Siegfried Unseld (1924 - 2002) war ohne Zweifel der bedeutendste Verleger der Bundesrepublik, eine Gestalt von antiker Wucht. Als Eigentümer des Frankfurter Suhrkamp Verlags, als Freund und Förderer großer deutscher Autoren, prägte er jahrzehntelang das Geistesleben in Deutschland. Schillernd in seiner Persönlichkeit und voller Widersprüche war er eine seltene, geradezu idealtypische Verbindung von Unternehmer und Geistesmensch. Peter Michaelziks Buch zeigt den bedeutenden und erfolgreichen Verleger in all seinen Facetten. Er folgt den Spuren Siegfried Unselds in chronologischer Reihenfolge: von seiner Kindheit und Jugend in Ulm über seine Anfänge im Verlagswesen bis hin zum Wirken als allseits geachteter Repräsentant des kulturellen Lebens.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.09.2002Ein Leben, stärker als jedes Wort
Peter Michalziks leider mißlungene Biographie Siegfried Unselds
Nein, das Ereignis einer ersten Biographie von Siegfried Unseld ist hier nicht anzuzeigen, auch wenn Peter Michalzik sein Buch "Unseld" so nennt. Der Suhrkamp Verlag schickt (an alle, außer dem Blessing Verlag) noch vor Veröffentlichung des Buches eine Art offenen Brief herum: eine gewaltige Liste mit größeren und kleineren Fehlern, die im Kern einen desaströsen Eindruck von dem Werk vermitteln. Man könnte dem Verfasser zugute halten, daß bei Lebenden der Positivismus immer mißrät, weil viele Quellen unzugänglich bleiben. Aber es gähnen so viele Lücken und Abgründe unter der flotten Handschrift, daß man sich fragt, was den intellektuell ausgewiesenen Journalisten Peter Michalzik so in die Irre geführt hat.
Um nur dieses Beispiel zu nennen: Eine Biographie Unselds kann nicht geschrieben werden, ohne gleichzeitig die Wirkungsgeschichte seines Frankfurter Mitspielers Marcel Reich-Ranicki zu erzählen. Klar, die "Lindenstraßen-Tapes", die Mitschnitte der Telefonate, die die beiden seit 1973 zeitweise fast stündlich führten, sind leider unauffindbar. Aber die Korrespondenz ist da, teilweise publiziert, von seiten Reich-Ranickis sicherlich zugänglich, und auskunftswillig sind überdies in diesen Dingen viele - warum also diese Zurückhaltung? Wen interessiert dagegen die für die unmittelbar Beteiligten gewiß erregende, für den Leser allerdings eher langweilige Zusammenarbeit zwischen Siegfried Unseld und seinem Lektor Raimund Fellinger?
Michalziks Biographie, die also keine Biographie für Leser ist, ist aber nicht einmal ein Buch für die Suhrkamp-Mitarbeiter. Die Fehler in der Beurteilung der rechtlichen Konstruktion des Verlags sind grotesk. Aber die Irrtümer bei der Charakterisierung von Personen und ihren Rollen sind schlicht töricht. Man kann ja über Unselds Anwalt Heinrich Lübbert mancherlei denken; aber er ist ohne Zweifel nicht nur, wie Unseld meint, einer der besten, sondern gewiß auch einer der intellektuell gefährlichsten Vertreter seiner Zunft. Den ausgebildeten Philosophen als "philosophischen Lebemann" zu charakterisieren, der sich angeblich sein Brot als Scheidungsanwalt verdient, heißt den Herrn des Dschungels mit dem Pflücker von Maiglöckchen zu verwechseln.
Die Schriftstellerin Ulla Berkéwicz, Unselds Ehefrau, mußte, seit sie den großen Verleger heiratete, stets mit Herabsetzungen durch den ebenso intriganten wie neiderfüllten Literaturbetrieb leben. Ihre Bücher wurden oft nur deshalb verrissen, weil sie Ehefrau ist, ihr Einfluß auf den Verlag andererseits entweder grob überschätzt oder ins Lächerliche minimiert. Hätte Michalzik die in diesem Jahr unter Dach und Fach gebrachte Neukonstruktion des Suhrkamp Verlags (F.A.Z. vom 5. Juni) wirklich verstanden, dann hätte er als durchaus kundiger Schreiber die Chance zu einem aufregenden Porträt gehabt: Tatsächlich hat Berkéwicz nicht nur Siegfried Unselds Leben, sondern - durch ihren Erbverzicht zugunsten der neugegründeten "Unseld Familienstiftung" - auch die Zukunft des Verlags gerettet.
Weil der Autor sich der Dramatik solcher vorurteilslosen Schilderung entschlägt, taugt sein Buch leider auch nicht als Sittengemälde. Ganz amusisch beschreibt er den Alltag des Verlegers, ohne Gespür für das Genie und die Findelust seines Helden, gerade so, als habe Siegfried Unseld Gebrauchtwagen verkauft.
Merkwürdig sind die Wut und der Neid, den dieser Mann provoziert. Vielleicht deshalb, weil Unseld eine Zeitlang mit seinem Programm den Intellektuellen des Landes das Denken vorgeschrieben hat. Als reue sie diese selbstverschuldete Entmündigung, haben ihm die Medien in sonderbarer Amtsanmaßung schon seit Jahren die ungelöste Nachfolgefrage vorgehalten und also indirekt den Rücktritt nahegelegt. Ganz in diesem Stil plaudert der Rezensent der "Süddeutschen Zeitung" nun aus, daß Unseld momentan so krank sei, daß ihm nichts mehr von öffentlichen Diskussionen mitgeteilt werde, und daß er überhaupt so gut wie nichts mehr mitbekomme. Das ist voreilig. Unselds Leben ist groß und stark; es sprengt jeden Satz dieser Biographie.
FRANK SCHIRRMACHER.
Peter Michalzik: "Unseld". Eine Biographie. Karl Blessing Verlag, München 2002. 400 S., 16 S. Abb., geb., 23,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Peter Michalziks leider mißlungene Biographie Siegfried Unselds
Nein, das Ereignis einer ersten Biographie von Siegfried Unseld ist hier nicht anzuzeigen, auch wenn Peter Michalzik sein Buch "Unseld" so nennt. Der Suhrkamp Verlag schickt (an alle, außer dem Blessing Verlag) noch vor Veröffentlichung des Buches eine Art offenen Brief herum: eine gewaltige Liste mit größeren und kleineren Fehlern, die im Kern einen desaströsen Eindruck von dem Werk vermitteln. Man könnte dem Verfasser zugute halten, daß bei Lebenden der Positivismus immer mißrät, weil viele Quellen unzugänglich bleiben. Aber es gähnen so viele Lücken und Abgründe unter der flotten Handschrift, daß man sich fragt, was den intellektuell ausgewiesenen Journalisten Peter Michalzik so in die Irre geführt hat.
Um nur dieses Beispiel zu nennen: Eine Biographie Unselds kann nicht geschrieben werden, ohne gleichzeitig die Wirkungsgeschichte seines Frankfurter Mitspielers Marcel Reich-Ranicki zu erzählen. Klar, die "Lindenstraßen-Tapes", die Mitschnitte der Telefonate, die die beiden seit 1973 zeitweise fast stündlich führten, sind leider unauffindbar. Aber die Korrespondenz ist da, teilweise publiziert, von seiten Reich-Ranickis sicherlich zugänglich, und auskunftswillig sind überdies in diesen Dingen viele - warum also diese Zurückhaltung? Wen interessiert dagegen die für die unmittelbar Beteiligten gewiß erregende, für den Leser allerdings eher langweilige Zusammenarbeit zwischen Siegfried Unseld und seinem Lektor Raimund Fellinger?
Michalziks Biographie, die also keine Biographie für Leser ist, ist aber nicht einmal ein Buch für die Suhrkamp-Mitarbeiter. Die Fehler in der Beurteilung der rechtlichen Konstruktion des Verlags sind grotesk. Aber die Irrtümer bei der Charakterisierung von Personen und ihren Rollen sind schlicht töricht. Man kann ja über Unselds Anwalt Heinrich Lübbert mancherlei denken; aber er ist ohne Zweifel nicht nur, wie Unseld meint, einer der besten, sondern gewiß auch einer der intellektuell gefährlichsten Vertreter seiner Zunft. Den ausgebildeten Philosophen als "philosophischen Lebemann" zu charakterisieren, der sich angeblich sein Brot als Scheidungsanwalt verdient, heißt den Herrn des Dschungels mit dem Pflücker von Maiglöckchen zu verwechseln.
Die Schriftstellerin Ulla Berkéwicz, Unselds Ehefrau, mußte, seit sie den großen Verleger heiratete, stets mit Herabsetzungen durch den ebenso intriganten wie neiderfüllten Literaturbetrieb leben. Ihre Bücher wurden oft nur deshalb verrissen, weil sie Ehefrau ist, ihr Einfluß auf den Verlag andererseits entweder grob überschätzt oder ins Lächerliche minimiert. Hätte Michalzik die in diesem Jahr unter Dach und Fach gebrachte Neukonstruktion des Suhrkamp Verlags (F.A.Z. vom 5. Juni) wirklich verstanden, dann hätte er als durchaus kundiger Schreiber die Chance zu einem aufregenden Porträt gehabt: Tatsächlich hat Berkéwicz nicht nur Siegfried Unselds Leben, sondern - durch ihren Erbverzicht zugunsten der neugegründeten "Unseld Familienstiftung" - auch die Zukunft des Verlags gerettet.
Weil der Autor sich der Dramatik solcher vorurteilslosen Schilderung entschlägt, taugt sein Buch leider auch nicht als Sittengemälde. Ganz amusisch beschreibt er den Alltag des Verlegers, ohne Gespür für das Genie und die Findelust seines Helden, gerade so, als habe Siegfried Unseld Gebrauchtwagen verkauft.
Merkwürdig sind die Wut und der Neid, den dieser Mann provoziert. Vielleicht deshalb, weil Unseld eine Zeitlang mit seinem Programm den Intellektuellen des Landes das Denken vorgeschrieben hat. Als reue sie diese selbstverschuldete Entmündigung, haben ihm die Medien in sonderbarer Amtsanmaßung schon seit Jahren die ungelöste Nachfolgefrage vorgehalten und also indirekt den Rücktritt nahegelegt. Ganz in diesem Stil plaudert der Rezensent der "Süddeutschen Zeitung" nun aus, daß Unseld momentan so krank sei, daß ihm nichts mehr von öffentlichen Diskussionen mitgeteilt werde, und daß er überhaupt so gut wie nichts mehr mitbekomme. Das ist voreilig. Unselds Leben ist groß und stark; es sprengt jeden Satz dieser Biographie.
FRANK SCHIRRMACHER.
Peter Michalzik: "Unseld". Eine Biographie. Karl Blessing Verlag, München 2002. 400 S., 16 S. Abb., geb., 23,90 [Euro].
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