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Die hier vorliegende Schrift ist aus dem Text eines Vortrages erwachsen, den ich anläßlich des vierzigsten Jahrestages der Ungarischen Revolution von 1956 an der Universität Heidelberg, veranstaltet vom Historischen Seminar unter Mitwirkung des Seminars für Alte Geschichte, am 29. Oktober 1996 vor etwa 250 Hörern hielt. Mehrere von ihnen legten mir nahe, den Text des Vortrages zu veröffentlichen. Ich habe mich dazu, wenn auch nicht ohne Zögern, aus mehreren Gründen entschlossen.

Produktbeschreibung
Die hier vorliegende Schrift ist aus dem Text eines Vortrages erwachsen, den ich anläßlich des vierzigsten Jahrestages der Ungarischen Revolution von 1956 an der Universität Heidelberg, veranstaltet vom Historischen Seminar unter Mitwirkung des Seminars für Alte Geschichte, am 29. Oktober 1996 vor etwa 250 Hörern hielt. Mehrere von ihnen legten mir nahe, den Text des Vortrages zu veröffentlichen. Ich habe mich dazu, wenn auch nicht ohne Zögern, aus mehreren Gründen entschlossen.
Autorenporträt
Géza Alföldy, geboren 1935, studierte von 1953 bis 1958 an der Universität Budapest. 1959 Promotion an der Universität Budapest, von 1957 bis 1960 war er Mitarbeiter am Stadtmuseum Budapest, von 1960 bis 1965 Assistent am Institut für Alte Geschichte an der Universität Budapest. 1965 Emigration in die Bundesrepublik Deutschland. Von 1965 bis 1968 war er Mitarbeiter am Rheinischen Landesmuseum Bonn, 1966 Habilitation an der Universität Bonn. Von 1968 bis 1970 war er Hochschuldozent an der Universität Bonn. 1970 Apl. Professor an der Universität Bonn. 1970 bis 1975: Ord. Professor für Alte Geschichte an der Universität Bochum. Seit 1975 Ord. Professor für Alte Geschichte an der Universität Heidelberg. 2002 offizielle Emeritierung, danach Selbstvertretung; Fortsetzung der Lehrtätigkeit bis 2005. Seine Forschungsschwerpunkte sind Geschichte und Epigraphik des Imperium Romanum; Römische Sozial-, Heeres- und Verwaltungsgeschichte; Geschichte der römischen Provinzen; Historiographie der

Kaiserzeit und der Spätantike.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.02.1998

Moskau erwog ernsthaft den Rückzug
Neues zur Revolution in Ungarn / Géza Alföldy wertet Quellen und Forschungsergebnisse aus

Géza Alföldy: Ungarn 1956. Aufstand, Revolution, Freiheitskampf. Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Band 2. Universitätsverlag C. Winter, Heidelberg 1997. 170 Seiten, 38,- Mark.

Der ungarische Aufstand - oder Revolution oder Freiheitskampf - war nach dem 17. Juni 1953 in Deutschland das zweite, stärkere und folgenreichere Aufbegehren gegen den Sowjetkommunismus. Es bedurfte noch des Abschüttelungsversuches 1968 in der Tschechoslowakei und des fast permanenten polnischen Aufbegehrens, bis sich mit und nach 1989 ganz Osteuropa befreite, schließlich sogar Rußland und die anderen Völker der Sowjetunion selbst. Ungarns Versuch war der dramatischste und, man kann es ruhig sagen, der heroischste und tragischste. Wer eine nüchterne und doch die innere Anteilnahme nicht verbergende Darstellung der Sachverhalte lesen und den neuesten Forschungsstand kennenlernen möchte, für den ist Alföldys Buch geschrieben.

Es besteht aus zwei Teilen. Im ersten werden die Ereignisse berichtet, im zweiten werden zu den einzelnen Abschnitten Quellen und Literatur benannt und erklärt, und es werden dort zusätzliche Angaben gemacht. Das ist deshalb besonders wichtig, weil es seit 1989 eine solche Menge von Forschungsliteratur, Memoiren und anderen Quellentexten gibt, daß ein Wegweiser nötig ist, zumal da der Löwenanteil in Ungarisch geschrieben ist - eine Sprache, die außer von Ungarn von kaum jemandem gelesen werden kann. Eine sehr schöne Sprache im übrigen, und es scheint ein nicht geringer Grund für die Sympathie gewesen zu sein, die der Revolutionsheld - man kann ihn ruhig so nennen - Imre Nagy genoß, daß er "ein nicht nur schön klingendes, sondern auch weitgehend phrasenfreies Ungarisch sprach". Daher schließlich ist Géza Alföldy als Verfasser dieses Buches besonders geeignet, weil er selbst Ungar ist, als Student den Aufstand miterlebte, einige Jahre später nach Westdeutschland emigrierte und hier einer der bedeutendsten Althistoriker wurde.

Dramatisch, heroisch und tragisch war der Aufstand. Am 23. Oktober 1956 brach er aus. Er begann in Budapest mit einer Sympathiekundgebung für die polnischen Reformkommunisten, die sich rasch in eine Demonstration gegen die sowjetische Besatzung und den Kommunismus überhaupt entwickelte. Von Parteichef Gerö wurden sowjetische Panzer angefordert, aber statt vor ihnen zurückzuweichen, stellte sich ihnen die sich selbst bewaffnende Bevölkerung entgegen; vor allem aber richteten sich die Kämpfe gegen die Einheiten der ungarischen Sicherheitspolizei. Die sowjetischen Truppen, die auf derartiges nicht vorbereitet waren, wichen zurück, zumal da es Verbrüderungen mit den Aufständischen gab. Noch in der Nacht vom 23. auf den 24. wurde der Reformkommunist Imre Nagy zum Ministerpräsidenten eingesetzt, János Kádár, der in stalinistischer Zeit verhaftet gewesen und gefoltert worden war, wurde Parteichef, am 30. Oktober wurde die kommunistische Partei aufgelöst und als sozialistische Partei wiedergegründet. An der Regierung beteiligten sich jetzt auch Mitglieder aus neugegründeten nichtkommunistischen Parteien, am 1. November verkündete Ungarn den Austritt aus dem Warschauer Pakt.

Die Führung in Moskau - das Politbüro - war zunächst so demoralisiert, daß sie ernsthaft beschlossen hatte, die Truppen zurückzuziehen und Ungarn eine Art Finnland-Status zu gewähren; so etwa lautete eine Regierungserklärung vom 30. Oktober. In der Beratung vom 31. Oktober fing sich das Politbüro aber wieder und beschloß, mit Gewalt einzugreifen. In der Nacht vom 1. auf den 2. November verschwand Kádár, insgeheim wurden frische Truppen aus den asiatischen Teilen der UdSSR zusammengezogen, denen gesagt wurde, es gehe gegen die Briten und Franzosen am Suezkanal. Offiziell wurde über den Truppenabzug verhandelt, aber noch während der Verhandlungen wurde in der Nacht vom 3. auf den 4. November der ungarische Verteidigungsminister Maléter vom sowjetischen Geheimdienstchef Serow persönlich verhaftet, und am 4. November begann die Rückeroberung Ungarns. Kádár war aus Moskau zurück, verkündete die Bildung einer sowjetfreundlichen Regierung, Nagy und weitere Angehörige seiner Regierung flohen in die jugoslawische Botschaft, verließen sie am 27. November nach der Zusicherung freien Geleits, wurden aber sofort verhaftet und zunächst nach Rumänien deportiert. 200000 Menschen flohen in den Westen.

Obwohl der Widerstand insbesondere der Arbeiterschaft noch lange anhielt, begann nun die Rache an den Dagebliebenen und an den Geflüchteten, die im Vertrauen auf Amnestie zurückgekommen waren. Die Kämpfe hatten 2652 Todesopfer gefordert, 239 Personen wurden vom Kádár-Regime hingerichtet, ungezählte Freiheitsstrafen wurden verhängt. Nagy und seine Gruppe wurden am 17. April 1957 in Rumänien von ungarischen Staatssicherheitsleuten förmlich verhaftet und wieder nach Ungarn gebracht. Ihr Prozeß fand im Juni 1958 statt, Nagy sagte: "Ich bitte nicht um Gnade." Die drei Todesurteile wurden am 16. Juni 1958 vollstreckt. Es dauerte 31 Jahre, bis die Ziele der Revolution Wirklichkeit wurden.

Alföldy relativiert die weithin herrschende Vorstellung, daß das Kádár-Regime akzeptabler gewesen sei als andere kommunistische Regimes. Immerhin beruhte es nach wie vor auf der Alleinherrschaft der kommunistischen Partei, Kádár war einer der eifrigsten unter denen, die die Niederschlagung des Prager Frühlings betrieben. Er selbst sah es wohl auch so, wie ein erschütterndes Dokument zeigt, das Alföldy ausführlich bespricht. Im April 1989 hielt Kádár seine letzte politische Rede, und obwohl er schon geistig verwirrt war, wird doch deutlich, daß ihn immer noch der an Nagy und Ungarn begangene Verrat umtrieb. Er starb drei Wochen nach einer Massendemonstration am Grab Imre Nagys vom 16. Juni 1989, die die politische Wende jenen Jahres symbolisierte. Nationalfeiertag des neuen Ungarns ist der 23. Oktober.

Das Wichtigste an dem Buch dürfte die Wiedergabe der Diskussionen im Moskauer Politbüro sein. Zum einen zeigen sie, daß die Annahme, die Sicherung der Macht und das Behalten des einmal Eroberten seien unerschütterliche Grundpfeiler der sowjetischen Politik gewesen, so uneingeschränkt nicht stimmt. Denn ein Zurückweichen wurde im Politbüro nicht nur ernsthaft diskutiert, sondern zunächst ebenso ernsthaft beschlossen. Freilich siegte dann doch der Machtinstinkt, einschließlich des tückischen Doppelspiels der Verhaftungen Maléters und später Nagys; bemerkenswert ist auch, daß sogar Tito seine Zustimmung zur gewaltsamen Lösung gab. Nagy war schon deshalb kein vollendeter Bolschewik, weil er den Zusicherungen der Sowjets und Titos vertraute.

Zweitens scheinen die Moskauer Protokolle zu ergeben, daß der Eingreifbeschluß nicht durch den Angriff Großbritanniens und Frankreichs auf den Suezkanal hervorgerufen wurde. Seinerzeit ergriff den Zuschauer ja tiefe Verzweiflung angesichts des zeitlichen Ablaufs. Die Reihenfolge - Zurückweichen der Sowjetunion in Ungarn, Angriff auf den Suezkanal, Vergewaltigung Ungarns - zwang zur Schlußfolgerung, daß die UdSSR im Schatten der weltweiten Empörung über das westliche Verhalten die Gelegenheit ergriff, nun doch relativ unbemerkt die Revolution niederzuwalzen. Aus den Protokollen ergibt sich, daß dieser Gedanke in Wirklichkeit keine große Rolle spielte.

Das Buch ist vollgepackt mit Sachverhalten, jeder durch Literatur- und Quellenhinweise belegt. Angefangen von fast skurrilen Umständen der ersten Kämpfe, bei denen - man kennt das aus den Wendejahren in Deutschland - Sowjetsoldaten "ihre Waffen, selbst ihre Panzerfahrzeuge, gegen Lebensmittel eintauschten", über die Überwältigung von Panzern mit brennenden Benzinflaschen, wie es die Freiheitskämpfer "durch viele sowjetische Partisanenfilme gelernt hatten", bis hin zur minutiösen Diskussion der Vorwürfe, daß die Aufständischen Lynchjustiz geübt hätten - gegenüber Staatssicherheitsleuten gab es das, doch nur vereinzelt, die meisten Opfer fielen während der Kämpfe. Natürlich war die ungarische Revolution, wie Alföldy mit Recht sagt, bedeutender und wirkte nachhaltiger als der 17. Juni in Deutschland. Doch haben inzwischen Armin Mitter und Stefan Wolle auf Grund jetzt zugänglicher Akten gezeigt, daß der Aufstand in Deutschland intensiver war und länger anhielt, als man vor 1989 geglaubt hatte.

Eines hatten beide Aufstände gemeinsam, die fast berauschende Atmosphäre des neuerwachten Freiheitsgefühls. Sie ist, ebenso wie die drückende seelische Last der vorhergegangenen bleiernen Jahre, nicht zu beschreiben und denjenigen kaum zu vermitteln, die sie nicht erlebt haben. Trotzdem gelingt es Alföldy im Rahmen des Möglichen.

Aber auch die einfachen Sachverhalte sprechen in ihrer Dynamik für sich. Nachdem die Revolution niedergeschlagen war, wurden "aus ehemaligen Stasi-Leuten, aus regimetreuen Offizieren und Polizisten sowie aus bewaffneten Apparatschiks neue Sicherheitskräfte gebildet, die das Volk nach ihrer sowjetischen Kleidung ,Steppjacken' nannte"; sie "gingen mit besonderer Brutalität vor". Der jetzige Ministerpräsident Horn ist eine solche ehemalige Steppjacke, während der Schriftsteller Arpád Göncz, der als Teilnehmer des Aufstandes mehrere Jahre im Gefängnis saß, heute Staatspräsident ist. WOLFGANG SCHULLER

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