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Stephen Henighan, ein in Hamburg geborener renommierter kanadischer Literaturwissenschaftler, wirft in diesem kleinen aber immens wichtigen Buch einen philosophisch-orientierten, soziokulturellen und literarisch anspruchsvollen Blick auf das immer brennender werdende Klimaproblem. Der Autor weiß, dass es in den Naturwissenschaften kaum mehr Zweifel am anthropogenen, also dem durch die Menschheit verursachten Klimawandel gibt. Und trotzdem zeigen nur die wenigsten Menschen Betroffenheit, geschweige denn Zorn... Henighan macht deutlich, dass nicht weniger als das Wohl der Menschheit, wenn nicht…mehr

Produktbeschreibung
Stephen Henighan, ein in Hamburg geborener renommierter kanadischer Literaturwissenschaftler, wirft in diesem kleinen aber immens wichtigen Buch einen philosophisch-orientierten, soziokulturellen und literarisch anspruchsvollen Blick auf das immer brennender werdende Klimaproblem. Der Autor weiß, dass es in den Naturwissenschaften kaum mehr Zweifel am anthropogenen, also dem durch die Menschheit verursachten Klimawandel gibt. Und trotzdem zeigen nur die wenigsten Menschen Betroffenheit, geschweige denn Zorn... Henighan macht deutlich, dass nicht weniger als das Wohl der Menschheit, wenn nicht gar das menschliche Überleben auf dem Spiel steht, wenn wir einen ungebremsten Klimawandel zulassen. Und er stellt Fragen, unbequeme Fragen: Warum sind Politiker nicht imstande, sich den kurzfristigen Interessen der Industrie entgegenzustellen? Warum lassen sie die Plünderung unseres Planeten einfach geschehen?.... (Aus dem Vorwort von Prof. Dr. Mojib Latif)
Autorenporträt
Ian McAllister, Dokumentarfilmer, setzt sich seit 20 Jahren für den Erhalt des nordischen Regenwaldes und seiner Tierwelt an der Westküste Kanadas ein. Für seine Bücher, Fotografien und Filme erhielt er zahlreiche Preise. Er lebt mit seiner Familie auf einer Insel mitten im Great Bear Rainforest.

Jürgen Brôcan wurde 1965 in Göttingen geboren. Er studierte Germanistik und Europäische Ethnologie und arbeitet als Schriftsteller, Literaturkritiker und Übersetzer aus dem Englischen und Französischen, u.a. von Walt Whitman, Marianne Moore, Ranjit Hoskoté, René Char und Georges Schehadé. Für sein Werk wurde er mit Stipendien der Stiftung Niedersachsen, der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen, der Kunststiftung NRW und mit dem Paul-Scheerbart-Preis ausgezeichnet. Brôcan ist verheiratet und lebt seit 2001 in Dortmund.

Ian McAllister, Dokumentarfilmer, setzt sich seit 20 Jahren für den Erhalt des nordischen Regenwaldes und seiner Tierwelt an der Westküste Kanadas ein. Für seine Bücher, Fotografien und Filme erhielt er zahlreiche Preise. Er lebt mit seiner Familie auf einer Insel mitten im Great Bear Rainforest.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.09.2015

Milizen allerorten
Wer überlebt den Klimawandel?

Der erste Krater wurde im Sommer 2014 im Permafrost der russischen Arktis entdeckt. Zunächst wusste niemand, wie es zu dem riesigen Loch kommen konnte. Später fanden russische Wissenschaftler heraus, dass Methangas, bislang im Grundeis eingeschlossen, durch Tauprozesse freigesetzt wurde. Inzwischen findet man immer mehr Krater. Die letzten Rekordsommer sollen daran schuld sein, und es wird - laut gängiger Klimaprognosen - weitere Rekordsommer geben. Methangase schaden dem Klima. Steigt die Zahl der Löcher, wird aber auch die Erdgasförderung in Sibirien immer schwieriger werden.

Klimabedingte Probleme sieht Stephen Henighan an vielen Orten. Der Schriftsteller, Übersetzer und Professor für Literatur in Ontario hat eine 80 Seiten starke Schrift über die Folgen des Klimawandels für unsere Zivilisation geschrieben. Angenommen, der Klimawandel findet statt, und angenommen, die Temperaturerhöhung um ein Grad sei nicht mehr aufzuhalten, wird bis zum Jahr 2040 Folgendes eintreten: die Überflutung der meisten Küstenstriche in Südostasien, die weitgehende Vernichtung der Landwirtschaft in Mexiko, der Karibik und Nordafrika und verlängerte Dürreperioden in Südeuropa und den südwestlichen Staaten der Vereinigten Staaten.

Angenommen, die Erhöhung falle um durchschnittlich zwei Grad aus - also um vier Grad über der Landmasse, da es über den Ozeanen kühler ist -, werden die Eisflächen an beiden Polen komplett abschmelzen, ebenso die Hochgebirgsgletscher in aller Welt. Folgende Städte werden dann unter anderem überflutet: New York, Boston, London, Schanghai, Bangkok, Kairo, Buenos Aires und Lissabon. Sollte man sich in diesen Orten von nun an keinen Grundbesitz mehr zulegen? Andere Prognosen vermuten den Untergang Londons erst im 22. Jahrhundert.

Die schleichende Zerstörung dieser Städte und weiterer Regionen wird Millionen neuer Flüchtlinge verursachen. Dagegen sind die derzeitigen Zahlen völlig zu vernachlässigen: "In großen Ländern könnten die Zentralregierungen ihre Fähigkeit verlieren, Katastrophenhilfe zu leisten, so dass sich entlegene Regionen nur noch auf die Bemühungen ihrer eigenen Bürger verlassen müssen. Dies wird die Regierungen ihrer Glaubwürdigkeit berauben und die Machtergreifung durch starke regionale Führer begünstigen. Unzuverlässige Stromversorgung macht das Internet nur noch für eine privilegierte Elite zugänglich, demokratische Prozesse werden durch die stockende Lieferung von Informationen behindert." Politische Grenzen werden bedeutungslos. China wird in Sibirien einfallen, um sich die Süßwasserreserven des Baikalsees einzuverleiben. Mehr als 150 Millionen verhungernde, durstende, gutbewaffnete Amerikaner würden, "wie schon aus ihrer historischen Tradition bekannt", Milizen bilden und in Kanada einmarschieren.

In Europa werden lediglich folgende Regionen landwirtschaftlich autark bleiben: Skandinavien (einschließlich Island und Grönland), Teile von Deutschland, Polen, Schottland und der europäische Teil Russlands. "Falls dies eintritt, werden sich diese Länder wahrscheinlich in angsterfüllte, militaristische Gesellschaften verwandeln, die sich gegen verzweifelte Flüchtlinge verschanzen, die aus Ländern fliehen, in denen es kein Trinkwasser mehr gibt", schreibt Henighan.

Sein Essay mag eine düstere Prophezeiung sein. Doch die Vorboten dieser Entwicklung, die er Krieg nennt, haben bereits begonnen. Die erste Flüchtlingsmillion erreicht Deutschland ebenso wie gefährlichen Stürme nach Neuengland ziehen und tiefen Methankrater in Sibirien entstehen. Milizen bilden sich in Osteuropa, wo auch immer mehr Staaten faktisch zerfallen. Wir wissen all dies. "Doch das Voranschreiten der globalen Erwärmung wird zu einem Geräuschfetzen vor dem flüsternden Hintergrund miteinander verwobener Nachrichten, Börsenberichte und des Promi-Klatsches, die alle auf uns einströmen."

Was tun? Konsumverzicht? Der springende Punkt des Dilemmas sei, dass eine Einschränkung des Konsums nicht nur ein praktisches Problem sei, sondern tatsächlich eine existentielle Krise darstelle. Konsumverzicht werde, so heißt es oft, das Klimaproblem nicht lösen: "Uns aufzufordern, den Konsum zu reduzieren, hieße, uns mitzuteilen, dass wir unsere Menschlichkeit aufzugeben haben." Das meint Henighan ironisch. Er glaubt fest daran, dass man eines Tages verbieten werde, Autos privat zu nutzen oder Klimaanlagen zu betreiben. Spätestens dann jedoch könnten sich auch in Deutschland Milizen bilden.

Stiege die Temperatur um acht Grad, werden, so der Autor, nur drei Sprachen auf der Welt überleben: Englisch, Russisch und Chinesisch. Als Minderheitensprachen in entlegenen Außenposten wie Skandinavien, Patagonien oder Neuseeland würden noch etwas Spanisch, Norwegisch und Maori erhalten bleiben. Ganz aussterben wird etwa Arabisch, denn die arabischen Länder werden überflutet sein. Über Deutsch und die deutsche Kultur verliert der Autor kein Wort. Die Gebrüder Grimm, Peter Joseph Lenné und Pina Bausch für immer vergessen? "Wenn das künstlerische Erbe Europas, Asiens und Afrikas verlorenginge, dann wäre vorstellbar, dass die Schnitzkunst der Maori das Grundmodell dessen wird, was an künftigen Entwicklungen noch zu realisieren ist."

Doch Henighan vergisst den technischen Fortschritt, die Innovation, die kreative Kraft der Sozialen Marktwirtschaft. Deutschland wird - strukturell - den Klimawandel am besten meistern können. Das merkt auch der in Hamburg geborene Autor, wenn er im letzten Kapitel seines Buches eine Zugfahrt durch Norddeutschland beschreibt. In Deutschland gäbe es Alternativen zum Auto. Hier habe man angefangen, auf die Anforderungen des Klimawandels zu reagieren, anders als in Kanada oder den Vereinigten Staaten. Doch: "Die Tragödie unserer Zeit ist, dass der Unterschied auf lange Sicht vielleicht nicht mehr zählt."

JOCHEN ZENTHÖFER

Stephen Henighan: Unsere Welt in Gefahr. Oststeinbek, Alouette Verlag 2015, 80 Seiten, 12,95 Euro.

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