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Liebe, Politik und Alltag in mittelalterlichen Frauenklöstern
Frauen, die im Mittelalter im Kloster lebten, waren keineswegs »unerhört« im Sinne von wirkungslos, im Gegenteil. Ihre Gemeinschaften waren oftmals mächtige Institutionen, und sie sahen sich selbst in einer höchst einflussreichen Position, da sie durch ihre Lebensform wie niemand sonst das Ohr des »höchsten Königs« hatten. Dass Gott sie erhörte, war auch die Überzeugung der mittelalterlichen Gesellschaft und verlieh den geistlichen Frauen einen besonderen Status, der sich nicht nur politisch, wirtschaftlich und kulturell…mehr

Produktbeschreibung
Liebe, Politik und Alltag in mittelalterlichen Frauenklöstern

Frauen, die im Mittelalter im Kloster lebten, waren keineswegs »unerhört« im Sinne von wirkungslos, im Gegenteil. Ihre Gemeinschaften waren oftmals mächtige Institutionen, und sie sahen sich selbst in einer höchst einflussreichen Position, da sie durch ihre Lebensform wie niemand sonst das Ohr des »höchsten Königs« hatten. Dass Gott sie erhörte, war auch die Überzeugung der mittelalterlichen Gesellschaft und verlieh den geistlichen Frauen einen besonderen Status, der sich nicht nur politisch, wirtschaftlich und kulturell manifestierte, sondern es ihnen auch erlaubte, unerhört wirksam zu werden.

Warum wissen wir heute so wenig über das Leben im mittelalterlichen Frauenkloster? Weil die Forschung bislang fast ausschließlich auf männliche Autoren zurückgreifen konnte. In »Unerhörte Frauen« aber kommen die Nonnen erstmals selbst zu Wort: Aus ihren Tagebüchern und Briefen erfahren wir, wie die Frauen dachten, glaubten und liebten. Henrike Lähnemann und Eva Schlotheuber geben einen faszinierenden Einblick in das Leben in Klausur - damals wie heute eine Option für Frauen, die Unerhörtes leisten.
Autorenporträt
Henrike Lähnemannerhielt als erste Frau einen Lehrstuhl an der Faculty of Medieval and Modern Languages der University of Oxford, wo sie deutsche Literatur des Mittelalters lehrt und zu Text- und Bildzeugnissen aus den norddeutschen Frauenklöstern arbeitet.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

"Einen fachkundigen Einblick" gewähren die Mediävistinnen Lähnemannn und Schlotheuber laut Rezensentin Andrea Roedig hinter die Mauern der Nonnen-Klöster im 15. und 16. Jahrhundert, das von einer Klosterreform, der Reformation und der Pest gezeichnet war. Die Rezensentin ist fasziniert von den Quellen, die von den Autorinnen herangeführt werden und die das Bild von bürgerlichen Frauen zeichnen, die für das Seelenheil ihrer Familie wie für das eigene ins Kloster eintraten. Dabei blieben sie aber zu jeder Zeit unter männlicher Vormundschaft, bemerkt Roedig, und lebten nach einem durchstrukturierten Zeitplan. Die Rezensentin scheint durch das Buch viele neue Einsichten in das Leben der Nonnen gewonnen zu haben.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.06.2023

Spirituelle Führungskräfte

Einblicke ins Klosterleben: Henrike Lähnemann und Eva Schlotheuber bringen die Stimmen

geistlicher Frauen im Mittelalter zu Gehör.

Was wissen wir eigentlich vom Leben und Wirken geistlicher Frauen in mittelalterlichen Klöstern? Im Grunde wenig, so der Ausgangsbefund von Henrike Lähnemann und Eva Schlotheuber. Mit diesem Buch lösen die beiden Autorinnen ein Desiderat gegenüber einem breiten Publikum ein, das in der Forschung bereits seit einigen Jahrzehnten wahrgenommen wird. Dennoch klaffen Forschungsergebnisse und populäre Wahrnehmungen weit auseinander, halten sich gerade bei geschlechter- und religionsgeschichtlichen Themen alte Klischees zu Rollenbildern.

Die Stimmen geistlicher Frauen im Mittelalter waren - so der programmatische Titel des Buches - "unerhört" im doppelten Sinn: So außergewöhnlich ihre Bedeutung und Wirksamkeit in den hier vorgestellten Lebenswelten des fünfzehnten Jahrhunderts waren, so sehr wurden sie lange Zeit von der Nachwelt ignoriert. Das hat mit der teils fragmentarischen Überlieferung ebenso zu tun wie mit der Geschichte von Reformation und Konfessionalisierung, mit heute noch bestehenden Hierarchien innerhalb der katholischen Kirche, vielleicht aber am meisten mit der Geschichte der einschlägigen Forschung selbst, die besonders seit dem neunzehnten Jahrhundert vorwiegend männliche Akteure in den Blick nahm. Noch heute ist in vielen Handbüchern zwar von Klerikern und Mönchen die Rede; ihr weibliches Pendant findet hingegen deutlich seltener Erwähnung.

Doch von den frühchristlichen Gemeinschaften an bis zu den heterogenen Ordens- und Klosterlandschaften im vorreformatorischen Europa des fünfzehnten Jahrhunderts erfüllten geistliche Frauen zentrale spirituelle und intellektuelle, soziale und politische Aufgaben. Sie agierten als Führungskräfte von Gemeinschaften, die den Umfang heutiger mittlerer Unternehmen hatten, und als Trägerinnen einflussreicher Bildungsstätten. Mittelalterliche Klöster waren geistliche, intellektuelle und oft auch ökonomische Zentren von erheblichem Einfluss. Die dort tätigen Spezialisten beiderlei Geschlechts waren durch ihre Gebetsdienste maßgeblich für die in der damaligen Glaubenswelt zentrale Sorge um das Seelenheil ihrer Mitmenschen zuständig. Geistliche Menschen hatten in diesem Erwartungshorizont gleichzeitig Vorbild- und Vermittlerfunktionen zu Gott selbst ebenso wie zur Vielzahl an mittelalterlichen Heiligen. Geistliche Frauen wurden darüber hinaus als "Bräute Christi" wahrgenommen und erfuhren demgemäß besondere Wertschätzung - wer konnte Christus unter den Lebenden näher sein als sie?

Henrike Lähnemann und Eva Schlotheuber haben beide in jahrzehntelanger Forschungstätigkeit die Grundlagen für das faszinierende Tableau erarbeitet, das sie in diesem Buch präsentieren. Es basiert auf einer Fülle verschiedener Überlieferungsformen aus den niederdeutschen Frauenklöstern Medingen, Lüne und Heiligkreuz bei Braunschweig. Neben Handschriftenbeständen mit geistlichen Inhalten, wie sie aus vielen mittelalterlichen Klöstern erhalten sind, umfassen die vorgestellten Quellen einzigartige Stücke wie das Konventstagebuch einer Heiligkreuzer Nonne, das sie über zwanzig Jahre wohl bis zu ihrer Erkrankung an der Pest 1507 führte, Andachtsbücher der Zisterzienserinnen von Medingen und eine Sammlung von knapp 1800 Briefen, welche die Lebenswelt und die vielfältigen Beziehungen der Benediktinerinnen von Lüne über hundert Jahre hinweg, von 1460 bis 1560, dokumentieren. Diese Quellen geben in ihrer Praxisnähe einzigartige Einblicke in das Klosterleben, seinen geistlichen Horizont und seine materiellen Rahmenbedingungen, in seinen täglichen Ablauf ebenso wie in seine Außenbeziehungen.

Mehr noch: Die drei hier vorgestellten Klöster und zum Vergleich herangezogenen Gemeinschaften zeichnen sich neben den bemerkenswerten schriftlichen Überlieferungen durch den Erhalt außergewöhnlicher Zeugnisse bildlicher und materieller Kultur aus. Es ist ein besonderes Verdienst dieses reich ausgestatteten Buches, dass herausragende Werke wie die Ebstorfer Weltkarte, die Bildteppiche aus den Klöstern Heiningen und Wienhausen oder die Fresken des Nonnenchors von Wienhausen gemeinsam mit den Bildprogrammen der vorgestellten Handschriften, materiellen Objekten und den schriftlichen Quellen erläutert werden. So entsteht ein umfassendes Bild eines Lebensraums und einer Lebensweise, die spirituell-theologisches Lernen mit einer Fülle von praktischen Wissensbeständen verknüpften.

Jedes Kapitel beginnt mit der Wiedergabe und Erläuterung eines schriftlichen Zeugnisses, das es den Autorinnen erlaubt, die Stimmen der Akteurinnen selbst in ihrem historischen Kontext zu verorten. So gelingt es, die wichtigsten Dimensionen geistlichen Lebens in spätmittelalterlichen Klöstern Stück für Stück in neuen Perspektiven zu entfalten. Das einleitende Kapitel zur Klausur, dem räumlich abgeschlossenen Leben der Nonnen, wird etwa aus einer Ausnahmesituation heraus entwickelt - als nämlich die Heiligkreuzer Nonnen zwischen die Fronten von Stadt und Herzog gerieten und sich gezwungen sahen, die schützende Klausur ihres Konvents zugunsten einer temporären Unterkunft in Braunschweig aufzugeben. Die zeitgenössische Dokumentation dieser Schutzlosigkeit im Konventstagebuch einer namentlich nicht bekannten Nonne dient den Autorinnen als Ausgangspunkt, die Besonderheit des Lebensraums Kloster zu entfalten - und später anhand der Ebstorfer Weltkarte in seinen regionalen wie heilsgeschichtlichen Bezügen zu erläutern.

In derselben Weise sind die folgenden Kapitel zu Ausbildung und Bildung der Nonnen, ihrem Familienumfeld und weiteren sozialen und politischen Netzwerken, zum Reformeifer des fünfzehnten Jahrhunderts und der besonderen Rolle, welche die Musik dabei spielte, sowie den grundlegenden Veränderungen während der Reformation angelegt. Der Bogen findet seinen Abschluss in einer Darstellung des Ineinandergreifens zeitgenössischer Vorstellungen der Gemeinschaft der Lebenden und der Toten. Sie äußern sich ebenso in der Präsenz des Todes mitten im Leben, exemplifiziert durch das von Ritualen begleitete Sterben in der Gemeinschaft, wie in den durch vielfältige Bild- und Architekturprogramme nachvollziehbaren Jenseitsvorstellungen.

Diese aus der Überlieferung entwickelte Darstellung zeigt nicht nur die Bedeutung geistlicher Frauen im europäischen Mittelalter und verdeutlicht die Vielschichtigkeit ihrer Lebensentwürfe und des Zusammenwirkens mit dem weltlichen Sozialgefüge. Die Autorinnen modifizieren darüber hinaus ein weiteres hartnäckiges Klischee: Dem Bild einer umfassenden "Krise" des Spätmittelalters, gekennzeichnet durch religiösen "Niedergang", setzt diese Geschichte der "unerhörten Frauen" zu Recht jenes von Aufbruch und Erneuerung lange vor Beginn der Reformation des sechzehnten Jahrhunderts entgegen, das uns erlaubt, Geschichte über klassische Epochengrenzen hinaus zu denken. CHRISTINA LUTTER

Henrike Lähnemann / Eva Schlotheuber: "Unerhörte Frauen". Die Netzwerke der Nonnen im Mittelalter.

Propyläen Verlag, Berlin 2023. 224 S., Abb., geb., 26,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Ein umfassendes Bild einer Lebensweise, die spirituell-theoretisches Lernen mit einer Fülle von praktischen Wissensbeständen verknüpft.« Christina Lutter Frankfurter Allgemeine Zeitung 20230614