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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.08.2010

Die Bücher und das dumme Geld

Die amerikanische Gegenwartsliteratur unterwirft sich der Figur des Bankers, dem in aktuellen Romanen kleine Denkmäler errichtet werden.

Von Ralph Martin

Als ich Anfang der neunziger Jahre studierte, galt die Wall Street an amerikanischen Universitäten nicht als glamouröser Arbeitsplatz. Amerika erholte sich damals immer noch von dem Börsencrash, der den Swinging Eighties ein Ende gesetzt hatte, und stiernackige Football- oder Hockeyspieler und taschenrechnerschwingende Mathematik-Nerds schienen die Einzigen zu sein, die einseitig interessiert genug waren, ihren Lebensunterhalt mit dem Verschieben von Geldstapeln verdienen zu wollen.

Die Brillanten und Schönen wandten sich dem Journalismus zu, versuchten Romane zu schreiben, gründeten Rockbands. Sie nahmen schlechte Jobs an, um ihre künstlerischen Neigungen zu finanzieren. Ich kannte mehrere angehende Schriftsteller, die in derselben Pizzeria im New Yorker East Village arbeiteten wie ich. Die Literatur gehörte den Bohemiens. "Die geheime Geschichte" von Donna Tartt und "Die Geheimnisse von Pittsburgh" von Michael Chabon waren internationale Bestseller, die sich mit der Suche nach Identität in einer plötzlich unsicher gewordenen Welt befassten. Selbst "Liar's Poker" ("Wall-Street-Poker"), ein Sachbuch-Bestseller, war eine warnende Geschichte von widerwärtigen, moralisch heruntergekommenen Männern bei der Arbeit, deren Exzesse ans Satirische grenzten. Als Höhepunkt dieser Zeit dürfte "American Psycho" von Bret Easton Ellis gelten, dessen Protagonist ein manisch-sadistischer, mordgieriger Investmentbanker ist.

Seit dem Einbruch von 2008 ist downtown New York nichts von einer Krise zu spüren. An der Wall Street verdient man immer noch zig Millionen Dollar an Boni, und die Universität Harvard schickt weiterhin viele ihrer smartesten Absolventen direkt in "The Street". Noch aufschlussreicher ist allerdings die Tatsache, dass die meisten gefeierten neuen Bücher sich geradezu obsessiv mit dem Banker, dieser einst verachteten Figur, befassen.

So hat die angesehene Zeitschrift "N+1" gerade ihr erstes Buch herausgebracht: "Diary of a Very Bad Year: Confessions of an Anonymous Hedge Fund Manager", in dem ein allwissender, aber namentlich nicht genannter Finanzmanager dem, wie er sagt, "literarischen New York" die großen Zusammenhänge erklärt. Michael Lewis, der vor vielen Jahren das amüsante "Liar's Poker" schrieb, hat einen neuen Bestseller, "The Big Short: Wie eine Handvoll Trader die Welt verzockte", das den jüngsten Crash erklärt und eine Reihe von "Außenseitern" porträtiert, die "es kommen sahen" und ihre Schäfchen ins Trockene brachten, bevor das Kartenhaus zusammenfiel.

Und dann sind da noch die "großen" Romane. Die weithin besprochenen amerikanischen Erfolgstitel der letzten Monate sind ganz verrückt auf Geld und Männer, die sehr viel davon "machen" - "verdienen" wäre hier der falsche Ausdruck. In Adam Hasletts Roman "Union Atlantic" und in Jonathan Dees ähnlich gut aufgenommenem "The Privileges" ist der Banker ein amerikanischer Jedermann, die perfekte Projektionsfläche für die Probleme aktueller amerikanischer Existenz. Diese Bücher sind unterhaltsame Streifzüge durch den Hochkapitalismus, an deren Ende sich mancher fragen wird, ob nicht auch ein elementares Gefühl für Proportionen zu den Opfern des großen Crashs von 2008 gehört.

"Diary of a Very Bad Year" (Tagebuch eines sehr schlechten Jahres) ist eine sonderbare Wahl für das erste Buch, das "N+1" herausgibt, eine nach eigenem Bekunden anspruchsvolle alternative Zeitschrift für eine internationale Leserschaft. Das Buch besteht aus einer Reihe von Gesprächen zwischen Keith Gessen, einem der Gründer der Zeitschrift, und dem anonymen "HFM" (Hedgefonds-Manager). Gessen unterwirft sich dem HFM vollständig und lässt ihn nahezu das ganze Buch diktieren. Hier ein typisches Beispiel: "N+1: Wann fangen Sie morgens mit der Arbeit an? HFM: So um halb sechs oder viertel vor sechs. N+1: Wow!"

HFM beschreibt sehr genau und oft faszinierend, wie das Geld sich um den Erdball bewegt und wie Finanziers Ereignisse und Dinge der realen Welt - Unternehmen, die sich im Auf- oder Abstieg befinden, Währungsverschiebungen, Hypothekenkredite - aufgreifen, um wieder und wieder Profit daraus zu schlagen. Nominell ist zwar Keith Gessen "Autor" des Buchs. Er nahm die Gespräche auf, und HFM beantwortete seine Fragen. Doch HFM ist immer der Überlegene, weil er der Meister ist, der eine Lehre zu erteilen hat, etwa wie der Profithunger der Wall Street Ereignisse in der realen Welt auslöste, zum Beispiel Hypothekenkredite für Leute ohne Einkommen. Doch Gessen ist als Gesprächspartner ein blasser Abklatsch von Oriana Fallaci, die den Mächtigen in ihren Interviews mit Ajatollah Chomeini und anderen die Wahrheit sagte. Gessen versucht gar nicht erst, HFM aus der behaglichen Ecke zu treiben, in der er sich eingerichtet hat. Denn dann würde dieser wohl das Gespräch abbrechen, und es gäbe kein Buch.

"The Big Short" von Michael Lewis, das Anfang Oktober in deutscher Übersetzung im Campus Verlag erscheint, gibt vor, die Geschichte eines großen, durch einen Herdentrieb ausgelösten Wahnsinns zu erzählen, nämlich des Absturzes der Wall Street im Herbst 2008, verwendet letztlich aber mehr Zeit darauf, jene "Außenseiter" zu preisen, die die Finanzkrise kommen sahen und mächtig Geld damit verdienten.

Was den Sachbuch-Chroniken aus der realen Welt indes fehlt, ist ein glamouröser, gutaussehender Held. Diese Lücke füllt die junge Romanliteratur. Adam Hasletts "Union Atlantic", bereits im vergangenen Herbst in Deutschland erschienen, stellt einen skrupellosen Banker namens Doug Fanning in den Mittelpunkt, der aus ärmlichen Verhältnissen zur Kriegsmarine flüchtet, dann in die Finanzwelt geht und rasch ein Vermögen macht, bevor er - unvermeidlich - in Schwierigkeiten gerät und das Schicksal ihn dorthin zurückschickt, woher er gekommen ist. Seitenlang erklärt der Autor die Finanzwelt, einschließlich der argentinischen Schuldenkrise von 2001.

Jonathan Dee schildert in "The Privileges" den Aufstieg eines einzelnen Paars an die Spitze der New Yorker Finanzwelt und Gesellschaft. Adam und Cynthia Morey, mit deren Hochzeit in Pittsburgh der Roman beginnt, sind ein perfektes fiktives Wall-Street-Paar. Über zwei Jahrzehnte hinweg verfolgen wir, wie die beiden mit großen Schritten die Leiter des Erfolgs hinaufsteigen, ohne je zurückzuschauen. Adam lässt sich auf Insidergeschäfte ein, doch als er dies Cynthia gesteht, liebt sie ihn nur umso mehr, weil er bereit ist, alles zu tun, um sie beide reich zu machen. Als das Paar dann endlich einige hundert Millionen Dollar beisammen hat, werden die Kinder zum Problem: die Drogen- und Nachtclub-Eskapaden der Tochter enden in einem blutigen Verkehrsunfall. Die Familie igelt sich ein. Jonathan Dees Stimme scheint bisweilen ganz mit der Wahrnehmung seiner narzisstischen Figuren zu verschmelzen, und manchmal weiß der Leser nicht recht, ob Dee sich in die von ihm entworfenen Geschöpfe verliebt hat oder nur in das viele Geld, das sie aufgehäuft haben.

Es kann unterhaltsam sein, Bücher über diesen Geldwahnsinn zu lesen, vor allem aber spiegelt sich darin auch eine erstaunliche Umorientierung der Schriftsteller. Heute interpretiert kein John Steinbeck oder John Updike mehr das Zustandekommen der Großereignisse, indem er kleine Leute erfindet, die wie Schachfiguren auf dem Spielfeld verschoben werden können. Stattdessen wirft sich der von der Finanzwelt besessene amerikanische Autor heute immer häufiger seinen allmächtigen und selbstbewussten Figuren zu Füßen. Selbst Doug Fanning in "Union Atlantic" usurpiert die Arbeit des Schriftstellers. Er fühlt sich, wie Adam Haslett schreibt, als "ein Künstler der wirklichen Welt . . ., als Herr über Bedingungen, unter denen andere nur zu leiden hatten".

"Das ist so ein Endzeit-Mist", sagt eine Nebenfigur in "The Privileges" mit Blick auf den Reichtum der Moreys. Und tatsächlich wirkt die amerikanische Literatur heute wie eine Afterparty, der die Stimulantien auszugehen drohen. Da bleibt dann nur noch die Satire, auf die wir uns freuen können. Zum Glück erscheint bald der neue Roman Gary Shteyngarts über den Zusammenbruch der Finanzwelt. Der scharfzüngige russisch-stämmige Chronist des Grotesken hat ihm den Titel "Super Sad True Love Story" verpasst und dürfte das Thema in einer Weise aufspießen, wie es noch niemand getan hat.

Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff. Ralph Martin, geboren 1970 in Granville, Ohio, lebt seit 2003 in Berlin. 2009 erschien sein Buch "Ein Amerikaner in Berlin".

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Union Atlantic singt die Geschichten der Persönlichkeit und hat bereits jetzt Zukunft geschrieben. Ein herausragender Roman. Die Welt