Marktplatzangebote
9 Angebote ab € 1,60 €
  • Broschiertes Buch

"Unter den Debüts der deutschsprachigen Literatur ist 'Uniklinik' das allermerk-, wenn nicht sogar denkwürdigste. Wenn diese akademische Verstörung kein 'Kultbuch' an den deutschen 'Geistesvernichtungsanstalten' wird, müssten deren studentische Insassen wirklich von allen guten Geistern verlassen sein." (Wolfram Schütte, Frankfurter Rundschau)

Produktbeschreibung
"Unter den Debüts der deutschsprachigen Literatur ist 'Uniklinik' das allermerk-, wenn nicht sogar denkwürdigste. Wenn diese akademische Verstörung kein 'Kultbuch' an den deutschen 'Geistesvernichtungsanstalten' wird, müssten deren studentische Insassen wirklich von allen guten Geistern verlassen sein." (Wolfram Schütte, Frankfurter Rundschau)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.06.1999

Unterwegs zum Holzweg
Bei Horkheimer bleibt der Ball rund: Jörg Uwe Sauers "Uniklinik"

Nicht immer schlagen in unserer Literatur amerikanische Vorbilder sofort Wurzeln; und manche fristen ihr Dasein noch eine Zeitlang als Mauerblümchen. Der Universitätsroman machte in Deutschland erst mit Dietrich Schwanitz' "Der Campus" und seiner Verfilmung durch Sönke Wortmann Furore. Der Skandal um einen Star unter den Professoren, die Anklage wegen sexueller Nötigung einer abhängigen Studentin, das universitäre Intrigenspiel, der Feldzug des Feminismus und der "Political Correctness" - alles dies war der Stoff für einen Sensationsroman und Bestseller. Viele Indizien wiesen auf des Autors eigenen "Campus", die Universität Hamburg; der Schlüsselroman, in dem viele Lunten ausgelegt waren, machte den Professor für englische Literatur und Kultur zum belletristischen Feuerwerker. Wie schwer es aber ist, eine zweite Rakete zu zünden, mußte Schwanitz kürzlich mit seinem Roman "Der Zirkel" erfahren.

Erfolgsbücher sind Mutmacher für junge Autoren. Der 1963 in Wanne-Eickel geborene Jörg Uwe Sauer jedenfalls, einst Student der Literaturwissenschaft, inzwischen freier Journalist, hat sich anspornen lassen. Sein Roman "Uniklinik" nimmt die Fährte von Schwanitz auf und wird in der Universität/Gesamthochschule Essen fündig. Aber irgendeine Art von Kopie des Hamburger Campus-Romans ist er nicht. In seiner Erzähl- und Schreibweise nämlich schließt sich Sauer weniger an Schwanitz als an Thomas Bernhard an, und sofort schwant dem Leser, daß der Ich-Erzähler des Romans ein nach Essen verschlagener Österreicher ist.

Tatsächlich setzt der Erzähler mehrfach zu einer fulminanten Wien-Beschimpfung an. Wie sich herausstellt, ist er als "hoffnungsfroher Nachwuchswissenschaftler" durch einen körperlichen und geistigen Zusammenbruch in Wien sprachlos geworden und als "gescheiterte Existenz" nach Essen gekommen, ein Fall für die Psychoanalyse des Doktor Zuckerstätter. Als großer Schweiger sitzt er nun mit einer philosophierenden und kalauernden Clique in den Essener Cafés herum. Namen wie Hegel, Wittgenstein, Heidegger, Bloch, Habermas oder Lacan, Hölderlin, Goethe, Annette von Droste-Hülshoff, Peter Weiss, Thomas Bernhard oder Peter Handke schwirren nur so durch die Gespräche. Aber der Erzähler und seine Clique haben "Holzwege" betreten.

Diese Anspielung auf ein Werk Heideggers wird von Sauer mehr als wörtlich genommen. Der Professor für Literaturwissenschaft, seine Mitarbeiter und der engere Studentenkreis gehen allwöchentlich in einen nahen Wald zum Holzfällen, weil - so die Parole des Professors - Holzfällen in der erstarrten Republik die einzige Möglichkeit sei, sich eine Erregung zu verschaffen. Und mit einem Paukenschlag, einem schweren Unfall, setzt der Roman ein: Der Professor wird von einem stürzenden Baum zu Boden gerissen, liegt dann in der Universitätsklinik lange Zeit im Koma und kann auch am Ende nicht in den Hörsaal, sondern nur in die Heilanstalt entlassen werden.

Man sieht, Sauer baut nicht wie Schwanitz eine Handlung auf, in deren Realistik sich ein Verweisungszusammenhang tarnt. Der Sauerteig seines Romans ist die Parodie. Fast alle Mitglieder der Clique mußten sich der Analyse anvertrauen und sind Opfer eines Schwindlers geworden, der sich als Doktor Zuckerstätter ausgab. Der Ich-Erzähler, der seinen Einführungsbericht für Anfänger schweigend hält, überläßt das Reden den Studenten und münzt den Erstsemesterkurs in einen Therapiekreis um. Der Chirurg Doktor Bob, mit dem man sich im Café der Universitätsklinik trifft, hetzt blutbefleckt von Operation zu Operation. Sauer klotzt mit dem Holzschnittstil der Typenkomödie. Sprengt Schwanitz in seinem Campus-Roman das bloß Pikante der skandalösen sexuellen Szene, indem er sie auf den Schreibtisch des Professorenzimmers verlegt, so übertrumpft ihn Sauer - wenngleich nur durch indirekte Schilderung - mit einer Orgie in der Manier des Marquis de Sade.

Aber es gibt auch einen schönen Moment in der Liebesszene des stummen Österreichers mit seiner Kommilitonin, der Kettenraucherin Mathilde, als er nämlich nach Jahren der völligen Sprachabstinenz die Sprache wiederfindet, und zwar die spanische, mit einer poetischen Liebeserklärung, die Pedro Salnas zitiert. Im übrigen gelingt es der absatzlos hastenden Prosa Sauers, den Leser mitzuziehen, so daß er die Spielregeln farcenhafter Überzeichnung des Geschehens akzeptiert. Der Roman bleibt amüsant, weil Sauer das Klischee zugleich ironisiert.

Und auf seine Kosten kommt, wer an der Entschlüsselung literarischer Anspielungen seine Freude hat. Wenn der Ich-Erzähler in seiner Wiener Zeit angeblich mit dem Burgtheaterdirektor Peymann eine Hose kaufen ging, so bezieht er sich auf eines der kleinen Peymann-Stücke von Thomas Bernhard. Der beim Holzfällen verunglückte Professor für Literatur erwacht aus dem Koma als Dichter, bricht in die (auch von Paul Celan zitierten) "Pallaksch! Pallaksch!"-Rufe aus, die beim späten Hölderlin sowohl Bejahung wie Verneinung bedeuten konnten, und wünscht, mit Godot zu sprechen. Die Farce triumphiert, wenn an einem Benefiz-Fußballspiel zugunsten der Aachener Heilanstalt auch ein römischer Erzbischof Spadolini teilnimmt und der Schiedsrichter Horkheimer heißt.

Schwanitz' Roman "Der Campus" wurde als scharfe Satire gegen eine Universität verstanden, die unter neuen Interessenkonflikten vom alten Bildungsideal wegdriftet, in manchen Fachbereichen Hamburgs läuteten nach dem Erscheinen des Romans die Alarmglocken. In Essen muß sich durch den Roman "Uniklinik" wohl niemand persönlich entlarvt fühlen. Die Satire gegen geistigen Schlendrian an der Hochschule bleibt allgemein, trifft eher Atmosphärisches als Konkretes. Der Autor Sauer ist - der Kalauer sei gestattet - ein wenig sauer, aber nicht unbedingt von Besserungsabsichten getrieben. Er benutzt den Campus als ein Spielfeld frei schweifender, auch das Abstruse nicht verschmähender Phantasie. Das geschieht manchmal mit journalistischem "Pep", manchmal mit Witz und im ganzen mit recht viel Intelligenz. Ich sehe zwar den Autor nicht als künftigen Büchnerpreisträger, habe aber seinen Roman mit Vergnügen gelesen.

WALTER HINCK

Jörg Uwe Sauer: "Uniklinik". Roman. Residenz Verlag, Salzburg und Wien 1999, 222 S., geb., 38,- Mark.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
"Unter den Debüts der deutschsprachigen Literatur ist "Uniklinik" das allermerk-, wenn nicht sogar denkwürdigste. Wenn diese akademische Verstörung kein "Kultbuch" an den deutschen "Geistesvernichtungsanstalten" wird, müssten deren studentische Insassen wirklich von allen guten Geistern verlassen sein." (Frankfurter Rundschau)