»Ein balkanisches Jahrhundertdrama.« Der Tagesspiegel - Slowenien Ehrengast Frankfurter Buchmesse 2023
Über ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit Jadrans Großvater nach Istrien kam und dort eine Familie gründete. Nun ist er tot, und auch Jadrans Vater hat nach Ausbruch des Bosnienkrieges die Familie verlassen. Mit dem Besuch im Haus des Großvaters beginnt die Suche des jungen Mannes nach der eigenen Identität und führt ihn unweigerlich in die Wirren auf dem Balkan. Der Zerfall des Staates und dessen neue Grenzen haben auch die Familienbande zerschnitten. Einzig der Feigenbaum im Garten seines Großvaters scheint alle Stürme unbeschadet überstanden zu haben.
Über ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit Jadrans Großvater nach Istrien kam und dort eine Familie gründete. Nun ist er tot, und auch Jadrans Vater hat nach Ausbruch des Bosnienkrieges die Familie verlassen. Mit dem Besuch im Haus des Großvaters beginnt die Suche des jungen Mannes nach der eigenen Identität und führt ihn unweigerlich in die Wirren auf dem Balkan. Der Zerfall des Staates und dessen neue Grenzen haben auch die Familienbande zerschnitten. Einzig der Feigenbaum im Garten seines Großvaters scheint alle Stürme unbeschadet überstanden zu haben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2018Mit einem Zittern fängt alles an
Zoltán Danyi und Goran Vojnovic blicken zurück auf die Jugoslawien-Kriege der Neunziger. Ihre Romane lassen befürchten, dass die Ereignisse noch lange nachwirken werden.
Von Tilman Spreckelsen
Safet Dizdar verschwindet am 4. März 1992. Der Serbe mit bosnischen Wurzeln lebt mit seiner Familie im slowenischen Ljubljana, was in den Zeiten Jugoslawiens eher unproblematisch ist. Als aber das Land zerfällt und statt der Zugehörigkeit zum Gesamtstaat nun viel wichtiger ist, ob einer Serbe, Kroate oder Slowene ist, befördert ihn die Polizei über die Grenze. Seine Frau Vesna und sein Sohn Jadran erfahren erst Tage später, dass er immerhin noch lebt, in der kleinen bosnischen Stadt, aus der Safets Vater stammt. Um dort zu kämpfen, wie die slowenische Polizei vermutet. Und als wenig später in der angespannten Ruhe von Safets Städtchen aus der Ferne Schüsse zu hören sind, denkt der aus Slowenien Vertriebene: "Es hat angefangen, endlich."
So jedenfalls reimt es sich sein Sohn Jadran zusammen, gut zwanzig Jahre später, als die Familie auf der Beerdigung seines Großvaters Aleksandar das erste Mal wieder zusammentrifft, als sein Vater plötzlich wiederauftaucht und die Ereignisse von damals wieder schmerzlich präsent werden. Weil sie, so schildert es der slowenische Autor und Regisseur Goran Vojnovic in seinem Roman "Unter dem Feigenbaum", immer weiterwirken, weil sich der Riss durch die Familie insgesamt auch in den einzelnen Familienmitgliedern fortsetzt und sich dem jungen Vater Jadran die Frage stellt, wie er seinen eigenen kleinen Sohn davor bewahren kann. Und weil daher, so erlebt es ein verstörter Veteran im Roman "Der Kadaverräumer" des ungarisch-serbischen Autors Zoltán Danyi ebenfalls Jahrzehnte nach dem Friedensschluss, "dieser beschissene Krieg niemals ein Ende nehmen wird".
Zwei Romane sind also in diesem Herbst auf Deutsch erschienen, die auf die Jugoslawien-Kriege der neunziger Jahre zurückblicken; die Originalausgaben stammen aus den Jahren 2015 und 2016. In beiden steht nicht das Kriegsgeschehen selbst im Vordergrund, sondern der Versuch, danach ein ziviles Leben wiederaufzunehmen, und die Frage, wie sich der Einzelne und wie sich die Gesellschaft der Vergangenheit stellen sollte. Dabei könnten die Voraussetzungen, unter denen erzählt wird, nicht unterschiedlicher sein, was vor allem der Herkunft und auch dem Alter der Protagonisten geschuldet ist: Vojnovics Roman nimmt die Perspektive eines jungen Slowenen ein, der wie sein Autor 1980 geboren wurde und der, wie er schreibt, zum ersten Mal einen Toten sieht, als 2012 sein Großvater stirbt - ein Erzähler in einem Umfeld also, das den Krieg glücklicherweise weniger zu spüren bekam als andere Regionen des ehemaligen Jugoslawiens.
Danyis titelgebender Kadaverräumer dagegen, auch er ungefähr im selben Alter wie sein 1972 geborener Autor, ist ein in der Vojvodina gebürtiger Mann, ein Angehöriger also der ungarischen Minderheit im serbischen Staat, der an den Kämpfen teilgenommen hat. Der Roman setzt mit einem Zittern ein, mit der Wahrnehmung des kurz zuvor nach Berlin gereisten Veteranen, dass die Erde um ihn bebt, und diese Unruhe wird ihn nicht mehr verlassen. In 74 hektischen Kapiteln auf 250 Seiten irrt er durch Serbien und Kroatien, er will in Berlin von Tempelhof nach Amerika fliegen, um dem exjugoslawischen Elend zu entkommen, und muss dann feststellen, dass der Flughafen seinen Betrieb eingestellt hat. Und er besucht in der Vojvodina eine Theateraufführung, die Erinnerungen in ihm wachruft, die er nur zu gern weiter verdrängt hätte: an die Zeit als Milizionär, in der er mit seiner Einheit in Dörfer einfiel und an Zivilisten Massaker verübte.
"Wir haben es getan, weil wir es konnten, und wenn es so geschah, dann musste es auch so geschehen, und wenn es so geschehen musste, dann kann keiner von uns etwas dafür, dass wir es getan haben." So kommentiert der Veteran diese auf ihn eindringende Erinnerung einmal, und es ist völlig unklar, von wem dieser ungeheuerliche Satz stammt - von einem Befehlshaber, einem Kameraden, ihm selbst? -, und ebenso, wann diese Parole ausgegeben wurde und ob der Veteran aus dem Abstand vieler Jahre noch daran glaubt, wenn er es denn je getan hat.
Jedenfalls reichen diese Worte nicht aus, um das innere Beben zu beschwichtigen, das sich auch im Körperlichen manifestiert (der Veteran berichtet ausführlich über die seit dem Krieg in Unordnung geratenen Funktionen seines Darms und seiner Blase) und ihn schließlich zu einem obskuren Heilpraktiker führt, der sich später als der untergetauchte Serbenführer Radovan Karadzic entpuppt - von dessen Verhaftung im Juli 2008 liest er dann in der Zeitung. Den Zustand Serbiens, das er mit einem "pleitegegangenen Unternehmen" und mit dem "Klo des Belgrader Busbahnhofs" vergleicht, malt er sich in den schwärzesten Farben, vor allem aber wird ihm immer klarer, dass die Zeit des aggressiven serbischen Nationalismus, "jene alles verwüstenden, alles ausbeinenden Jahre noch nicht zu Ende waren, und sie würden vermutlich auch nie mehr zu Ende gehen, zumindest was ihn anbelangte, mit Sicherheit nie". Er jedenfalls läuft durch die zivile Gegenwart und trägt wüste Tötungsphantasien mit sich herum.
Luft macht sich der Einzelgänger in gespenstischem Gerede, das niemand hört, den es angeht - sein Pfleger in einem deutschen Krankenhaus verlässt währenddessen einfach das Zimmer, ein Clochard auf einer Parkbank verschläft die Erzählung des derangierten Serben, und die Eiswürfel in seinem Cocktailglas erweisen sich noch als die respektvollsten Zuhörer seiner Suada von den begangenen Kriegsverbrechen. Als er dann versucht, das Geschehen aufzuschreiben, kommt er nur zu wenigen Sätzen in den eigens dafür gekauften Heften, die er anschließend in den Müll wirft.
Der andrängenden Erinnerung und der Einordnung des Geschehens kann er sich trotzdem nicht entziehen. Kaum zufällig arbeitet er an einem Großmosaik im Haus eines reichen Kriegsgewinnlers; auch später dienen explizit die Mosaikteile als Metapher für seine Bewältigungsarbeit. Dem Kern des Ganzen nähert er sich sprunghaft, die variierende Wiederholung des Gesagten erweist sich als wirkungsvolles Stilmittel für diese quälende Suche, die schließlich in der Deutung seiner Nachkriegsarbeit als "Kadaverräumer" zur Beseitigung von Tierleichen mündet: Seine Gruppe sei aus einer Einheit hervorgegangen, die zuvor Kriegsverbrechen vertuscht hatte.
Diese Bewegung, die sich durch mehrere Schichten der Vergangenheit arbeitet, um zu einer Wahrheit vorzustoßen, die das fragile Selbstverständnis und die Identität des Suchenden betrifft, liegt auch der Familiengeschichte zugrunde, die Jadran, der Slowene mit bosnischserbisch-kroatischen Wurzeln, im Roman "Unter dem Feigenbaum" erzählt. Dass er dabei notgedrungen spekuliert, legt er selbst offen, wenn er etwa detailliert von der Ankunft seines Vaters in jenem bosnischen Städtchen erzählt, obwohl er doch, wie er einräumt, weder Zeuge davon war, noch sein Vater je davon erzählt hatte. Ähnlich verhält es sich mit der spannungsreichen Liebesgeschichte der Großeltern oder einem einjährigen Kairo-Aufenthalt des Großvaters, und auch über die wechselseitig zugefügten Verletzungen innerhalb der Familie gibt es nur Vermutungen, die im Verlauf der Handlung an Wahrscheinlichkeit gewinnen. Die vier bis fünf Generationen, die Jadran dabei in den Blick nimmt, vertreten auch unterschiedliche Teilrepubliken des jugoslawischen Staats, und die Konflikte spiegeln sich in den Sticheleien der Familienmitglieder untereinander, die bisweilen explizite Stereotypen, die an die Ethnien geknüpft sind, zum Inhalt haben - was um so heftiger wird, je manifester die Spannungen zwischen den Teilrepubliken auf der politischen Ebene werden.
Was das bedeutet, erfährt Jadran, als er als Sechzehnjähriger ins Bosnien der Nachkriegszeit fährt und seinen Vater kaum mehr wiedererkennt. Tatsächlich sind die Verstörungen über diejenigen, die einem eigentlich am nächsten sind, ein großes Thema dieses Romans, und auch die Erschütterungen über die Zeitläufte, die das begünstigen: "Als hätte jemand eine Grenze mitten durch mich hindurchgezogen."
Beiden Romanen gemein ist die verschlungene, hakenschlagende Chronologie. Struktur verleiht ihnen jeweils nicht eine geradlinig erzählte Handlung, sondern im Gegenteil der Versuch, aus der Rückschau ein Geheimnis aufzudecken, das von Anfang an da gewesen ist und das ebenso gut außerhalb wie innerhalb des jeweiligen Protagonisten liegt. Und während in Vojnovics Roman die Familie alles ist, im Guten wie im Schlechten, stolpern in Danyis Buch die Protagonisten allein durch die Welt, von Eltern oder gar Kindern ist so gut wie nicht die Rede.
Vor allem aber beschreiben diese beiden so unterschiedlichen Romane, welch ein Unglück für viele Protagonisten der Zerfall Jugoslawiens bedeutet. "Ich will nur meinen eigenen Staat", sagt Jadrans Onkel Dane, der Slowene, zu seinem Schwager. Der fragt zurück: "Und deshalb fährst du meinen an die Wand?" Dass ihr Schicksal untrennbar an den Zustand Jugoslawiens geknüpft ist, wissen beide.
Zoltán Danyi: "Der Kadaverräumer". Roman.
Aus dem Ungarischen von Terézia Mora. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 251 S., geb., 24,- [Euro].
Goran Vojnovic: "Unter dem Feigenbaum". Roman.
Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof. Folio Verlag, Wien 2018. 352 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zoltán Danyi und Goran Vojnovic blicken zurück auf die Jugoslawien-Kriege der Neunziger. Ihre Romane lassen befürchten, dass die Ereignisse noch lange nachwirken werden.
Von Tilman Spreckelsen
Safet Dizdar verschwindet am 4. März 1992. Der Serbe mit bosnischen Wurzeln lebt mit seiner Familie im slowenischen Ljubljana, was in den Zeiten Jugoslawiens eher unproblematisch ist. Als aber das Land zerfällt und statt der Zugehörigkeit zum Gesamtstaat nun viel wichtiger ist, ob einer Serbe, Kroate oder Slowene ist, befördert ihn die Polizei über die Grenze. Seine Frau Vesna und sein Sohn Jadran erfahren erst Tage später, dass er immerhin noch lebt, in der kleinen bosnischen Stadt, aus der Safets Vater stammt. Um dort zu kämpfen, wie die slowenische Polizei vermutet. Und als wenig später in der angespannten Ruhe von Safets Städtchen aus der Ferne Schüsse zu hören sind, denkt der aus Slowenien Vertriebene: "Es hat angefangen, endlich."
So jedenfalls reimt es sich sein Sohn Jadran zusammen, gut zwanzig Jahre später, als die Familie auf der Beerdigung seines Großvaters Aleksandar das erste Mal wieder zusammentrifft, als sein Vater plötzlich wiederauftaucht und die Ereignisse von damals wieder schmerzlich präsent werden. Weil sie, so schildert es der slowenische Autor und Regisseur Goran Vojnovic in seinem Roman "Unter dem Feigenbaum", immer weiterwirken, weil sich der Riss durch die Familie insgesamt auch in den einzelnen Familienmitgliedern fortsetzt und sich dem jungen Vater Jadran die Frage stellt, wie er seinen eigenen kleinen Sohn davor bewahren kann. Und weil daher, so erlebt es ein verstörter Veteran im Roman "Der Kadaverräumer" des ungarisch-serbischen Autors Zoltán Danyi ebenfalls Jahrzehnte nach dem Friedensschluss, "dieser beschissene Krieg niemals ein Ende nehmen wird".
Zwei Romane sind also in diesem Herbst auf Deutsch erschienen, die auf die Jugoslawien-Kriege der neunziger Jahre zurückblicken; die Originalausgaben stammen aus den Jahren 2015 und 2016. In beiden steht nicht das Kriegsgeschehen selbst im Vordergrund, sondern der Versuch, danach ein ziviles Leben wiederaufzunehmen, und die Frage, wie sich der Einzelne und wie sich die Gesellschaft der Vergangenheit stellen sollte. Dabei könnten die Voraussetzungen, unter denen erzählt wird, nicht unterschiedlicher sein, was vor allem der Herkunft und auch dem Alter der Protagonisten geschuldet ist: Vojnovics Roman nimmt die Perspektive eines jungen Slowenen ein, der wie sein Autor 1980 geboren wurde und der, wie er schreibt, zum ersten Mal einen Toten sieht, als 2012 sein Großvater stirbt - ein Erzähler in einem Umfeld also, das den Krieg glücklicherweise weniger zu spüren bekam als andere Regionen des ehemaligen Jugoslawiens.
Danyis titelgebender Kadaverräumer dagegen, auch er ungefähr im selben Alter wie sein 1972 geborener Autor, ist ein in der Vojvodina gebürtiger Mann, ein Angehöriger also der ungarischen Minderheit im serbischen Staat, der an den Kämpfen teilgenommen hat. Der Roman setzt mit einem Zittern ein, mit der Wahrnehmung des kurz zuvor nach Berlin gereisten Veteranen, dass die Erde um ihn bebt, und diese Unruhe wird ihn nicht mehr verlassen. In 74 hektischen Kapiteln auf 250 Seiten irrt er durch Serbien und Kroatien, er will in Berlin von Tempelhof nach Amerika fliegen, um dem exjugoslawischen Elend zu entkommen, und muss dann feststellen, dass der Flughafen seinen Betrieb eingestellt hat. Und er besucht in der Vojvodina eine Theateraufführung, die Erinnerungen in ihm wachruft, die er nur zu gern weiter verdrängt hätte: an die Zeit als Milizionär, in der er mit seiner Einheit in Dörfer einfiel und an Zivilisten Massaker verübte.
"Wir haben es getan, weil wir es konnten, und wenn es so geschah, dann musste es auch so geschehen, und wenn es so geschehen musste, dann kann keiner von uns etwas dafür, dass wir es getan haben." So kommentiert der Veteran diese auf ihn eindringende Erinnerung einmal, und es ist völlig unklar, von wem dieser ungeheuerliche Satz stammt - von einem Befehlshaber, einem Kameraden, ihm selbst? -, und ebenso, wann diese Parole ausgegeben wurde und ob der Veteran aus dem Abstand vieler Jahre noch daran glaubt, wenn er es denn je getan hat.
Jedenfalls reichen diese Worte nicht aus, um das innere Beben zu beschwichtigen, das sich auch im Körperlichen manifestiert (der Veteran berichtet ausführlich über die seit dem Krieg in Unordnung geratenen Funktionen seines Darms und seiner Blase) und ihn schließlich zu einem obskuren Heilpraktiker führt, der sich später als der untergetauchte Serbenführer Radovan Karadzic entpuppt - von dessen Verhaftung im Juli 2008 liest er dann in der Zeitung. Den Zustand Serbiens, das er mit einem "pleitegegangenen Unternehmen" und mit dem "Klo des Belgrader Busbahnhofs" vergleicht, malt er sich in den schwärzesten Farben, vor allem aber wird ihm immer klarer, dass die Zeit des aggressiven serbischen Nationalismus, "jene alles verwüstenden, alles ausbeinenden Jahre noch nicht zu Ende waren, und sie würden vermutlich auch nie mehr zu Ende gehen, zumindest was ihn anbelangte, mit Sicherheit nie". Er jedenfalls läuft durch die zivile Gegenwart und trägt wüste Tötungsphantasien mit sich herum.
Luft macht sich der Einzelgänger in gespenstischem Gerede, das niemand hört, den es angeht - sein Pfleger in einem deutschen Krankenhaus verlässt währenddessen einfach das Zimmer, ein Clochard auf einer Parkbank verschläft die Erzählung des derangierten Serben, und die Eiswürfel in seinem Cocktailglas erweisen sich noch als die respektvollsten Zuhörer seiner Suada von den begangenen Kriegsverbrechen. Als er dann versucht, das Geschehen aufzuschreiben, kommt er nur zu wenigen Sätzen in den eigens dafür gekauften Heften, die er anschließend in den Müll wirft.
Der andrängenden Erinnerung und der Einordnung des Geschehens kann er sich trotzdem nicht entziehen. Kaum zufällig arbeitet er an einem Großmosaik im Haus eines reichen Kriegsgewinnlers; auch später dienen explizit die Mosaikteile als Metapher für seine Bewältigungsarbeit. Dem Kern des Ganzen nähert er sich sprunghaft, die variierende Wiederholung des Gesagten erweist sich als wirkungsvolles Stilmittel für diese quälende Suche, die schließlich in der Deutung seiner Nachkriegsarbeit als "Kadaverräumer" zur Beseitigung von Tierleichen mündet: Seine Gruppe sei aus einer Einheit hervorgegangen, die zuvor Kriegsverbrechen vertuscht hatte.
Diese Bewegung, die sich durch mehrere Schichten der Vergangenheit arbeitet, um zu einer Wahrheit vorzustoßen, die das fragile Selbstverständnis und die Identität des Suchenden betrifft, liegt auch der Familiengeschichte zugrunde, die Jadran, der Slowene mit bosnischserbisch-kroatischen Wurzeln, im Roman "Unter dem Feigenbaum" erzählt. Dass er dabei notgedrungen spekuliert, legt er selbst offen, wenn er etwa detailliert von der Ankunft seines Vaters in jenem bosnischen Städtchen erzählt, obwohl er doch, wie er einräumt, weder Zeuge davon war, noch sein Vater je davon erzählt hatte. Ähnlich verhält es sich mit der spannungsreichen Liebesgeschichte der Großeltern oder einem einjährigen Kairo-Aufenthalt des Großvaters, und auch über die wechselseitig zugefügten Verletzungen innerhalb der Familie gibt es nur Vermutungen, die im Verlauf der Handlung an Wahrscheinlichkeit gewinnen. Die vier bis fünf Generationen, die Jadran dabei in den Blick nimmt, vertreten auch unterschiedliche Teilrepubliken des jugoslawischen Staats, und die Konflikte spiegeln sich in den Sticheleien der Familienmitglieder untereinander, die bisweilen explizite Stereotypen, die an die Ethnien geknüpft sind, zum Inhalt haben - was um so heftiger wird, je manifester die Spannungen zwischen den Teilrepubliken auf der politischen Ebene werden.
Was das bedeutet, erfährt Jadran, als er als Sechzehnjähriger ins Bosnien der Nachkriegszeit fährt und seinen Vater kaum mehr wiedererkennt. Tatsächlich sind die Verstörungen über diejenigen, die einem eigentlich am nächsten sind, ein großes Thema dieses Romans, und auch die Erschütterungen über die Zeitläufte, die das begünstigen: "Als hätte jemand eine Grenze mitten durch mich hindurchgezogen."
Beiden Romanen gemein ist die verschlungene, hakenschlagende Chronologie. Struktur verleiht ihnen jeweils nicht eine geradlinig erzählte Handlung, sondern im Gegenteil der Versuch, aus der Rückschau ein Geheimnis aufzudecken, das von Anfang an da gewesen ist und das ebenso gut außerhalb wie innerhalb des jeweiligen Protagonisten liegt. Und während in Vojnovics Roman die Familie alles ist, im Guten wie im Schlechten, stolpern in Danyis Buch die Protagonisten allein durch die Welt, von Eltern oder gar Kindern ist so gut wie nicht die Rede.
Vor allem aber beschreiben diese beiden so unterschiedlichen Romane, welch ein Unglück für viele Protagonisten der Zerfall Jugoslawiens bedeutet. "Ich will nur meinen eigenen Staat", sagt Jadrans Onkel Dane, der Slowene, zu seinem Schwager. Der fragt zurück: "Und deshalb fährst du meinen an die Wand?" Dass ihr Schicksal untrennbar an den Zustand Jugoslawiens geknüpft ist, wissen beide.
Zoltán Danyi: "Der Kadaverräumer". Roman.
Aus dem Ungarischen von Terézia Mora. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 251 S., geb., 24,- [Euro].
Goran Vojnovic: "Unter dem Feigenbaum". Roman.
Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof. Folio Verlag, Wien 2018. 352 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.02.2019Schlaflos in Ljubljana
Der Feigenbaum widersetzt sich den nationalistischen Narrheiten: Goran Vojnović erzählt eine weitverzweigte Familiengeschichte
In den Städten und Provinzen des zerfallenen Vielvölkerstaats Jugoslawien wird noch immer „naški“ gesprochen, ein allverständlicher Slang, eine grenzüberschreitend improvisierte Behelfssprache aus der Vereinigung slowenischer, kroatischer, serbischer, bosnischer, montenegrinischer Elemente mit dialektalen Varianten. Auf Deutsch würde „naški“ so viel wie „unsrich“ bedeuten.
„Čefur“ ist ein rüdes „naški“-Wort in der Bedeutung von „Kanake“. Geschmäht werden damit Einwanderer, Migranten. Woher sie stammen, spielt keine Rolle, solange sie nur von woanders, von irgendwoher „da unten“ kommen. Da oder „dort unten“ soll der „Balkan“ liegen, und tatsächlich lassen die Bewohner Mitteleuropas, je weiter man nach Norden kommt, den „Balkan“ oder den „Süden“ gewöhnlich schon da beginnen, wo er noch lange nicht ist.
Allein unter ex-jugoslawischen Rappern wird der Soziotypus „Čefur“ geadelt: „Kanaken“, merkwürdige Hybride, sind wir schließlich alle. Gleichwohl wird im slowenischen Norden der Halbinsel der nächstbenachbarte Südeuropäer als „Balkanese“ oder „Bosniake“ tituliert und als „Čefur“ beschimpft.
„Čefuri raus!“ ist der Titel des Romandebüts, mit dem der 1980 in Ljubljana geborene Autor und Regisseur Goran Vojnović in die erste Liga slowenischer Schriftsteller fand, die sich wie Boris Pahor, Drago Jančar, Florjan Lipuš oder Aleš Šteger mit dem Schlüsselthema der Region befassen: dem Schicksal von Binnenmigranten und ethnischen Minoritäten unter den unbewältigten Hinterlassenschaften von Krieg und Bürgerkrieg. Vojnović’ zweiter Roman „Vaters Land“ (Deutsch 2016) erzählte von der Suche eines Nachgeborenen nach dem verschollenen Vater, einem vormaligen Offizier der jugoslawischen Bundesarmee, der wegen begangener Kriegsverbrechen untergetaucht war.
Auch in seinem Roman „Unter dem Feigenbaum“, von Klaus Detlef Honold flüssig übersetzt, zertrümmert Vojnović wieder die nationalistische Legende vermeintlich homogener ethnischer Identitäten und strikt verschiedener Volks- und Sprachgruppen. Diesmal aber erweitert er das Feld um die tabuisierten Zonen von Familienbanden, wie sie in der Abfolge gleich mehrerer Generationen geknüpft und gelöst wurden.
Eine Familiensaga mit solch divergenten Schicksalen verträgt kein lineares Erzählen. Mit enormer Vielstimmigkeit hat der Autor sich auf eine hochkomplexe epische Form eingelassen, die geradezu mimetisch die changierenden Muster jener Flickenteppiche reproduziert, welche die Landschaften des zerborstenen multiethnischen Gebildes namens Jugoslawien prägten und deren Mosaik von Ort zu Ort anders zusammengesetzt war. Nostalgie nach dem verflossenen Einheitsstaat ist dennoch nicht Vojnović’ Sache; sein Anliegen ist die Wiedereinholung von Gedächtnisverlusten.
Das Haus des aus Ljubljana nach Istrien verzogenen Großvaters wurde mitten auf der heutigen kroatisch-slowenischen Grenze errichtet, auch der Hausherr, Aleksandr Dordević, stand schon immer auf beiden Seiten vorhandener Grenzen: Im serbischen Novi Sad von einem verschollenen Ukrainer gezeugt, wird er von einer jüdischen Mutter geboren. Ester Aljehin heiratet einen serbischen Zahnarzt namens Dordević bloß, um ihren angstbesetzten jüdischen Namen ablegen und mit ihrem Kind vor den deutschen Besatzern und der kroatisch-faschistischen Ustascha unter das mildere Regime des italienisch-faschistisch besetzten Laibachs zu fliehen, wo sie vor Angst stirbt, als die Deutschen im Jahr 1944 auch dort ihre Gewaltherrschaft errichten.
Als gebranntes jüdisches Kind mit serbischem Namen weigert sich Aleksandr in der Nachkriegszeit, das ihm zugewiesene Haus in Istrien zu beziehen, dessen vormals italienische Bewohner daraus vertrieben worden waren, und baut sich lieber sein eigenes Haus an der Grenze. Ganz sesshaft vermag auch er nicht zu werden, noch weniger aber sein Schwiegersohn, ein bosnischer „Čefur“: Safet Dizdar hatte es nach der slowenischen Sezession unterlassen, sich dort neu einbürgern zu lassen. Der Deportation kommt er zuvor, indem er bei Beginn des Bosnienkriegs Frau und Kind verlässt, um in seine Heimatstadt Bosanska Otoka zurückzukehren, wo – außer einem leeren Haus – nichts und niemand mehr auf ihn wartet.
Nach Kriegsende bricht auch der Sohn dahin auf. Eingeheiratet in eine Familie aus der postsozialistischen Nomenklatura, erfährt auch er seinen bosnischen Namen als Stigma, fühlt sich verlassen und wird es auch. Seinen Vater findet er wieder, aber als einen Fremden, der fremd auch für seine slowenische Frau geworden ist.
Am Ende behauptet auf dem istrischen Flecken des verstorbenen Großvaters nur ein Feigenbaum seine überkommene Gestalt. In seinem Schatten versammelt sich die versprengte Familie zu Hochzeiten und Beerdigungen. Allein der Feigenbaum, heißt es, habe „sich der Narrheit widersetzt, die in wenigen Jahren alles verändert hatte, von der Landschaft bis zu den Menschen. Vor allem die Menschen.“
Souverän hält Vojnović die verzweigten Fäden seines Romangewebes zusammen und meistert dies sprachlich mit verblüffender Sensibilität und Sensitivität. Die Balance der unterschiedlichen Stimmlagen und Stilhöhen gelingt ihm zwar nicht immer mit derselben Intensität. An Stellen, die einen nicht wirklich romanadäquaten Kammerspielton anschlagen, spürt man doch etwas zu deutlich die Verbundenheit des Autors mit der Sprechbühne. Doch dann werden solche melodischen Störungen wieder aufgewogen durch famose innere Monologe, die – ohne dass man beim Lesen ins Stocken geriete – die Beschreibung einer Empfindung oder die Schilderung eines Liebesakts in einem einzigen gelungenen Satz über eine ganze Seitenlänge ausbreiten.
Und es finden sich wunderbar erfühlte Gedanken, mit denen Jadran Dizdar, der Ich-Erzähler, der seiner Heimatstadt Ljubljana immer auch als Fremdling begegnet, sich zum Beispiel fragt, „was das Fehlen von Lächeln über eine Stadt und ihre Menschen aussagt“. Man wagte es kaum, einmal so auch über deutsche Städte und ihre Bewohner nachzudenken. Vielleicht sind die Deutschen noch keine „Čefuri“ genug.
VOLKER BREIDECKER
Was sagt das Fehlen
von Lächeln über eine Stadt
und ihre Menschen aus?
Goran Vojnović: Unter dem Feigenbaum.
Roman. Aus dem
Slowenischen von Klaus Detlef Olof. Folio Verlag, Wien und Bozen 2018. 336 Seiten, 25 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Der Feigenbaum widersetzt sich den nationalistischen Narrheiten: Goran Vojnović erzählt eine weitverzweigte Familiengeschichte
In den Städten und Provinzen des zerfallenen Vielvölkerstaats Jugoslawien wird noch immer „naški“ gesprochen, ein allverständlicher Slang, eine grenzüberschreitend improvisierte Behelfssprache aus der Vereinigung slowenischer, kroatischer, serbischer, bosnischer, montenegrinischer Elemente mit dialektalen Varianten. Auf Deutsch würde „naški“ so viel wie „unsrich“ bedeuten.
„Čefur“ ist ein rüdes „naški“-Wort in der Bedeutung von „Kanake“. Geschmäht werden damit Einwanderer, Migranten. Woher sie stammen, spielt keine Rolle, solange sie nur von woanders, von irgendwoher „da unten“ kommen. Da oder „dort unten“ soll der „Balkan“ liegen, und tatsächlich lassen die Bewohner Mitteleuropas, je weiter man nach Norden kommt, den „Balkan“ oder den „Süden“ gewöhnlich schon da beginnen, wo er noch lange nicht ist.
Allein unter ex-jugoslawischen Rappern wird der Soziotypus „Čefur“ geadelt: „Kanaken“, merkwürdige Hybride, sind wir schließlich alle. Gleichwohl wird im slowenischen Norden der Halbinsel der nächstbenachbarte Südeuropäer als „Balkanese“ oder „Bosniake“ tituliert und als „Čefur“ beschimpft.
„Čefuri raus!“ ist der Titel des Romandebüts, mit dem der 1980 in Ljubljana geborene Autor und Regisseur Goran Vojnović in die erste Liga slowenischer Schriftsteller fand, die sich wie Boris Pahor, Drago Jančar, Florjan Lipuš oder Aleš Šteger mit dem Schlüsselthema der Region befassen: dem Schicksal von Binnenmigranten und ethnischen Minoritäten unter den unbewältigten Hinterlassenschaften von Krieg und Bürgerkrieg. Vojnović’ zweiter Roman „Vaters Land“ (Deutsch 2016) erzählte von der Suche eines Nachgeborenen nach dem verschollenen Vater, einem vormaligen Offizier der jugoslawischen Bundesarmee, der wegen begangener Kriegsverbrechen untergetaucht war.
Auch in seinem Roman „Unter dem Feigenbaum“, von Klaus Detlef Honold flüssig übersetzt, zertrümmert Vojnović wieder die nationalistische Legende vermeintlich homogener ethnischer Identitäten und strikt verschiedener Volks- und Sprachgruppen. Diesmal aber erweitert er das Feld um die tabuisierten Zonen von Familienbanden, wie sie in der Abfolge gleich mehrerer Generationen geknüpft und gelöst wurden.
Eine Familiensaga mit solch divergenten Schicksalen verträgt kein lineares Erzählen. Mit enormer Vielstimmigkeit hat der Autor sich auf eine hochkomplexe epische Form eingelassen, die geradezu mimetisch die changierenden Muster jener Flickenteppiche reproduziert, welche die Landschaften des zerborstenen multiethnischen Gebildes namens Jugoslawien prägten und deren Mosaik von Ort zu Ort anders zusammengesetzt war. Nostalgie nach dem verflossenen Einheitsstaat ist dennoch nicht Vojnović’ Sache; sein Anliegen ist die Wiedereinholung von Gedächtnisverlusten.
Das Haus des aus Ljubljana nach Istrien verzogenen Großvaters wurde mitten auf der heutigen kroatisch-slowenischen Grenze errichtet, auch der Hausherr, Aleksandr Dordević, stand schon immer auf beiden Seiten vorhandener Grenzen: Im serbischen Novi Sad von einem verschollenen Ukrainer gezeugt, wird er von einer jüdischen Mutter geboren. Ester Aljehin heiratet einen serbischen Zahnarzt namens Dordević bloß, um ihren angstbesetzten jüdischen Namen ablegen und mit ihrem Kind vor den deutschen Besatzern und der kroatisch-faschistischen Ustascha unter das mildere Regime des italienisch-faschistisch besetzten Laibachs zu fliehen, wo sie vor Angst stirbt, als die Deutschen im Jahr 1944 auch dort ihre Gewaltherrschaft errichten.
Als gebranntes jüdisches Kind mit serbischem Namen weigert sich Aleksandr in der Nachkriegszeit, das ihm zugewiesene Haus in Istrien zu beziehen, dessen vormals italienische Bewohner daraus vertrieben worden waren, und baut sich lieber sein eigenes Haus an der Grenze. Ganz sesshaft vermag auch er nicht zu werden, noch weniger aber sein Schwiegersohn, ein bosnischer „Čefur“: Safet Dizdar hatte es nach der slowenischen Sezession unterlassen, sich dort neu einbürgern zu lassen. Der Deportation kommt er zuvor, indem er bei Beginn des Bosnienkriegs Frau und Kind verlässt, um in seine Heimatstadt Bosanska Otoka zurückzukehren, wo – außer einem leeren Haus – nichts und niemand mehr auf ihn wartet.
Nach Kriegsende bricht auch der Sohn dahin auf. Eingeheiratet in eine Familie aus der postsozialistischen Nomenklatura, erfährt auch er seinen bosnischen Namen als Stigma, fühlt sich verlassen und wird es auch. Seinen Vater findet er wieder, aber als einen Fremden, der fremd auch für seine slowenische Frau geworden ist.
Am Ende behauptet auf dem istrischen Flecken des verstorbenen Großvaters nur ein Feigenbaum seine überkommene Gestalt. In seinem Schatten versammelt sich die versprengte Familie zu Hochzeiten und Beerdigungen. Allein der Feigenbaum, heißt es, habe „sich der Narrheit widersetzt, die in wenigen Jahren alles verändert hatte, von der Landschaft bis zu den Menschen. Vor allem die Menschen.“
Souverän hält Vojnović die verzweigten Fäden seines Romangewebes zusammen und meistert dies sprachlich mit verblüffender Sensibilität und Sensitivität. Die Balance der unterschiedlichen Stimmlagen und Stilhöhen gelingt ihm zwar nicht immer mit derselben Intensität. An Stellen, die einen nicht wirklich romanadäquaten Kammerspielton anschlagen, spürt man doch etwas zu deutlich die Verbundenheit des Autors mit der Sprechbühne. Doch dann werden solche melodischen Störungen wieder aufgewogen durch famose innere Monologe, die – ohne dass man beim Lesen ins Stocken geriete – die Beschreibung einer Empfindung oder die Schilderung eines Liebesakts in einem einzigen gelungenen Satz über eine ganze Seitenlänge ausbreiten.
Und es finden sich wunderbar erfühlte Gedanken, mit denen Jadran Dizdar, der Ich-Erzähler, der seiner Heimatstadt Ljubljana immer auch als Fremdling begegnet, sich zum Beispiel fragt, „was das Fehlen von Lächeln über eine Stadt und ihre Menschen aussagt“. Man wagte es kaum, einmal so auch über deutsche Städte und ihre Bewohner nachzudenken. Vielleicht sind die Deutschen noch keine „Čefuri“ genug.
VOLKER BREIDECKER
Was sagt das Fehlen
von Lächeln über eine Stadt
und ihre Menschen aus?
Goran Vojnović: Unter dem Feigenbaum.
Roman. Aus dem
Slowenischen von Klaus Detlef Olof. Folio Verlag, Wien und Bozen 2018. 336 Seiten, 25 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Jörg Plath lobt Goran Vojnovics neuen Roman "Unter dem Feigenbaum" als lesenswertes "Sittenbild der postjugoslawischen Gesellschaften". Wie ihm der slowenische Autor und Filmregisseur hier anhand von drei Generation bildgewaltig von Trennungen, Verlust und dem Zerbrechen einer Familie erzählt, hat dem Kritiker gut gefallen. Auch damit, dass Vojnovic fragmentarisch und in "aufgelöster Chronologie" schreibt, kommt Plath gut zurecht. Dass der Autor in seinem melancholisch grundierten Roman gelegentlich zu "Pathos" neigt, kann der Rezensent verzeihen.
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