Tony Earley widmet sich Menschen, die auf den ersten Blick alle andere als ein aufregendes Leben führen. Doch der Schein trügt: Jeder von ihnen hat eine Geschichte zu erzählen, die unter die Haut geht. Stories, die von geheimen Wünschen und unerfüllten Träumen künden, von nicht eingestandenen Fehlern, kleinen Triumphen und der Sehnsucht eines jeden nach ein bißchen Glück und Geborgenheit.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.06.1996Alle meine Onkel
Tony Earley holt tief Luft, erzählt aber doch immer dasselbe
Bei der Lektüre dieser acht Erzählungen fühlt sich der Leser wie ein Reisender, der sich verfahren hat und immer wieder durch dasselbe Dorf kommt. Beim zweiten Mal wirkt der Fischteich am Straßenrand noch pittoresk, beim dritten Mal registriert ihn der Reisende mit Unmut, beim vierten Mal mit Ärger. Tony Earley, dessen Erzählungen in der amerikanischen Provinz spielen, hat eine Vorliebe für Teiche, Fische, Staudämme, die Eisenbahn und alle erdenklichen Formen der menschlichen Unfruchtbarkeit.
In der Erzählung "Der Jupiter-Prophet" berichtet ein Dammwärter von seinem monotonen Alltag. Er erzählt vom Fischen ("Ich angele die ganze Nacht") und seinen Problemen: Dem unfruchtbaren Dammwärter ist die Frau davongelaufen. Als Symbol für seine Leiden, die sich unter rauher Oberfläche verbergen ("Mein Bart ist ein Sturzbach aus Haaren"), dient die Stadt Uree: eine überflutete Stadt mitten im Stausee.
In dieser offenkundigen Symbolik liegt das Problem von Earleys Prosa. "Wenn ich eine Botschaft hätte, würde ich eine Postkarte schreiben", scherzte Roman Polanski einmal. Natürlich eine Lüge, aber eine sehr bezeichnende, die leicht auf die Literatur zu übertragen ist. Ein guter Autor setzt seine Symbole behutsam ein, damit ihm der Leser nicht so leicht auf die Schliche kommt. Earley dagegen hält nichts vom Verbergen, Verstecken, Tarnen. In der Erzählung "Charlotte", die im Wrestler-Milieu spielt, schildert der Ich-Erzähler den Kampf des Shakespeare rezitierenden Lord Poetry gegen den muskulösen Bob Noxious um die Gunst der schönen Darling Donnis. Der Leser begreift schnell die Bedeutung dieses Schaukampfes, den der Muskelprotz gewinnt: Der Erzähler hat seine Freundin (sie heißt allen Ernstes Starla) längst verloren. Aus Angst, seine Leser hätten nicht aufgemerkt, raunt Earley ihnen onkelhaft ins Ohr: "Früher waren unsere Helden genauso oberflächlich wie wir selbst - doch das wußten wir -, und ihre Kämpfe waren nichts als übertriebene Varianten unserer Auseinandersetzungen."
Übertriebene Varianten, das beschreibt genau das stilistische Verfahren des Autors. Um eher unspektakuläre Ereignisse rankt Earley aufwendige Chroniken, in denen er brav Land und Leute abhandelt, als schriebe er keine Erzählung, sondern den Prolog zu einem Tausendseitenroman. Unvermeidlich kommt es in jedem Text zu einem Rückblick, und nach einer Weile meint man zu hören, wie der Autor vorher tief Luft holt.
Tony Earley ist ein Freund der Wiederholung. Besonders störend fällt das in den letzten drei Geschichten des Bandes auf, die aus einem verworfenen Romanmanuskript zu stammen scheinen. "Wir wohnten bei Onkel Zeno in der Depot Street, und die Zwillinge Onkel Coran und Onkel Al wohnten in ihren eigenen Häusern rechts und links von unserem", heißt es in der Erzählung "Aliceville". In einer anderen, zwölf Seiten später, heißt es: ". . . meine Mutter und ich wohnten bei ihrem ältesten Bruder Zeno McBride in der Depot Street zwischen den Häusern von Onkel Al und Onkel Coran". Und für den, der es inzwischen vergessen haben könnte, wird hinzugefügt: "Onkel Coran und Onkel Al waren Zwillinge." Damit man es auch aufsagen kann, beginnt die Erzählung "Das Herz meines Vaters" so: "Meine Mutter und ich wohnten zusammen mit ihrem ältesten Bruder Zeno McBride in der Depot Street, und die Zwillinge Onkel Al und Onkel Coran wohnten rechts und links von uns in Häusern, die genauso aussahen wie unseres."
Im Klappentext heißt es, Tony Earley arbeite derzeit an einem Roman. Vermutlich geht es darin um Teiche, Fische, Stauseen und eine Handvoll lustiger, unfruchtbarer Onkel. Am Schluß der letzten Erzählung heißt es: "Mach dir keine Sorgen, unsere Geschichten gehen weiter." Das ist lieb gemeint, aber nun fangen die Sorgen des Lesers erst richtig an. CHRISTOPHER ECKER
Tony Earley: "Unser kleines Paradies". Erzählungen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Sabine Saßmann. Goldmann Verlag, München 1996. 221 S., geb., 36,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Tony Earley holt tief Luft, erzählt aber doch immer dasselbe
Bei der Lektüre dieser acht Erzählungen fühlt sich der Leser wie ein Reisender, der sich verfahren hat und immer wieder durch dasselbe Dorf kommt. Beim zweiten Mal wirkt der Fischteich am Straßenrand noch pittoresk, beim dritten Mal registriert ihn der Reisende mit Unmut, beim vierten Mal mit Ärger. Tony Earley, dessen Erzählungen in der amerikanischen Provinz spielen, hat eine Vorliebe für Teiche, Fische, Staudämme, die Eisenbahn und alle erdenklichen Formen der menschlichen Unfruchtbarkeit.
In der Erzählung "Der Jupiter-Prophet" berichtet ein Dammwärter von seinem monotonen Alltag. Er erzählt vom Fischen ("Ich angele die ganze Nacht") und seinen Problemen: Dem unfruchtbaren Dammwärter ist die Frau davongelaufen. Als Symbol für seine Leiden, die sich unter rauher Oberfläche verbergen ("Mein Bart ist ein Sturzbach aus Haaren"), dient die Stadt Uree: eine überflutete Stadt mitten im Stausee.
In dieser offenkundigen Symbolik liegt das Problem von Earleys Prosa. "Wenn ich eine Botschaft hätte, würde ich eine Postkarte schreiben", scherzte Roman Polanski einmal. Natürlich eine Lüge, aber eine sehr bezeichnende, die leicht auf die Literatur zu übertragen ist. Ein guter Autor setzt seine Symbole behutsam ein, damit ihm der Leser nicht so leicht auf die Schliche kommt. Earley dagegen hält nichts vom Verbergen, Verstecken, Tarnen. In der Erzählung "Charlotte", die im Wrestler-Milieu spielt, schildert der Ich-Erzähler den Kampf des Shakespeare rezitierenden Lord Poetry gegen den muskulösen Bob Noxious um die Gunst der schönen Darling Donnis. Der Leser begreift schnell die Bedeutung dieses Schaukampfes, den der Muskelprotz gewinnt: Der Erzähler hat seine Freundin (sie heißt allen Ernstes Starla) längst verloren. Aus Angst, seine Leser hätten nicht aufgemerkt, raunt Earley ihnen onkelhaft ins Ohr: "Früher waren unsere Helden genauso oberflächlich wie wir selbst - doch das wußten wir -, und ihre Kämpfe waren nichts als übertriebene Varianten unserer Auseinandersetzungen."
Übertriebene Varianten, das beschreibt genau das stilistische Verfahren des Autors. Um eher unspektakuläre Ereignisse rankt Earley aufwendige Chroniken, in denen er brav Land und Leute abhandelt, als schriebe er keine Erzählung, sondern den Prolog zu einem Tausendseitenroman. Unvermeidlich kommt es in jedem Text zu einem Rückblick, und nach einer Weile meint man zu hören, wie der Autor vorher tief Luft holt.
Tony Earley ist ein Freund der Wiederholung. Besonders störend fällt das in den letzten drei Geschichten des Bandes auf, die aus einem verworfenen Romanmanuskript zu stammen scheinen. "Wir wohnten bei Onkel Zeno in der Depot Street, und die Zwillinge Onkel Coran und Onkel Al wohnten in ihren eigenen Häusern rechts und links von unserem", heißt es in der Erzählung "Aliceville". In einer anderen, zwölf Seiten später, heißt es: ". . . meine Mutter und ich wohnten bei ihrem ältesten Bruder Zeno McBride in der Depot Street zwischen den Häusern von Onkel Al und Onkel Coran". Und für den, der es inzwischen vergessen haben könnte, wird hinzugefügt: "Onkel Coran und Onkel Al waren Zwillinge." Damit man es auch aufsagen kann, beginnt die Erzählung "Das Herz meines Vaters" so: "Meine Mutter und ich wohnten zusammen mit ihrem ältesten Bruder Zeno McBride in der Depot Street, und die Zwillinge Onkel Al und Onkel Coran wohnten rechts und links von uns in Häusern, die genauso aussahen wie unseres."
Im Klappentext heißt es, Tony Earley arbeite derzeit an einem Roman. Vermutlich geht es darin um Teiche, Fische, Stauseen und eine Handvoll lustiger, unfruchtbarer Onkel. Am Schluß der letzten Erzählung heißt es: "Mach dir keine Sorgen, unsere Geschichten gehen weiter." Das ist lieb gemeint, aber nun fangen die Sorgen des Lesers erst richtig an. CHRISTOPHER ECKER
Tony Earley: "Unser kleines Paradies". Erzählungen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Sabine Saßmann. Goldmann Verlag, München 1996. 221 S., geb., 36,80 DM.
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