Janice Sessions, Tochter jüdischer Emigranten in New York, ist eine unscheinbare Frau, eine der melancholischen Heldinnen Edward Hoppers. Zwischen den Kriegen treibt ihr Leben zwischen Deli und Greenwich Village dahin, bis sie einem blinden Musiker begegnet und die flüchtige sinnliche Schönheit des Glücks erfährt. »Arthur Millers Erzählung besticht durch ihre klare knappe Sprache. Er erzählt diese Geschichte von der Suche nach persönlichem Glück und Integrität auf bestechend einfühlsame Art. Ein Buch, das einen nicht so schnell wieder loslässt.« Sonntag
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.10.1995Lieber gleich ins Kino
Unscheinbar, aber nicht genial: Arthur Millers glücklose Göre
Die jüngste ins Deutsche übersetzte Erzählung von Arthur Miller handelt vom Glück. Von erfülltem Glück sogar. Und, um es vorwegzunehmen, sie läßt einem nur die Wahl, sie entweder absolut peinlich zu finden oder aber sie regelrecht zu bewundern für ihre waghalsige Bedenkenlosigkeit.
Die Handlung ist einfach. Erzählt wird die Geschichte einer Frau, die in den dreißiger Jahren Anfang Zwanzig ist und mehr als einmal sich fragen muß: "Ich werde nie schön sein oder wenigstens ein Genie. Was habe ich also zu erwarten?" Insoweit stimmt der deutsche Titel der Erzählung: "Unscheinbares Mädchen". Andererseits trifft diese Übersetzung aber auch wieder gar nicht zu. Denn die Originalausgabe von 1992 heißt "Plain Girl", und "plain" konnotiert ebenso Klarheit, Direktheit - eine Frau, die weiß, was sie will: "Sie war snobistisch und wollte es sein."
Nur leider bewahrt dieser Snobismus Janice nicht davor, erst einmal einen Mann zu heiraten, der keineswegs zu ihr paßt. Als überzeugter Kommunist und darum Antifaschist raubt er ihr mehrere Jahre ihres Lebens, indem er Vorträge über die "Bekehrung zur Partei" hält und glaubt, das sei schon beinahe alles, was zum Sichlieben gehört. In derselben Eigenschaft zieht dieser Mann dann jedoch in den Krieg, und das gibt der Heldin Zeit und Gelegenheit genug, erstens zu sich selbst zu finden, um zweitens von ihrem zurückgekehrten Mann, den sein Stolz, der gerechten Sache mit zum Sieg verholfen zu haben, auch nicht zum besseren Liebhaber macht, sich zu trennen. Woraufhin eine zweite, nun wahre Liebe ihr beschieden ist, die Liebe zu und das Leben mit Charles, der blind ist, so daß er ihr eher fades Gesicht nicht sehen, um so mehr aber ihren "gutgebauten, festen Körper" beglücken kann. Daraus entwickeln sich dann die letzten vierzehn Jahre, nach denen die Erzählung endet. Der Geliebte ist gestorben, doch die Heldin und mit ihr die Leser wissen es nun: "O Tod, o Tod, sagte sie fast hörbar . . . in Gedanken an ihr Glück: die Erfahrung von Schönheit."
Worin die Peinlichkeit besteht, braucht da nicht mehr lange ausgeführt zu werden. Die Erzählung rutscht von einem Klischee in das andere. Die Figuren bleiben überwiegend Marionetten gutgemeinter Ideen. Der Stil soll wohl lakonisch sein, aber allzuoft verenden die Sätze in Platitüden, die unbeholfen zu nennen noch höflich ist.
Gleichzeitig wird aber gerade auf diese Weise jede Botschaft, wie sie der Text doch so überdeutlich vor sich her zu tragen scheint, unterminiert. Selbstgenügsamer als diese könnte eine Erzählung nicht sein. Also durchaus auch nicht kunstvoller. Zumal verschiedene Lakonismen ja durchaus gelungen sind (",Du hast graue Augen', sagte er mit einem gewissen Hunger, den sie absurd und notwendig fand."), und zumal es wunderbare Passagen gibt wie die über den nach seinem Tod eingeäscherten Vater, der so - als Asche in einer kleinen Pappschachtel ("ein ganzer Mann in einer Zehn-mal-fünfzehn-Zentimeter-Schachtel") - der Heldin übergeben wird, die sich daraufhin in eine Bar begibt, wo sie die Schachtel tatsächlich vergißt: "Sie hatte Papa auf der Theke gelassen . . . Und so war Papa weg."
Das, muß man sagen, hat Größe, genauso wie das kurze Kapitel über die Garbo-Filme, die Janice (zwischenzeitlich entschlossen, ganz der Amüsierkunst zu leben) sich ansieht: "Sie bekam Lust, auf einem Dach zu stehen und vor Glück die Sterne anzuschreien, wenn die Schauspielerin einem edlen weißen Rolls entstieg, ohne je mit dem Absatz in ihrem hauchdünnen langen Kleid hängenzubleiben. Ihr schmachtendes Dasitzen, diese abgrundtiefe Blasiertheit ihrer launischen Duelle mit ihren männlichen Partnern und schließlich die Art, wie sie ihren keramischen Augenlidern die Erlaubnis erteilte, sich bei Barrymores lange hinausgezögertem Kuß genüßlich zu schließen . . ." - dafür vergibt man dem Buch so manches. Sogar, daß es uns danach wieder mit der Suche nach dem echten Glück traktiert. Wo uns das Kino doch genügt hätte. BERNHARD DOTZLER
Arthur Miller: "Unscheinbares Mädchen, ein Leben". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Harro Stammerjohann. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1995. 75 S., geb., 20,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unscheinbar, aber nicht genial: Arthur Millers glücklose Göre
Die jüngste ins Deutsche übersetzte Erzählung von Arthur Miller handelt vom Glück. Von erfülltem Glück sogar. Und, um es vorwegzunehmen, sie läßt einem nur die Wahl, sie entweder absolut peinlich zu finden oder aber sie regelrecht zu bewundern für ihre waghalsige Bedenkenlosigkeit.
Die Handlung ist einfach. Erzählt wird die Geschichte einer Frau, die in den dreißiger Jahren Anfang Zwanzig ist und mehr als einmal sich fragen muß: "Ich werde nie schön sein oder wenigstens ein Genie. Was habe ich also zu erwarten?" Insoweit stimmt der deutsche Titel der Erzählung: "Unscheinbares Mädchen". Andererseits trifft diese Übersetzung aber auch wieder gar nicht zu. Denn die Originalausgabe von 1992 heißt "Plain Girl", und "plain" konnotiert ebenso Klarheit, Direktheit - eine Frau, die weiß, was sie will: "Sie war snobistisch und wollte es sein."
Nur leider bewahrt dieser Snobismus Janice nicht davor, erst einmal einen Mann zu heiraten, der keineswegs zu ihr paßt. Als überzeugter Kommunist und darum Antifaschist raubt er ihr mehrere Jahre ihres Lebens, indem er Vorträge über die "Bekehrung zur Partei" hält und glaubt, das sei schon beinahe alles, was zum Sichlieben gehört. In derselben Eigenschaft zieht dieser Mann dann jedoch in den Krieg, und das gibt der Heldin Zeit und Gelegenheit genug, erstens zu sich selbst zu finden, um zweitens von ihrem zurückgekehrten Mann, den sein Stolz, der gerechten Sache mit zum Sieg verholfen zu haben, auch nicht zum besseren Liebhaber macht, sich zu trennen. Woraufhin eine zweite, nun wahre Liebe ihr beschieden ist, die Liebe zu und das Leben mit Charles, der blind ist, so daß er ihr eher fades Gesicht nicht sehen, um so mehr aber ihren "gutgebauten, festen Körper" beglücken kann. Daraus entwickeln sich dann die letzten vierzehn Jahre, nach denen die Erzählung endet. Der Geliebte ist gestorben, doch die Heldin und mit ihr die Leser wissen es nun: "O Tod, o Tod, sagte sie fast hörbar . . . in Gedanken an ihr Glück: die Erfahrung von Schönheit."
Worin die Peinlichkeit besteht, braucht da nicht mehr lange ausgeführt zu werden. Die Erzählung rutscht von einem Klischee in das andere. Die Figuren bleiben überwiegend Marionetten gutgemeinter Ideen. Der Stil soll wohl lakonisch sein, aber allzuoft verenden die Sätze in Platitüden, die unbeholfen zu nennen noch höflich ist.
Gleichzeitig wird aber gerade auf diese Weise jede Botschaft, wie sie der Text doch so überdeutlich vor sich her zu tragen scheint, unterminiert. Selbstgenügsamer als diese könnte eine Erzählung nicht sein. Also durchaus auch nicht kunstvoller. Zumal verschiedene Lakonismen ja durchaus gelungen sind (",Du hast graue Augen', sagte er mit einem gewissen Hunger, den sie absurd und notwendig fand."), und zumal es wunderbare Passagen gibt wie die über den nach seinem Tod eingeäscherten Vater, der so - als Asche in einer kleinen Pappschachtel ("ein ganzer Mann in einer Zehn-mal-fünfzehn-Zentimeter-Schachtel") - der Heldin übergeben wird, die sich daraufhin in eine Bar begibt, wo sie die Schachtel tatsächlich vergißt: "Sie hatte Papa auf der Theke gelassen . . . Und so war Papa weg."
Das, muß man sagen, hat Größe, genauso wie das kurze Kapitel über die Garbo-Filme, die Janice (zwischenzeitlich entschlossen, ganz der Amüsierkunst zu leben) sich ansieht: "Sie bekam Lust, auf einem Dach zu stehen und vor Glück die Sterne anzuschreien, wenn die Schauspielerin einem edlen weißen Rolls entstieg, ohne je mit dem Absatz in ihrem hauchdünnen langen Kleid hängenzubleiben. Ihr schmachtendes Dasitzen, diese abgrundtiefe Blasiertheit ihrer launischen Duelle mit ihren männlichen Partnern und schließlich die Art, wie sie ihren keramischen Augenlidern die Erlaubnis erteilte, sich bei Barrymores lange hinausgezögertem Kuß genüßlich zu schließen . . ." - dafür vergibt man dem Buch so manches. Sogar, daß es uns danach wieder mit der Suche nach dem echten Glück traktiert. Wo uns das Kino doch genügt hätte. BERNHARD DOTZLER
Arthur Miller: "Unscheinbares Mädchen, ein Leben". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Harro Stammerjohann. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1995. 75 S., geb., 20,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main