfräulein, Telefonistin, Sekretärin durchs Leben. Die Rast- und Ziellosigkeit jener Jahre vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verknüpft die Verfasserin mit der nervösen Unruhe der heranwachsenden Frau, die ihren Körper, ihre Sexualität entdeckt. Ihre weibliche Natur ist ein Hauptelement der Autobiographie.
Schon der erste Satz des Buches gibt diesen Ton an. Von einer Großmutter heißt es: "Sie war sehr hübsch, aber sie hatte nichts im Kopf als Pferde und Tanzen." Die Schreiberin identifiziert sich mit der nie gekannten Großmutter und all den unbekannten aufsässigen Frauen der Familiengeschichte. Jung, hübsch, blitzgescheit, tüchtig, spontan, amüsant, wie sie sich nicht ohne Koketterie beschreibt, reklamiert sie, ohne den Terminus zu verwenden, das Recht auf Selbstverwirklichung. Immer wieder will sie ein Recht haben auf dies und jenes, auf Alkohol, Zigaretten und natürlich Sex. Sie beschreibt, vom Hochgefühl des Frauseins besessen, Sexualleben, Schwangerschaften, Geburten, Säuglingspflege. Die "elementare weibliche Rücksichtslosigkeit, die sich den Mann nimmt, wenn die Natur bereit ist", erfüllt sie mit Ehrfurcht. Doch weil sie nicht zur Gefangenen dieser Natur werden will, läßt sie sich, ehe sie dreißig wird, sterilisieren.
Wer sich von dem Buch Auskunft erhofft, wie Doris Lessing zum Schreiben kam, geht leer aus. Von Leseorgien des Kindes ist die Rede, Buchtitel werden genannt. Das Schulkind schreibt erstaunlich frühreife Gedichte und preisgekrönte Aufsätze, sie schreibt als junge Mutter Kurzgeschichten, die in schicken Illustrierten erscheinen. Aber das Schreiben ereignet sich "einfach so". Häufig finden sich Verweise auf ihre Bücher, etwa daß sie dies in jenem Roman, jener Erzählung beschrieben habe. Solche Bemerkungen mögen für den Literarhistoriker interessant sein; den Leser der Autobiographie machen sie zum Zaungast, der mit den Resten der Lebensmahlzeit abgespeist wird.
Zeit ihres Lebens hielt Doris Lessing es für ihre schriftstellerische Aufgabe, soziale und politische Konstellationen zu verdeutlichen. Man darf den Schluß ziehen, daß ihre rebellische Natur und die erlebte Wirklichkeit des Kolonialismus sie zum Schreiben gebracht haben. Schon als Mädchen hat sie den beobachtenden, den beurteilenden Blick. Sie sieht die Beschränktheit und Brutalität der Männer wie die Nervosität und Frustration der Frauen. Langeweile, geistige Öde, Borniertheit prägen die Atmosphäre. Das Unverständnis für die Schwarzen erfüllt sie mit Empörung.
Der Haß auf England wird zum Haß auf den Kolonialismus. "Wie berauscht" ist die junge Frau, als sie auf eine Gruppe von Menschen trifft, "die alles lesen" und über das Eingeborenenproblem so denken wie sie selbst. Für die Atheistin wird die Begegnung mit der kleinen kommunistischen Zelle zu einem Erweckungserlebnis. Sie verläßt ihren Mann und die beiden kleinen Kinder, denen sie erklärt, sie müsse das tun, damit sie später "in einer wunderschönen, vollkommenen Welt leben könnten".
Die Schilderung der Verführung durch den Kommunismus, die Beschreibung der grotesken Gruppenpraktiken und der Menschen, die sie ausüben, sind, auch wenn man sie schon aus dem "Goldenen Notizbuch" oder den "Kindern der Gewalt" kennt, der interessanteste Teil der Autobiographie. Kritisch, ironisch kommentiert die Autorin die Zeit, da sie sich mit ihren Genossen auf dem Weg zum Paradies glaubte. In diesem Zusammenhang findet sich das fesselndste Porträt des Buchs, das ihres zweiten Ehemanns Gottfried Lessing. Der hochintelligente, elegante Mann aus reicher, kultivierter deutsch-russischer Familie muß in dem rückständigen Salisbury wie ein Weltwunder gewirkt haben. Hitler hatte den Juden zum Kommunisten gemacht. Er war schweigsam, voller Zynismus und verachtete die Literatur. Dennoch hielt es die junge Genossin für ihre "Pflicht als Revolutionärin", den "feindlichen Ausländer" zu heiraten, zumal "die Partei" Affären nicht duldete. Die Scheidung war von vornherein geplant.
Die Schilderung des Ehe- und Liebeslebens, traurig, gehemmt, puritanisch, ist nicht ohne komische Züge. Fassungslos sieht die junge Frau die preußische Ordnung im Kleiderschrank des Gatten: "... zehn Paar vorbildlich zusammengerollte Socken, nach Farben geordnet und akkurat nebeneinander. In der Schublade daneben liegen fein säuberlich geordnete Unterhosen und Unterhemden. In der breiten Schublade liegen, keinen Millimeter von ihrem Stammplatz weggerückt, drei Stapel mit gebügelten Hemden, weiß, farbig und gestreift." Bald graut ihr vor dem kalten Tonfall des Mannes, der "die Tyrannei der Linie" vertritt.
Nach dem Krieg "schiebt" das Ehepaar, auf die Einreisegenehmigung nach England wartend, "schnell ein Kind dazwischen". Schon 1949 kehrte Gottfried Lessing nach Ost-Berlin zurück. Bald bricht er, inzwischen ein hundertzehnprozentiger Kommunist, den Kontakt zum Sohn und zur früheren Frau ab. Er gehörte zur Elite des DDR-Staats; seine Schwester heiratete Klaus Gysi, er selbst machte als DDR-Diplomat Karriere. Zuletzt war er Botschafter in Uganda, wo er, im Bürgerkrieg um Idi Amin, 1979 ermordet wurde.
Die Lebensgeschichte ist flüssig, doch ohne schriftstellerischen Ehrgeiz geschrieben und überliefert viele Alltagsszenen. Eine Intellektuelle ist Doris Lessing nicht. Das zeigt sehr deutlich ein schwaches Kapitel über ein jüdisches Emigrantenpaar aus Wien, das sich über "Ideen" streitet. Bemerkungen zur Zeitgeschichte und zum Leben sind oft von entlarvender Naivität. Die Gemeinde der Doris Lessing wird die Fortsetzung dennoch mit Spannung erwarten.
Doris Lessing: "Unter der Haut". Autobiographie 1919-1949. Aus dem Englischen übersetzt von Karen Nölle-Fischer. Hoffmann und Campe, Hamburg 1994. 523 S., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
'Passionate and compelling, a book so packed with extraordinary images that it has obliterated almost everything else I read in 1994.' Rose Tremain
'In this immediate, vivid, beautifully paced memoir, Doris Lessing sets the individual against history, the personal against the general and shows, by the example of her life set down honestly, how biography and fiction mesh, how fiction transmutes the personal to the general, how the particular experience illuminates the universe. By putting her life on the page, she has created her greatest work of art.' Hilary Mantel, LRB
'The book pulsates with life. The intensity of the sensory world is brilliantly evoked ... Not just the story of the first thirty years of one life, this is the biography also of an age.' Jane Dunn, Observer
'In this immediate, vivid, beautifully paced memoir, Doris Lessing sets the individual against history, the personal against the general and shows, by the example of her life set down honestly, how biography and fiction mesh, how fiction transmutes the personal to the general, how the particular experience illuminates the universe. By putting her life on the page, she has created her greatest work of art.' Hilary Mantel, LRB
'The book pulsates with life. The intensity of the sensory world is brilliantly evoked ... Not just the story of the first thirty years of one life, this is the biography also of an age.' Jane Dunn, Observer