Marktplatzangebote
4 Angebote ab € 29,78 €
  • Broschiertes Buch

Produktdetails
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.1998

Ach so, Sie sind Romulaner, das ist etwas anderes
Der freie Lauf der Phantasie als Lehrpfad der Toleranz: Ingrid Weber lernt Kommunikation an Bord des Raumschiffs Enterprise

Interkulturelle Begegnungen führen fast zwangsweise zu Mißverständnissen und Konflikten, wenn nicht Regeln des Umgangs beachtet werden. Disziplinen wie die Kulturphilosophie oder die Kulturanthropologie untersuchen die kulturspezifischen Ursachen für Störungen in der interkulturellen Kommunikation. Wenn es zu Konflikten kommt, werden diese durch kulturspezifische Eigenheiten der Konfliktparteien erklärt. Die Kommunikation selbst tritt dabei jedoch in den Hintergrund. Ingrid Weber hat eine Dissertation über die interkulturelle Kommunikation verfaßt. Sie hat einen Weg gefunden, die Kontakte mit dem Fremden so zu diskutieren, daß die störende Frage nach der korrekten Beschreibung der beteiligten Kulturen gar nicht erst gestellt wird: Die von ihr untersuchten Begegnungen finden zwischen fiktiven Kulturen statt.

Die Science-fiction-Serie Star Trek dient der Autorin als Mittel, sich von der Realität zu lösen, um sie in einer neuen Perspektive zu betrachten. Als philosophisches Gedankenexperiment verstanden, liefern ihr die Abenteuer des Raumschiffs Enterprise im dreiundzwanzigsten und vierundzwanzigsten Jahrhundert reiches Material für die Analyse der Mechanismen von Furcht und Faszination gegenüber fremden, kulturell bestimmten Handlungsmustern.

Star Trek spielt in einer Zukunft, in der die Menschen es geschafft haben, einen dauerhaften Frieden auf ihrem Planeten zu erhalten. Diese Setzung impliziert, daß die Menschheit in Richtung auf eine gewaltfreie Lösung von Konflikten hin entwicklungsfähig ist. Die Handlung in den Episoden der Classic-Serie aus den sechziger Jahren konzentriert sich auf die drei Hauptfiguren Captain Kirk, der das Prinzip des Handelns vertritt, seinen Ersten Offizier Mister Spock, der für das rationale Prinzip des Denkens steht, und den Schiffsarzt Dr. McCoy, der sich stark von seiner Empathie und seiner Intuition leiten läßt und somit den emotionalen Aspekt repräsentiert. Diese drei Personen stehen aus psychoanalytischer Sicht für Ich, Über-Ich und Es. Das Raumschiff Enterprise, von dem der Zuschauer hauptsächlich Brücke, Krankenstation und Maschinenraum zu sehen bekommt, läßt sich psychoanalytisch als Organismus mit Gehirn, Herz und Bauch deuten.

Das Fremde ist Teil der Enterprise-Mannschaft, denn Mister Spock ist ein Mischling - halb Mensch, halb Vulkanier. Seine auf vulkanische Logik aufbauende Denk- und Handlungsweise läßt ihn häufig in Konflikt mit den Vorstellungen und Erwartungen der übrigen Crew, die ausschließlich aus Menschen besteht, geraten. Andererseits führen in Krisensituationen oft gerade seine Anregungen oder Bedenken zu einer Revision von Vorurteilen der übrigen Beteiligten und zu produktiven, kreativen und friedlichen Lösungen. Der Austausch mit fremden Wesen kommt oft über ihn zustande, weil seine Wahrnehmung und Interpretation ein Gegengewicht zur anthropozentrischen Sichtweise seiner Gefährten bilden. Unter dem Aspekt der interkulturellen Kommunikation wirkt sich Spocks Grenzgängertum als Differenzierung kultureller Wahrnehmung und Möglichkeit zum Perspektivenwechsel aus. Die Anwesenheit des Fremden in den eigenen Reihen führt zu einem kontinuierlichen Lehr- und Lernprozeß in der Mannschaft, der sie auf den kulturellen Austausch im nächsten Abenteuer vorbereitet.

Den Kontakt mit dem Fremden diskutiert Ingrid Weber anhand ausgewählter Episoden. In der Folge "Horta rettet ihre Kinder" hat ein Wesen in Form einer Riesenpizza fünfzig Bergarbeiter in den Pergiumminen von Janus VI getötet. Die Enterprise wird zu Hilfe gerufen, um die Kreatur zu töten. Erst als es Spock gelingt, mit Hilfe der vulkanischen Technik der Gedankenverschmelzung mit dem Wesen, das sich selbst "Horta" nennt, zu kommunizieren, stellt sich heraus, daß die Bergleute seine Brut, bestehend aus zahllosen Silikonkugeln, in Unwissenheit zerstören. Sobald das Mißverständnis beseitigt ist, können sich Horta und die Kolonisten ihrer gegenseitigen, furchtbedingten Abneigung entledigen, und es entwickelt sich eine fruchtbare Koexistenz: Horta und ihre bald darauf schlüpfenden Kinder graben für die Bergleute Stollen, was die Fördermengen vervielfacht.

Andere Folgen schildern Konfrontationen mit den Klingonen und Romulanern, wodurch der Konflikt der Vereinigten Staaten mit der Sowjetunion und China seinen Niederschlag in den Drehbüchern findet. In den späten achtziger Jahren hat sich die weltpolitische Lage entspannt, wir finden folgerichtig einen Klingonen in der Mannschaft der Enterprise der "Next Generation"-Serie, die hundert Jahre nach den Serienabenteuern von Kirk & Co spielt. Die Mitglieder der Crew von Captain Picard stammen von unterschiedlichen Planeten, doch sind die meisten irdischer Herkunft. Das fremdartigste Wesen unter ihnen ist der Android Data, der keine Emotionen kennt und sich bemüht, menschlich zu werden. Er muß sich in der Episode "Wem gehört Data?" einem Gerichtsverfahren stellen, in dem darüber entschieden wird, ob er frei über sich selbst bestimmen kann oder ob ein Kybernetiker der Sternenflotte ihn zu Studienzwecken auseinandernehmen darf.

Einen der beeindruckendsten Erstkontakte erlebt Captain Picard, als er von Tamarianern auf den Planeten El Adrel entführt wird, wo er auf seinen Kollegen vom Schiff der Tamarianer trifft. Die Sprache der Tamarianer kann der Universalkommunikator, der normalerweise Wesen unterschiedlichster Herkunft perfektes Englisch sprechen läßt, nur unzureichend übersetzen. Der Tamarianer wirft Picard mit den Worten "Darmok und Jalad auf Tanagra!" einen Dolch zu. Woher soll Picard wissen, was "Darmok" ist? Will der Fremde, der selbst einen weiteren Dolch hält, mit ihm kämpfen? Bald darauf werden die beiden Kommandanten von einem Ungeheuer angegriffen und müssen sich mit den Dolchen zur Wehr setzen. Jetzt wird Picard klar, daß der Tamarianer bewußt diese Situation herbeigeführt hat, die sich nur lösen läßt, wenn er und sein fremder Kollege zusammenarbeiten und die Bestie gemeinsam zur Strecke bringen. Darmok und Jalad - so stellt sich heraus - sind tamarianische Sagengestalten, die eine ähnliche Situation meistern mußten. Ingrid Weber nennt das Vorgehen des tamarianischen Captains den "Versuch der konstruktiven Herstellung einer gemeinsamen Mikroweltversion".

Allen geschilderten Begegnungen gemeinsam ist, daß neben Intelligenz die wechselseitig unterstellte Bereitschaft zum Gewaltverzicht für die erfolgreiche Kontaktaufnahme notwendig ist. Ob diese Konstruktion den Realismus des Star-Trek-Kosmos beweist oder ihn im Gegenteil als utopischen Traum enthüllt, muß jeder Leser mit sich selbst abmachen. Die Serien gehen jedenfalls dadurch über eine schlichte Verlagerung realer Phänomene in einen fiktionalen Kontext hinaus, daß sie als Gedankenexperiment ganz neue Arten der Begegnung zu entwerfen versuchen. Die vier Räume, die das Raumschiff Enterprise bereist, sind letztlich die unendlichen Weiten unserer eigenen Persönlichkeit und Vorstellungskraft. HARTMUT HÄNSEL

Ingrid Weber: "Unendliche Weiten". Die Science-fiction-Serie Star Trek als Entwurf von Kontakten mit dem Fremden. IKO-Verlag, Frankfurt 1997. 255 S., br., 39,80 DM

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr