"Max Tegmark, Prophet der Parallelwelten, flirtet mit der Unendlichkeit." ULF VON RAUCHHAUPT, FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG
WORUM GEHT ES?Max Tegmark entwickelt eine neue Theorie des Kosmos: Das Universum selbst ist reine Mathematik. In diesem Buch geht es um die physikalische Realität des Kosmos, um den Urknall und die "Zeit davor" und um die Evolution des Weltalls. Welche Rollen spielen wir dabei - die Wesen, die klug genug sind, das alles verstehen zu wollen? Tegmark findet, dieses Terrain sollte nicht länger den Philosophen überlassen bleiben. Denn die Physiker von heute haben die besseren Antworten auf die ewigen Fragen.WAS IST BESONDERS?"Eine hinreißende Expedition, die jenseits des konventionellen Denkens nach der wahrenBedeutung von Realität sucht." BBC "Tegmark behandelt die großen Fragen der Kosmologie und der Teilchenphysik weitaus verständlicher als Stephen Hawking." THE TIMESWER LIEST?- Jeder, der das Universum verstehen will- Die Leser von Richard Dawkins und Markus Gabriel
WORUM GEHT ES?Max Tegmark entwickelt eine neue Theorie des Kosmos: Das Universum selbst ist reine Mathematik. In diesem Buch geht es um die physikalische Realität des Kosmos, um den Urknall und die "Zeit davor" und um die Evolution des Weltalls. Welche Rollen spielen wir dabei - die Wesen, die klug genug sind, das alles verstehen zu wollen? Tegmark findet, dieses Terrain sollte nicht länger den Philosophen überlassen bleiben. Denn die Physiker von heute haben die besseren Antworten auf die ewigen Fragen.WAS IST BESONDERS?"Eine hinreißende Expedition, die jenseits des konventionellen Denkens nach der wahrenBedeutung von Realität sucht." BBC "Tegmark behandelt die großen Fragen der Kosmologie und der Teilchenphysik weitaus verständlicher als Stephen Hawking." THE TIMESWER LIEST?- Jeder, der das Universum verstehen will- Die Leser von Richard Dawkins und Markus Gabriel
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.04.2015Schrödingers Katze lässt grüßen
Alles Mathematik! Der theoretische Physiker Max Tegmark hangelt sich durch Multiversen und scheut nicht gewagte Spekulationen.
Der Philosoph Ludwig Wittgenstein behauptete, dass die Sätze der Logik - und damit der gesamten Mathematik - nur Tautologien seien. Max Tegmark ist da ganz anderer Ansicht. Die Kernidee seines Buches lautet, dass mathematische Strukturen nicht nur keine Tautologien sind, sondern in einem materiellen Sinn existieren und sogar die tiefste Ebene unserer physikalischen Realität bilden.
Max Tegmark, schwedisch-amerikanischer Physiker und unter Kollegen scherzhaft Mad Max genannt, arbeitet am renommierten Massachusetts Institute of Technology an Problemen der modernen Kosmologie. In erster Linie entwirft er ausgefeilte Computerprogramme, die aus den riesigen Datenmengen von Himmelsdurchmusterungen interessante Ergebnisse destillieren sollen, um zum Beispiel herauszufinden, wie schnell das Universum expandiert und wie groß die Anteile der verschiedenen Materieformen in ihm sind. Tegmark bezeichnet diese Arbeit als den Dr.-Jekyll-Anteil seiner Beschäftigungen. Daneben grübelt er als Mr. Hyde über tiefe Fragen, was dem wissenschaftlichen Establishment anrüchig erscheint - oder zumindest erschien, denn mittlerweile gelten diese Fragen dort offenbar als salonfähig; dazu hat auch das Foundational Questions Institute beigetragen, zu dessen Gründern Tegmark zählt und das ausschließlich reine Grundlagenforschung im Mr.-Hyde-Stil fördert.
Im vorliegenden Band ist zuerst Dr. Jekyll an der Reihe. In seiner sehr persönlichen, gut lesbaren, von Eitelkeit nicht ganz freien Darstellung behandelt Tegmark im ersten Drittel etablierte Physik, nämlich neuere Entwicklungen der Kosmologie, die auf die genaue und durch Beobachtungen gestützte Berechnung der wichtigsten kosmologischen Parameter führten. Die restlichen zwei Drittel widmen sich spekulativen Entwürfen und gipfeln in seiner eigenen These vom mathematischen Universum.
Dreh- und Angelpunkt ist die heute gängige Vorstellung, dass das frühe Universum in einer frühen, "inflationären" Phase einer enorm beschleunigten Expansion unterworfen war. Auf diese Weise lässt sich die Entstehung von Galaxien und Galaxienhaufen kausal erklären; alle derzeit vorliegenden Beobachtungen stützen diese Erklärung. Der genaue Mechanismus der Inflation ist zwar noch nicht aufgedeckt. Klar ist aber, dass er fast unweigerlich das sogenannte Multiversum nach sich zieht, dem sich der spekulative Teil des Buchs widmet.
Auf den ersten Blick scheint "Multiversum" ein Unwort zu sein, steht doch Universum bereits für die gesamte Welt. Das ist freilich Definitionssache. Für Tegmark ist das Universum jener Teil der Welt, der prinzipiell beobachtbar ist. Dass dieser Teil begrenzt ist, liegt daran, dass wir in einem Universum endlichen Alters, nämlich 13,8 Milliarden Jahre, von keinen Ereignissen Kunde erhalten können, die so weit weg liegen, dass nicht einmal Licht in dieser Zeit zu uns gelangen kann. Es mag dann viele solcher Universen geben, die zusammen das bilden, was Tegmark ein Ebene-I-Multiversum nennt. Tatsächlich soll es sogar unendlich viele Universen in diesem Multiversum geben, was dazu führt, dass es irgendwo weit draußen auch Kopien von uns selbst gibt, freilich mit gewissen Unterschieden im Detail; so mag es in einer dieser Parallelwelten einen Tegmark geben, der dieses Buch nicht geschrieben hat und wo deshalb auch diese Rezension nicht erscheint.
In diesem Multiversum gelten die bekannten Naturgesetze, und auch die physikalischen Parameter sind unverändert. Ansätze zu einer grundlegenden vereinheitlichten Theorie aller Wechselwirkungen, etwa die ominöse Stringtheorie, zeigen aber die Möglichkeit, dass diese Parameter, wie etwa die Masse des Elektrons, auch andere Werte annehmen können. Das führt Tegmark weiter zum Ebene-II-Multiversum, das unendlich viele Multiversen der ersten Ebene vereinigt, mit jeweils unterschiedlichen Parametern.
So weit verläuft die Argumentation im Rahmen der klassischen Physik. Mit der Quantentheorie hält freilich noch eine völlig andere Spielart eines Multiversums Einzug, die Tegmark als Ebene-III-Multiversum bezeichnet, obwohl sie völlig unabhängig von den anderen Ebenen ist und nicht an der Inflation hängt. Die Quantentheorie sagt voraus, dass es zu möglichen Zuständen auch deren Überlagerung gibt, etwa einen Zustand, in dem ein Atom gleichzeitig sowohl hier als auch nicht hier sein kann. Im mikroskopischen Bereich hat man diese Überlagerungen unzählige Male beobachtet. Die Theorie sagt deren Existenz auch für den makroskopischen Bereich voraus, obwohl sie dort wegen der sogenannten Dekohärenz unbeobachtbar sind; Schrödingers Katze kann also sehr wohl gleichzeitig tot sein und leben.
Bis hierher kann man dem Autor ohne weiteres folgen. Wie er mehrmals betont, stellt er keine Theorie der Multiversen vor, sondern akzeptiert diese als Konsequenz von physikalischen Theorien, die entweder etabliert sind oder zumindest im Prinzip überprüft werden können. Für den Sprung in das Ebene-IV-Multiversum gilt das aber nicht mehr. Waren mathematische Strukturen bisher nur Hilfsmittel bei der Naturbeschreibung, so verselbständigen sie sich auf dieser Ebene und bilden die Wirklichkeit selbst - eine extreme Form von Platons Ideen. Die Welt ist die Vereinigung aller möglichen mathematischen Strukturen.
Bei diesem Sprung scheinen sich freilich einige Denkfehler eingeschlichen zu haben. Wie bereits Heinrich Hertz überzeugend ausgeführt hat, ist die Natur kein mathematisches Buch im Sinne Galileis, sondern erlaubt gerade den Gebrauch unterschiedlicher mathematischer Strukturen für dieselbe Wirklichkeit. Schwerer noch wiegt vielleicht der allzu naive Umgang mit dem gefährlichen Begriff des Unendlichen, auch was die anderen Ebenen betrifft. Schon der Mathematiker David Hilbert hat vor den Ungereimtheiten und Gedankenlosigkeiten gewarnt, die dadurch unterlaufen. In der modernen Mathematik werden Schlüsse über das Unendliche durch endliche Prozesse nachgebildet, und es erscheint mehr als kühn, Unendlichkeiten im wörtlichen Sinn auf die Wirklichkeit zu übertragen. Wittgenstein stellt zu Recht fest, dass Mathematik eine, wenn auch äußerst kunstvolle und nützliche Tautologie ist; ein Teil der empirischen Realität ist sie nicht.
Man muss nicht alle Schlussfolgerungen Tegmarks mögen, um sich an seiner Schilderung zu erfreuen, bietet sie doch aus erster Hand reizvolle Einblicke in die moderne Kosmologie und die von ihr eröffneten Möglichkeiten der Spekulation. Zur Rolle der Mathematik sei aber an eine berühmte Sentenz Albert Einsteins erinnert: "Insofern sich die Sätze der Mathematik auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher, und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit."
CLAUS KIEFER
Max Tegmark: "Unser mathematisches Universum".
Aus dem Amerikanischen von Hubert Mania. Ullstein Verlag, Berlin 2015. 608 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alles Mathematik! Der theoretische Physiker Max Tegmark hangelt sich durch Multiversen und scheut nicht gewagte Spekulationen.
Der Philosoph Ludwig Wittgenstein behauptete, dass die Sätze der Logik - und damit der gesamten Mathematik - nur Tautologien seien. Max Tegmark ist da ganz anderer Ansicht. Die Kernidee seines Buches lautet, dass mathematische Strukturen nicht nur keine Tautologien sind, sondern in einem materiellen Sinn existieren und sogar die tiefste Ebene unserer physikalischen Realität bilden.
Max Tegmark, schwedisch-amerikanischer Physiker und unter Kollegen scherzhaft Mad Max genannt, arbeitet am renommierten Massachusetts Institute of Technology an Problemen der modernen Kosmologie. In erster Linie entwirft er ausgefeilte Computerprogramme, die aus den riesigen Datenmengen von Himmelsdurchmusterungen interessante Ergebnisse destillieren sollen, um zum Beispiel herauszufinden, wie schnell das Universum expandiert und wie groß die Anteile der verschiedenen Materieformen in ihm sind. Tegmark bezeichnet diese Arbeit als den Dr.-Jekyll-Anteil seiner Beschäftigungen. Daneben grübelt er als Mr. Hyde über tiefe Fragen, was dem wissenschaftlichen Establishment anrüchig erscheint - oder zumindest erschien, denn mittlerweile gelten diese Fragen dort offenbar als salonfähig; dazu hat auch das Foundational Questions Institute beigetragen, zu dessen Gründern Tegmark zählt und das ausschließlich reine Grundlagenforschung im Mr.-Hyde-Stil fördert.
Im vorliegenden Band ist zuerst Dr. Jekyll an der Reihe. In seiner sehr persönlichen, gut lesbaren, von Eitelkeit nicht ganz freien Darstellung behandelt Tegmark im ersten Drittel etablierte Physik, nämlich neuere Entwicklungen der Kosmologie, die auf die genaue und durch Beobachtungen gestützte Berechnung der wichtigsten kosmologischen Parameter führten. Die restlichen zwei Drittel widmen sich spekulativen Entwürfen und gipfeln in seiner eigenen These vom mathematischen Universum.
Dreh- und Angelpunkt ist die heute gängige Vorstellung, dass das frühe Universum in einer frühen, "inflationären" Phase einer enorm beschleunigten Expansion unterworfen war. Auf diese Weise lässt sich die Entstehung von Galaxien und Galaxienhaufen kausal erklären; alle derzeit vorliegenden Beobachtungen stützen diese Erklärung. Der genaue Mechanismus der Inflation ist zwar noch nicht aufgedeckt. Klar ist aber, dass er fast unweigerlich das sogenannte Multiversum nach sich zieht, dem sich der spekulative Teil des Buchs widmet.
Auf den ersten Blick scheint "Multiversum" ein Unwort zu sein, steht doch Universum bereits für die gesamte Welt. Das ist freilich Definitionssache. Für Tegmark ist das Universum jener Teil der Welt, der prinzipiell beobachtbar ist. Dass dieser Teil begrenzt ist, liegt daran, dass wir in einem Universum endlichen Alters, nämlich 13,8 Milliarden Jahre, von keinen Ereignissen Kunde erhalten können, die so weit weg liegen, dass nicht einmal Licht in dieser Zeit zu uns gelangen kann. Es mag dann viele solcher Universen geben, die zusammen das bilden, was Tegmark ein Ebene-I-Multiversum nennt. Tatsächlich soll es sogar unendlich viele Universen in diesem Multiversum geben, was dazu führt, dass es irgendwo weit draußen auch Kopien von uns selbst gibt, freilich mit gewissen Unterschieden im Detail; so mag es in einer dieser Parallelwelten einen Tegmark geben, der dieses Buch nicht geschrieben hat und wo deshalb auch diese Rezension nicht erscheint.
In diesem Multiversum gelten die bekannten Naturgesetze, und auch die physikalischen Parameter sind unverändert. Ansätze zu einer grundlegenden vereinheitlichten Theorie aller Wechselwirkungen, etwa die ominöse Stringtheorie, zeigen aber die Möglichkeit, dass diese Parameter, wie etwa die Masse des Elektrons, auch andere Werte annehmen können. Das führt Tegmark weiter zum Ebene-II-Multiversum, das unendlich viele Multiversen der ersten Ebene vereinigt, mit jeweils unterschiedlichen Parametern.
So weit verläuft die Argumentation im Rahmen der klassischen Physik. Mit der Quantentheorie hält freilich noch eine völlig andere Spielart eines Multiversums Einzug, die Tegmark als Ebene-III-Multiversum bezeichnet, obwohl sie völlig unabhängig von den anderen Ebenen ist und nicht an der Inflation hängt. Die Quantentheorie sagt voraus, dass es zu möglichen Zuständen auch deren Überlagerung gibt, etwa einen Zustand, in dem ein Atom gleichzeitig sowohl hier als auch nicht hier sein kann. Im mikroskopischen Bereich hat man diese Überlagerungen unzählige Male beobachtet. Die Theorie sagt deren Existenz auch für den makroskopischen Bereich voraus, obwohl sie dort wegen der sogenannten Dekohärenz unbeobachtbar sind; Schrödingers Katze kann also sehr wohl gleichzeitig tot sein und leben.
Bis hierher kann man dem Autor ohne weiteres folgen. Wie er mehrmals betont, stellt er keine Theorie der Multiversen vor, sondern akzeptiert diese als Konsequenz von physikalischen Theorien, die entweder etabliert sind oder zumindest im Prinzip überprüft werden können. Für den Sprung in das Ebene-IV-Multiversum gilt das aber nicht mehr. Waren mathematische Strukturen bisher nur Hilfsmittel bei der Naturbeschreibung, so verselbständigen sie sich auf dieser Ebene und bilden die Wirklichkeit selbst - eine extreme Form von Platons Ideen. Die Welt ist die Vereinigung aller möglichen mathematischen Strukturen.
Bei diesem Sprung scheinen sich freilich einige Denkfehler eingeschlichen zu haben. Wie bereits Heinrich Hertz überzeugend ausgeführt hat, ist die Natur kein mathematisches Buch im Sinne Galileis, sondern erlaubt gerade den Gebrauch unterschiedlicher mathematischer Strukturen für dieselbe Wirklichkeit. Schwerer noch wiegt vielleicht der allzu naive Umgang mit dem gefährlichen Begriff des Unendlichen, auch was die anderen Ebenen betrifft. Schon der Mathematiker David Hilbert hat vor den Ungereimtheiten und Gedankenlosigkeiten gewarnt, die dadurch unterlaufen. In der modernen Mathematik werden Schlüsse über das Unendliche durch endliche Prozesse nachgebildet, und es erscheint mehr als kühn, Unendlichkeiten im wörtlichen Sinn auf die Wirklichkeit zu übertragen. Wittgenstein stellt zu Recht fest, dass Mathematik eine, wenn auch äußerst kunstvolle und nützliche Tautologie ist; ein Teil der empirischen Realität ist sie nicht.
Man muss nicht alle Schlussfolgerungen Tegmarks mögen, um sich an seiner Schilderung zu erfreuen, bietet sie doch aus erster Hand reizvolle Einblicke in die moderne Kosmologie und die von ihr eröffneten Möglichkeiten der Spekulation. Zur Rolle der Mathematik sei aber an eine berühmte Sentenz Albert Einsteins erinnert: "Insofern sich die Sätze der Mathematik auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher, und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit."
CLAUS KIEFER
Max Tegmark: "Unser mathematisches Universum".
Aus dem Amerikanischen von Hubert Mania. Ullstein Verlag, Berlin 2015. 608 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Achtung, dieses Buch könnte Ihr Denken nachhaltig anregen", NZZ am Sonntag, 25.10.2015