Kennen Sie den Baum der weisen Voraussicht? Haben Sie schon einmal vom Kuhbaum getrunken? Wie liegt es sich unter dem Baum des Müßiggangs?
Rudi Palla, Enzyklopädist des entlegenen Wissens, hat aus Botanik, Mythologie, Kulinarik und Sozialgeschichte Anregendes wie Kurioses über die vielfältigen Verbindungen zwischen Mensch und Baum zutage gefördert.
Seine Wanderungen führen ins China Marco Polos, zu den Meuterern von der"Bounty"und ihren Brotfruchtbäumen auf Tahiti oder zu dem aus Lerchen gepflanzten Hakenkreuz in der Uckermark. Was all seine Routen verknüpft, sind immer Bäume, denen Palla eine Biographie gibt, spannend wie die eines Menschen.
Rudi Palla, Enzyklopädist des entlegenen Wissens, hat aus Botanik, Mythologie, Kulinarik und Sozialgeschichte Anregendes wie Kurioses über die vielfältigen Verbindungen zwischen Mensch und Baum zutage gefördert.
Seine Wanderungen führen ins China Marco Polos, zu den Meuterern von der"Bounty"und ihren Brotfruchtbäumen auf Tahiti oder zu dem aus Lerchen gepflanzten Hakenkreuz in der Uckermark. Was all seine Routen verknüpft, sind immer Bäume, denen Palla eine Biographie gibt, spannend wie die eines Menschen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2006Das Ende der Holzzeit wäre auch das Ende des Menschen
Vor den Stämmen mit den grünen Mähnen: Der österreichische Schriftsteller und Dokumentarfilmer Rudi Palla reist zu den Bäumen / Von Julia Voss
Dem Thema dieses Buches nähert man sich am besten über seine Kehrseite: die Baumhasser. Zum Beispiel die Pappelbaumhasser. Zu denen zählen Friedrich Schiller oder der Dichter und Orientalist Friedrich Rückert: Schiller, weil er die kerzengeraden Bäume monoton und spröde fand; Rückert, weil sie seinem Befinden nach der Landschaft "das Antlitz rauben" - "wem könnten sie gefallen?" fragte er entgeistert.
Unbeherrschter noch der Ton der Roßkastanienhasser. Als erbitterter Feind tat sich neben der Miniermotte ein Autor der Wiener Zeitung "Die Presse" hervor, der, als im neunzehnten Jahrhundert eine Prachtstraße mit dem genügsamen Baum begrünt werden sollte, gegen den "Baumproletarier" tobte: Die Rinde sei "grobschuppig, plump, rauh, ohne Kraft", der Stamm "häufig zu dick gebaut, ein schwammiger, wassersüchtiger Anblick", wobei die Gemeinheit des Baumes im Blatt gipfele, "grob geflochten das Gerippe", "dünn und schütter die Pflanzenzelle dazwischen gewebt!" Nicht auszumalen, wozu der Autor in der Lage gewesen wäre, hätte er noch miterleben müssen, wie knapp hundert Jahre später den Dramatiker Ödön von Horváth, nur siebenunddreißigjährig, ein herabfallender Kastanienzweig in Paris erschlug. In Wien pflanzte man jedenfalls Götterbäume und Platanen.
Es sind dies Geschichten aus dem an fantastischen Anekdoten reichen Buch "Unter Bäumen" des österreichischen Schriftstellers und Dokumentarfilmers Rudi Palla. Stärker noch als die Baumliebhaber - natürlich in einem Baumbuch in der Überzahl - zeigen die Baumhasser, was den Autor interessiert: die individuelle Beziehung zu diesen größten und ältesten Lebewesen der Erde. Sich auch Bäumen als Einzelwesen anzunehmen, darin liegt der unverkennbare Reiz des Buchs.
Was auf den ersten Blick wie ein Liebhaberthema scheint, könnte aktueller nicht sein: Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit droht ein Zeitalter zu Ende zu gehen, für das der Althistoriker Alexander Demandt in seiner Kulturgeschichte des Baums den schönen Begriff "Holzzeit" geprägt hat. Holzzeit meinte er wie Steinzeit oder Bronzezeit als Epochenname, mit dem entscheidenden Unterschied, daß sie unbegrenzt schien. Seit es uns gibt, leben wir unter Bäumen; der Urmensch fand im Wald seine erste Nahrung, irgendwann baute er Häuser oder Schiffe daraus, der bekannte Prozeß von Raubbau und Abhängigkeit wurde in Gang gesetzt. Oder anders gesagt: Das Ende der Holzzeit wäre auch das Ende des Menschen.
Mit Blick auf den Hintergrund eines deutschsprachigen Leserpublikums liegt der Fall noch paradoxer. Denn historisch betrachtet gab es hierzulande lange nicht so viel Waldfläche wie heute, die Zahl der Bäume nimmt zu, nicht ab. Um 1800 waren etwa zwanzig Prozent des heutigen Deutschlands bewaldet, der Schnitt liegt jetzt bei dreißig Prozent. Das Wachstum verdankt sich allerdings der Entdeckung des Waldes als Ort der Holzproduktion. Fichten- und Kiefernmonokulturen verdrängen seit dem neunzehnten Jahrhundert mehr und mehr den deutschen Urwald, der dafür eine fast mythische Rache nahm: Er ging für immer. Einen Urwald kann man nicht aufforsten; er wächst nicht in Menschenzeit.
Die Deutschen, deren Land im Vergleich zu den europäischen Nachbarn erst relativ spät entwaldet wurde, entwickelten damit ihre nationaltypische Waldsehnsucht. Bei Elias Cannetti liest sich das so: "Der Engländer sah sich gern auf dem Meer; der Deutsche sah sich gern im Wald; knapper ist, was sie in ihrem nationalem Gefühl trennte, schwerlich auszudrücken."
Verwundert bemerkte Cannetti gleichzeitig die Eigenheit deutscher Wälder, "ihre Sauberkeit und Abgegrenztheit gegeneinander, die Betonung der Vertikalen". Das Bild, das einem dazu einfällt, ist der trostlose Fichtenwald, das Wort "Verfichtung". Sterilität und Sehnsucht bedingen sich: Die Romantik erfand sich den deutschen Ur- und Märchenwald unter dem Druck der Aufforstungsprojekte.
In dieser romantischen Tradition muß man auch den Österreicher Palla sehen, seine Hinwendung zu einzelnen Baumberühmtheiten, die stille Überzeugung, daß der Stoff, aus dem die Bäume sind, geradezu biographisch ist. Aus dieser Zugangsweise ergibt sich die gestalterische Form: Es ist ein erzähltes Sachbuch, das sich in 21 Geschichten jeweils einer Baumart annimmt - darunter die bereits erwähnte Roßkastanie und der Pappelbaum oder auch Exotisches wie Baobab, Gingko oder Eukalyptus. Nicht immer gelingt es, an einigen Stellen hätte man sich mehr Beharrlichkeit bei der Recherche gewünscht. An diesen Stellen scheint der Autor in die Falle seines wunderbar leichten Erzählstils gegangen zu sein: Zu schnell trägt er ihn über manche Sachfragen hinweg, die man gerne genauer gewußt hätte.
In den gelungensten Geschichten wechselt der Ich-Erzähler jedoch souverän zwischen den Genres, von Reisereportage zu Kulturgeschichte oder Essay und lehrt den Leser Staunen, wohin das weitverzweigte Wurzelwerk der Bäume reicht: Wir lesen von Joseph Conrad, Alexander von Humboldt oder dem Reifenimperiumsbegründer Charles Nelson Goodyear; von vergessenen Baumfanatikern wie dem Schriftsteller B. Tavern; von Skurrilitäten wie einem komplett aus Holz gebauten Flugzeug; von den Abgründen der Kolonialzeit und der heutigen Baummafia; und nicht zuletzt von so wunderbaren Urwesen wie dem mexikanischen Naturdenkmal El Arbol, "dem Baumriesen mit der zartgefiederten grünen Mähne", wie Palla in einer der schönsten Formulierungen schreibt.
Zuletzt schrieb Palla ein Buch über "Verschwundene Arbeit. Ein Thesaurus der untergegangenen Berufe". Zu hoffen ist, daß ein Buch über Bäume nicht auch das Schicksal ereilt, zu einem Nachruf zu werden. Der Leser wird jedenfalls nicht umhinkönnen, beim Blick aus dem Fenster die Linde, die über Nacht die parkenden Autos mit klebrigem Saft betropft, um sie am Morgen den Besitzern wie geteert und gefedert zu übergeben, für einen Moment bewundernd als Person zu betrachten. Ein Buch über Bäume hat damit sein Ziel erreicht.
Rudi Palla: "Unter Bäumen". Reisen zu den größten Lebewesen. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2006. 294 S., geb., 25,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vor den Stämmen mit den grünen Mähnen: Der österreichische Schriftsteller und Dokumentarfilmer Rudi Palla reist zu den Bäumen / Von Julia Voss
Dem Thema dieses Buches nähert man sich am besten über seine Kehrseite: die Baumhasser. Zum Beispiel die Pappelbaumhasser. Zu denen zählen Friedrich Schiller oder der Dichter und Orientalist Friedrich Rückert: Schiller, weil er die kerzengeraden Bäume monoton und spröde fand; Rückert, weil sie seinem Befinden nach der Landschaft "das Antlitz rauben" - "wem könnten sie gefallen?" fragte er entgeistert.
Unbeherrschter noch der Ton der Roßkastanienhasser. Als erbitterter Feind tat sich neben der Miniermotte ein Autor der Wiener Zeitung "Die Presse" hervor, der, als im neunzehnten Jahrhundert eine Prachtstraße mit dem genügsamen Baum begrünt werden sollte, gegen den "Baumproletarier" tobte: Die Rinde sei "grobschuppig, plump, rauh, ohne Kraft", der Stamm "häufig zu dick gebaut, ein schwammiger, wassersüchtiger Anblick", wobei die Gemeinheit des Baumes im Blatt gipfele, "grob geflochten das Gerippe", "dünn und schütter die Pflanzenzelle dazwischen gewebt!" Nicht auszumalen, wozu der Autor in der Lage gewesen wäre, hätte er noch miterleben müssen, wie knapp hundert Jahre später den Dramatiker Ödön von Horváth, nur siebenunddreißigjährig, ein herabfallender Kastanienzweig in Paris erschlug. In Wien pflanzte man jedenfalls Götterbäume und Platanen.
Es sind dies Geschichten aus dem an fantastischen Anekdoten reichen Buch "Unter Bäumen" des österreichischen Schriftstellers und Dokumentarfilmers Rudi Palla. Stärker noch als die Baumliebhaber - natürlich in einem Baumbuch in der Überzahl - zeigen die Baumhasser, was den Autor interessiert: die individuelle Beziehung zu diesen größten und ältesten Lebewesen der Erde. Sich auch Bäumen als Einzelwesen anzunehmen, darin liegt der unverkennbare Reiz des Buchs.
Was auf den ersten Blick wie ein Liebhaberthema scheint, könnte aktueller nicht sein: Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit droht ein Zeitalter zu Ende zu gehen, für das der Althistoriker Alexander Demandt in seiner Kulturgeschichte des Baums den schönen Begriff "Holzzeit" geprägt hat. Holzzeit meinte er wie Steinzeit oder Bronzezeit als Epochenname, mit dem entscheidenden Unterschied, daß sie unbegrenzt schien. Seit es uns gibt, leben wir unter Bäumen; der Urmensch fand im Wald seine erste Nahrung, irgendwann baute er Häuser oder Schiffe daraus, der bekannte Prozeß von Raubbau und Abhängigkeit wurde in Gang gesetzt. Oder anders gesagt: Das Ende der Holzzeit wäre auch das Ende des Menschen.
Mit Blick auf den Hintergrund eines deutschsprachigen Leserpublikums liegt der Fall noch paradoxer. Denn historisch betrachtet gab es hierzulande lange nicht so viel Waldfläche wie heute, die Zahl der Bäume nimmt zu, nicht ab. Um 1800 waren etwa zwanzig Prozent des heutigen Deutschlands bewaldet, der Schnitt liegt jetzt bei dreißig Prozent. Das Wachstum verdankt sich allerdings der Entdeckung des Waldes als Ort der Holzproduktion. Fichten- und Kiefernmonokulturen verdrängen seit dem neunzehnten Jahrhundert mehr und mehr den deutschen Urwald, der dafür eine fast mythische Rache nahm: Er ging für immer. Einen Urwald kann man nicht aufforsten; er wächst nicht in Menschenzeit.
Die Deutschen, deren Land im Vergleich zu den europäischen Nachbarn erst relativ spät entwaldet wurde, entwickelten damit ihre nationaltypische Waldsehnsucht. Bei Elias Cannetti liest sich das so: "Der Engländer sah sich gern auf dem Meer; der Deutsche sah sich gern im Wald; knapper ist, was sie in ihrem nationalem Gefühl trennte, schwerlich auszudrücken."
Verwundert bemerkte Cannetti gleichzeitig die Eigenheit deutscher Wälder, "ihre Sauberkeit und Abgegrenztheit gegeneinander, die Betonung der Vertikalen". Das Bild, das einem dazu einfällt, ist der trostlose Fichtenwald, das Wort "Verfichtung". Sterilität und Sehnsucht bedingen sich: Die Romantik erfand sich den deutschen Ur- und Märchenwald unter dem Druck der Aufforstungsprojekte.
In dieser romantischen Tradition muß man auch den Österreicher Palla sehen, seine Hinwendung zu einzelnen Baumberühmtheiten, die stille Überzeugung, daß der Stoff, aus dem die Bäume sind, geradezu biographisch ist. Aus dieser Zugangsweise ergibt sich die gestalterische Form: Es ist ein erzähltes Sachbuch, das sich in 21 Geschichten jeweils einer Baumart annimmt - darunter die bereits erwähnte Roßkastanie und der Pappelbaum oder auch Exotisches wie Baobab, Gingko oder Eukalyptus. Nicht immer gelingt es, an einigen Stellen hätte man sich mehr Beharrlichkeit bei der Recherche gewünscht. An diesen Stellen scheint der Autor in die Falle seines wunderbar leichten Erzählstils gegangen zu sein: Zu schnell trägt er ihn über manche Sachfragen hinweg, die man gerne genauer gewußt hätte.
In den gelungensten Geschichten wechselt der Ich-Erzähler jedoch souverän zwischen den Genres, von Reisereportage zu Kulturgeschichte oder Essay und lehrt den Leser Staunen, wohin das weitverzweigte Wurzelwerk der Bäume reicht: Wir lesen von Joseph Conrad, Alexander von Humboldt oder dem Reifenimperiumsbegründer Charles Nelson Goodyear; von vergessenen Baumfanatikern wie dem Schriftsteller B. Tavern; von Skurrilitäten wie einem komplett aus Holz gebauten Flugzeug; von den Abgründen der Kolonialzeit und der heutigen Baummafia; und nicht zuletzt von so wunderbaren Urwesen wie dem mexikanischen Naturdenkmal El Arbol, "dem Baumriesen mit der zartgefiederten grünen Mähne", wie Palla in einer der schönsten Formulierungen schreibt.
Zuletzt schrieb Palla ein Buch über "Verschwundene Arbeit. Ein Thesaurus der untergegangenen Berufe". Zu hoffen ist, daß ein Buch über Bäume nicht auch das Schicksal ereilt, zu einem Nachruf zu werden. Der Leser wird jedenfalls nicht umhinkönnen, beim Blick aus dem Fenster die Linde, die über Nacht die parkenden Autos mit klebrigem Saft betropft, um sie am Morgen den Besitzern wie geteert und gefedert zu übergeben, für einen Moment bewundernd als Person zu betrachten. Ein Buch über Bäume hat damit sein Ziel erreicht.
Rudi Palla: "Unter Bäumen". Reisen zu den größten Lebewesen. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2006. 294 S., geb., 25,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ganz entzückt ist Julia Voss von diesem Buch über Bäume, das der Schriftsteller und Dokumentarfilmer Rudi Palla vorlegt hat. Sie lobt den "wunderbar leichten" Erzählstil des Autors, der sich in 21 Kapiteln je einer Baumart widmet, und attestiert ihm, sich gekonnt zwischen den Genres Reisereportage, Kulturgeschichte und Essay zu bewegen. Dabei fördert er zur Freude der Rezensentin eine Menge Wissenswertes, Skurriles und Erstaunliches über Bäume zu Tage. Auch die zahlreiche Anekdoten über berühmte Baumfreunde und -hasser haben es ihr angetan. Insgesamt gelingt es dem Autor ihrer Ansicht nach, dem Leser Respekt für diese "größten und ältesten Lebewesen der Erde", ohne die die Menschheit nicht existieren könnte, zu vermitteln.
© Perlentaucher Medien GmbH
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