Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Der Freiburger Historiker Wolfgang Reinhard hat seine Verdienste. Zu seinen Werken gehören eine "Geschichte der Staatsgewalt" und "Lebensformen Europas". Doch Johan Schloemann findet, dass Reinhard mit seiner neuen Schrift, dem Essay "Unsere Lügengesellschaft", eher auf Stammtisch-Niveau argumentiert denn analytisch differenzierend. Es geht um das politische System in Deutschland, um diesen "mediendemokratischen Theaterstaat", wie Reinhard das nennt, in Anlehnung an Platon (aber ohne Platons "Theatrokratie" zu nennen, wie Schloemanns kritisch anmerkt). Der Rezensent stimmt seinem Autor ja in vielem zu. Begriffliche Schönfärberei, Populismus, ein Balancieren auf dem schmalen Grad zwischen Wahrheit und Lüge - das alles ist unvermeidliches Politikerhandwerk in einer Demokratie. Aber ist es eines Akademikers wirklich würdig, alles Politikervolk über einen Kamm zu scheren? "Unsinn", nennt Schloemann derartige Pauschalisierungen, die im Politiker nicht mehr sehen als einen Erfüllungsgehilfen des sozioökonomischen Systems. Für Reinhards Buch spricht, dass es "leicht lesbar" ist und von des Historikers profunden Einsichten und Kenntnissen profitiert. Ärgerlich bleibt für Schloemann das "Schwanken zwischen Beobachtung und Klage", die intellektuelle Unentschlossenheit des Verfassers.
© Perlentaucher Medien GmbH
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