Vom Wagnis, gesehen zu werden.
Ein Roman über einen, der sich gegen den Wandel der Zeiten auflehnt und dabei ins Wanken gerät.
Zwei Tage sind sie hinter Papier versteckt, dann werden die sieben großen Schaufenster feierlich enthüllt - und lassen die Waren des alteingesessenen Quatre Saisons in neuem Glanz erstrahlen. Für diese Momente lebt und arbeitet Schaufensterdekorateur Stettler, und das schon mehrere Jahrzehnte. Nun, mit knapp sechzig, wird ihm überraschend ein jüngerer Kollege zur Seite gestellt - ein Rivale, ein avisierter Nachfolger, ein Feind!
Stettlers Welt beginnt zu bröckeln. Es ist das Jahr 1968, und es bröckelt auch sonst alles, die jungen Leute tragen Bluejeans und wissen nicht mehr, was sich gehört. Am Münsterturm hängt auf einmal eine Vietcong-Fahne. Stettler ist entsetzt. Immer mehr fühlt er sich bedroht, spioniert dem Rivalen sogar nach, sinnt auf Rache. Es ist auch ein zähes Ringen mit der Zeit und mit dem Alter, bei dem Stettler nurverlieren kann.
Allein mit einer von ihm bewunderten Radiopianistin, Lotte Zerbst, wechselt er Briefe und fühlt sich nicht so verloren. Er hofft sogar auf eine Begegnung ...
Ein Roman über einen, der sich gegen den Wandel der Zeiten auflehnt und dabei ins Wanken gerät.
Zwei Tage sind sie hinter Papier versteckt, dann werden die sieben großen Schaufenster feierlich enthüllt - und lassen die Waren des alteingesessenen Quatre Saisons in neuem Glanz erstrahlen. Für diese Momente lebt und arbeitet Schaufensterdekorateur Stettler, und das schon mehrere Jahrzehnte. Nun, mit knapp sechzig, wird ihm überraschend ein jüngerer Kollege zur Seite gestellt - ein Rivale, ein avisierter Nachfolger, ein Feind!
Stettlers Welt beginnt zu bröckeln. Es ist das Jahr 1968, und es bröckelt auch sonst alles, die jungen Leute tragen Bluejeans und wissen nicht mehr, was sich gehört. Am Münsterturm hängt auf einmal eine Vietcong-Fahne. Stettler ist entsetzt. Immer mehr fühlt er sich bedroht, spioniert dem Rivalen sogar nach, sinnt auf Rache. Es ist auch ein zähes Ringen mit der Zeit und mit dem Alter, bei dem Stettler nurverlieren kann.
Allein mit einer von ihm bewunderten Radiopianistin, Lotte Zerbst, wechselt er Briefe und fühlt sich nicht so verloren. Er hofft sogar auf eine Begegnung ...
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Roman Bucheli taucht mit Alain Claude Sulzer ein in bewegte, gnadenlose Zeiten. Zurück ins Jahr 1968 führt ihn der Autor, zu zwei wenig spektakulären Figuren, einer Berliner Radiopianistin und einem Berner Schaufensterdekorateur, die von den Auf- und Umbrüchen der Zeit schlicht überrollt werden, wie der Autor laut Bucheli gewohnt unerschrocken gegenüber Klischees und Redensarten zu vermitteln weiß. Der Clou des Romans ist für den Rezensenten, wie Sulzer den Kippeffekt nutzt, wenn das Vertraute plötzlich fremd wird. Der Leser macht nämlich diese Erfahrung selbst, staunt Bucheli. Das genau ist Sulzers Kunst, findet er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Alain Claude Sulzers Roman "Unhaltbare Zustände"
Zu Wut und Verzweiflung hat Stettler allen Grund, muss doch der Schaufensterdekorateur eines Schweizer Kaufhauses - und Protagonist von Alain Claude Sulzers Roman "Unhaltbare Zustände" - hilflos zur Kenntnis nehmen, dass ihm ein jüngerer Kollege vor die Nase gesetzt und sogleich mit der Gestaltung der Weihnachtssaison betraut wird. Und damit nicht genug: Dieser junge Kollege entpuppt sich als veritable Koryphäe. Mit avancierten Skills weiß er die Kundschaft zu betören, seine spektakulären Dekorationen werden flugs zum Thema überregionaler Magazine. Allein die Lichteffekte! Modernste technische Möglichkeiten, die allesamt an Stettler vorübergegangen sind.
Das überrascht wenig, denn der knapp sechzigjährige Dekorationsveteran hat bislang so gut wie alles verpasst. Bis zu deren Tod hat er mit seiner Mutter zusammengewohnt, Stettlers Leben scheint ungefähr das Kolorit des grauen Kittels zu haben, den er während der Arbeit überstreift.
Auch jenseits des Warenhauses stehen die Zeichen auf Wandel: Die Achtundsechziger-Bewegung ist im vollen Gange, Stettler beobachtet die Proteste der nachwachsenden Generation mit ängstlichem Abscheu. Aufmunterung verschafft ihm einzig die sporadische Korrespondenz mit der deutschen Rundfunkpianistin Lotte Zerbst, deren Spiel er nur aus dem Radio kennt - sie ist die zweite Hauptfigur des Romans.
Und während Sulzers Darstellung des gedanklich und biographisch festgefahrenen Dekorateurs - seine Pedanterie und Verklemmtheit, seine immer wieder hervorbrechenden sexuellen Gelüste und Aggressionen - jedes Klischee passgenau erfüllt, sind die Episoden über die Pianistin schlichtweg ärgerlich. Wie der 1953 geborene Schweizer Autor und ehemalige Juror des Ingeborg-Bachmann-Preises hier das geteilte Nachkriegsberlin schildert, das Lotte Zerbst nach langer Zeit wieder einmal besucht, könnte man mit einigem guten Willen noch als bewusst naive Figurenrede verstehen. "Der Schutt war seit langem weggeräumt und in Grunewald zu einem Berg aufgeschüttet worden, auf dem die Amerikaner Abhöranlagen installiert hatten, mit deren Hilfe sie die militärischen Bewegungen des Feindes im Osten verfolgen konnten, darüber hatte sie in einer Illustrierten gelesen." Dass aber ein russischer, körperlich abstoßender, aber selbstredend genialer Klavierlehrer Lotte Zerbst einst als Schülerin annahm - obwohl er Frauen das Klavierspiel grundsätzlich nicht zutraut -, um sie dann regemäßig sexuell zu missbrauchen, mutet wie ein bestenfalls gedankenloses Aufspringen Sulzers auf die MeToo-Debatte an, zumal die Missbrauchsschilderungen auf kaum mehr als billigen Voyeurismus aus scheinen und zugleich bestürzend verdruckst daherkommen, ohne dass der Frauenfigur psychologische Tiefenschärfe zugestanden würde. "Er hatte ihren Kopf festgehalten und etwas Hartes, Gaumiges in ihren Mund geschoben, etwas, von dem sie bis zu diesem Augenblick nicht viel mehr gewusst hatte, als dass es Männern zum Urinieren und zur Fortpflanzung diente."
Lotte Zerbst, die nach eigenem Bekunden das Verdrängen erfolgreich gemeistert hat, fristet fortan ein Dasein, das ähnlich freudlos verläuft wie jenes von Stettler. Dass ihr nun selbst ein anvisiertes Tête-à-Tête mit Herrn Stettler nicht vergönnt sein soll, ist am Ende wohl eher als gnädiges Zugeständnis des Schicksals zu werten, und das nicht allein, weil sich der beruflich abservierte Dekorateur in seinem Furor zum finalen Coup gegen die Dominanz des jungen Kollegen aufschwingt. Die Motivation hierzu bleibt im Vagen, genauso wie der erzählerische Rahmen, in den Sulzer seine Geschichte bettet, wenig zwingend scheint. Aber das sind die geringsten Probleme dieses Romans.
Dass jedem Stereotyp ein Fünkchen Wahrheit innewohnt, ist keine überraschende Einsicht. Sulzer schreibt über gesellschaftspolitische Entwicklungen und damit verknüpfte individuelle Erfahrungen, wie das Herausfallen desjenigen, der mit dem gesellschaftlichen Wandel nicht Schritt halten kann, die symptomatischen Gehalt haben. Leider kommen aber die Figuren im Roman "Unhaltbare Zustände" über bloße Staffage nicht hinaus. Wenn doch wenigstens die Lichteffekte spektakulär wären.
WIEBKE POROMBKA
Alain Claude Sulzer: "Unhaltbare Zustände". Roman.
Galiani Verlag, Berlin 2019. 272 S., geb., 22,- [Euro].
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Sulzers Roman ist gescheit und feinfühlig, präzise in der Sprache und wunderbar erzählt. Ruth von Gunten Schweizer Revue. Die Zeitschrift für Auslandschweizer 20191101