Vom Nutzen und Nachteil der Religion für das Leben
Wozu nützt Religion? Sie hilft gegen Zufall, Leid und Tod, sagt der eine. Illusion! sagt der andere. Was ist intellektuell noch erlaubt, wenn man die Religionskritik ernst nimmt? Religion ist Opium, das mag sein - aber ist das Leben ohne Opium zu ertragen, sind nicht auch Musik und Fernsehen Opium? Ist heroischer Nihilismus angesagt, oder darf es ein postmodernes Christentum geben, das nur noch nach dem Trost, nicht mehr nach der Wahrheit fragt? Ist Christentum dann ein bloßes Therapeutikum, ein intellektuelles Sofa, auf dem sich die Denkfaulheit ausruht? Oder ist Christsein im Gegenteil ungesund? Erzeugt die christliche Nächstenliebe Neurosen? Oder ist sie letzten Endes sogar eine subtile Form von Egoismus? Kann man den Trost der Religion gewinnen, ohne sich selbst zu betrügen? Gibt es Frömmigkeit ohne Glauben?
Ein nicht mehr ganz gläubiger Christ und ein nicht ganz ungläubiger Atheist streiten über Fragen der Religion und der Lebenskunst. Es geht um Glück und Leid, Kunst und Leben, Gesundheit und Krankheit, Zufall und Tod, Gott und die Welt.
Wozu nützt Religion? Sie hilft gegen Zufall, Leid und Tod, sagt der eine. Illusion! sagt der andere. Was ist intellektuell noch erlaubt, wenn man die Religionskritik ernst nimmt? Religion ist Opium, das mag sein - aber ist das Leben ohne Opium zu ertragen, sind nicht auch Musik und Fernsehen Opium? Ist heroischer Nihilismus angesagt, oder darf es ein postmodernes Christentum geben, das nur noch nach dem Trost, nicht mehr nach der Wahrheit fragt? Ist Christentum dann ein bloßes Therapeutikum, ein intellektuelles Sofa, auf dem sich die Denkfaulheit ausruht? Oder ist Christsein im Gegenteil ungesund? Erzeugt die christliche Nächstenliebe Neurosen? Oder ist sie letzten Endes sogar eine subtile Form von Egoismus? Kann man den Trost der Religion gewinnen, ohne sich selbst zu betrügen? Gibt es Frömmigkeit ohne Glauben?
Ein nicht mehr ganz gläubiger Christ und ein nicht ganz ungläubiger Atheist streiten über Fragen der Religion und der Lebenskunst. Es geht um Glück und Leid, Kunst und Leben, Gesundheit und Krankheit, Zufall und Tod, Gott und die Welt.
'Eine höchst informative Studie ... fügen sich die 25 Einzelbeiträge zu einem einheitlichen Ganzen: einer politischen, Kirchen-, Kultur- und Sozialgeschichte Bayerns im europäischen Rahmen, die den Fachhistoriker, den an Geschichte interessierten Laien und den (selbst-)kritischen Bayern-Fan gleichermaßen vorzüglich bedient.' Norbert H. Ott, Süddeutsche Zeitung
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.11.2005Als Küken, Wurm und Schaf
Sinn und Form, Glauben und Vernunft: Ein Briefwechsel
Kardinal Carlo Maria Martini und Umberto Eco taten es, Joseph Ratzinger und Marcello Pera ebenso. Nun haben sich auch Hermann Kurzke und Jacques Wirion, der Germanist aus Mainz und der Luxemburger Gymnasiallehrer, Briefe geschrieben über den Stein, der zwischen ihnen liegt: den Stein des Anstoßes, den Stein des Glaubens. Es wurde ein munterer, stellenweise kluger Dialog gereifter Herren, der vielleicht ein letztes Mal Funken schlägt aus dem gemeinsamen Interesse an Sinn und Form, an Glaube und Vernunft. Denn die Kunst des Briefeschreibens gehört verblichenen Jahrhunderten an. Auf welches Gedankenfeuer, auf welche Ekstasen der Subjektivität wir künftig wohl verzichten müssen, wird auf den 270 Seiten anschaulich.
Hermann Kurzkes Spezialgebiete sind Thomas Mann und die Romantik. Einige seiner Sätze klingen, als seien sie einer Seelenverwandtschaft mit dem Lübecker Diaristen geschuldet. Er hat keine Scheu vor der narzisstischen Pose: „Manchmal fühlte ich mich in unserer blassen Gegenwart als beinahe der einzige katholische Intellektuelle von Rang”. Grundiert wird diese schnell zusammenstürzende Euphorie - „Bitte diesen schrecklichen Satz gleich wieder vergessen!” - wie beim körpersensiblen Großschriftsteller von der Sorge ums Befinden. Kurzkes Zauberberg ist eine Klinik für psychosomatische Erkrankungen. Dort wird seine Polyneuropathie behandelt, ein chronisches Fußleiden, „wie wenn man drei Mal pro Minute mit einer glühenden Stricknadel angebohrt wird.”
Vermutlich sensibilisiert die Dauerpräsenz des Leids für eine Theologie, deren Zentrum Schmerz und Trost bilden. Den „großen Beweger” nennt Kurzke den Schmerz, den „Stachel, der verhindert, dass wir uns einrichten.” Christentum bedeute, „die Welt vom Opferstandort anzuschauen, als Küken, Wurm und Schaf”, bedeute „Leidenssolidarität auf der Basis der tiefen Unaufhebbarkeit des Leidens” - prägnanter hätte es Johann Baptist Metz nicht formulieren können, der Theologe des Christentums als Compassion. Der christliche Glaube, so Kurzke, „erlöst die Todeserfahrung aus dem wortlosen Grauen, gibt ihr Gestalt und Würde”.
Für Durchschnittsdummköpfe
Jacques Worion, ein „halb pubertärer Atheist von 56 Jahren”, erblickt hinter diesen Worten eine Fortschreibung der „christlichen Schuldkultur”. Er kehrte der Kirche in jungen Jahren den Rücken, nachdem er die „katholische Katastrophe” durchlitten hatte, „den Widerspruch zwischen der Lehre Jesu und der Praxis der Machtinstitution. Durch die Erbsünde, die (. . .) ethisch eine Zumutung ist, sind alle Menschen schwach und schuldig.” Heute steht er vor den „Scherben meines Glaubens”, empfiehlt Gelassenheit und Selbstannahme. „Was”, fragt er, „ist eigentlich so unerträglich an der Vorstellung, dass wir aus dem Nichts kommen, einige Zeit da sind und wieder ins Nichts verschwinden?”
Der Angesprochene rügt die „private Verletztheit”, die aus einer solchen anti-augustinischen Polemik spreche, bekräftigt den Zusammenhang von Erlösung und Gericht - „ich hätte gern die Wirkung ohne die Drohung, aber das wird nicht gehen” - und verteidigt das christliche Menschenbild: „Ein bißchen Sündenbewusstsein täte dem egozentrischen Durchschnittsdummkopf von heute doch gute Dienste, meinst Du nicht? Ohne Sündenbewusstsein verschwindet doch auch die Arbeit an sich selbst, oder?”
Besonders erfrischend sind die „Unglaubensgespräche”, wenn die Argumente in rascher Folge wechseln. Wirion wie Kurtzke teilen das Unbehagen an der durchökonomisierten westlichen Wohlstandswelt. Der Luxemburger Germanist wendet sich gegen den Fortschrittsglauben, kritisiert den Verzicht auf die Idee der Vollkommenheit zugunsten der Fähigkeit zur Vervollkommnung - und liefert so dem Thomas-Mann-Spezialisten eine Steilvorlage: Wäre denn nicht der Glaube eine „respektable Antwort auf den Fortschrittsskeptizismus?”
Der Briefwechsel, der aus Fremden Freunde, aus dem Sie ein Du machte, dauerte vom Januar 2001 bis November 2004. Auslöser war eine Rezension Kurzkes, in der sich dieser über flapsige Bibel-Einführungen mokiert hatte: „Die Macht der Bibel zeigt sich noch am niedrigen Niveau derer, die sie hier abtun.” Wirion sah darin einen Aufruf, heiligen Texten mit „blindem Respekt” zu begegnen. Fast drei Jahre später enden die Briefe mit der Hoffnung, beide säßen im selben Boot der Melancholie und der Sinnsuche. Die Hoffnung trügt.
Wirion sucht unbeirrt „in der Immanenz nach Trostgründen”, Kurzke hält seinem Traum die Treue. Gewachsen sind sie beide am Widerstand des Gegenübers, das Brief um Brief vom Counterpart zum Nächsten heranwuchs. Kurzkes Traum besagt: „Ich suche im Nirgendwo nach einer humanen Kirche. Sie müsste alles verstehen und alles verzeihen, (. . .) müsste die Sünde kennen und milde von ihr lossprechen. Sie müsste ein Gericht kennen, aber ohne Hölle auskommen. Sie müsste eine Heimat bieten für den unverstandenen Schmerz, für die unaufhebbare Einsamkeit, für die unstillbare Sehnsucht, für das unerfüllbare und das unerfüllte Liebesverlangen.”
ALEXANDER KISSLER
HERMANN KURZKE/JACQUES WIRION: Unglaubensgespräche. Vom Nutzen und Nachteil der Religion für das Leben. Beck Verlag, München 2005. 272 Seiten, 22,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Sinn und Form, Glauben und Vernunft: Ein Briefwechsel
Kardinal Carlo Maria Martini und Umberto Eco taten es, Joseph Ratzinger und Marcello Pera ebenso. Nun haben sich auch Hermann Kurzke und Jacques Wirion, der Germanist aus Mainz und der Luxemburger Gymnasiallehrer, Briefe geschrieben über den Stein, der zwischen ihnen liegt: den Stein des Anstoßes, den Stein des Glaubens. Es wurde ein munterer, stellenweise kluger Dialog gereifter Herren, der vielleicht ein letztes Mal Funken schlägt aus dem gemeinsamen Interesse an Sinn und Form, an Glaube und Vernunft. Denn die Kunst des Briefeschreibens gehört verblichenen Jahrhunderten an. Auf welches Gedankenfeuer, auf welche Ekstasen der Subjektivität wir künftig wohl verzichten müssen, wird auf den 270 Seiten anschaulich.
Hermann Kurzkes Spezialgebiete sind Thomas Mann und die Romantik. Einige seiner Sätze klingen, als seien sie einer Seelenverwandtschaft mit dem Lübecker Diaristen geschuldet. Er hat keine Scheu vor der narzisstischen Pose: „Manchmal fühlte ich mich in unserer blassen Gegenwart als beinahe der einzige katholische Intellektuelle von Rang”. Grundiert wird diese schnell zusammenstürzende Euphorie - „Bitte diesen schrecklichen Satz gleich wieder vergessen!” - wie beim körpersensiblen Großschriftsteller von der Sorge ums Befinden. Kurzkes Zauberberg ist eine Klinik für psychosomatische Erkrankungen. Dort wird seine Polyneuropathie behandelt, ein chronisches Fußleiden, „wie wenn man drei Mal pro Minute mit einer glühenden Stricknadel angebohrt wird.”
Vermutlich sensibilisiert die Dauerpräsenz des Leids für eine Theologie, deren Zentrum Schmerz und Trost bilden. Den „großen Beweger” nennt Kurzke den Schmerz, den „Stachel, der verhindert, dass wir uns einrichten.” Christentum bedeute, „die Welt vom Opferstandort anzuschauen, als Küken, Wurm und Schaf”, bedeute „Leidenssolidarität auf der Basis der tiefen Unaufhebbarkeit des Leidens” - prägnanter hätte es Johann Baptist Metz nicht formulieren können, der Theologe des Christentums als Compassion. Der christliche Glaube, so Kurzke, „erlöst die Todeserfahrung aus dem wortlosen Grauen, gibt ihr Gestalt und Würde”.
Für Durchschnittsdummköpfe
Jacques Worion, ein „halb pubertärer Atheist von 56 Jahren”, erblickt hinter diesen Worten eine Fortschreibung der „christlichen Schuldkultur”. Er kehrte der Kirche in jungen Jahren den Rücken, nachdem er die „katholische Katastrophe” durchlitten hatte, „den Widerspruch zwischen der Lehre Jesu und der Praxis der Machtinstitution. Durch die Erbsünde, die (. . .) ethisch eine Zumutung ist, sind alle Menschen schwach und schuldig.” Heute steht er vor den „Scherben meines Glaubens”, empfiehlt Gelassenheit und Selbstannahme. „Was”, fragt er, „ist eigentlich so unerträglich an der Vorstellung, dass wir aus dem Nichts kommen, einige Zeit da sind und wieder ins Nichts verschwinden?”
Der Angesprochene rügt die „private Verletztheit”, die aus einer solchen anti-augustinischen Polemik spreche, bekräftigt den Zusammenhang von Erlösung und Gericht - „ich hätte gern die Wirkung ohne die Drohung, aber das wird nicht gehen” - und verteidigt das christliche Menschenbild: „Ein bißchen Sündenbewusstsein täte dem egozentrischen Durchschnittsdummkopf von heute doch gute Dienste, meinst Du nicht? Ohne Sündenbewusstsein verschwindet doch auch die Arbeit an sich selbst, oder?”
Besonders erfrischend sind die „Unglaubensgespräche”, wenn die Argumente in rascher Folge wechseln. Wirion wie Kurtzke teilen das Unbehagen an der durchökonomisierten westlichen Wohlstandswelt. Der Luxemburger Germanist wendet sich gegen den Fortschrittsglauben, kritisiert den Verzicht auf die Idee der Vollkommenheit zugunsten der Fähigkeit zur Vervollkommnung - und liefert so dem Thomas-Mann-Spezialisten eine Steilvorlage: Wäre denn nicht der Glaube eine „respektable Antwort auf den Fortschrittsskeptizismus?”
Der Briefwechsel, der aus Fremden Freunde, aus dem Sie ein Du machte, dauerte vom Januar 2001 bis November 2004. Auslöser war eine Rezension Kurzkes, in der sich dieser über flapsige Bibel-Einführungen mokiert hatte: „Die Macht der Bibel zeigt sich noch am niedrigen Niveau derer, die sie hier abtun.” Wirion sah darin einen Aufruf, heiligen Texten mit „blindem Respekt” zu begegnen. Fast drei Jahre später enden die Briefe mit der Hoffnung, beide säßen im selben Boot der Melancholie und der Sinnsuche. Die Hoffnung trügt.
Wirion sucht unbeirrt „in der Immanenz nach Trostgründen”, Kurzke hält seinem Traum die Treue. Gewachsen sind sie beide am Widerstand des Gegenübers, das Brief um Brief vom Counterpart zum Nächsten heranwuchs. Kurzkes Traum besagt: „Ich suche im Nirgendwo nach einer humanen Kirche. Sie müsste alles verstehen und alles verzeihen, (. . .) müsste die Sünde kennen und milde von ihr lossprechen. Sie müsste ein Gericht kennen, aber ohne Hölle auskommen. Sie müsste eine Heimat bieten für den unverstandenen Schmerz, für die unaufhebbare Einsamkeit, für die unstillbare Sehnsucht, für das unerfüllbare und das unerfüllte Liebesverlangen.”
ALEXANDER KISSLER
HERMANN KURZKE/JACQUES WIRION: Unglaubensgespräche. Vom Nutzen und Nachteil der Religion für das Leben. Beck Verlag, München 2005. 272 Seiten, 22,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Die Religion im Zeitalter der Moderne aus philosophischer Sicht beschäftigt Hermann Kurzke und Jacques Wirion in diesem Briefwechsel, der über vier Jahre geführt wurde. Für Antje Schrupp zeigt die Diskussion zwischen dem Christen und dem Atheisten abgesehen vom "Ringen" zweier bürgerlicher Gelehrter um die Berechtigung von Religion auch die Entstehung einer "schönen Männerfreundschaft", in deren Verlauf die Frage, wer recht hat, immer unbedeutender wird. Aber zurück zum Problem. Kurzke versucht die Religion angesichts des Schwindens der Glaubensgewissheit mit ihren nützlichen Aspekten wie der Bereitstellung von Sinn und Trost zu legitimieren. Wirion zeiht ihn der Feigheit und plädiert dafür, Sinnlosigkeit und Zufall zu akzeptieren. Aus dem drohenden Patt führt Kurzke heraus, indem er Sinn und Trost als kulturelle Errungenschaften des Menschen versteht, die nicht unbedingt metaphysisch existieren müssten. Aber jeder könne für sich entscheiden, ob er mit ihnen oder ohne sie leben möchte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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