Christoph Dompke ist Kabarettist mit einer großen Leidenschaft für Trashfilme. Sein erster Filmführer über alte Frauen in schlechten Filmen wurde im Feuilleton begeistert aufgenommen. Endlich wagte jemand auszusprechen - und genüßlich zu sezieren, was bisher mit dem Mantel des Schweigens bedeckt war. In "Unschuld und Unheil" bleibt er diesem Erfolgsrezept treu. Während "das Kind" offiziell als eine der letzten Ikonen unserer Kultur gehandelt wird, ist die filmische Darstellung entweder abgrundtief verkitscht oder dämonisierend. So meint Frank Trebbin in "Die Angst sitzt neben Dir", dass der beste Horror immer noch von Kindern ausgeht. Dompke erzählt und erläutert, was die Filmindustrie mit Kindern alles anstellt, und das ist in vielen Fällen so abenteuerlich, dass selbst Kinderhasser Mitleid bekommen werden. Trotz vieler oft sehr überraschender Informationen ist "Unschuld und Unheil" vor allem ein großer Spaß.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.04.2000Wilde Mädchen sind immer blond und schön
Und ihre Augen sind braun wie die Vergangenheit: Christoph Dompke unterwirft verdorbene Kinokinder einem peinlichen Verhör
Christoph Dompkes erstes Buch war Balsam für überlastete Kritikerseelen. "Weil doch was blieb" wurde warm aufgenommen, genügte doch ein Blick auf den Einband, um Lobenswertes zu finden. "Alte Frauen in schlechten Filmen" - dieser Untertitel war ein Höhepunkt der Saison. Mit entschiedener Subjektivität hatte Dompke sich alternden Filmdiven gewidmet, deren letzte Filme unter das Niveau ihrer Schminkschicht sanken. Nun hat der Autor nachgelegt. "Unschuld und Unheil" heißt sein zweites Buch, "Das verdorbene Kind im Film". Dompke zeigt sich weiterhin vernarrt in B-Movies. Das "verdorbene" Kind aber, das verkitschte oder böse, kümmert ihn nicht gar zu sehr. Genießerisch verhackstückt er einen bodenlosen Film nach dem anderen und schützt auch analytische Durchdringung vor. Neil Postman wird ab und zu genannt, mit Vorliebe nach "Subtexten" gesucht. Die Folge ist eine Reihe geistiger Schnellschüsse auf dünne Bretter. Beim Blick durch die Einschusslöcher erblickt Dompke, Jahrgang 1965, vorwiegend "braune Vergangenheit".
"Der schweigende Engel" von 1954 handelt von einem stummen Mädchen, das keinen Vater hat und dessen Bruder im Gefängnis einsitzt. In diesem "zutiefst symbolischen Film" ist der Subtext schnell gefunden. "Die Abweichungen vom Schema sind bezeichnend: Das Kind hat einen Makel (es ist stumm), so wie die deutsche Nachkriegsgesellschaft, trotz allen Aufbauwillens, den Makel der nationalsozialistischen Herrschaft trug und im Konzert der anderen Staaten meist schweigen musste." Das ist tief geblickt, ungefähr ins fünfte Glas. Beim siebten taucht auch der reuige Bruder wieder auf: "Inzwischen versucht die Unterwelt, also die braune Vergangenheit in Gestalt des Verbrechers Katz, wieder Kontakt zum großen Bruder aufzunehmen. Das kann ein später Nachhall der Werwölfe sein, jener Organisation von Nationalsozialisten, die bis zum Ende der vierziger Jahre versuchten, den Aufbauwillen des neuen Deutschlands durch Sabotageakte zu untergraben."
Unnachgiebig plagen die Schatten der Vergangenheit auch uns Leser. Einen Abenteuerfilm entlarvt Dompke als Reflex deutschen Großmachtstrebens, weil er in Afrika spielt. Der verdächtig blonde Hardy Krüger fängt die tarzaneske Heldin Liane ein "und sagt doch tatsächlich: ,Am besten ist, wir sperren sie über Nacht in einen der Käfige.' Da ist es realiter kaum noch ein Katzensprung zur Ideologie des Dritten Reiches." Wir haben diese Stelle mehrfach gelesen - es ist kein Sinn herauszulesen. Aber realiter ist ein hübsches Wort. Stefan Raab könnte einen ganzen Abend damit bestreiten.
Immerhin sorgt die tanzende Liane für ein Highlight der Bebilderung. Ein zweites liefert das Horrorwunderkind Patty McCormack, das in "Die böse Saat" derart böse guckt, dass ein Auge realiter herauszuglubschen droht. Der Rest der Illustration ist armselig. Statt mehr trashiger Szenenfotos gibt es Bleiwüste sowie Porträts der Kabarettfigur Emmi Hempel-Berti, hinter der sich niemand sonst verbirgt als Christoph Dompke.
Wo Bilder ihn im Stich lassen, stehen dem Cineasten die Textzitate reichlicher zur Verfügung. Mit merklichem Spaß macht er sich um den Erhalt von Dialogfetzen verdient, die der Nachwelt zur Mahnung gereichen. Er findet sie selbst in renommierteren Werken wie "Lieben Sie Brahms?": "Ingrid Bergman und Yves Montand sitzen im Auto. Yves hat ihr gerade ein gemeinsames Treffen abgesagt. Ingrid stellt das Radio ein und sagt: ,Wie oft habe ich das schon getan, mich vorgebeugt und das Radio angestellt?' Leider will das außer ihr niemand wissen, nicht einmal Yves Montand. Nun, so ist es nicht verwunderlich, dass Anthony Perkins sie im Sturm erobern kann, zumal er sich in Bezug auf die Dialoge auf ihr Niveau begibt: ,Was tue ich überhaupt? Ich meine, was habe ich getan, um zu beweisen, dass ich lebe? Mir ist gerade klar geworden, dass ich noch nie gelebt habe.'"
Die amüsante Gleichsetzung von Künstlern und Figuren rutscht leider auch in analytisch gemeinte Passagen. Für Dompke ist Nabokov eins mit dem Antihelden Humbert Humbert, und aus erlittenen Schicksalen macht er süßliche Poesie, die sogar auf Wasser schwimmt: "Die Geschichten der Lolita-Darstellerinnen sind immer auch Geschichten vom Scheitern, von Drogenexzessen, von Selbstmorden. Der Trieb zur Selbstzerstörung wohnt fast allen diesen Nymphen inne. Linda Blairs Abtauchen in ein Meer von Drogen ist dabei die moderne Variante der kleinen Meerjungfrau, die zum Schaum auf den Wellen des Meeres wird."
Ob so etwas veröffentlicht werden sollte, liegt im Ermessen von Autor und Verlag. Unentschuldbar sind dagegen Dompkes bösartige Ausfälle, wenn er auf die "miserable Schauspielerin" Mia Farrow zu sprechen kommt. Besonders ihre vierzehnfache Mutterschaft ist ihm ein Dorn im Auge: "Tam ist blind, Soon-Yi las Mia in den Slums von Seoul auf, als diese abgemagert, eiternd und verwahrlost vor sich hin dämmerte, und als sie den damals zweijährigen Moses adoptierte, litt dieser an einer halbseitigen Gehirnlähmung. Man mag gar nicht vermuten, was ,Mama Mia' dazu trieb. Vielleicht das Greta-Ohlsson-Syndrom, kleine braune Babys zu betreuen, die noch zurückgebliebener sind als sie selbst." Abschließend legt er ihr das Ende der Woody-Allen-Figur Eve aus "Innenleben" nahe: Die begeht Selbstmord.
Für solche Abschweifungen hat Dompke Gelegenheit, weil sein Buch thematisch verwaschen ist. Bei Bedarf fallen auch "Nixen" und "Femmes fragiles" in die Rubrik "verdorbene Kinder". Als Dompke eine literaturwissenschaftliche Arbeit als "Fast-Food-Elaborat" einstuft, bringt er die Messlatte für sein eigenes Werk an. Ein paar Seiten lang ist der Plauderton gut konsumierbar. Inhaltlich aber überzeugt dieses Buch nicht nur nicht. Man fragt sich auch, wovon.
KLAUS UNGERER
Christoph Dompke: "Unschuld und Unheil - das verdorbene Kind im Film". Ein unterhaltsamer Filmführer. MännerschwarmSkript Verlag, Hamburg 1999. 144 S., Abb., kt., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und ihre Augen sind braun wie die Vergangenheit: Christoph Dompke unterwirft verdorbene Kinokinder einem peinlichen Verhör
Christoph Dompkes erstes Buch war Balsam für überlastete Kritikerseelen. "Weil doch was blieb" wurde warm aufgenommen, genügte doch ein Blick auf den Einband, um Lobenswertes zu finden. "Alte Frauen in schlechten Filmen" - dieser Untertitel war ein Höhepunkt der Saison. Mit entschiedener Subjektivität hatte Dompke sich alternden Filmdiven gewidmet, deren letzte Filme unter das Niveau ihrer Schminkschicht sanken. Nun hat der Autor nachgelegt. "Unschuld und Unheil" heißt sein zweites Buch, "Das verdorbene Kind im Film". Dompke zeigt sich weiterhin vernarrt in B-Movies. Das "verdorbene" Kind aber, das verkitschte oder böse, kümmert ihn nicht gar zu sehr. Genießerisch verhackstückt er einen bodenlosen Film nach dem anderen und schützt auch analytische Durchdringung vor. Neil Postman wird ab und zu genannt, mit Vorliebe nach "Subtexten" gesucht. Die Folge ist eine Reihe geistiger Schnellschüsse auf dünne Bretter. Beim Blick durch die Einschusslöcher erblickt Dompke, Jahrgang 1965, vorwiegend "braune Vergangenheit".
"Der schweigende Engel" von 1954 handelt von einem stummen Mädchen, das keinen Vater hat und dessen Bruder im Gefängnis einsitzt. In diesem "zutiefst symbolischen Film" ist der Subtext schnell gefunden. "Die Abweichungen vom Schema sind bezeichnend: Das Kind hat einen Makel (es ist stumm), so wie die deutsche Nachkriegsgesellschaft, trotz allen Aufbauwillens, den Makel der nationalsozialistischen Herrschaft trug und im Konzert der anderen Staaten meist schweigen musste." Das ist tief geblickt, ungefähr ins fünfte Glas. Beim siebten taucht auch der reuige Bruder wieder auf: "Inzwischen versucht die Unterwelt, also die braune Vergangenheit in Gestalt des Verbrechers Katz, wieder Kontakt zum großen Bruder aufzunehmen. Das kann ein später Nachhall der Werwölfe sein, jener Organisation von Nationalsozialisten, die bis zum Ende der vierziger Jahre versuchten, den Aufbauwillen des neuen Deutschlands durch Sabotageakte zu untergraben."
Unnachgiebig plagen die Schatten der Vergangenheit auch uns Leser. Einen Abenteuerfilm entlarvt Dompke als Reflex deutschen Großmachtstrebens, weil er in Afrika spielt. Der verdächtig blonde Hardy Krüger fängt die tarzaneske Heldin Liane ein "und sagt doch tatsächlich: ,Am besten ist, wir sperren sie über Nacht in einen der Käfige.' Da ist es realiter kaum noch ein Katzensprung zur Ideologie des Dritten Reiches." Wir haben diese Stelle mehrfach gelesen - es ist kein Sinn herauszulesen. Aber realiter ist ein hübsches Wort. Stefan Raab könnte einen ganzen Abend damit bestreiten.
Immerhin sorgt die tanzende Liane für ein Highlight der Bebilderung. Ein zweites liefert das Horrorwunderkind Patty McCormack, das in "Die böse Saat" derart böse guckt, dass ein Auge realiter herauszuglubschen droht. Der Rest der Illustration ist armselig. Statt mehr trashiger Szenenfotos gibt es Bleiwüste sowie Porträts der Kabarettfigur Emmi Hempel-Berti, hinter der sich niemand sonst verbirgt als Christoph Dompke.
Wo Bilder ihn im Stich lassen, stehen dem Cineasten die Textzitate reichlicher zur Verfügung. Mit merklichem Spaß macht er sich um den Erhalt von Dialogfetzen verdient, die der Nachwelt zur Mahnung gereichen. Er findet sie selbst in renommierteren Werken wie "Lieben Sie Brahms?": "Ingrid Bergman und Yves Montand sitzen im Auto. Yves hat ihr gerade ein gemeinsames Treffen abgesagt. Ingrid stellt das Radio ein und sagt: ,Wie oft habe ich das schon getan, mich vorgebeugt und das Radio angestellt?' Leider will das außer ihr niemand wissen, nicht einmal Yves Montand. Nun, so ist es nicht verwunderlich, dass Anthony Perkins sie im Sturm erobern kann, zumal er sich in Bezug auf die Dialoge auf ihr Niveau begibt: ,Was tue ich überhaupt? Ich meine, was habe ich getan, um zu beweisen, dass ich lebe? Mir ist gerade klar geworden, dass ich noch nie gelebt habe.'"
Die amüsante Gleichsetzung von Künstlern und Figuren rutscht leider auch in analytisch gemeinte Passagen. Für Dompke ist Nabokov eins mit dem Antihelden Humbert Humbert, und aus erlittenen Schicksalen macht er süßliche Poesie, die sogar auf Wasser schwimmt: "Die Geschichten der Lolita-Darstellerinnen sind immer auch Geschichten vom Scheitern, von Drogenexzessen, von Selbstmorden. Der Trieb zur Selbstzerstörung wohnt fast allen diesen Nymphen inne. Linda Blairs Abtauchen in ein Meer von Drogen ist dabei die moderne Variante der kleinen Meerjungfrau, die zum Schaum auf den Wellen des Meeres wird."
Ob so etwas veröffentlicht werden sollte, liegt im Ermessen von Autor und Verlag. Unentschuldbar sind dagegen Dompkes bösartige Ausfälle, wenn er auf die "miserable Schauspielerin" Mia Farrow zu sprechen kommt. Besonders ihre vierzehnfache Mutterschaft ist ihm ein Dorn im Auge: "Tam ist blind, Soon-Yi las Mia in den Slums von Seoul auf, als diese abgemagert, eiternd und verwahrlost vor sich hin dämmerte, und als sie den damals zweijährigen Moses adoptierte, litt dieser an einer halbseitigen Gehirnlähmung. Man mag gar nicht vermuten, was ,Mama Mia' dazu trieb. Vielleicht das Greta-Ohlsson-Syndrom, kleine braune Babys zu betreuen, die noch zurückgebliebener sind als sie selbst." Abschließend legt er ihr das Ende der Woody-Allen-Figur Eve aus "Innenleben" nahe: Die begeht Selbstmord.
Für solche Abschweifungen hat Dompke Gelegenheit, weil sein Buch thematisch verwaschen ist. Bei Bedarf fallen auch "Nixen" und "Femmes fragiles" in die Rubrik "verdorbene Kinder". Als Dompke eine literaturwissenschaftliche Arbeit als "Fast-Food-Elaborat" einstuft, bringt er die Messlatte für sein eigenes Werk an. Ein paar Seiten lang ist der Plauderton gut konsumierbar. Inhaltlich aber überzeugt dieses Buch nicht nur nicht. Man fragt sich auch, wovon.
KLAUS UNGERER
Christoph Dompke: "Unschuld und Unheil - das verdorbene Kind im Film". Ein unterhaltsamer Filmführer. MännerschwarmSkript Verlag, Hamburg 1999. 144 S., Abb., kt., 29,80 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ein sich langsam aber stetig steigernder Verriss. Klaus Ungerer findet zwar Dompkes Vorliebe für B-Movies irgendwie sympathisch, aber sein Buch insgesamt eher oberflächlich. Wenn den Rezensenten die Analyse schwieriger Kinder und kindlicher Frauen in den deutschen Filmen der Fünfziger - nach Dompke allesamt eine maskierte Wiederkehr des Dritten Reiches - schon nicht überzeugt, machen ihn die "bösartigen Ausfälle" gegen die Schauspielerin Mia Farrow dagegen richtig wütend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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