»Unendlicher Spaß vereint literarische Innovation und Lesbarkeit auf eigene, unerhörte, markerschütternde Weise.« Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Unendlicher Spaß« - so nannte James Incandenza seinen Film, der Menschen, die ihn anschauen, so verhext, dass sie sich nicht mehr von ihm lösen können und dabei verdursten und verhungern. Sein Sohn Hal, ein Tenniswunderkind mit außergewöhnlichen intellektuellen Fähigkeiten, studiert an der Enfield Tennis Academy (ETA), die von seinem Vater gegründet wurde. Hier sowie im nahe gelegenen Ennet-House, einem Entziehungsheim für Drogenabhängige, spielt ein Teil der überbordenden Handlung, die jeden literarischen Kosmos sprengt - in einem leicht in die Zukunft versetzten Amerika, das mit Kanada und Mexiko die »Organisation der nordamerikanischen Nationen« bildet und von radikalen Separatisten in Kanada bekämpft wird.
1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Nicht allein der schiere Umfang, sondern vor allem die sprachliche Kreativität, die ungeheure Themenvielfalt, die treffsichere Gesellschaftskritik, scharfe Analyse sowie der Humor machen den Roman zum Meilenstein der amerikanischen Literatur. Namhafte Autoren von Dave Eggers bis Jonathan Franzen sehen in diesem Buch ein Vorbild für ihr Schaffen. Ulrich Blumenbach hat sechs Jahre lang an der Übersetzung gearbeitet, und seine kongeniale Übertragung ins Deutsche wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
Mehr: https://www.unendlicherspass.de
»Unendlicher Spaß« - so nannte James Incandenza seinen Film, der Menschen, die ihn anschauen, so verhext, dass sie sich nicht mehr von ihm lösen können und dabei verdursten und verhungern. Sein Sohn Hal, ein Tenniswunderkind mit außergewöhnlichen intellektuellen Fähigkeiten, studiert an der Enfield Tennis Academy (ETA), die von seinem Vater gegründet wurde. Hier sowie im nahe gelegenen Ennet-House, einem Entziehungsheim für Drogenabhängige, spielt ein Teil der überbordenden Handlung, die jeden literarischen Kosmos sprengt - in einem leicht in die Zukunft versetzten Amerika, das mit Kanada und Mexiko die »Organisation der nordamerikanischen Nationen« bildet und von radikalen Separatisten in Kanada bekämpft wird.
1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Nicht allein der schiere Umfang, sondern vor allem die sprachliche Kreativität, die ungeheure Themenvielfalt, die treffsichere Gesellschaftskritik, scharfe Analyse sowie der Humor machen den Roman zum Meilenstein der amerikanischen Literatur. Namhafte Autoren von Dave Eggers bis Jonathan Franzen sehen in diesem Buch ein Vorbild für ihr Schaffen. Ulrich Blumenbach hat sechs Jahre lang an der Übersetzung gearbeitet, und seine kongeniale Übertragung ins Deutsche wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.08.2009Medusa in der Selbsthilfegruppe
Wenn Schrecken und Spaß sich gegenseitig hochschrauben: Warum man den Roman "Unendlicher Spaß" von David Foster Wallace unbedingt lesen muss.
Von Richard Kämmerlings
Wenn man über Romane sagt, ihre Lektüre entschädige für die Anstrengung, sie sei eine Arbeit, die sich auszahlt und belohne die Hartnäckigkeit und Geduld des Lesers, oder welche der Kritikerphrasen mehr sind, dann lächeln die Verleger und ihre Pressedamen meist tapfer, obgleich sie wissen: Mit solch vergiftetem Lob werden sie kein Stück davon verkaufen. Wer mag sich schon gern selbst quälen?
Doch was tun mit einem Buch, das schon auf dem Umschlag mit dem Leser einen üblen Scherz zu treiben scheint? "Unendlicher Spaß" heißt da ein Roman, der doch allein schon ob seines schieren Umfangs von tausendfünfhundert Seiten unendliche Mühe verspricht. Soll man das etwa lustig finden, wenn man weiß, dass der Übersetzer jahrelang an der Eindeutschung seiner langen, irrwitzig verschachtelten Satzgebilde gearbeitet hat (F.A.Z. vom 18. August), dass der sprachverliebte Autor ein Faible für die Verwendung seltener, in keinem Wörterbuch zu findender Fremd- und Fachwörter hatte, dass das Buch Hunderte von Anmerkungen enthält, die sich insgesamt über 130 Seiten erstrecken und weitere Fußnoten enthalten? Soll das ein Witz sein?
David Foster Wallace, der genialische Autor dieses Werks, der sich nach jahrelangen Depressionen im vergangenen September das Leben nahm, war ein ernsthafter Mensch, unendlich ernsthaft, möchte man heute, nach seinem traurigen Ende, sagen. "Infinite Jest" ist ein moralisches, ja moralistisches Buch über den gegenwärtigen American way of life und damit über den Entwicklungsstand unserer Kultur. Es ist ein Buch über die Leere im innersten Zentrum unserer Gesellschaft, die der Einzelne mit Süchten, Zerstreuungen, Obsessionen und Unterhaltungen aller Art ersatzweise füllt und so verdeckt und verdrängt. Unendlicher Spaß ist das Codewort einer düsteren Zukunftsvision, als Endpunkt menschlicher Evolution bedeutet er den Tod der Kultur und den Tod des Subjekts - und zwar in einem ganz konkreten, nicht übertragenen Sinne. Dieses anstrengende, schwierige, die Geduld des Lesers strapazierende Buch mit dem Titel "Unendlicher Spaß" ist ein Gegengift.
Oberflächlich betrachtet ist "Infinite Jest" ein Science-Fiction-Roman, er spielt überwiegend in einer (beim Erscheinen des Originals 1996) nahen Zukunft, die ungefähr dem Jahr 2009 entspricht, in einem leicht, aber entscheidend modifizierten Nordamerika. Die Vereinigten Staaten haben sich mit Kanada und Mexiko zur "O.N.A.N.", der "Organization of North American Nations", vereinigt, in dem allerdings Teilen der Ostküste vor allem Kanadas die undankbare Rolle einer gigantischen Deponie hochradioaktiven Giftmülls zukommt. Dieses "experialistische" Staatsgebilde wird von einem ehemaligen Schlagersänger namens Johnny Gentle regiert; da man durch neue technische Entwicklungen in der Energieversorgung unabhängig ist, muss man sich um Außenpolitik nicht kümmern. Um die Steuereinnahmen zu erhöhen, hat man den Kalender an Sponsoren verkauft, man lebt im "Jahr des Whoppers" oder im "Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche" (in dem die Rahmenhandlung spielt). Ein Terrorismusproblem gibt es auch in dieser postfossilen Welt: Verschiedene québécois-kanadische Separatistengruppen wollen durch Anschläge die Unabhängigkeit erzwingen. Die gefährlichste unter ihnen sind die grotesk-unheimlichen "Assassins des Fauteuils Rollents", die "Rollstuhlattentäter".
Das Epizentrum der Handlung ist die "Enfield Tennis Academy" (die nicht zufällig E.T.A. abgekürzt wird) nahe Boston, eines jener für Amerika typischen privaten Drillinternate der Sampras und Agassis von morgen. Einer ihrer Musterschüler ist Hal Incandenza, ein sowohl sportlich als auch sprachlich hochbegabter Siebzehnjähriger, der ein in diesem Milieu offenbar vollkommen übliches Drogenproblem hat; vor brutalem Leistungsdruck und Konkurrenzkampf flüchtet sich hier jeder in irgendeine Sucht.
Hals Familie bildet das Grundgerüst der Romankonstruktion. Sein Vater James O. Incandenza gründete die Tennisakademie, nachdem er seine wissenschaftliche Arbeit im Bereich physikalischer Optik an den Nagel gehängt hatte, um fortan abgedrehte, post-postmoderne Experimentalfilme zu drehen und sich dem Alkoholismus zu ergeben. Hals Brüder Orin und Mario waren beziehungsweise sind ebenfalls Tennisschüler; die stets nur "Moms" genannte Mutter, eine zwangsneurotische Linguistin und Sprachpuristin, sowie ein Onkel gehören zur Akademieleitung. Höchste Erwartungen der Eltern, kindliches Begehren von Anerkennung, geschwisterliche Rivalität und Eifersucht gehören zur Grundausstattung dieser fragilen Familienkutsche, die zum Zeitpunkt der Rahmenhandlung vor allem von einem Trauma zusammengehalten wird: Der Wissenschaftler-und-Künstler-Übervater beging wenige Jahre zuvor Selbstmord, indem er seinen Kopf in eine speziell präparierte Mikrowelle steckte.
Nachdem der Leser gleich zu Beginn in ein ödipales Psychodrama verstrickt wird, dessen Dimensionen er kaum überschauen kann, entwickelt sich zugleich ein klassischer Thriller-Plot. Die letzte Arbeit, die Hals Vater vor seinem Selbstmord fertiggestellt hatte, war ein Film mit dem Titel "Unendlicher Spaß", der so unterhaltsam ist, dass er jeden auch nur flüchtigen Betrachter in einen irreversiblen Zustand komatöser Erstarrung versetzt: "All diese Leute sind jetzt in geschlossenen Anstalten. Gefügig und kontinent, aber leer wie die Tiefenebene eines vom Rückenmark gekappten Reptiliengehirns." An verschiedenen Orten tauchen Kopien dieser mörderischen "Unterhaltung" auf und amüsieren ihre nichtsahnenden Opfer zu Tode. Die kanadischen Terroristen setzen sich auf die Spur des Films, um durch seine Einspeisung in das nordamerikanische Kabelnetz eine Katastrophe auszulösen. Die Spaßgesellschaft soll mit ihren eigenen Waffen vernichtend geschlagen werden.
Vom Regisseur dieser tödlichen Lustbarkeit heißt es einmal, alle seine Arbeiten seien "grundsätzlich ironisch" gewesen: "Jims Humor war ein trockener Humor." Das besondere Verhältnis von Ernst und Ironie, von erzählerischem Realismus und postmoderner Aufhebung ist bei Wallace nicht nur Gegenstand ästhetischer Reflexion (am Beispiel der "Aprèsgarde"-Filme Incandenzas), sondern auch Formprinzip. Die stilistischen Mittel satirischer Überzeichnung werden ausgiebig eingesetzt, ohne dass sie der Ernsthaftigkeit der Aussage zuwiderliefen. So wird die ganze irre, blut-, schweiß- und tränentriefende Leistungssportwelt detailreich ausgemalt, mit vielen eindrücklichen Nebenfiguren, und zugleich ins Irreale und Absurde verschoben. Unter der Akademie erstreckt sich ein kafkaeskes Tunnelnetz; die Nachwuchsasse haben einen Zeitvertreib erfunden, der einen Nuklearkrieg mit Tennisbällen nachstellt und mit realen Verletzten endet. Immer wieder macht sich Wallace ausgiebig über den Therapeutentick der Amerikaner lustig, wo doch außer Frage steht, dass seine am Rande des Zusammenbruchs traumwandelnden Hauptfiguren dringend professionelle Hilfe brauchen.
Die pseudowissenschaftliche Verzweigungsstruktur, die bei der Lektüre in den Wahnsinn treiben kann, ist ebenfalls eine ironische Volte, da gerade hier wichtige Dinge passieren. Die ersten Anmerkungen erläutern lediglich, hilfreich und harmlos, einige Slang-Ausdrücke für Drogen. Dann plötzlich Anmerkung 24, die sich über zwölf Seiten erstreckt und eine vollständige, kommentierte Filmographie der Werke James O. Incandenzas bietet. Als Quelle wird dazu ein wissenschaftlicher Aufsatz angegeben: "Comstock/Posner/Duquette, ,Die Lachenden Pathologen: Exemplarische Werke der Antikonfluentiellen Aprèsgarde: Einige Analysen der Tendenz zur Stasis im nordamerikanischen Konzeptfilm'." Nicht nur taucht hier ganz beiläufig mit "Stasis" der zentrale Begriff von Wallace' Kulturkritik auf. Liest man die hanebüchenen Abstracts der fiktiven Filme aufmerksam, hat man einige Schlüssel für viele Rätsel des Buchs in der Tasche.
Zugleich kann man hier unter der Lupe studieren, wie sich bei Wallace Schrecken und Witz gegenseitig hochschrauben. Die Handlung des Films "Der Ehevertrag von Himmel und Hölle" wird so zusammengefasst: "Gott und Satan pokern mit Tarotkarten um die Seele eines alkoholabhängigen Snacktütenverkäufers, der von Berninis ,Verzückung der heiligen Theresa' besessen ist." "Spaß mit Zähnen" dagegen geht so: "35 mm; 73 Minuten; schwarzweiß; stumm mit nichtmenschlichem Gebrüll und Geheul. Parodie auf Kosinski/Updike/Peckinpah; Zahnarzt führt bei einem Akademiker, dem er eine Affäre mit seiner Frau unterstellt, sechzehn Wurzelkanalbehandlungen ohne Betäubung durch." Ein letztes, besonders wichtiges Beispiel ist "Medusa gegen Odaliske": "Mobile Hologramme zweier sichtlich todbringender mythischer Frauengestalten duellieren sich vor reflektierenden Flächen auf der Bühne, während ein Live-Publikum langsam versteinert." Je mehr man liest, desto komischer wird es. Es versteht sich, dass sich der Roman selbst ähnlich durchgeknallt zusammenfassen ließe, etwa so: Ein frankophones Terrorkommando in Rollstühlen macht Jagd auf eine Filmkopie, deren Betrachtung arabische Gesundheitsattachés zu windeltragenden, sabbernden Schwachmaten macht.
Macht sich Wallace hier selbst über eine Avantgarde lustig, die die Selbstreflexion bis zum Exzess getrieben hat und nur noch vollkommen Ungenießbares produziert? Oder spiegelt er nicht vielmehr darin sein eigenes Verfahren, das sich auf postmoderne Filmemacher wie Lynch, Tarantino oder Greenaway bezieht? Die Gestalt der Medusa, ein Anblick, der so schön und schrecklich zugleich ist, dass er den Anblickenden versteinert, ist der mythische Kern des Romans. Der philosophisch und mathematisch höchst versierte Autor folgt einer Ästhetik der Fraktale, bei der sich die Grundstrukturen auf jeder kleineren Ebene nach dem Prinzip der Selbstähnlichkeit wiederholen.
Die Gedankenfigur einer das menschliche Fassungsvermögen übersteigenden Erfüllung, ob als Lustgewinn, als Drogentrip, als Schönheit oder als Unterhaltung, findet sich auf jeder Seite und organisiert den Text stärker als eine herkömmliche, kausale Plotstruktur. Auch das überaus kryptische Ende des Romans lässt sich nicht deuten, wenn man nicht die konventionelle Logik der Narration verlässt und etwa zulässt, dass Figuren auf einer strukturellen Ebene miteinander verschmelzen können. Auch dann bleibt immer noch genug für hermeneutische Rätselfreaks. Mark Z. Danielewski, Wallace' genialischer Musterschüler, hat in seinem Meisterwerk "House of Leaves" diese Form philologischer Schnitzeljagd zur Perfektion getrieben.
Nur ein Beispiel: Aus den Anmerkungen ist zu erfahren, dass die Produktionsfirma der letzten Incandenza-Filme "Poor Yorick Entertainment Unlimited" heißt, was auf die Friedhofsszene in Hamlet anspielt, der der Romantitel "Infinite Jest" entlehnt ist: Yorick war der Hofnarr von unendlichem Witz, der nun ebenso unter der Erde liegt, wie James O. Incandenza mit seinem "trockenen Humor".
Ein philosophisches Streitgespräch von "Zauberberg"-Dimensionen zwischen einem amerikanischen Agenten und einem kanadischen (Rollstuhl-)Terroristen spitzt das Thema des Romans auf die politische Frage zu, ob die uneingeschränkte Freiheit des Einzelnen auch seine Selbstzerstörung einschließt, ja ob unter den Bedingungen der modernen Unterhaltungs- und Freizeitkultur der Einzelne noch autonome Entscheidungen treffen kann: Warum ist der "Unendliche Spaß" überhaupt illegal, wenn der Einzelne doch die freie Entscheidung treffen kann, sich grenzenlos, also eben auch tödlich unterhalten zu lassen? Warum nicht jedem die Droge geben, nach der er verlangt?
Um ein bekanntes Bonmot abzuwandeln: "Unendlicher Spaß" als einen Tennisroman zu bezeichnen ist so ähnlich, als würde man sagen, "Moby-Dick" handle vom Walfang. Und doch gelingen Wallace, selbst in jungen Jahren ein vielversprechender Profispieler, wunderschöne Beschreibungen der Faszinationskraft dieses Sports. Ebenso wird man in der Gegenwartsliteratur schwerlich vergleichbar dichte und beklemmende Bilder aus der Innenwelt der Sucht finden, vom titanischen Kampf des Willens gegen seine Entmachtung durch die Droge.
Unterhalb der Tennisakademie liegt eine Entzugsklinik, deren Insassen von David Foster Wallace mit großem Einfühlungsvermögen und Empathie porträtiert werden. Was zunächst wie der größte denkbare Kontrast aussieht, ist tatsächlich ein dunkles Spiegelbild der blitzsauberen Tennissockenwelt auf dem Hügel. Rund um den charismatischen Sozialarbeiter Don Gately, den zweiten Brennpunkt des Romans, entwickelt Wallace ein Kaleidoskop menschlicher Süchte: Gesundheitsfanatiker, Ruhmsüchtige, Alkoholiker, perverse Tierkiller. Schließlich gehört auch die Darstellerin der letzten Incandenza-Filme, eine cracksüchtige Femme fatale namens Madame Psychosis, die wegen ihrer unmenschlichen Schönheit stets verschleiert auftritt, zu den Insassen. Auch Medusa braucht ihren Stoff.
Bei einem Buch wie diesem klingt die Feststellung, es habe "Längen", absurd. Und doch erfordert vor allem der Mittelteil besonderes Stehvermögen. Man sollte aber der Versuchung widerstehen, ganze Kapitel zu überblättern. Denn nicht nur werden hier entscheidende Hinweise gegeben, auch läuft Wallace in mancher Miniatur zu Höchstform auf. So endet die liebevolle Beschreibung eines Trödelladens zweier französischstämmiger Brüder in einer atemraubenden Folter- und Mordszene, die einem Steven King alle Ehre machen würde. Immer wieder werden groteske Szenen aus dem Familienroman der Tennis- und Experimentalfilmdynastie mit hypernaturalistischen Passagen aus dem Junkie-Milieu versetzt, so dass plötzlich eine Schärfe und eine blitzende Gefährlichkeit in den Roman kommen, die es verbieten, sein Thema als eine Spielerei poststrukturalistisch verbildeter Intellektueller abzutun. Wer seine Beschreibungen von Drogenselbsthilfegruppen gelesen hat, wird Wallace auch da ernst nehmen, wo er nur zu spielen scheint.
Der Tod von David Foster Wallace jährt sich am 12. September zum ersten Mal. Dass nun, nach Jahren schwerster Übersetzungsarbeit, sein Hauptwerk auf Deutsch erscheint, ist ein Zufall des Verlagsgeschäfts, der die Rezeption des Buches hierzulande unvermeidlich bestimmen wird. Die Ausweglosigkeit vieler Figuren, die Ausführungen über Depressionen und den Wunsch, dem Leben ein Ende zu setzen, muss man einfach auf den Autor beziehen. Und doch ist dieses Werk viel mehr als nur Ausdruck einer gefährdeten Seele.
Obwohl manche seiner Zukunftsvisionen unserer Internet- und Smartphone-Welt heute fast rührend erscheinen (und anderes, etwa die ökologische Krise, übertrieben), ist sein kulturkritischer Kern von glühender Aktualität. "Infinite Jest" ist für den Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts das, was Musils "Mann ohne Eigenschaften" für das vergangene Jahrhundert war. Dazwischen passt dann noch "Gravity's Rainbow" von Thomas Pynchon, dessen gerade erschienener jüngster Roman "Inherent Vice" im Titel eine versteckte Hommage an Wallace enthält.
Dave Eggers hat in seinem Vorwort zu amerikanischen Taschenbuchausgabe - natürlich ironisch - die Frage gestellt, ob man verpflichtet sei, "Infinite Jest" zu lesen. Bislang konnte der deutschsprachige Leser sich dieser Pflicht entziehen, denn selbst mit guten Englischkenntnissen war das Original eine Zumutung. Zu Ulrich Blumenbachs unglaublicher Leistung könnte man vieles (Lobende) sagen. Dazu hier nur ein Satz: Sie macht es dem deutschen Leser so leicht wie nur möglich.
Wallace wusste, dass man den unendlichen Spaß nur mit seinen eigenen Waffen schlagen kann, mit einen Buch, das man nicht mehr weglegen will. Um die Medusa zu besiegen, muss man ihr einen Spiegel vorhalten.
David Foster Wallace: "Unendlicher Spaß". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ulrich Blumenbach. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009. 1548 S., geb., 39,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenn Schrecken und Spaß sich gegenseitig hochschrauben: Warum man den Roman "Unendlicher Spaß" von David Foster Wallace unbedingt lesen muss.
Von Richard Kämmerlings
Wenn man über Romane sagt, ihre Lektüre entschädige für die Anstrengung, sie sei eine Arbeit, die sich auszahlt und belohne die Hartnäckigkeit und Geduld des Lesers, oder welche der Kritikerphrasen mehr sind, dann lächeln die Verleger und ihre Pressedamen meist tapfer, obgleich sie wissen: Mit solch vergiftetem Lob werden sie kein Stück davon verkaufen. Wer mag sich schon gern selbst quälen?
Doch was tun mit einem Buch, das schon auf dem Umschlag mit dem Leser einen üblen Scherz zu treiben scheint? "Unendlicher Spaß" heißt da ein Roman, der doch allein schon ob seines schieren Umfangs von tausendfünfhundert Seiten unendliche Mühe verspricht. Soll man das etwa lustig finden, wenn man weiß, dass der Übersetzer jahrelang an der Eindeutschung seiner langen, irrwitzig verschachtelten Satzgebilde gearbeitet hat (F.A.Z. vom 18. August), dass der sprachverliebte Autor ein Faible für die Verwendung seltener, in keinem Wörterbuch zu findender Fremd- und Fachwörter hatte, dass das Buch Hunderte von Anmerkungen enthält, die sich insgesamt über 130 Seiten erstrecken und weitere Fußnoten enthalten? Soll das ein Witz sein?
David Foster Wallace, der genialische Autor dieses Werks, der sich nach jahrelangen Depressionen im vergangenen September das Leben nahm, war ein ernsthafter Mensch, unendlich ernsthaft, möchte man heute, nach seinem traurigen Ende, sagen. "Infinite Jest" ist ein moralisches, ja moralistisches Buch über den gegenwärtigen American way of life und damit über den Entwicklungsstand unserer Kultur. Es ist ein Buch über die Leere im innersten Zentrum unserer Gesellschaft, die der Einzelne mit Süchten, Zerstreuungen, Obsessionen und Unterhaltungen aller Art ersatzweise füllt und so verdeckt und verdrängt. Unendlicher Spaß ist das Codewort einer düsteren Zukunftsvision, als Endpunkt menschlicher Evolution bedeutet er den Tod der Kultur und den Tod des Subjekts - und zwar in einem ganz konkreten, nicht übertragenen Sinne. Dieses anstrengende, schwierige, die Geduld des Lesers strapazierende Buch mit dem Titel "Unendlicher Spaß" ist ein Gegengift.
Oberflächlich betrachtet ist "Infinite Jest" ein Science-Fiction-Roman, er spielt überwiegend in einer (beim Erscheinen des Originals 1996) nahen Zukunft, die ungefähr dem Jahr 2009 entspricht, in einem leicht, aber entscheidend modifizierten Nordamerika. Die Vereinigten Staaten haben sich mit Kanada und Mexiko zur "O.N.A.N.", der "Organization of North American Nations", vereinigt, in dem allerdings Teilen der Ostküste vor allem Kanadas die undankbare Rolle einer gigantischen Deponie hochradioaktiven Giftmülls zukommt. Dieses "experialistische" Staatsgebilde wird von einem ehemaligen Schlagersänger namens Johnny Gentle regiert; da man durch neue technische Entwicklungen in der Energieversorgung unabhängig ist, muss man sich um Außenpolitik nicht kümmern. Um die Steuereinnahmen zu erhöhen, hat man den Kalender an Sponsoren verkauft, man lebt im "Jahr des Whoppers" oder im "Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche" (in dem die Rahmenhandlung spielt). Ein Terrorismusproblem gibt es auch in dieser postfossilen Welt: Verschiedene québécois-kanadische Separatistengruppen wollen durch Anschläge die Unabhängigkeit erzwingen. Die gefährlichste unter ihnen sind die grotesk-unheimlichen "Assassins des Fauteuils Rollents", die "Rollstuhlattentäter".
Das Epizentrum der Handlung ist die "Enfield Tennis Academy" (die nicht zufällig E.T.A. abgekürzt wird) nahe Boston, eines jener für Amerika typischen privaten Drillinternate der Sampras und Agassis von morgen. Einer ihrer Musterschüler ist Hal Incandenza, ein sowohl sportlich als auch sprachlich hochbegabter Siebzehnjähriger, der ein in diesem Milieu offenbar vollkommen übliches Drogenproblem hat; vor brutalem Leistungsdruck und Konkurrenzkampf flüchtet sich hier jeder in irgendeine Sucht.
Hals Familie bildet das Grundgerüst der Romankonstruktion. Sein Vater James O. Incandenza gründete die Tennisakademie, nachdem er seine wissenschaftliche Arbeit im Bereich physikalischer Optik an den Nagel gehängt hatte, um fortan abgedrehte, post-postmoderne Experimentalfilme zu drehen und sich dem Alkoholismus zu ergeben. Hals Brüder Orin und Mario waren beziehungsweise sind ebenfalls Tennisschüler; die stets nur "Moms" genannte Mutter, eine zwangsneurotische Linguistin und Sprachpuristin, sowie ein Onkel gehören zur Akademieleitung. Höchste Erwartungen der Eltern, kindliches Begehren von Anerkennung, geschwisterliche Rivalität und Eifersucht gehören zur Grundausstattung dieser fragilen Familienkutsche, die zum Zeitpunkt der Rahmenhandlung vor allem von einem Trauma zusammengehalten wird: Der Wissenschaftler-und-Künstler-Übervater beging wenige Jahre zuvor Selbstmord, indem er seinen Kopf in eine speziell präparierte Mikrowelle steckte.
Nachdem der Leser gleich zu Beginn in ein ödipales Psychodrama verstrickt wird, dessen Dimensionen er kaum überschauen kann, entwickelt sich zugleich ein klassischer Thriller-Plot. Die letzte Arbeit, die Hals Vater vor seinem Selbstmord fertiggestellt hatte, war ein Film mit dem Titel "Unendlicher Spaß", der so unterhaltsam ist, dass er jeden auch nur flüchtigen Betrachter in einen irreversiblen Zustand komatöser Erstarrung versetzt: "All diese Leute sind jetzt in geschlossenen Anstalten. Gefügig und kontinent, aber leer wie die Tiefenebene eines vom Rückenmark gekappten Reptiliengehirns." An verschiedenen Orten tauchen Kopien dieser mörderischen "Unterhaltung" auf und amüsieren ihre nichtsahnenden Opfer zu Tode. Die kanadischen Terroristen setzen sich auf die Spur des Films, um durch seine Einspeisung in das nordamerikanische Kabelnetz eine Katastrophe auszulösen. Die Spaßgesellschaft soll mit ihren eigenen Waffen vernichtend geschlagen werden.
Vom Regisseur dieser tödlichen Lustbarkeit heißt es einmal, alle seine Arbeiten seien "grundsätzlich ironisch" gewesen: "Jims Humor war ein trockener Humor." Das besondere Verhältnis von Ernst und Ironie, von erzählerischem Realismus und postmoderner Aufhebung ist bei Wallace nicht nur Gegenstand ästhetischer Reflexion (am Beispiel der "Aprèsgarde"-Filme Incandenzas), sondern auch Formprinzip. Die stilistischen Mittel satirischer Überzeichnung werden ausgiebig eingesetzt, ohne dass sie der Ernsthaftigkeit der Aussage zuwiderliefen. So wird die ganze irre, blut-, schweiß- und tränentriefende Leistungssportwelt detailreich ausgemalt, mit vielen eindrücklichen Nebenfiguren, und zugleich ins Irreale und Absurde verschoben. Unter der Akademie erstreckt sich ein kafkaeskes Tunnelnetz; die Nachwuchsasse haben einen Zeitvertreib erfunden, der einen Nuklearkrieg mit Tennisbällen nachstellt und mit realen Verletzten endet. Immer wieder macht sich Wallace ausgiebig über den Therapeutentick der Amerikaner lustig, wo doch außer Frage steht, dass seine am Rande des Zusammenbruchs traumwandelnden Hauptfiguren dringend professionelle Hilfe brauchen.
Die pseudowissenschaftliche Verzweigungsstruktur, die bei der Lektüre in den Wahnsinn treiben kann, ist ebenfalls eine ironische Volte, da gerade hier wichtige Dinge passieren. Die ersten Anmerkungen erläutern lediglich, hilfreich und harmlos, einige Slang-Ausdrücke für Drogen. Dann plötzlich Anmerkung 24, die sich über zwölf Seiten erstreckt und eine vollständige, kommentierte Filmographie der Werke James O. Incandenzas bietet. Als Quelle wird dazu ein wissenschaftlicher Aufsatz angegeben: "Comstock/Posner/Duquette, ,Die Lachenden Pathologen: Exemplarische Werke der Antikonfluentiellen Aprèsgarde: Einige Analysen der Tendenz zur Stasis im nordamerikanischen Konzeptfilm'." Nicht nur taucht hier ganz beiläufig mit "Stasis" der zentrale Begriff von Wallace' Kulturkritik auf. Liest man die hanebüchenen Abstracts der fiktiven Filme aufmerksam, hat man einige Schlüssel für viele Rätsel des Buchs in der Tasche.
Zugleich kann man hier unter der Lupe studieren, wie sich bei Wallace Schrecken und Witz gegenseitig hochschrauben. Die Handlung des Films "Der Ehevertrag von Himmel und Hölle" wird so zusammengefasst: "Gott und Satan pokern mit Tarotkarten um die Seele eines alkoholabhängigen Snacktütenverkäufers, der von Berninis ,Verzückung der heiligen Theresa' besessen ist." "Spaß mit Zähnen" dagegen geht so: "35 mm; 73 Minuten; schwarzweiß; stumm mit nichtmenschlichem Gebrüll und Geheul. Parodie auf Kosinski/Updike/Peckinpah; Zahnarzt führt bei einem Akademiker, dem er eine Affäre mit seiner Frau unterstellt, sechzehn Wurzelkanalbehandlungen ohne Betäubung durch." Ein letztes, besonders wichtiges Beispiel ist "Medusa gegen Odaliske": "Mobile Hologramme zweier sichtlich todbringender mythischer Frauengestalten duellieren sich vor reflektierenden Flächen auf der Bühne, während ein Live-Publikum langsam versteinert." Je mehr man liest, desto komischer wird es. Es versteht sich, dass sich der Roman selbst ähnlich durchgeknallt zusammenfassen ließe, etwa so: Ein frankophones Terrorkommando in Rollstühlen macht Jagd auf eine Filmkopie, deren Betrachtung arabische Gesundheitsattachés zu windeltragenden, sabbernden Schwachmaten macht.
Macht sich Wallace hier selbst über eine Avantgarde lustig, die die Selbstreflexion bis zum Exzess getrieben hat und nur noch vollkommen Ungenießbares produziert? Oder spiegelt er nicht vielmehr darin sein eigenes Verfahren, das sich auf postmoderne Filmemacher wie Lynch, Tarantino oder Greenaway bezieht? Die Gestalt der Medusa, ein Anblick, der so schön und schrecklich zugleich ist, dass er den Anblickenden versteinert, ist der mythische Kern des Romans. Der philosophisch und mathematisch höchst versierte Autor folgt einer Ästhetik der Fraktale, bei der sich die Grundstrukturen auf jeder kleineren Ebene nach dem Prinzip der Selbstähnlichkeit wiederholen.
Die Gedankenfigur einer das menschliche Fassungsvermögen übersteigenden Erfüllung, ob als Lustgewinn, als Drogentrip, als Schönheit oder als Unterhaltung, findet sich auf jeder Seite und organisiert den Text stärker als eine herkömmliche, kausale Plotstruktur. Auch das überaus kryptische Ende des Romans lässt sich nicht deuten, wenn man nicht die konventionelle Logik der Narration verlässt und etwa zulässt, dass Figuren auf einer strukturellen Ebene miteinander verschmelzen können. Auch dann bleibt immer noch genug für hermeneutische Rätselfreaks. Mark Z. Danielewski, Wallace' genialischer Musterschüler, hat in seinem Meisterwerk "House of Leaves" diese Form philologischer Schnitzeljagd zur Perfektion getrieben.
Nur ein Beispiel: Aus den Anmerkungen ist zu erfahren, dass die Produktionsfirma der letzten Incandenza-Filme "Poor Yorick Entertainment Unlimited" heißt, was auf die Friedhofsszene in Hamlet anspielt, der der Romantitel "Infinite Jest" entlehnt ist: Yorick war der Hofnarr von unendlichem Witz, der nun ebenso unter der Erde liegt, wie James O. Incandenza mit seinem "trockenen Humor".
Ein philosophisches Streitgespräch von "Zauberberg"-Dimensionen zwischen einem amerikanischen Agenten und einem kanadischen (Rollstuhl-)Terroristen spitzt das Thema des Romans auf die politische Frage zu, ob die uneingeschränkte Freiheit des Einzelnen auch seine Selbstzerstörung einschließt, ja ob unter den Bedingungen der modernen Unterhaltungs- und Freizeitkultur der Einzelne noch autonome Entscheidungen treffen kann: Warum ist der "Unendliche Spaß" überhaupt illegal, wenn der Einzelne doch die freie Entscheidung treffen kann, sich grenzenlos, also eben auch tödlich unterhalten zu lassen? Warum nicht jedem die Droge geben, nach der er verlangt?
Um ein bekanntes Bonmot abzuwandeln: "Unendlicher Spaß" als einen Tennisroman zu bezeichnen ist so ähnlich, als würde man sagen, "Moby-Dick" handle vom Walfang. Und doch gelingen Wallace, selbst in jungen Jahren ein vielversprechender Profispieler, wunderschöne Beschreibungen der Faszinationskraft dieses Sports. Ebenso wird man in der Gegenwartsliteratur schwerlich vergleichbar dichte und beklemmende Bilder aus der Innenwelt der Sucht finden, vom titanischen Kampf des Willens gegen seine Entmachtung durch die Droge.
Unterhalb der Tennisakademie liegt eine Entzugsklinik, deren Insassen von David Foster Wallace mit großem Einfühlungsvermögen und Empathie porträtiert werden. Was zunächst wie der größte denkbare Kontrast aussieht, ist tatsächlich ein dunkles Spiegelbild der blitzsauberen Tennissockenwelt auf dem Hügel. Rund um den charismatischen Sozialarbeiter Don Gately, den zweiten Brennpunkt des Romans, entwickelt Wallace ein Kaleidoskop menschlicher Süchte: Gesundheitsfanatiker, Ruhmsüchtige, Alkoholiker, perverse Tierkiller. Schließlich gehört auch die Darstellerin der letzten Incandenza-Filme, eine cracksüchtige Femme fatale namens Madame Psychosis, die wegen ihrer unmenschlichen Schönheit stets verschleiert auftritt, zu den Insassen. Auch Medusa braucht ihren Stoff.
Bei einem Buch wie diesem klingt die Feststellung, es habe "Längen", absurd. Und doch erfordert vor allem der Mittelteil besonderes Stehvermögen. Man sollte aber der Versuchung widerstehen, ganze Kapitel zu überblättern. Denn nicht nur werden hier entscheidende Hinweise gegeben, auch läuft Wallace in mancher Miniatur zu Höchstform auf. So endet die liebevolle Beschreibung eines Trödelladens zweier französischstämmiger Brüder in einer atemraubenden Folter- und Mordszene, die einem Steven King alle Ehre machen würde. Immer wieder werden groteske Szenen aus dem Familienroman der Tennis- und Experimentalfilmdynastie mit hypernaturalistischen Passagen aus dem Junkie-Milieu versetzt, so dass plötzlich eine Schärfe und eine blitzende Gefährlichkeit in den Roman kommen, die es verbieten, sein Thema als eine Spielerei poststrukturalistisch verbildeter Intellektueller abzutun. Wer seine Beschreibungen von Drogenselbsthilfegruppen gelesen hat, wird Wallace auch da ernst nehmen, wo er nur zu spielen scheint.
Der Tod von David Foster Wallace jährt sich am 12. September zum ersten Mal. Dass nun, nach Jahren schwerster Übersetzungsarbeit, sein Hauptwerk auf Deutsch erscheint, ist ein Zufall des Verlagsgeschäfts, der die Rezeption des Buches hierzulande unvermeidlich bestimmen wird. Die Ausweglosigkeit vieler Figuren, die Ausführungen über Depressionen und den Wunsch, dem Leben ein Ende zu setzen, muss man einfach auf den Autor beziehen. Und doch ist dieses Werk viel mehr als nur Ausdruck einer gefährdeten Seele.
Obwohl manche seiner Zukunftsvisionen unserer Internet- und Smartphone-Welt heute fast rührend erscheinen (und anderes, etwa die ökologische Krise, übertrieben), ist sein kulturkritischer Kern von glühender Aktualität. "Infinite Jest" ist für den Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts das, was Musils "Mann ohne Eigenschaften" für das vergangene Jahrhundert war. Dazwischen passt dann noch "Gravity's Rainbow" von Thomas Pynchon, dessen gerade erschienener jüngster Roman "Inherent Vice" im Titel eine versteckte Hommage an Wallace enthält.
Dave Eggers hat in seinem Vorwort zu amerikanischen Taschenbuchausgabe - natürlich ironisch - die Frage gestellt, ob man verpflichtet sei, "Infinite Jest" zu lesen. Bislang konnte der deutschsprachige Leser sich dieser Pflicht entziehen, denn selbst mit guten Englischkenntnissen war das Original eine Zumutung. Zu Ulrich Blumenbachs unglaublicher Leistung könnte man vieles (Lobende) sagen. Dazu hier nur ein Satz: Sie macht es dem deutschen Leser so leicht wie nur möglich.
Wallace wusste, dass man den unendlichen Spaß nur mit seinen eigenen Waffen schlagen kann, mit einen Buch, das man nicht mehr weglegen will. Um die Medusa zu besiegen, muss man ihr einen Spiegel vorhalten.
David Foster Wallace: "Unendlicher Spaß". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ulrich Blumenbach. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009. 1548 S., geb., 39,95 [Euro].
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"Alles und noch mehr' könnte eine Beschreibung dieses Romans sein. -- Don DeLillo
Das Buch ist 1646 Seiten dick, und es gibt nicht einen einzigen müßigen Satz ... Ich las das Buch mit 25 und ich verbrachte einen Monat mit nichts anderem ... Wenn Sie nach einem Monat Lektüre aus diesen Seiten heraustreten, sind Sie ein besserer Mensch. Es ist verrückt, aber auch schwer zu leugnen. Ihr Verstand ist gestärkt, weil er einen Monat lang trainiert wurde, und was noch wichtiger ist, Ihr Herz ist praller. -- Dave Eggers aus dem Vorwort 2006
Das Buch ist 1646 Seiten dick, und es gibt nicht einen einzigen müßigen Satz ... Ich las das Buch mit 25 und ich verbrachte einen Monat mit nichts anderem ... Wenn Sie nach einem Monat Lektüre aus diesen Seiten heraustreten, sind Sie ein besserer Mensch. Es ist verrückt, aber auch schwer zu leugnen. Ihr Verstand ist gestärkt, weil er einen Monat lang trainiert wurde, und was noch wichtiger ist, Ihr Herz ist praller. -- Dave Eggers aus dem Vorwort 2006
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Dies Buch, verkündet Rezensentin Angela Schader fröhlich gleich zu Beginn ihrer Rezension, ist so gebaut, dass man nach einem ersten Durchgang durch die knapp 1600 Seiten gleich wieder von vorne anfangen kann - erst dann nämlich erschließe sich schon das erste Kapitel so richtig. Aus ihrer Besprechung kann man wohl schließen, dass sich sowohl die erste wie womöglich auch weitere Lektüren durchaus lohnen. Die recht ausführliche Inhaltsangabe geht zunächst auf die Geschichte der protagonistischen Familie Incandenza ein. Der Vater war Filmemacher, dann Gründer jener Tennisakademie, die ein zentraler Schauplatz des Romans ist. Dort findet auch eine Art Tennisturnier mit nuklearen Sprengköpfen statt, das "Eschnaton" heißt und von Schader gleichfalls beschrieben wird. Das Hauptwerk des James Incandenza ist ein Film des Titels "Unendlicher Spaß", dessen Betrachtung leider zur Ausschaltung sämtlicher Geistesfunktionen führt. Weiterer Schauplatz: die Drogen-Entzugsanstalt Ennet House, der der - versehentliche - Mörder Don Gately vorsteht. Von großer Wichtigkeit sind die Programme der Anonymen Alkoholiker, wie überhaupt Drogen und Sucht auf allen Ebenen ein zentrales Motiv des Romans sind. Die Rezensentin leugnet nicht, dass die Lektüre des Buchs eine durchaus "strapaziöse" Sache sein kann, insbesondere, wenn etwa zur Hälfte sämtliche "Leitideen" erst mal entfaltet sind. Mindestens eines aber entschädigt für alle Mühen: der "sprachliche Reichtum" des Buches, den der Übersetzer Ulrich Blumenbach ins Deutsche gebracht hat. Nicht zuletzt ihm möchte Schader einen "dicken Lorbeerkranz winden".
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Man muss es lesen, jetzt, es wird zusehends gegenwärtiger.« Frankfurter Rundschau 20161231
"Harald Schmidt treibt einem mit dem sprichwörtlichen Abkacken des Extremdrogisten "Poor Tony Krause" den Schauer in die Ohren."