Seit 2002 ist die Bundeswehr in Afghanistan - um das Land zu stabilisieren. Doch daran ist schon lange nicht mehr zu denken. Die Lage ist außer Kontrolle. Fast täglich hageln Raketen auf das deutsche Lager, werden Soldaten Opfer von Sprengfallen und Hinterhalten. Am Hindukusch herrscht Krieg.Der ehemalige Nachrichtenoffizier Marc Lindemann war noch 2009 in Kunduz stationiert. Schonungslos analysiert er die begangenen Fehler: den versäumten Wiederaufbau und die Heuchelei der Politik, die den Einsatz lange als humanitäre Mission verkaufte. Er fordert von der Bundesregierung endlich Ehrlichkeit und ein klares Konzept.
Erfahren Sie mehr unter Buch ist eine Anklage."
Spiegel Online"Es ist eine Hybris anzunehmen, den Krieg nach eigenen Regeln führen zu können."
Der Spiegel
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2010Der Grimm der Soldaten
Marc Lindemann war als Offizier in Afghanistan und berichtet detailliert über das, was beim Einsatz der Bundeswehr schiefläuft.
Von Wilfried von Bredow
Der Untertitel dieses fulminanten Berichts mit den Erfahrungen und Ansichten eines meinungsfreudigen Nachrichtenoffiziers der Bundeswehr in Afghanistan ist missverständlich, denn viele werden ihn lesen als Prognose des nicht zu verhindernden Scheiterns oder sogar als Aufforderung, die deutschen Truppen so rasch wie möglich aus Afghanistan zurückzuholen. Das liegt aber gar nicht in der Absicht des Autors, im Gegenteil. Leider hat Marc Lindemann seinen Hang zu reißerischen und zuweilen auch völlig unangemessenen Formulierungen und Charakterisierungen nicht bezähmt. Der Grund dafür mag ein tiefsitzender Groll gegen all jene in Deutschland sein, die den Soldaten im Afghanistan-Einsatz seiner Meinung nach nicht genügend Respekt zollen und Unterstützung gewähren. Die Liste der so Kritisierten ist lang. Von Verteidigungsminister Jung ("unverschämt") reicht sie über den Generalinspekteur Schneiderhan ("ranghöchstes Hasenherz") und die zivile und militärische Spitze des Verteidigungsministeriums ("Generation von Posteninhabern mit realitätsferner Ideologie") bis hin zur "Kaste der Berufsabgeordneten" und der deutschen Gesellschaft ("Verfall").
Vermutlich ist diese verbale Kraftmeierei der Ausdruck eines weitverbreiteten und nach dem Tanklaster-Vorfall vom September 2009 noch einmal deutlich gestiegenen Frusts bei den Soldaten im Afghanistan-Einsatz. Sie haben einen Auftrag, den sie unter den gegebenen Verhältnissen nicht erfüllen können, und sitzen in einer Normenfalle. Es treibt einem ja in der Tat auch die Haare zu Berge, wenn man in einer Wochenzeitschrift über die Bombardierung der beiden geraubten Tanklaster als "ein deutsches Verbrechen" lesen muss. Diese perfide Formulierung ist vor der Drucklegung bestimmt auf ihre juristische Unbedenklichkeit hin abgeklopft worden. Perfide ist sie aber, und man kann den Grimm der Soldaten in Kundus gut nachvollziehen.
Dennoch ist die rhetorische Zügellosigkeit des Autors bedauerlich. Denn sein Bericht über die Lage in Afghanistan, über die Probleme der internationalen Stabilisierungstruppe Isaf, über die bevorzugten Kampfmittel der Taliban (Selbstmordattentate, Raketenbeschuss, Sprengfallen), über die militärische Selbstfesselung der Bundeswehr in diesem Einsatz und über die auf erbitternde Weise schlichten Manöver von Regierung und Bundeswehrspitze in der Ära des Ministers Jung, die sich seit 2006 permanent verschlechternde Situation in Afghanistan schönzureden, besticht durch Faktenreichtum und Anschaulichkeit. Lindemann nimmt, und an vielen Stellen auch völlig zu Recht, kein Blatt vor den Mund. Knapp zehn Jahre Wiederaufbau und Versuche, dafür ein "sicheres Umfeld" zu schaffen, haben so gut wie nichts von dem gebracht, was man sich im Westen vorgenommen hat. Von der Hoffnung der afghanischen Bevölkerung ganz zu schweigen. Dass das Land keine Demokratie nach westlichem Muster werden wird, das war von vornherein klar. Aber ein einigermaßen stabiles Staatsgebilde mit dezentralen politischen Strukturen und einer selbstbestimmten inneren Ordnung, eine sich von den Jahrzehnten internen Krieges erholende Wirtschaft und ein gewisses Maß an Freiheit für die Männer und Frauen dieses gebeutelten Landes - das erschien nach dem Sieg über die Taliban möglich. Inzwischen sind diese Ziele in weite Ferne gerückt, trotz und teilweise auch wegen der Anwesenheit so zahlreicher ausländischer Wiederaufbauhelfer in Zivil und in Uniform.
Was schiefgelaufen ist, darüber finden sich bei Lindemann viele detaillierte Hinweise. Eine Stabilisierungstruppe etwa, die wie das deutsche Kontingent im Regionalkommando Nord kaum noch mit Patrouillen in der Fläche präsent ist, kann kein sicheres Umfeld erzeugen. Trotz allen Schwadronierens über "vernetzte Sicherheit" war und ist die Kooperation zwischen den Militärs und den zivilen Wiederaufbauorganisationen programmatisch spannungsreich, wenn sie in Einzelfällen vor Ort auch gut klappt. All das sind übrigens keineswegs nur Schwierigkeiten des deutschen Kontingents. Auch andere Nationen innerhalb der Isaf sind bei ihren Aufbaubemühungen in Afghanistan nicht weit gekommen.
Man muss die bisherigen Fehlschläge allen Helfer- oder Gebernationen ankreiden. Tatsächlich ähneln sich in den beteiligten Ländern auch die öffentlichen Auseinandersetzungen über militärische Verstärkungen, neue Akzente beim zivilen Aufbau, über neue Konzepte, die alles besser machen sollen, und über den Rückzug der eigenen Kontingente. Die Debatte in Deutschland unterscheidet sich von der in anderen westlichen Ländern hauptsächlich darin, dass hierzulande besonders vielen Meinungsträgern Politik mit militärischen Mitteln als überholt gilt. Aus dieser Einstellung heraus sind viele Defizite erwachsen, mit denen die Bundeswehr in Afghanistan nicht fertig wird.
Marc Lindemann: Unter Beschuss. Warum Deutschland in Afghanistan scheitert. Econ Verlag, Berlin 2010. 283 S., 18,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Marc Lindemann war als Offizier in Afghanistan und berichtet detailliert über das, was beim Einsatz der Bundeswehr schiefläuft.
Von Wilfried von Bredow
Der Untertitel dieses fulminanten Berichts mit den Erfahrungen und Ansichten eines meinungsfreudigen Nachrichtenoffiziers der Bundeswehr in Afghanistan ist missverständlich, denn viele werden ihn lesen als Prognose des nicht zu verhindernden Scheiterns oder sogar als Aufforderung, die deutschen Truppen so rasch wie möglich aus Afghanistan zurückzuholen. Das liegt aber gar nicht in der Absicht des Autors, im Gegenteil. Leider hat Marc Lindemann seinen Hang zu reißerischen und zuweilen auch völlig unangemessenen Formulierungen und Charakterisierungen nicht bezähmt. Der Grund dafür mag ein tiefsitzender Groll gegen all jene in Deutschland sein, die den Soldaten im Afghanistan-Einsatz seiner Meinung nach nicht genügend Respekt zollen und Unterstützung gewähren. Die Liste der so Kritisierten ist lang. Von Verteidigungsminister Jung ("unverschämt") reicht sie über den Generalinspekteur Schneiderhan ("ranghöchstes Hasenherz") und die zivile und militärische Spitze des Verteidigungsministeriums ("Generation von Posteninhabern mit realitätsferner Ideologie") bis hin zur "Kaste der Berufsabgeordneten" und der deutschen Gesellschaft ("Verfall").
Vermutlich ist diese verbale Kraftmeierei der Ausdruck eines weitverbreiteten und nach dem Tanklaster-Vorfall vom September 2009 noch einmal deutlich gestiegenen Frusts bei den Soldaten im Afghanistan-Einsatz. Sie haben einen Auftrag, den sie unter den gegebenen Verhältnissen nicht erfüllen können, und sitzen in einer Normenfalle. Es treibt einem ja in der Tat auch die Haare zu Berge, wenn man in einer Wochenzeitschrift über die Bombardierung der beiden geraubten Tanklaster als "ein deutsches Verbrechen" lesen muss. Diese perfide Formulierung ist vor der Drucklegung bestimmt auf ihre juristische Unbedenklichkeit hin abgeklopft worden. Perfide ist sie aber, und man kann den Grimm der Soldaten in Kundus gut nachvollziehen.
Dennoch ist die rhetorische Zügellosigkeit des Autors bedauerlich. Denn sein Bericht über die Lage in Afghanistan, über die Probleme der internationalen Stabilisierungstruppe Isaf, über die bevorzugten Kampfmittel der Taliban (Selbstmordattentate, Raketenbeschuss, Sprengfallen), über die militärische Selbstfesselung der Bundeswehr in diesem Einsatz und über die auf erbitternde Weise schlichten Manöver von Regierung und Bundeswehrspitze in der Ära des Ministers Jung, die sich seit 2006 permanent verschlechternde Situation in Afghanistan schönzureden, besticht durch Faktenreichtum und Anschaulichkeit. Lindemann nimmt, und an vielen Stellen auch völlig zu Recht, kein Blatt vor den Mund. Knapp zehn Jahre Wiederaufbau und Versuche, dafür ein "sicheres Umfeld" zu schaffen, haben so gut wie nichts von dem gebracht, was man sich im Westen vorgenommen hat. Von der Hoffnung der afghanischen Bevölkerung ganz zu schweigen. Dass das Land keine Demokratie nach westlichem Muster werden wird, das war von vornherein klar. Aber ein einigermaßen stabiles Staatsgebilde mit dezentralen politischen Strukturen und einer selbstbestimmten inneren Ordnung, eine sich von den Jahrzehnten internen Krieges erholende Wirtschaft und ein gewisses Maß an Freiheit für die Männer und Frauen dieses gebeutelten Landes - das erschien nach dem Sieg über die Taliban möglich. Inzwischen sind diese Ziele in weite Ferne gerückt, trotz und teilweise auch wegen der Anwesenheit so zahlreicher ausländischer Wiederaufbauhelfer in Zivil und in Uniform.
Was schiefgelaufen ist, darüber finden sich bei Lindemann viele detaillierte Hinweise. Eine Stabilisierungstruppe etwa, die wie das deutsche Kontingent im Regionalkommando Nord kaum noch mit Patrouillen in der Fläche präsent ist, kann kein sicheres Umfeld erzeugen. Trotz allen Schwadronierens über "vernetzte Sicherheit" war und ist die Kooperation zwischen den Militärs und den zivilen Wiederaufbauorganisationen programmatisch spannungsreich, wenn sie in Einzelfällen vor Ort auch gut klappt. All das sind übrigens keineswegs nur Schwierigkeiten des deutschen Kontingents. Auch andere Nationen innerhalb der Isaf sind bei ihren Aufbaubemühungen in Afghanistan nicht weit gekommen.
Man muss die bisherigen Fehlschläge allen Helfer- oder Gebernationen ankreiden. Tatsächlich ähneln sich in den beteiligten Ländern auch die öffentlichen Auseinandersetzungen über militärische Verstärkungen, neue Akzente beim zivilen Aufbau, über neue Konzepte, die alles besser machen sollen, und über den Rückzug der eigenen Kontingente. Die Debatte in Deutschland unterscheidet sich von der in anderen westlichen Ländern hauptsächlich darin, dass hierzulande besonders vielen Meinungsträgern Politik mit militärischen Mitteln als überholt gilt. Aus dieser Einstellung heraus sind viele Defizite erwachsen, mit denen die Bundeswehr in Afghanistan nicht fertig wird.
Marc Lindemann: Unter Beschuss. Warum Deutschland in Afghanistan scheitert. Econ Verlag, Berlin 2010. 283 S., 18,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Marc Lindemann nimmt kein Blatt vor den Mund, und manchmal geht das dem Rezensenten Wilfried von Bredow gehörig auf die Nerven, etwa wenn Lindemann, Nachrichtenoffizier der Bundeswehr, über das politische herzieht. Aber dann ist Bredow gewillt, diese "verbale Kraftmeierei" aus dem Frust heraus zu entschuldigen, den die Bundeswehr in Afghanistan angestaut haben muss. In der Sache und der politischen Einschätzung nämlich geht Bredow mit Lindemann durchaus d'accord, und den Bericht über die verfahrene Lage in Afghanistan, seine Analyse und seine Forderungen findet der Rezensent alles andere als abwegig. Dabei sind in Bredows Sicht die Ursachen für die bisherigen Fehlschläge nicht allein in Deutschland zu suchen, sie finden sich in allen beteiligten Nationen, aber hier sei der Unwillen besonders groß, mit militärischen Mitteln Politik zu betreiben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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