Jedem, der sich wissenschaftlich mit dem Mittelalter beschäftigt, ist es wohl bekannt, daß unser Bild von dieser Periode ganz wesentlich durch die Texte, Bauten und Artefakte geprägt ist, die aus dem religiösen Bereich stammen. Sie sind in dramatisch höherer Zahl überliefert als Manifestationen des profanen Lebens. Daher ist die weltliche Komponente in unserem Bild von der Epoche oft unterrepräsentiert, und erst recht sind es areligiöse Einstellungen. Trotzdem sollte keine Darstellung jener Epoche darauf verzichten, auch dem von rein weltlichen und irreligiösen Gegen- und Nebenströmungen geprägten Denken und Verhalten Raum zu geben. Skeptizismus aufgrund des Kontaktes mit antiken Texten, Glaubenszweifel ob der dogmatischen Widersprüche oder Minnesang, der die Geliebte an Stelle Gottes und der Heiligen setzt (um einige Erscheinungen zu nennen), bildeten kein Syndrom, sondern einzelne, bisher in der Mittelalterforschung noch kaum richtig als Vorläufer und Ansatzpunkte der späteren Emanzipation bewußt gemachte Elemente. So beschreibt dieses Buch Aspekte des Atheismus zunächst im vorchristlichen skandinavischen Mittelalter, um dann eine Soziologie des Unglaubens zu bieten: Unglaube bei Intellektuellen (i.d.R. Klerikern), Unglaube bei Laien, im Adel, unter Medizinern, bei Dichtern und Künstlern. Aber auch im "Volk" finden sich immer wieder Belege für religiös desinteressierte oder sogar dezidiert kritische Charaktere. Weitere Kapitel sind dem alltäglichen Unglauben gewidmet, der relativ oft bezeugten Kritik an Wundern und einzelnen Dogmen, den Ungläubigen in Höllenschilderungen, dem Ersatz der christlichen Gottheit durch Fatum und Fortuna, der Ikonographie der Infidelitas. In der Geschichte der religiösen Einstellungen im nachantiken Abendland, die von blinder Gläubigkeit bis zu kritischem Atheismus führen sollte, ergibt sich durch die hier vorgelegten bislang oft unbeachteten Quellen aus dem Mittelalter ein differenzierteres Bild der europäischen Religionsgeschichte.