Morgen noch in Berlin oder schon in Jerusalem?
Ungefähr 95 000 Menschen in Deutschland gehören heute einer jüdischen Gemeinde an. Bei einer Gesamtbevölkerung von 83 Millionen ist das eine verschwindend geringe Zahl. Und doch steht diese Gruppe immer wieder im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit. Wegen der Shoah, antisemitischer Ausschreitungen, der israelischen Politik. In diesem Buch untersucht C. Bernd Sucher, wie es um die deutschen Jüdinnen und Juden steht. Dafür beleuchtet er sowohl Vergangenheit als auch Gegenwart und sucht in zahlreichen Gesprächen eine Antwort auf die Frage: Haben Juden in diesem Staat eine Zukunft - oder nicht?
»Es war nie einfach, als Jüdin oder Jude in Deutschland zu leben, und das ist es auch heute nicht. In gewisser Weise sind wir immer noch, oder besser: wieder im Zwischenzustand. Jüdisches Leben in Deutschland ist alles und nichts: Es ist ein Wunder, und es ist - zumindest ein bisschen - Normalität. Es ist Alltag und Ausnahmezustand. Es ist zugleich wundervoll und schwierig, motivierend und bedrückend.« Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern
Ungefähr 95 000 Menschen in Deutschland gehören heute einer jüdischen Gemeinde an. Bei einer Gesamtbevölkerung von 83 Millionen ist das eine verschwindend geringe Zahl. Und doch steht diese Gruppe immer wieder im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit. Wegen der Shoah, antisemitischer Ausschreitungen, der israelischen Politik. In diesem Buch untersucht C. Bernd Sucher, wie es um die deutschen Jüdinnen und Juden steht. Dafür beleuchtet er sowohl Vergangenheit als auch Gegenwart und sucht in zahlreichen Gesprächen eine Antwort auf die Frage: Haben Juden in diesem Staat eine Zukunft - oder nicht?
»Es war nie einfach, als Jüdin oder Jude in Deutschland zu leben, und das ist es auch heute nicht. In gewisser Weise sind wir immer noch, oder besser: wieder im Zwischenzustand. Jüdisches Leben in Deutschland ist alles und nichts: Es ist ein Wunder, und es ist - zumindest ein bisschen - Normalität. Es ist Alltag und Ausnahmezustand. Es ist zugleich wundervoll und schwierig, motivierend und bedrückend.« Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern
»'Unsichere Heimat' ist das Buch zur Stunde [...], tragischerweise.« Süddeutsche Zeitung Bayern 20231109
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Dieses Buch des früheren Theaterkritikers C. Bernd Sucher gewinnt auch durch die jüngsten Entwicklungen noch einmal an Bedeutung, bemerkt Kritikerin Christiane Lutz: Der Autor hält, zum Teil mit deutlichem Aufzählungscharakter, fest, welche Formen jüdischen Lebens es in Deutschland gibt. Dabei widmet er sich nicht nur jüdischen Museen, Theatern und sozialen Einrichtungen, sondern auch den Entstehungsgeschichten verschiedener Synagogen und ihren architektonischen Besonderheiten, so Lutz. Trotz einiger Längen handelt sich sich hier der Rezensentin zufolge um ein wichtiges Buch, das auch die brüchige Unsicherheit jüdischen Lebens in Deutschland sichtbar mache.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.12.2023Niemals nicht prekär
In seinem Buch „Unsichere Heimat“ liefert C. Bernd Sucher eine Bestandsaufnahme
jüdischen Lebens in Deutschland nach 1945.
Wäre das Buch „Unsichere Heimat“ von C. Bernd Sucher vor dem 7. Oktober 2023 erschienen, wäre es vielleicht vor allem als wichtiger Beitrag zur „Sichtbarmachung“ und „Dokumentation“ jüdischen Lebens in Deutschland gewertet worden. Jetzt, durch die neue Bedrohungslage genau dieses jüdischen Lebens auch hierzulande, hat es eine traurige neue Wichtigkeit. Denn was Sucher akribisch auflistet und zusammenträgt, wirkt in seiner Überschaubarkeit noch fragiler.
„Unsichere Heimat“ will „Jüdisches Leben in Deutschland von 1945 bis heute“ dokumentieren, das Leben der rund 95 000 Jüdinnen und Juden, die aktuell hier leben. C. Bernd Sucher, ehemaliger Professor für Kulturkritik an der HFF München und an der Theaterakademie August Everding und langjähriger Theaterkritiker bei der Süddeutschen Zeitung hat eine Art Nachschlage- und Übersichtswerk über den Status quo dieses Lebens geschaffen. Er erklärt nicht nur, was der Zentralrat der Juden ist und was er tut, er listet jüdische Museen, jüdische Orchester, Buchhandlungen, deutsch-jüdische Theater auf, koschere Restaurants und Supermärkte (davon gibt es nicht sehr viele), verzeichnet alle jüdischen Krankenhäuser, Altersheime, Schulen und Kindergärten.
Die Aufzählung all dieser Einrichtungen hat einen gewissen Sammlungs- und Abhandlungscharakter, sie macht aber auch deutlich: Jüdisches Leben in Deutschland ist da, doch es ist verletzlich, auch in seiner Überschaubarkeit.
Sucher weiß natürlich, wo welche Synagoge steht, er führt kurz durch ihre Entstehungsgeschichte, die oft eine der Zerstörung und des Wiederaufbaus nach 1945 ist, und bewertet auch gleich ihren architektonischen Wert. Unangefochten „spektakulär“ ist dabei für ihn die Münchner Synagoge Ohel Jakob, eingeweiht 2006 auf zentralem Platz im Herzen der Stadt, auf die er mehrmals zurückkommt. „Sie will Aufsehen erregen – und sie erregt Aufsehen. Weil sie demonstriert: Wir sind da!“, schreibt Sucher. Immer wieder schimmert in diesem Buch die persönliche Begeisterung des Autors in Form von Ausrufezeichen durch – an anderer Stelle auch seine persönliche Empörung. Stellenweise gerät es ein wenig aus der Form, etwa wenn Sucher ausufernd aus Bundespräsidentenreden zitiert. Den Schlussteil bildet eine Reihe von Interviews, die Sucher mit Jüdinnen und Juden geführt hat. Er spricht mit ihnen über ihr jüdisches Leben in Deutschland, etwa mit dem Rechtswissenschaftler Moris Lehner, Charlotte Knobloch, Journalist und Autor Richard C. Schneider, mit Josef Schuster und Deborah Feldman.
Interessant wird das Buch, wenn Sucher Themen wie „Wiedergutmachung“ und „Erinnerungskultur“ auf ihren Sinn und Gehalt prüft und darüber nachdenkt, was „Gedenkstätten“ eigentlich für Orte sein könnten, müssten – und für wen. Den Deutschen falle es schwer, sich mit dem Judentum auf eine Weise auseinanderzusetzen, schreibt er, die sich weder im Horror über die eigene Täterrolle noch mit der Musealisierung jüdischer Kultur oder im Erstarren in hohler Symbolik ausdrückt.
Die jüdischen Museen hierzulande, klagt Sucher, „bewahren und präsentieren – das vor allem. Die Vermittlung hingegen wird ebenso vernachlässigt wie die Forschung.“ Zu sehen sei, was „von den ermordeten, den vertriebenen Juden übrig geblieben ist“. Dabei sollte nicht das einstige jüdische Leben behandelt werden, sondern das gegenwärtige. Das Konzentrationslager Dachau sei ein „Freilichtmuseum“, die „Schau“ dort sei gut gemeint, aber unemotional. „In Yad Vashem wird geweint, in Dachau wird gestaunt“, schreibt Sucher. Anders bewertet er die Denkmäler und Gedenkstätten: „Sie wirken in die Gegenwart“, heißt es einmal, sie erregten Aufmerksamkeit inmitten von Städten, Dörfern, „und sie können ärgern“. Deshalb tendiert Sucher, selbst wenn er Für und Wider abwägt, auch dazu, Stolpersteine für sinnvoll zu halten, welche in seiner Heimatstadt München auch aufgrund des vehementen Widerstands von Charlotte Knobloch nicht existieren.
Das „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ in Berlin gilt ihm als gutes Beispiel eines „Mahnmals der Schuld, errichtet von den Nachfahren der Schuldigen für die Nachfahren der Täter“ – und eben nicht als „Wiedergutmachung“ für die Opfer. Das 2005 fertiggestellte Denkmal geht auf die Initiative der Publizistin und Nichtjüdin Lea Rosh zurück. „Halten Sie sich da raus“, soll sie einst zu Heinz Galinski, dem damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden gesagt haben, „die Nachkommen der Täter bauen das Mahnmal, nicht die Juden.“ Anders gesagt: Gemahnt werden müssen die Täter, nicht die Opfer. Und so wichtig das Erinnern für Sucher ist: Die Gegenwart und die Zukunft kann man beeinflussen.
CHRISTIANE LUTZ
Was sollen Gedenkstätten
eigentlich sein?
Und für wen?
Die Synagoge Ohel Jakob steht im Herzen Münchens.
Foto: Alessandra Schellnegger
C. Bernd Sucher:
Unsichere Heimat.
Jüdisches Leben in
Deutschland von 1945 bis heute. Sachbuch. Piper, München 2023.
272 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In seinem Buch „Unsichere Heimat“ liefert C. Bernd Sucher eine Bestandsaufnahme
jüdischen Lebens in Deutschland nach 1945.
Wäre das Buch „Unsichere Heimat“ von C. Bernd Sucher vor dem 7. Oktober 2023 erschienen, wäre es vielleicht vor allem als wichtiger Beitrag zur „Sichtbarmachung“ und „Dokumentation“ jüdischen Lebens in Deutschland gewertet worden. Jetzt, durch die neue Bedrohungslage genau dieses jüdischen Lebens auch hierzulande, hat es eine traurige neue Wichtigkeit. Denn was Sucher akribisch auflistet und zusammenträgt, wirkt in seiner Überschaubarkeit noch fragiler.
„Unsichere Heimat“ will „Jüdisches Leben in Deutschland von 1945 bis heute“ dokumentieren, das Leben der rund 95 000 Jüdinnen und Juden, die aktuell hier leben. C. Bernd Sucher, ehemaliger Professor für Kulturkritik an der HFF München und an der Theaterakademie August Everding und langjähriger Theaterkritiker bei der Süddeutschen Zeitung hat eine Art Nachschlage- und Übersichtswerk über den Status quo dieses Lebens geschaffen. Er erklärt nicht nur, was der Zentralrat der Juden ist und was er tut, er listet jüdische Museen, jüdische Orchester, Buchhandlungen, deutsch-jüdische Theater auf, koschere Restaurants und Supermärkte (davon gibt es nicht sehr viele), verzeichnet alle jüdischen Krankenhäuser, Altersheime, Schulen und Kindergärten.
Die Aufzählung all dieser Einrichtungen hat einen gewissen Sammlungs- und Abhandlungscharakter, sie macht aber auch deutlich: Jüdisches Leben in Deutschland ist da, doch es ist verletzlich, auch in seiner Überschaubarkeit.
Sucher weiß natürlich, wo welche Synagoge steht, er führt kurz durch ihre Entstehungsgeschichte, die oft eine der Zerstörung und des Wiederaufbaus nach 1945 ist, und bewertet auch gleich ihren architektonischen Wert. Unangefochten „spektakulär“ ist dabei für ihn die Münchner Synagoge Ohel Jakob, eingeweiht 2006 auf zentralem Platz im Herzen der Stadt, auf die er mehrmals zurückkommt. „Sie will Aufsehen erregen – und sie erregt Aufsehen. Weil sie demonstriert: Wir sind da!“, schreibt Sucher. Immer wieder schimmert in diesem Buch die persönliche Begeisterung des Autors in Form von Ausrufezeichen durch – an anderer Stelle auch seine persönliche Empörung. Stellenweise gerät es ein wenig aus der Form, etwa wenn Sucher ausufernd aus Bundespräsidentenreden zitiert. Den Schlussteil bildet eine Reihe von Interviews, die Sucher mit Jüdinnen und Juden geführt hat. Er spricht mit ihnen über ihr jüdisches Leben in Deutschland, etwa mit dem Rechtswissenschaftler Moris Lehner, Charlotte Knobloch, Journalist und Autor Richard C. Schneider, mit Josef Schuster und Deborah Feldman.
Interessant wird das Buch, wenn Sucher Themen wie „Wiedergutmachung“ und „Erinnerungskultur“ auf ihren Sinn und Gehalt prüft und darüber nachdenkt, was „Gedenkstätten“ eigentlich für Orte sein könnten, müssten – und für wen. Den Deutschen falle es schwer, sich mit dem Judentum auf eine Weise auseinanderzusetzen, schreibt er, die sich weder im Horror über die eigene Täterrolle noch mit der Musealisierung jüdischer Kultur oder im Erstarren in hohler Symbolik ausdrückt.
Die jüdischen Museen hierzulande, klagt Sucher, „bewahren und präsentieren – das vor allem. Die Vermittlung hingegen wird ebenso vernachlässigt wie die Forschung.“ Zu sehen sei, was „von den ermordeten, den vertriebenen Juden übrig geblieben ist“. Dabei sollte nicht das einstige jüdische Leben behandelt werden, sondern das gegenwärtige. Das Konzentrationslager Dachau sei ein „Freilichtmuseum“, die „Schau“ dort sei gut gemeint, aber unemotional. „In Yad Vashem wird geweint, in Dachau wird gestaunt“, schreibt Sucher. Anders bewertet er die Denkmäler und Gedenkstätten: „Sie wirken in die Gegenwart“, heißt es einmal, sie erregten Aufmerksamkeit inmitten von Städten, Dörfern, „und sie können ärgern“. Deshalb tendiert Sucher, selbst wenn er Für und Wider abwägt, auch dazu, Stolpersteine für sinnvoll zu halten, welche in seiner Heimatstadt München auch aufgrund des vehementen Widerstands von Charlotte Knobloch nicht existieren.
Das „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ in Berlin gilt ihm als gutes Beispiel eines „Mahnmals der Schuld, errichtet von den Nachfahren der Schuldigen für die Nachfahren der Täter“ – und eben nicht als „Wiedergutmachung“ für die Opfer. Das 2005 fertiggestellte Denkmal geht auf die Initiative der Publizistin und Nichtjüdin Lea Rosh zurück. „Halten Sie sich da raus“, soll sie einst zu Heinz Galinski, dem damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden gesagt haben, „die Nachkommen der Täter bauen das Mahnmal, nicht die Juden.“ Anders gesagt: Gemahnt werden müssen die Täter, nicht die Opfer. Und so wichtig das Erinnern für Sucher ist: Die Gegenwart und die Zukunft kann man beeinflussen.
CHRISTIANE LUTZ
Was sollen Gedenkstätten
eigentlich sein?
Und für wen?
Die Synagoge Ohel Jakob steht im Herzen Münchens.
Foto: Alessandra Schellnegger
C. Bernd Sucher:
Unsichere Heimat.
Jüdisches Leben in
Deutschland von 1945 bis heute. Sachbuch. Piper, München 2023.
272 Seiten, 24 Euro.
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