After 1945 there was general consensus among western European intellectuals that no authors of 'high' literary standing could possibly have compromised themselves in their relations with the totalitarian systems. With reference to three case studies - Curzio Malaparte, Louis-Ferdinand Ciline, Gottfried Benn - the study examines how literary criticism deals with authors who fly in the face of this declared incompatibility between aesthetic achievement and moral dereliction. In so doing it points up paradigmatic argumentation structures that have asserted themselves to this day, demonstrating the point with reference to more recent debates (e.g. those involving Peter Handke and Martin Walser).
Nach 1945 herrscht unter westeuropäischen Intellektuellen der Konsens, daß sich literarisch hochwertige Künstler in den totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts nicht kompromittiert haben. Dahinter steht die Überzeugung, dass ästhetisches Gelingen und politisch-ethisches Versagen a priori unvereinbar sind. Anhand von drei Fallstudien Curzio Malaparte (1898 1957), Louis-Ferdinand Céline (1894 1961) und Gottfried Benn (1886 1956) untersucht Astrid Arndt, wie das literarische Feld mit Autoren umgeht, die dieses vielleicht brisanteste Axiom der Ästhetik im 20. Jahrhundert erschüttern. Alle drei Autoren sind einerseits durch ihre Schriften und ihr persönliches Verhalten in Diskredit geraten, gelten aber andererseits als valide Kandidaten für den literarischen Kanon. In der Arbeit geht es dezidiert nicht darum, die Berechtigung literarischer Werturteile in Frage zu stellen. Vielmehr geht es darum, die ideologischen Prämissen transparent zu machen, die den untersuchten (De-)Kanonisierungsprozessen zugrunde liegen. Dabei lassen sich paradigmatische Argumentationsstrukturen beobachten, die sich wie sich anhand aktueller Debatten (z.B. Peter Handke, Martin Walser) nachweisen lässt bis heute halten.
Nach 1945 herrscht unter westeuropäischen Intellektuellen der Konsens, daß sich literarisch hochwertige Künstler in den totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts nicht kompromittiert haben. Dahinter steht die Überzeugung, dass ästhetisches Gelingen und politisch-ethisches Versagen a priori unvereinbar sind. Anhand von drei Fallstudien Curzio Malaparte (1898 1957), Louis-Ferdinand Céline (1894 1961) und Gottfried Benn (1886 1956) untersucht Astrid Arndt, wie das literarische Feld mit Autoren umgeht, die dieses vielleicht brisanteste Axiom der Ästhetik im 20. Jahrhundert erschüttern. Alle drei Autoren sind einerseits durch ihre Schriften und ihr persönliches Verhalten in Diskredit geraten, gelten aber andererseits als valide Kandidaten für den literarischen Kanon. In der Arbeit geht es dezidiert nicht darum, die Berechtigung literarischer Werturteile in Frage zu stellen. Vielmehr geht es darum, die ideologischen Prämissen transparent zu machen, die den untersuchten (De-)Kanonisierungsprozessen zugrunde liegen. Dabei lassen sich paradigmatische Argumentationsstrukturen beobachten, die sich wie sich anhand aktueller Debatten (z.B. Peter Handke, Martin Walser) nachweisen lässt bis heute halten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.04.2006Der größte Skandal war postum
Kunst versus Moral: Astrid Arndt über Malaparte, Céline und Benn
Schön und gut - moderne Kunst hat damit längst aufgeräumt. Ungleich authentischer gilt ihr Häßliches und Ungutes - im Kunstwerk. Wie aber, wenn der Künstler auf der "richtigen" Seite steht, in Opposition zum "schlecht Bestehenden", der Autor sich aber mit ihm gemein macht? Dann tritt ein Problem auf, das in breiter Spur sich schon durchs neunzehnte, erst recht durchs zwanzigste Jahrhundert zieht: bei Marinetti etwa, Breton, Pound, Hamsun, Jünger, Gide oder Pirandello. Drei von ihnen mit hohem Streitwert ist Astrid Arndt nachgegangen: Curzio Malaparte ("Die Haut"); Céline ("Reise ans Ende der Nacht") und Gottfried Benn.
Ihre Widersprüchlichkeit wird im wissenschaftlichen Gehäuse eines "Inkompatibilitäts-Diktums" veranschlagt. Immerhin: Hier herrschen konsequente Fragen. Kann in den Dunkelkammern eines falschen politischen Bewußtseins literarische Qualität gedeihen? Und, vor allem: Wer entscheidet, was politisch korrekt und ästhetisch gut ist? Der Kritiker, als Intellektueller. Aber dann: Ist auch er nicht, wie der Autor, politisch-moralisch anfechtbar? Anders gesagt: Wie härtet er seine Maßstäbe? Und zuletzt: Woher gewinnt der, der die "Wertungsmechanismen" dieser Kritiker untersucht, einen eigenen kritischen Standpunkt?
Indem er - sie - diesen Dominoeffekt durch ein historisch gewachsenes parti pris zum Stillstand bringt. Dieses hat bereits die Auswahl der Fälle gesteuert. Mit Malaparte, Céline und Benn werden Autoren zur Debatte gestellt, die durch ihre Nähe zu "rechtstotalitären Systemen" im Zwielicht stehen. Parteigänger linker Diktaturen wie etwa Breton, Gramsci, Brecht oder Sartre scheiden aus "Komplexitätsgründen" aus. Der Weg ist dadurch frei, um jene mit Andersch, Adorno, Vittorini und Sartre vor den moralischen Gerichtshof antifaschistischer Intellektueller zu stellen. Das muß in Deutschland wohl so sein. Über deren Urteil besteht kein Zweifel. Diesem Konflikt geht die Arbeit nach, mit großer Ernsthaftigkeit, systematischer Umsicht und Ordnungswillen. Das hat allerdings seinen Preis. Wer sich auf die Hochebene der "Metareflexion" begibt, hat kaum Augen für das, was unterhalb liegt - die literarischen Texte selbst.
Die Befunde entsprechen dem. In den literarischen Zweikämpfen treten - nicht völlig unerwartet - eine Reihe von Paraden zutage, die die Widersprüchlichkeiten zwischen Kunst und Politik als wechselseitig bedingt erklären ("Korrelation"), als unaufgelösten Gegensatz ("Kontradiktion"), als ungereimtes Nebeneinander ("Koexistenz"), ja als "kompatibel" oder kausal. Dies alles stimmt, solange man nur auf ihr "moralisches Versagen" achtet. Zahlreiche Äußerungen belegen jedoch, daß sie sich selbst nie zuerst ideologisch oder gar moralisch verstanden haben: Künstler wollten sie sein und daran gemessen werden.
Das begründet keine Entschuldigung, aber ganz andere "Argumentationsmuster". Ihr Parteiprogramm, als Künstler, hatten, wenn überhaupt, die historischen Avantgarden formuliert. Ihre eigenen Maßstäbe waren die Provokation, der Skandal, die verbale Brandstiftung, der Tabubruch. Trotz aller diskriminierender Annäherungen: Politisch waren sie nicht wirklich bindungsfähig. Céline begriff sich in erster Linie als Anarchist. Er warf Granaten in die literarische (und politische) Welt. Malaparte, das Chamäleon, zeigte, bei allem, was er tat, stets auf die Masken, die er dabei trug. Nichts als "terroristische Seifenblasen", beschied ein Zeitgenosse, bringe sein avantgardistisches Skandalrezept hervor. Lange wirkt bei Benn das Erdbeben nach, das "Morgue und andere Gedichte" ausgelöst und ihn zum expressionistischen Bürgerschreck werden ließ. Das machte ihn letztlich von allen Seiten her angreifbar. Zumindest hat er es, als Dichter, so empfunden.
Wäre moralisches Versagen also wirklich das erste Kriterium, an dem sich Literaten messen lassen müssen, dann hätten die drei Fälle, stellvertretend, ihren größten Skandalerfolg erzielt - als sie die höheren Weihen der Kanonisierung erhielten. 1999 wurde Benn, "unser National-Gottfried", zum bedeutendsten Lyriker erkoren, weit vor Celan und Brecht. Céline ist längst in den Sternenhimmel der Pléiade-Ausgaben aufgenommen; ein Klassiker, der selbst Proust in den Schatten stellen soll. Daß von Malaparte seltener die Rede ist, hat keine ideologischen Gründe. Außer den Tabus, die er aufwirbelte, blieb wenig übrig. Allenfalls kommt er, der gedanklich überall auftauchte und nirgends blieb, als Verkörperung postmoderner Beweglichkeit neu in Betracht.
So wie ein bestimmter Anfang schon ein bestimmtes Ende in sich birgt, so erweist sich mithin das Problem der Literaten zuletzt als eines ihrer Kritiker. Denn langfristig, bliebe nüchtern festzuhalten, können sich ästhetische Tugenden offensichtlich gegen moralische, ideologische oder politische Untugenden durchsetzen. Das war vergleichsweise auch bei Heidegger so, zumal in Frankreich. Mit der Konsequenz, daß die Antwort auf die Frage nach der Rezeptionsgeschichte von Malaparte, Céline und Benn auf die Gegenfrage hinausläuft: Mit welchen Qualitäten können die Werke sich gegen Anfechtungen ihrer Autoren behaupten? So leicht ist das alte Lied der Hermeneutik nicht zum Schweigen zu bringen.
WINFRIED WEHLE
Astrid Arndt: "Ungeheure Größen: Malaparte - Céline - Benn". Wertungsprobleme in der deutschen, französischen und italienischen Literaturkritik. Niemeyer Verlag, Tübingen 2005. 380 S., br., 70,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kunst versus Moral: Astrid Arndt über Malaparte, Céline und Benn
Schön und gut - moderne Kunst hat damit längst aufgeräumt. Ungleich authentischer gilt ihr Häßliches und Ungutes - im Kunstwerk. Wie aber, wenn der Künstler auf der "richtigen" Seite steht, in Opposition zum "schlecht Bestehenden", der Autor sich aber mit ihm gemein macht? Dann tritt ein Problem auf, das in breiter Spur sich schon durchs neunzehnte, erst recht durchs zwanzigste Jahrhundert zieht: bei Marinetti etwa, Breton, Pound, Hamsun, Jünger, Gide oder Pirandello. Drei von ihnen mit hohem Streitwert ist Astrid Arndt nachgegangen: Curzio Malaparte ("Die Haut"); Céline ("Reise ans Ende der Nacht") und Gottfried Benn.
Ihre Widersprüchlichkeit wird im wissenschaftlichen Gehäuse eines "Inkompatibilitäts-Diktums" veranschlagt. Immerhin: Hier herrschen konsequente Fragen. Kann in den Dunkelkammern eines falschen politischen Bewußtseins literarische Qualität gedeihen? Und, vor allem: Wer entscheidet, was politisch korrekt und ästhetisch gut ist? Der Kritiker, als Intellektueller. Aber dann: Ist auch er nicht, wie der Autor, politisch-moralisch anfechtbar? Anders gesagt: Wie härtet er seine Maßstäbe? Und zuletzt: Woher gewinnt der, der die "Wertungsmechanismen" dieser Kritiker untersucht, einen eigenen kritischen Standpunkt?
Indem er - sie - diesen Dominoeffekt durch ein historisch gewachsenes parti pris zum Stillstand bringt. Dieses hat bereits die Auswahl der Fälle gesteuert. Mit Malaparte, Céline und Benn werden Autoren zur Debatte gestellt, die durch ihre Nähe zu "rechtstotalitären Systemen" im Zwielicht stehen. Parteigänger linker Diktaturen wie etwa Breton, Gramsci, Brecht oder Sartre scheiden aus "Komplexitätsgründen" aus. Der Weg ist dadurch frei, um jene mit Andersch, Adorno, Vittorini und Sartre vor den moralischen Gerichtshof antifaschistischer Intellektueller zu stellen. Das muß in Deutschland wohl so sein. Über deren Urteil besteht kein Zweifel. Diesem Konflikt geht die Arbeit nach, mit großer Ernsthaftigkeit, systematischer Umsicht und Ordnungswillen. Das hat allerdings seinen Preis. Wer sich auf die Hochebene der "Metareflexion" begibt, hat kaum Augen für das, was unterhalb liegt - die literarischen Texte selbst.
Die Befunde entsprechen dem. In den literarischen Zweikämpfen treten - nicht völlig unerwartet - eine Reihe von Paraden zutage, die die Widersprüchlichkeiten zwischen Kunst und Politik als wechselseitig bedingt erklären ("Korrelation"), als unaufgelösten Gegensatz ("Kontradiktion"), als ungereimtes Nebeneinander ("Koexistenz"), ja als "kompatibel" oder kausal. Dies alles stimmt, solange man nur auf ihr "moralisches Versagen" achtet. Zahlreiche Äußerungen belegen jedoch, daß sie sich selbst nie zuerst ideologisch oder gar moralisch verstanden haben: Künstler wollten sie sein und daran gemessen werden.
Das begründet keine Entschuldigung, aber ganz andere "Argumentationsmuster". Ihr Parteiprogramm, als Künstler, hatten, wenn überhaupt, die historischen Avantgarden formuliert. Ihre eigenen Maßstäbe waren die Provokation, der Skandal, die verbale Brandstiftung, der Tabubruch. Trotz aller diskriminierender Annäherungen: Politisch waren sie nicht wirklich bindungsfähig. Céline begriff sich in erster Linie als Anarchist. Er warf Granaten in die literarische (und politische) Welt. Malaparte, das Chamäleon, zeigte, bei allem, was er tat, stets auf die Masken, die er dabei trug. Nichts als "terroristische Seifenblasen", beschied ein Zeitgenosse, bringe sein avantgardistisches Skandalrezept hervor. Lange wirkt bei Benn das Erdbeben nach, das "Morgue und andere Gedichte" ausgelöst und ihn zum expressionistischen Bürgerschreck werden ließ. Das machte ihn letztlich von allen Seiten her angreifbar. Zumindest hat er es, als Dichter, so empfunden.
Wäre moralisches Versagen also wirklich das erste Kriterium, an dem sich Literaten messen lassen müssen, dann hätten die drei Fälle, stellvertretend, ihren größten Skandalerfolg erzielt - als sie die höheren Weihen der Kanonisierung erhielten. 1999 wurde Benn, "unser National-Gottfried", zum bedeutendsten Lyriker erkoren, weit vor Celan und Brecht. Céline ist längst in den Sternenhimmel der Pléiade-Ausgaben aufgenommen; ein Klassiker, der selbst Proust in den Schatten stellen soll. Daß von Malaparte seltener die Rede ist, hat keine ideologischen Gründe. Außer den Tabus, die er aufwirbelte, blieb wenig übrig. Allenfalls kommt er, der gedanklich überall auftauchte und nirgends blieb, als Verkörperung postmoderner Beweglichkeit neu in Betracht.
So wie ein bestimmter Anfang schon ein bestimmtes Ende in sich birgt, so erweist sich mithin das Problem der Literaten zuletzt als eines ihrer Kritiker. Denn langfristig, bliebe nüchtern festzuhalten, können sich ästhetische Tugenden offensichtlich gegen moralische, ideologische oder politische Untugenden durchsetzen. Das war vergleichsweise auch bei Heidegger so, zumal in Frankreich. Mit der Konsequenz, daß die Antwort auf die Frage nach der Rezeptionsgeschichte von Malaparte, Céline und Benn auf die Gegenfrage hinausläuft: Mit welchen Qualitäten können die Werke sich gegen Anfechtungen ihrer Autoren behaupten? So leicht ist das alte Lied der Hermeneutik nicht zum Schweigen zu bringen.
WINFRIED WEHLE
Astrid Arndt: "Ungeheure Größen: Malaparte - Céline - Benn". Wertungsprobleme in der deutschen, französischen und italienischen Literaturkritik. Niemeyer Verlag, Tübingen 2005. 380 S., br., 70,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Wilfried Wehle ist enttäuscht von dieser Studie über die Frage, ob im falschen politischen Bewusstsein echte literarische Qualität gedeihen kann. Bereits die Auswahl der Autoren findet er problematisch, da sie alle "durch ihre Nähe zu rechtstotalitären Systemen" im Zwielicht stünden. Parteigänger linker Diktaturen wie Brecht, Breton oder Gramsci fielen daher durch den Rost des Diskurses. Und der hat nach Ansicht des Rezensenten außer den üblichen Verdächtigen von Adorno, Vittorini oder Sartre wenig zu bieten. Wehle findet es nicht besonders originell, Malaparte, Celine und Benn noch einmal vor den "moralischen Gerichtshof dieser antifaschistischen Intellektuellen" zu stellen, was Astrid Arndt in ihrer Studie offensichtlich tut. Zwar untersucht ihre Arbeit aus den Konflikt mit dem gebotenen wissenschaftlichen Instrumentarium, erklärt er. Zu wirklich prickelnden Erkenntnissen kommt sie seiner Ansicht nach jedoch nicht. Auch weil sie von der "Hochebene der Metareflexion" kaum Augen für die literarischen Texte selbst habe.
© Perlentaucher Medien GmbH
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