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Egon Schwarz wurde 1938 als Sechzehnjähriger von den Nazis aus Österreich vertrieben und zog in einer ein Dutzend Jahre währenden Irrfahrt durch die halbe Welt. Als Hilfsarbeiter, Hausierer, Laufbursche, Dolmetscher und in etlichen anderen aus der Not geborenen Berufen schlug er sich mehr schlecht als recht durch, bis er gegen alle Wahrscheinlichkeit noch seinen Lebenswunsch verwirklichen und studieren konnte. Heute, nach Professuren in Harvard und St. Louis, ist Egon Schwarz einer der renommiertesten Germanisten der USA. Sein berühmter Lebensbericht, der hier erstmals in einer…mehr

Produktbeschreibung
Egon Schwarz wurde 1938 als Sechzehnjähriger von den Nazis aus Österreich vertrieben und zog in einer ein Dutzend Jahre währenden Irrfahrt durch die halbe Welt. Als Hilfsarbeiter, Hausierer, Laufbursche, Dolmetscher und in etlichen anderen aus der Not geborenen Berufen schlug er sich mehr schlecht als recht durch, bis er gegen alle Wahrscheinlichkeit noch seinen Lebenswunsch verwirklichen und studieren konnte. Heute, nach Professuren in Harvard und St. Louis, ist Egon Schwarz einer der renommiertesten Germanisten der USA. Sein berühmter Lebensbericht, der hier erstmals in einer Paperback-Ausgabe vorliegt, ist, nicht zuletzt weil die sozialen Bedingungen an jedem der vielen Aufenthaltsorte anschaulich werden, ein ebenso berührendes wie aufschlußreiches biographisches Dokument und ein bedeutender Beitrag zur deutschen Exilliteratur.
Autorenporträt
Egon Schwarz, geb. 1922 in Wien, lebt heute in St. Louis (USA). Er ist Verfasser vieler anerkannter literaturwissenschaftlicher und literaturkritischer Arbeiten.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nicht nur beeindruckt, sondern regelrecht ergriffen zeigt sich Rezensentin Susanne Klingenstein von Egon Schwarz' Autobiografie. Dazu trägt der "formal vollendete" Stil des Buches bei, der ohne jede Verklärung oder unnötige Emotion das Schicksal Schwarz' und seiner Bekannten: angefangen von den Mitgliedern der Familie, denen die Flucht vor der Vernichtung nicht gelang, über die Wiener Juden bis zu den ausgebeuteten Indios in den Bergwerken Boliviens, wo der Autor zwei Jahre lang arbeiten musste. Wichtig sei auch Schwarz' Hinweis am Ende seines Berichtes, dass ihm aller Überlebenswille und auch alle Fähigkeiten nichts genutzt hätten, wenn ihm nicht im entscheidenden Moment hier und da andere Menschen geholfen hätten. Ein "aufrüttelndes" Buch, resümiert die Rezensentin.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.02.2006

Simplicissimus in großem Getöse
Die Lebenserinnerungen des amerikanischen Germanisten Egon Schwarz sind ein großes Überlebensdokument
Egon Schwarz hat das Inferno überlebt. Auf der Flucht vor den Konzentrationslagern ist er, wie in einem bösen Traum, an einen Ort gelangt, den man sich ausgesetzter, bedrohlicher und menschenvernichtender nicht denken kann. „Im Hüttengelände”, erinnert sich Schwarz, „war man umtobt von einem gigantischen Getöse, das nicht nur die Ohren betäubte, sondern den Kopf durchdrang und den ganzen Körper mitvibrieren ließ. Das mit der Seilbahn hoch vom Berg herangeschleppte Erz donnerte in einen überdimensionalen, hölzernen Silo, zyklopische Zerkleinerer und Mahlmaschinen knackten und krachten nervenerschütternd”. Das ist nicht Workuta, und der junge Mann, der hier vom Nachtwächter aufwärts alle möglichen Funktionen bekleiden wird, ist kein Zwangsarbeiter. Im Gegenteil: Dem jungen Wiener Juden, der um Haaresbreite dem KZ entkommen ist, muss die grauenvolle Zinngrube von Potosí in den bolivianischen Anden wie ein Reich der Freiheit erschienen sein.
Egon Schwarz hat das Inferno von Potosí überlebt und ist dann doch noch geworden, was er immer werden wollte, nämlich Literaturhistoriker, an einer amerikanischen Universität. „Keine Zeit für Eichendorff” hießen diese Lebenserinnerungen, als sie 1992 erstmals erschienen. Nun hat sie der Verlag C. H. Beck dankenswerterweise neu aufgelegt, ergänzt um ein Nachwort von Uwe Timm. Darin weist Timm auf die Verwandtschaft von Schwarz’ Lebenserzählung mit dem „Simplicissimus” hin. Wie Grimmelshausens Held wird der junge Mann in eine turbulente Welt geschleudert und kann sich seine Abenteuer nicht aussuchen. Und wie dieser überlebt er alle Zumutungen, aber nicht, weil er ein Simplex ist, sondern weil ihm das Talent gegeben ist, sich noch an die grässlichsten Umgebungen anzupassen und ihnen dank seiner offenbar angeborenen „Schicksalsgesundheit” (wie Doderer es nennt) das Beste abzugewinnen. Auch dem Autor selbst erscheint das Pikareske als das Formgesetz seines Lebens. Zugleich ist dieser Pikaro ein versprengter Erbe des deutschen Bildungsromans.
Auch wenn Schwarz in diesen Erinnerungen das Eine oder Andere von sich preisgibt, so interessieren ihn doch die bedingenden Umstände, die Prägungen stärker als deren Folgen für ein Individuum. Weil das so ist, beginnen diese Erinnerungen mit den Worten: „In der Kindheit ist der frei sich selbst bestimmenden Individualität offensichtlich wenig Spielraum gegönnt.” Schon die Wiener Jugend des Erzählers ist auf ihre Weise „unfreiwillig” gewesen, bedingt von Faktoren, die, wie er sagt, nicht der eigenen Auswahl „unterstehen”. Das beginnt mit der Geburt, deren Zeitpunkt nach Schwarz’ Dafürhalten „schlecht gewählt” war: vorbei die K.u.K.-Herrlichkeit, statt dessen eine Kette von Wirtschaftskrisen und ein giftiger werdender Antisemitismus. Wenn Schwarz von seinen frühen Wiener Jahren erzählt, dann erzählt er nie einfach von sich, sondern von seinesgleichen, von einem bestimmten jüdischen Milieu in Wien, durch das der Riss ging zwischen den überlieferten Lebensweisen und der Assimilation an eine idealisierte deutsche Kultur. Während er aber von seinesgleichen erzählt, tritt uns aufs Deutlichste der junge Egon Schwarz vor Augen, ein überaus wachsames, lernbegieriges Kind, das sehr früh entschlossen scheint, die eigenen Bedingungen zu überschreiten und sich nolens volens dem „Ungreifbaren” auszusetzen, „das man in Ermangelung präziserer Bezeichnungen Glück, Schicksal, Zufall nennt.” „Was für eine Zeit. Was für ein Leben. Was für ein Buch”, schreibt Uwe Timm in seinem Nachwort. Egon Schwarz’ Schelmen-, Bildungs- und Abenteuerroman seiner Flucht vor Hitler könnte eines der kanonischen Überlebens-Dokumente des 20. Jahrhunderts werden.
CHRISTOPH BARTMANN
EGON SCHWARZ: „Unfreiwillige Wanderjahre. Auf der Flucht vor Hitler durch drei Kontinente”. Mit einem Nachwort von Uwe Timm. Verlag C. H. Beck, München 2005. 260 S., 12, 90 Euro
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.11.2006

Ins Wort gerettet
Lebensroman eines Schicksalhaften: Egon Schwarz erzählt

In der reichen und vielfältigen Memoirenlandschaft, die die Flüchtlinge vor Hitlers Terror im Lauf der Jahrzehnte geschaffen haben, nehmen die Erinnerungen des Literaturhistorikers Egon Schwarz einen besonderen Platz ein. Sie stellen, um im Bild zu bleiben, einen ganz eigenen, nur von ihnen besetzten Gipfel auf dem weiten Feld des Abgründigen und Ungeheuerlichen dar. Denn nur selten hatte es Juden aus Wien so total, so mittellos, so ohne jede Möglichkeit weiteren Entkommens in die finsterste Kolonialzeit verschlagen wie die Familie Schwarz am Ende ihrer Verzweiflungsfahrt in die Bergbaugebiete Boliviens. Und noch seltener ist einer der Verschlagenen in die Welt des europäischen Intellekts zurückgekehrt, um in einer formal vollendeten, von aller Romantik, Emotion und Schönrednerei gereinigten Autobiographie vom Leben in der feudalistischen Hölle der Anden Bericht zu erstatten.

Dabei hatte es das Schicksal zunächst so schlecht mit Egon Schwarz nicht gemeint. Er kam 1922 im verarmten Wien der Republik als einziger Sohn jüdischer Kleinbürger zur Welt, die den Sprung aus der Provinz in die Hauptstadt gewagt hatten. Obgleich dem Vater der materielle Aufstieg nicht gelang, schickte er den begabten Sohn aufs Gymnasium. Es wurde dem Sohn zur psychischen Qual. Nach dem Einmarsch Hitlers floh die Familie illegal nach Preßburg (Bratislava), wurde dort festgenommen und zusammen mit mehreren hundert anderen gesellschaftlich Ausgestoßenen im Niemandsland zwischen der Slowakei und Ungarn einfach abgesetzt.

Aus dieser Vorhölle gelang wiederum die Flucht zunächst zurück nach Preßburg und von dort nach Prag, wo der Familie im Februar 1939 ein Einreisevisum nach Bolivien erteilt wurde. Jüdische Hilfsorganisationen in Paris stellten das Reisegeld zur Verfügung. "Ordunã", die Krähe, brachte die Familie übers Meer nach Chile. Noch eine Zugfahrt von sechzehn Stunden, und die Wiener Flüchtlinge standen auf dem Bahnhof von La Paz. Sie würden die einzigen Überlebenden ihres großen Clans sein. Doch das würden sie noch lange nicht wissen. Die nächsten sechs Jahre waren sie vollständig auf materielle und psychische Probleme zurückgeworfen. Zwischen ihnen und der einheimischen Bevölkerung "klaffte ein unüberbrückbarer Abgrund von Kulturäonen".

Schwarz beschreibt eindringlich die feudalistisch segregierte Struktur der Bevölkerung, die totale Isolation der Emigranten und den rapiden materiellen Abstieg seiner Familie, der sich physisch im Umzug in stets kleinere Provinznester ausdrückte, wo durch das eine oder andere Geschäftsunternehmen den verarmten Indios noch die Centimos zum eigenen Überleben aus der Tasche gelockt werden mußten. Schwarzens eigener Tiefpunkt scheint erreicht, als er mit seinem Hausiererkoffer in der toteinsamen, windgepeitschten Erzgrube Pulacayo ankommt, um mit einem Plakat auf dem Rücken seine Socken, Kämme und Seifen anzupreisen.

Doch es geht noch tiefer. Die Arbeit in den berüchtigten Minen von Potosí liegt noch vor ihm. Dort erst ist er in der Hölle, wird Teil und Zeuge der brutalen Ausbeutung der Indios durch internationale Gesellschaften. Doch weil Schwarz Europäer ist, obgleich als Jude nur ein Europäer unterster Stufe, gelingt es ihm nach zwei Jahren, im Spätherbst 1944, den Minen körperlich zu entkommen. Seelisch bleiben sie ihm eingeschrieben und bestimmen fortan sein Verhältnis zu Kapitalismus und Kultur. Monate in Chile und Jahre in Ecuador als Buchhalter der United Fruit Company folgen. Das Schicksal scheint Schwarz nun im trüben Tümpel südamerikanischer Kleinbürgerlichkeit verenden lassen zu wollen.

Doch da geschieht es: Gallige Bitternis darüber, nicht studiert haben zu können, und geballte Unzufriedenheit mit seinem stupiden Job treiben Schwarz noch einmal zu einer massiven Anstrengung an. Er verschafft sich die rettende Matura und schreibt sich an einer Provinzuniversität Ecuadors zum Studium ein. Von hier gelingt ihm der Sprung an eine amerikanische Universität. Was sich hinter "verschafft" und "gelingt" verbirgt, sind Abenteuer, Anstrengungen und die unwahrscheinlichsten aller Zufälle, die eindrücklichst vorführen, wie wenig ein aus seiner Sozialsphäre gerissener Mensch Herr über sein Schicksal ist.

So kulminiert denn der Lebensbericht von Egon Schwarz, der 1991 als renommierter Germanist an der Washington University in St. Louis, Missouri, emeritiert wurde, in der Erkenntnis, daß "mir alles Wollen und Tun nichts genutzt hätte", wenn nicht an entscheidenden Punkten des Lebens ein Mensch - sei es ein Paul Rosenzweig in Cartagena oder ein Bernhard Blume in Columbus, Ohio - sich zur tatkräftigen Hilfe verstanden hätte.

Trotz des guten Ausgangs für den Autobiographen selbst sind diese kühlen Memoiren ein aufrüttelndes Buch, denn sie begnügen sich nicht damit, den Leser einen Blick in die existentiellen Qualen einiger Emigranten tun zu lassen; sie zwingen ihn zu der Erkenntnis, daß sich hinter der reichen Memoirenlandschaft der ins Wort Geretteten die unendlichen Gefilde der Stummen auftun, der Indios und jener Emigranten, für die es die Glücksbegegnung mit dem rettenden Menschen nicht gab.

SUSANNE KLINGENSTEIN

Egon Schwarz: "Unfreiwillige Wanderjahre". Auf der Flucht vor Hitler durch drei Kontinente. Mit einem Nachwort von Uwe Timm. C. H. Beck Verlag, München 2005. 260 S., geb., 12,90 [Euro].

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