Der Nr.-1-Bestseller, »das Buch der Stunde« ARD, ttt
Unsere Welt steht an einem Kipp-Punkt, und wir spüren es. Einerseits geht es uns so gut wie nie, andererseits zeigen sich Verwerfungen, Zerstörung und Krise, wohin wir sehen. Ob Umwelt oder Gesellschaft - scheinbar gleichzeitig sind unsere Systeme unter Stress geraten. Wir ahnen: So wie es ist, wird und kann es nicht bleiben. Wie finden wir zu einer Lebensweise, die das Wohlergehen des Planeten mit dem der Menschheit versöhnt? Wo liegt der Weg zwischen Verbotsregime und Schuldfragen auf der einen und Wachstumswahn und Technikversprechen auf der anderen Seite? Diese Zukunft neu und ganz anders in den Blick zu nehmen - darin besteht die Einladung, die Maja Göpel ausspricht.
»Maja Göpel zählt zu Deutschlands einflussreichsten Ökonominnen.« FAZ
Unsere Welt steht an einem Kipp-Punkt, und wir spüren es. Einerseits geht es uns so gut wie nie, andererseits zeigen sich Verwerfungen, Zerstörung und Krise, wohin wir sehen. Ob Umwelt oder Gesellschaft - scheinbar gleichzeitig sind unsere Systeme unter Stress geraten. Wir ahnen: So wie es ist, wird und kann es nicht bleiben. Wie finden wir zu einer Lebensweise, die das Wohlergehen des Planeten mit dem der Menschheit versöhnt? Wo liegt der Weg zwischen Verbotsregime und Schuldfragen auf der einen und Wachstumswahn und Technikversprechen auf der anderen Seite? Diese Zukunft neu und ganz anders in den Blick zu nehmen - darin besteht die Einladung, die Maja Göpel ausspricht.
»Maja Göpel zählt zu Deutschlands einflussreichsten Ökonominnen.« FAZ
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.03.2020Wo die Paradoxe wirken
Maja Göpels Einladung, die Wirtschaft umzubauen
Maja Göpel ist nicht Thomas Piketty. Der französische Ökonom und Starautor hat eben ein neues Großwerk („Kapital und Ideologie“, C. H. Beck) auf den Markt geworfen, in dem er etwa eine Vermögensteuer von bis zu 90 Prozent für Milliardäre fordert und dass jeder Erwachsene zum 25. Geburtstag ein staatliches Geschenk von 60 Prozent des Durchschnittsvermögens erhält. Das hat jede Menge mediale Aufmerksamkeit erregt, es stellt sich nur die Frage, wer die 1312 Seiten von Piketty von vorn bis hinten durchlesen wird. Da wäre es womöglich lohnender, zumindest für den Normalleser, zu einer um 90 Prozent kürzeren Abhandlung zu greifen, die die Politökonomin Göpel nun vorgelegt hat. Auf 200 Seiten wird hier wahrlich auch kein geringer Gegenstand verhandelt: „Die Welt neu denken“, so der Titel. Der Untertitel „Eine Einladung“ verheißt, dass der Leser direkt angesprochen wird – und man zumindest hoffen darf, der Argumentation folgen zu können, ohne Wirtschaftswissenschaften studiert zu haben.
Ein bisschen plagen muss man sich schon, aber gut, die Materie ist kompliziert. Erst geht es in die Geschichte. Die Theorien, nach denen die Wirtschaft funktioniert, stammen nun mal aus der Zeit von Adam Smith. Im 19. Jahrhundert waren die Bedingungen vollkommen anders, aber, so Göpels These, die Theorien haben sich seither nicht geändert, wohl aber die Bedingungen. „Inzwischen gibt es für immer mehr Menschen immer weniger Planet.“
Göpel ist bekannt geworden als Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), als Nachhaltigkeitswissenschaftlerin stellte sie im März 2019 zur Unterstützung der Schülerproteste „Fridays for Future“ die Kampagne „Scientists for Future“ vor. Göpel ist es gewohnt, zu einer breiteren Öffentlichkeit zu sprechen.
Ganz ohne einige Fachbegriffe geht es dann aber doch nicht. Das Jevons-Paradoxon, die Kuznets-Kurve, das Easterlin-Pardox, das Auswahl-Paradoxon und der Trickle-down–Effekt müssen verdaut werden, um die Grundlagen zu legen für das Verständnis der heutigen Form von Kapitalismus. Der hat den homo oeconomicus hervorgebracht, ein egoistisches Wesen, das nach immer mehr Gewinn strebt, ohne auf Ressourcen zu achten, immer mehr produziert und Vermögen anhäuft, „wobei am Ende auf wundersame Weise beständig mehr Wohlstand für alle herauskommt“. Das dieses Modell jetzt nicht mehr funktioniert, weiß jeder. Doch niemand reagiert. Warum? Irgendwann wurden die zentralen Ideen der englischen Vordenker aus dem Kontext gelöst und zu „vermeintlich universellen Gesetzmäßigkeiten der Ökonomie hochstilisiert“, so Göpels These.
Die Gesetzmäßigkeiten dieser „Scheinwelt“ zu durchschauen und zu hinterfragen, darin besteht die Einladung Göpels. Wie eine geduldige Lehrerin versucht sie, die Leser von Kapitel zu Kapitel zu lotsen: mit Wiederholungen („Sie erinnern sich …“) und Zwischenfragen („Wie klingt das für Sie?“) sowie eingängigen Beispielen, anhand derer die Probleme der neoliberalen Welt schnell offensichtlich werden. Etwa das vom Vielflieger Bill Gates, der in einem Jahr das Lebensbudget an Kohlendioxid von 38 Menschen verbraucht. Ein großes Plus ist in dem Zusammenhang der Verzicht auf die in solchen Büchern eigentlich unvermeidliche Zahlenflut.
Letztlich geht es um nichts weniger als ein neues Modell des nachhaltigen Wirtschaftens. Göpel will dafür ein paar heilige Kühe der Wachstumserzählung schlachten und neue, gerechte Wege gehen; Wachstum als Mittel, nicht als absoluter Zweck; höhere Produktpreise, die die wahren Kosten anzeigen, die bei Herstellung, Transport und Entsorgung anfallen; klügerer Umgang mit den natürlichen und endlichen Ressourcen und nicht zuletzt schärfere Besteuerung hoher Einkommen.
Da ist man wieder bei Piketty. Bei Göpel wird es weniger konkret, ihr geht es zuerst um die Einsicht, dass sich sehr bald etwas ändern muss.
ROBERT PROBST
Der Leser soll die „Scheinwelt“
der Ökonomie hinterfragen, von
der es heißt, sie sei alternativlos
Maja Göpel:
Unsere Welt neu denken.
Eine Einladung.
Ullstein-Buchverlage,
Berlin 2020.
208 Seiten, 17,99 Euro.
E-Book: 8,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Maja Göpels Einladung, die Wirtschaft umzubauen
Maja Göpel ist nicht Thomas Piketty. Der französische Ökonom und Starautor hat eben ein neues Großwerk („Kapital und Ideologie“, C. H. Beck) auf den Markt geworfen, in dem er etwa eine Vermögensteuer von bis zu 90 Prozent für Milliardäre fordert und dass jeder Erwachsene zum 25. Geburtstag ein staatliches Geschenk von 60 Prozent des Durchschnittsvermögens erhält. Das hat jede Menge mediale Aufmerksamkeit erregt, es stellt sich nur die Frage, wer die 1312 Seiten von Piketty von vorn bis hinten durchlesen wird. Da wäre es womöglich lohnender, zumindest für den Normalleser, zu einer um 90 Prozent kürzeren Abhandlung zu greifen, die die Politökonomin Göpel nun vorgelegt hat. Auf 200 Seiten wird hier wahrlich auch kein geringer Gegenstand verhandelt: „Die Welt neu denken“, so der Titel. Der Untertitel „Eine Einladung“ verheißt, dass der Leser direkt angesprochen wird – und man zumindest hoffen darf, der Argumentation folgen zu können, ohne Wirtschaftswissenschaften studiert zu haben.
Ein bisschen plagen muss man sich schon, aber gut, die Materie ist kompliziert. Erst geht es in die Geschichte. Die Theorien, nach denen die Wirtschaft funktioniert, stammen nun mal aus der Zeit von Adam Smith. Im 19. Jahrhundert waren die Bedingungen vollkommen anders, aber, so Göpels These, die Theorien haben sich seither nicht geändert, wohl aber die Bedingungen. „Inzwischen gibt es für immer mehr Menschen immer weniger Planet.“
Göpel ist bekannt geworden als Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), als Nachhaltigkeitswissenschaftlerin stellte sie im März 2019 zur Unterstützung der Schülerproteste „Fridays for Future“ die Kampagne „Scientists for Future“ vor. Göpel ist es gewohnt, zu einer breiteren Öffentlichkeit zu sprechen.
Ganz ohne einige Fachbegriffe geht es dann aber doch nicht. Das Jevons-Paradoxon, die Kuznets-Kurve, das Easterlin-Pardox, das Auswahl-Paradoxon und der Trickle-down–Effekt müssen verdaut werden, um die Grundlagen zu legen für das Verständnis der heutigen Form von Kapitalismus. Der hat den homo oeconomicus hervorgebracht, ein egoistisches Wesen, das nach immer mehr Gewinn strebt, ohne auf Ressourcen zu achten, immer mehr produziert und Vermögen anhäuft, „wobei am Ende auf wundersame Weise beständig mehr Wohlstand für alle herauskommt“. Das dieses Modell jetzt nicht mehr funktioniert, weiß jeder. Doch niemand reagiert. Warum? Irgendwann wurden die zentralen Ideen der englischen Vordenker aus dem Kontext gelöst und zu „vermeintlich universellen Gesetzmäßigkeiten der Ökonomie hochstilisiert“, so Göpels These.
Die Gesetzmäßigkeiten dieser „Scheinwelt“ zu durchschauen und zu hinterfragen, darin besteht die Einladung Göpels. Wie eine geduldige Lehrerin versucht sie, die Leser von Kapitel zu Kapitel zu lotsen: mit Wiederholungen („Sie erinnern sich …“) und Zwischenfragen („Wie klingt das für Sie?“) sowie eingängigen Beispielen, anhand derer die Probleme der neoliberalen Welt schnell offensichtlich werden. Etwa das vom Vielflieger Bill Gates, der in einem Jahr das Lebensbudget an Kohlendioxid von 38 Menschen verbraucht. Ein großes Plus ist in dem Zusammenhang der Verzicht auf die in solchen Büchern eigentlich unvermeidliche Zahlenflut.
Letztlich geht es um nichts weniger als ein neues Modell des nachhaltigen Wirtschaftens. Göpel will dafür ein paar heilige Kühe der Wachstumserzählung schlachten und neue, gerechte Wege gehen; Wachstum als Mittel, nicht als absoluter Zweck; höhere Produktpreise, die die wahren Kosten anzeigen, die bei Herstellung, Transport und Entsorgung anfallen; klügerer Umgang mit den natürlichen und endlichen Ressourcen und nicht zuletzt schärfere Besteuerung hoher Einkommen.
Da ist man wieder bei Piketty. Bei Göpel wird es weniger konkret, ihr geht es zuerst um die Einsicht, dass sich sehr bald etwas ändern muss.
ROBERT PROBST
Der Leser soll die „Scheinwelt“
der Ökonomie hinterfragen, von
der es heißt, sie sei alternativlos
Maja Göpel:
Unsere Welt neu denken.
Eine Einladung.
Ullstein-Buchverlage,
Berlin 2020.
208 Seiten, 17,99 Euro.
E-Book: 8,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.04.2020Was wir brauchen
Maja Göpel plädiert für anderes Wirtschaften
Maja Göpel - Politökonomin, Nachhaltigkeitsforscherin und Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen - hat ihr Buch eigentlich als Plädoyer für eine Generalüberholung unseres Wirtschaftssystems geschrieben. Angesichts begrenzter natürlicher Ressourcen und des unerbittlich fortschreitenden Klimawandels müssten wir einer neuen Realität ins Auge blicken: "Während der Menschheit lange sehr viel Planet für wenig Mensch gegenüberstand, gibt es heute für immer mehr Menschen immer weniger Planet."
So weit, so bekannt. Überhaupt erzählt Göpels Buch keine bahnbrechenden Neuigkeiten, sondern ist vielmehr der gelungene Versuch, Menschheitsgeschichte von der Evolution des Homo sapiens bis zu Greta Thunberg, ökonomische Theorie von Adam Smith bis Thomas Piketty, Umweltforschung und Systemkritik auf knappem Raum in eine kurzweilige Lektüre zu verpacken - und das macht sie gut. Vorsicht ist trotzdem und eben deshalb angebracht. Manches ist eben viel komplizierter, als sich in wenigen Zeilen erklären oder mit einer Anekdote beleuchten lässt.
Mit ihrer Überzeugung, dass sich unsere Lebens- und Wirtschaftsweisen grundlegend ändern müssen, hält Göpel nicht hinterm Busch. Glühende Verfechter des Liberalismus und der Marktwirtschaft wird sie mit ihrem Buch wahrscheinlich nicht erreichen. Unter dem Eindruck der Coronavirus-Pandemie erscheinen viele Passagen ihres Buchs aber als treffende Bemerkungen zur aktuellen Lage. "Was zum Beispiel", fragt Göpel, "brauchen wir denn unbedingt, wenn wir gut versorgt sein wollen?" Sie nennt Nahrung, Trinkwasser, Behausung, Energie, Gesundheitsversorgung und Bildung. Und sind es nicht genau diese Bereiche, die derzeit als "kritische Infrastruktur" bezeichnet werden? Führen wir nicht aktuell eine Debatte darüber, ob sich Deutschland im Notfall selbst mit Lebensmitteln versorgen kann, wie rasch Millionen Atemschutzmasken bereitgestellt werden können, dass Kinder aus prekären Verhältnissen Gefahr laufen, schulisch abgehängt zu werden?
Später im Buch schreibt Göpel: "Wir leben in krisenhaften Zeiten, und in Krisenzeiten ergibt es sehr viel Sinn, nicht mehr auf das zu starren, was wir individuell verlieren könnten. Da fokussieren wir uns auf das, was durch ein gemeinsames Nutzen vorhandener Ressourcen möglich ist." Auch das trifft die aktuelle Lage: Weltweit werden Kräfte gebündelt, um einen Impfstoff gegen das neuartige Virus zu entwickeln, Patienten aus Italien und Frankreich werden zur Behandlung nach Deutschland gebracht, Unternehmen stellen ihre Produktion auf Hilfsgüter um. Gleichzeitig greift der Staat so tief in seinen Instrumentenkasten, wie die meisten von uns es vermutlich noch nie erlebt haben. Auch hier bietet Göpels Buch ein passendes Zitat, nämlich von John Maynard Keynes: "Die wichtigsten Agenden des Staates betreffen nicht die Tätigkeiten, die bereits von Privatpersonen geleistet werden, sondern jene Funktionen, jene Entscheidungen, die niemand trifft, wenn der Staat sie nicht trifft." Klimaschützer würden sich den derzeit zu beobachtenden Aktivismus der Regierungen wohl auch in der Klimakrise wünschen.
Doch weil diese viel abstrakter ist als die Corona-Krise, war es bislang schwer vorstellbar, wie "das Förderband, mit dem wir Umwelt in Wohlstand umwandeln", sich entschleunigen könnte. Mit dem durch das Coronavirus ausgelösten abrupten Stillstand der Produktion geschieht das gerade unfreiwillig - mit sichtbaren Auswirkungen auf die Umwelt: Deutschland wird, was bislang unmöglich schien, dank des Corona-Shutdown seine Klimaziele 2020 erreichen.
Optimistische Menschen hoffen nun, dass diese Effekte keine Eintagsfliegen sind, dass sich die Menschen in der sozialen Distanz und der Abstinenz von Konsum und Fernreisen darauf besinnen, was sie für ein glückliches Leben wirklich brauchen. Wäre da nicht der "fiese Montag". So bezeichnet Göpel in ihrem Buch das Phänomen, das jeder schon einmal erlebt hat: Nach einer inspirierenden Veranstaltung oder einem einschneidenden Erlebnis will man voller Schwung und Tatendrang ein Problem angehen, nur um sich in festgefahrenen Routinen wiederzufinden - "und alles ist wie immer". Ohne es antizipiert haben zu können, ist Maja Göpels Buch eine Einladung dazu, es nach der Corona-Krise nicht zu einem fiesen Montag für den Planeten kommen zu lassen.
JESSICA VON BLAZEKOVIC
Maja Göpel: "Unsere Welt neu denken".
Eine Einladung.
Ullstein Verlag, München 2020. 208 S., geb., 17,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Maja Göpel plädiert für anderes Wirtschaften
Maja Göpel - Politökonomin, Nachhaltigkeitsforscherin und Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen - hat ihr Buch eigentlich als Plädoyer für eine Generalüberholung unseres Wirtschaftssystems geschrieben. Angesichts begrenzter natürlicher Ressourcen und des unerbittlich fortschreitenden Klimawandels müssten wir einer neuen Realität ins Auge blicken: "Während der Menschheit lange sehr viel Planet für wenig Mensch gegenüberstand, gibt es heute für immer mehr Menschen immer weniger Planet."
So weit, so bekannt. Überhaupt erzählt Göpels Buch keine bahnbrechenden Neuigkeiten, sondern ist vielmehr der gelungene Versuch, Menschheitsgeschichte von der Evolution des Homo sapiens bis zu Greta Thunberg, ökonomische Theorie von Adam Smith bis Thomas Piketty, Umweltforschung und Systemkritik auf knappem Raum in eine kurzweilige Lektüre zu verpacken - und das macht sie gut. Vorsicht ist trotzdem und eben deshalb angebracht. Manches ist eben viel komplizierter, als sich in wenigen Zeilen erklären oder mit einer Anekdote beleuchten lässt.
Mit ihrer Überzeugung, dass sich unsere Lebens- und Wirtschaftsweisen grundlegend ändern müssen, hält Göpel nicht hinterm Busch. Glühende Verfechter des Liberalismus und der Marktwirtschaft wird sie mit ihrem Buch wahrscheinlich nicht erreichen. Unter dem Eindruck der Coronavirus-Pandemie erscheinen viele Passagen ihres Buchs aber als treffende Bemerkungen zur aktuellen Lage. "Was zum Beispiel", fragt Göpel, "brauchen wir denn unbedingt, wenn wir gut versorgt sein wollen?" Sie nennt Nahrung, Trinkwasser, Behausung, Energie, Gesundheitsversorgung und Bildung. Und sind es nicht genau diese Bereiche, die derzeit als "kritische Infrastruktur" bezeichnet werden? Führen wir nicht aktuell eine Debatte darüber, ob sich Deutschland im Notfall selbst mit Lebensmitteln versorgen kann, wie rasch Millionen Atemschutzmasken bereitgestellt werden können, dass Kinder aus prekären Verhältnissen Gefahr laufen, schulisch abgehängt zu werden?
Später im Buch schreibt Göpel: "Wir leben in krisenhaften Zeiten, und in Krisenzeiten ergibt es sehr viel Sinn, nicht mehr auf das zu starren, was wir individuell verlieren könnten. Da fokussieren wir uns auf das, was durch ein gemeinsames Nutzen vorhandener Ressourcen möglich ist." Auch das trifft die aktuelle Lage: Weltweit werden Kräfte gebündelt, um einen Impfstoff gegen das neuartige Virus zu entwickeln, Patienten aus Italien und Frankreich werden zur Behandlung nach Deutschland gebracht, Unternehmen stellen ihre Produktion auf Hilfsgüter um. Gleichzeitig greift der Staat so tief in seinen Instrumentenkasten, wie die meisten von uns es vermutlich noch nie erlebt haben. Auch hier bietet Göpels Buch ein passendes Zitat, nämlich von John Maynard Keynes: "Die wichtigsten Agenden des Staates betreffen nicht die Tätigkeiten, die bereits von Privatpersonen geleistet werden, sondern jene Funktionen, jene Entscheidungen, die niemand trifft, wenn der Staat sie nicht trifft." Klimaschützer würden sich den derzeit zu beobachtenden Aktivismus der Regierungen wohl auch in der Klimakrise wünschen.
Doch weil diese viel abstrakter ist als die Corona-Krise, war es bislang schwer vorstellbar, wie "das Förderband, mit dem wir Umwelt in Wohlstand umwandeln", sich entschleunigen könnte. Mit dem durch das Coronavirus ausgelösten abrupten Stillstand der Produktion geschieht das gerade unfreiwillig - mit sichtbaren Auswirkungen auf die Umwelt: Deutschland wird, was bislang unmöglich schien, dank des Corona-Shutdown seine Klimaziele 2020 erreichen.
Optimistische Menschen hoffen nun, dass diese Effekte keine Eintagsfliegen sind, dass sich die Menschen in der sozialen Distanz und der Abstinenz von Konsum und Fernreisen darauf besinnen, was sie für ein glückliches Leben wirklich brauchen. Wäre da nicht der "fiese Montag". So bezeichnet Göpel in ihrem Buch das Phänomen, das jeder schon einmal erlebt hat: Nach einer inspirierenden Veranstaltung oder einem einschneidenden Erlebnis will man voller Schwung und Tatendrang ein Problem angehen, nur um sich in festgefahrenen Routinen wiederzufinden - "und alles ist wie immer". Ohne es antizipiert haben zu können, ist Maja Göpels Buch eine Einladung dazu, es nach der Corona-Krise nicht zu einem fiesen Montag für den Planeten kommen zu lassen.
JESSICA VON BLAZEKOVIC
Maja Göpel: "Unsere Welt neu denken".
Eine Einladung.
Ullstein Verlag, München 2020. 208 S., geb., 17,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Manfred Ronzheimer scheint froh, dass die Thesen der Wirtschaftswissenschaftlerin Maja Göpel im Zuge von Corona endlich breites Interesse finden. Göpels "erzählendes Sachbuch" scheint ihm die neue Nachdenklichkeit genau zu treffen. Wenn die Autorin fragt, wie der Kollaps der Erde durch fortschreitende Ausbeutung der Ressourcen und die soziale Ungleichheit gestoppt werden können, bekommt der Rezensent nicht nur das herrschende ökonomische Wachstumsmodell analysiert, sondern auch vorgerechnet, wie sich Verteilungsgerechtigkeit bewerkstelligen ließe. Unbedingt lesenswert, findet Ronzheimer.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Maja Göpels Buch ist der gelungene Versuch, Menschheitsgeschichte von der Evolution des Homo sapiens bis zu Greta Thunberg, ökonomische Theorie von Adam Smith bis Thomas Piketty, Umweltforschung und Systemkritik auf knappem Raum in eine kurzweilige Lektüre zu verpacken - und das macht sie gut." Jessica von Blazekovic Frankfurter Allgemeine Zeitung 20200414