Als Rao Pingrus Frau Mao Meitang 2008 stirbt, beginnt er, seine Erinnerungen aufzuschreiben und mit farbigen Zeichnungen zu illustrieren. Nicht zur Veröffentlichung bestimmt stellte seine Enkelin einige der Bilder und Texte ins Netz und löste damit eine beispiellose Begeisterung aus, die in eine der erfolgreichsten Buchveröffentlichungen der letzten Jahre mündete. Was zunächst bloß intimer, mit großer Bescheidenheit und Hingabe verfasster Bericht über die eigene Geschichte sein soll, öffnet sich wie nebenbei zu einer Erzählung der Geschichte seines Landes im 20. Jahrhundert. Vom Jahrtausende währenden Kaiserreich über die Ausrufung der Republik 1912 und der Gründung der Volksrepublik unter Mao Zedong bis hin zum Bürgerkrieg zwischen Kommunisten und Nationalisten, dem Krieg gegen Japan und der Großen Hungersnot Ende der Fünfzigerjahre lässt Rao eine Zeit Revue passieren, in der nicht nur ein großes Land nach einer neuen Identität suchte, sondern auch jeder und jede Einzelne seinerMenschen. Aus der Perspektive seiner beiden Helden, die man realistischer und zauberhafter nicht hätte erfinden können und die niemals die Hoffnung oder den Lebensmut verlieren, gelingt es Rao mit hinreißender Gewogenheit das Panorama eines ganzen Jahrhunderts zu entwerfen, dessen Wendungen und Verwerfungen, Möglichkeiten und Glücksfälle immer auch das Leben im Privaten zeichneten.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Als visuelles Geschichtsbuch überzeugt Rao Pingrus Erinnerungsband die Rezensentin Katharina Borchardt. Im Alter von 80 Jahren hat der 2020 verstorbene Chinese, erfahren wir, mehr als 200 Bilder gemalt, die sein Leben darstellen, und er hat auch einen Text dazu geschrieben, der sich vor allem um die Ehe mit seiner Frau Meitang dreht. Man sieht den Bildern an, findet Borchardt, dass Rao Pingru ein Amateurkünstler war, ein begabter allerdings, der mit unterschiedlichen Stilen und Perspektiven zu arbeiten versteht. Die Rezensentin rekonstruiert entlang des Buchs das Leben Rao Pingrus, der aus einer reichen Familie stammt, im chinesischen Bürgerkrieg auf Seiten der Kuomintang kämpft und später 21 Jahre lang in einem maoistischen Straflager inhaftiert ist. Seine eigenen Gedanken über diese Zeit oder auch den späteren ökonomischen Aufstieg Chinas erfahren wir aus dem Band nicht, so Borchardt, und auch Kristof Magnussons Vorwort gibt nicht viele Aufschlüsse. So ist sich die Rezensentin nicht sicher, ob die mangelnde Auskunftsfreudigkeit der Angst vor politischem Druck oder aber Rao Pingrus Naturell geschuldet ist. Was bleibt, sind vor allem die tollen Bilder, schließt die Rezension.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH