"Aber er hat ja gar nichts an!", ruft das Kind im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern und spricht damit aus, was alle sehen, doch nicht zu äußern wagen. Diese Parabel auf die Bereitschaft des Menschen zum Selbstbetrug stellt Ingo Schulze seiner großen Dresdner Rede voran. Wie nur wenige Schriftsteller und Intellektuelle bezieht Ingo Schulze als politischer Mensch öffentlich Position. In seiner so faktenreichen wie poetischen Analyse des Status quo benennt er die Ursachen von Demokratieverlust und sozialer Polarisierung in unserer von Globalisierung geprägten Gesellschaft. Er zeigt, dass es notwendig ist, sich selbst wieder ernst zu nehmen, die Vereinzelung zu überwinden und die Welt als veränderbar zu begreifen.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Wer Ingo Schulze Ostalgie vorwirft hat ihn in den Augen von Rezensentin Natascha Freundel entweder nicht verstanden oder nicht gelesen. Natürlich attackiert der Schriftsteller in seiner auf einen SZ-Artikel zurückgehenden Streitschrift "Unsere schönen neuen Kleider" eine Marktlogik, in der seit zwanzig Jahren die Gewinne privatisiert und die Verluste wie das Risiko sozialisiert werden. Aber er will doch nicht die DDR wiederhaben! Nicht um den morschen SED-Staatd trauert er Schulze, sondern um seine eigene Hoffnung: Er will wieder eine Zukunft denken können, in der man "einfach besser und länger lebt".
© Perlentaucher Medien GmbH
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