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'Unter den Augen des Löwen' erzählt am Beispiel einer Familie die blutigen Umbrüche im Äthiopien der 1970er Jahre. Während furchtbare Hungersnöte den Norden des Landes heimsuchen, wächst in der Landeshauptstadt Addis Abeba der Widerstand gegen den alten Kaiser Haile Selassie. Dawit, der Sohn des bekannten Arztes Hailu, schließt sich gegen den Willen des Vaters einer revolutionären Studentengruppe an. Als der Kaiser 1974 tatsächlich gestürzt und die jahrhundertealte Monarchie gewaltsam abgeschafft wird, kommt eine kommunistische Gruppierung an die Macht, die das Land in einen verheerenden…mehr

Produktbeschreibung
'Unter den Augen des Löwen' erzählt am Beispiel einer Familie die blutigen Umbrüche im Äthiopien der 1970er Jahre. Während furchtbare Hungersnöte den Norden des Landes heimsuchen, wächst in der Landeshauptstadt Addis Abeba der Widerstand gegen den alten Kaiser Haile Selassie. Dawit, der Sohn des bekannten Arztes Hailu, schließt sich gegen den Willen des Vaters einer revolutionären Studentengruppe an. Als der Kaiser 1974 tatsächlich gestürzt und die jahrhundertealte Monarchie gewaltsam abgeschafft wird, kommt eine kommunistische Gruppierung an die Macht, die das Land in einen verheerenden Bürgerkrieg führt. In den Kriegswirren gerät Hailu in Schwierigkeiten, als ein Folteropfer unter seiner Hand verstirbt, das der politischen Führung noch wertvolle Informationen hätte preisgeben sollen. Dawit geht erneut in den Untergrund. Inzwischen ist sein enger Kindheitsfreund Mickey zu einem hochrangigen Polizisten aufgestiegen. Familienbande und Freundschaften sehen sich brutalen Prüfungen ausgesetzt.
Autorenporträt
Indra Wussow, studierte Literaturwissenschaft, lebt in Johannesburg/Südafrika und auf Sylt. Sie arbeitet als Autorin, literarische Übersetzerin und Kuratorin für verschiedene internationale Einrichtungen. 2002 gründete sie auf Sylt die von ihr geleitete Stiftung kunst:raum sylt quelle. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt im Dialog zwischen Wissenschaft und Kunst. 2008 eröffnete die Stiftung eine Dependance in Johannesburg, das Jozi art:lab.

Andreas Jandl, geboren 1975, lebt in Berlin und übersetzt seit 2000 Dramatik und Belletristik aus dem Englischen und Französischen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als Aufruf zur Empörung und Hinweis darauf, dass die Revolution nach wie vor ihre Kinder frisst, liest Sabine Berking den Roman der aus Äthiopien stammenden Autorin Maaza Mengiste, die in diesem Buch eigene Erfahrungen um Zeitzeugenberichte ergänzt, um ihre Geschichte von der gescheiterten Revolution gegen den Diktator Haile Selassie und den Verstrickungen ganz normaler Bürger ins System, in Macht und Unrecht, zu erzählen. Den Plot findet Berking geschickt arrangiert, die politischen wie emotionalen Nöte der Menschen im Unrechtssystem sieht sie gelungen geschildert. Gelegentliche Schwarzweißmalerei kann die Rezensentin der Autorin nachsehen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.01.2013

Ein Land im Aufbruch über eine halbe Million Opfer hinweg

Maaza Mengistes Romandebüt "Unter den Augen des Löwen" über die äthiopische Revolution von 1974 ist ein Lehrstück über die Folgen gewaltsamer politischer Umstürze.

Die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre eignen Kinder. Der legendäre Satz des Girondisten Pierre Verniaud, gerichtet an die Jakobiner, die ihn und seine politischen Freunde im Oktober 1793 zum Schafott führten, erwies sich in der wechselvollen Geschichte gewaltsamer Umstürze als traurige und überaus beständige Wahrheit. Jenen, die sich vorschnell für die jungen Demonstranten in der arabischen Welt freuten, sei das nun auf Deutsch erschienene Romandebüt der 1971 in Addis Abeba geborenen Maaza Mengiste empfohlen.

Das spannende Buch erzählt aus der Perspektive einer urbanen Mittelschichtfamilie, wie eine revolutionäre Jugend, die die autoritären Kräfte mit ihren Straßenprotesten in die Knie zwang, bitter an der die Macht usurpierenden Militärs und der jedem Regime dienenden Bürokratie scheiterte und schon bald von den neuen Regierenden inhaftiert, gefoltert und gedemütigt wurde. Und es veranschaulicht, wie schnell scheinbar unbeteiligte Bürger in den Strudel von Macht und Ohnmacht geraten können, sind Recht und Ordnung erst einmal außer Kraft gesetzt.

Zentrum der Handlung ist die erweiterte Familie des Arztes Hailu. Sein jüngster Sohn Dawit engagiert sich gegen den Willen des Vaters in der Protestbewegung gegen das verkrustete feudale System von Kaiser Haile Selassie, dessen Militär entsprechend brutal reagiert. Dürre und ein aberwitziges Abgabensystem hatten 1974 - auch als Folge der Ölkrise - Millionen äthiopischer Bauern in den Hunger und den Ruin getrieben. Die Proteste, in denen sich schon bald eine marxistische Gruppe unter einem Major Guddu als militante Führung herauskristallisiert, münden alsbald in eine blutige Revolution, in der nahezu alle Mitglieder der kaiserlichen Regierung und der Kaiser selbst hingerichtet werden.

Die interessanteste Figur des Buches ist Mickey, ein Kind aus ärmlichen Verhältnissen und Ziehsohn des Arztes Hailu. Mickey nutzt die Gunst der Stunde und macht im Militär der neuen Diktatoren Karriere. Er gerät dabei in den Sog der Macht und wird gegen seine ursprünglichen Intentionen zum Schlächter, der auf Befehl den greisen Kaiser tötet. Auch Hailu, der dezidiert gegen jede politische Aktivität ist, gerät in die Fänge der Revolutionsschergen und wird über Monate misshandelt, nachdem er eine brutal gefolterte junge Frau entgegen dem Willen ihrer Peiniger sterben lässt, um ihrem Martyrium ein Ende zu bereiten.

Wie sich später herausstellt, war sie die Tochter eines hohen Offiziers, die sich den Protesten gegen die Kommunisten angeschlossen hatte. Ihr Vater wollte ihr mit der Verhaftung lediglich einen Denkzettel verpassen, doch durch einen Fehler im System gelangte sie unter die Knute des brutalsten Folterknechtes des Landes. Sukzessive werden auch Hailus zweiter Sohn Jonas und seine Frau Sara in den Kampf gegen das System einbezogen, ebenso wie Freunde und Dienstpersonal.

Das vor allem vom sowjetischen und kubanischen Militär gestützte System des Major Guddu, dessen historisches Vorbild der Diktator Mengistu Haile Mariam ist, kennt kein Erbarmen, weder mit Kindern noch mit Schwangeren, noch mit den eigenen Leuten. Tausende von vermeintlichen Gegnern und Spionen werden verhaftet und als Abschreckung tot und gezeichnet von den Spuren der Folter auf den Straßen von Addis Abeba den Hyänen zum Fraß hingeworfen. Sie zu beerdigen ist strafbar. Dawit und seine Schwägerin Sara sammeln unter Lebensgefahr nachts die Leichen ein, um sie den Familien zur heimlichen Beerdigung zuzuführen und die Untaten der Diktatur zu dokumentieren. Ein glückliches Ende gibt es im Buch nicht, wohl aber einen - historisch inzwischen verifizierten - Ausblick darauf, dass auch dieses Unrechtsystem sukzessive an seiner Zersetzung von außen und innen zugrunde gehen wird.

Maaza Mengiste wurde 1971 in Addis Abeba geboren und verließ das Land mit ihren Eltern wenige Jahre später. Ihre Kindheit verbrachte sie in Nigeria und Kenia, bis sie mit ihrer Familie in die Vereinigten Staaten emigrieren konnte. Nach einem Literaturstudium lehrt sie heute Creative Writing in New York. Ihre eigenen Erinnerungen an die im Roman beschriebenen Jahre des Greuels dürften mehr als ephemer sein, sie bediente sich Berichten von Zeitzeugen und einer Reihe historischer und wissenschaftlicher Quellen, die sie in einen geschickt gestrickten Plot mit wechselnden Erzählperspektiven verwandelt.

Gelungen ist dabei, die politische und emotionale Zerrissenheit zu schildern, die sich in der Familie des Arztes im Angesicht der ständig drohenden Gefahr einstellt. Als Referenzsystem zum demokratischen Protest greift man auf die Zeit des Widerstands gegen die italienischen Invasoren Mussolinis zurück, die das Land - das einzige Afrikas, das nie kolonisiert werden konnte - unter großen Verlusten abwehren konnte. Den emotionalen Halt in Zeiten der Finsternis liefern der christliche Glaube, Familienbande und nachbarschaftliche Nähe.

Bis zu einer halben Million Opfer, vor allem junge Äthiopier, soll der "Rote Terror" des als "Schlächter von Addis Abeba" bekannten Diktators Mengistu gekostet haben. Dass die Autorin zuweilen in allzu einfache Schwarzweißmuster verfällt, mag man ihr nachsehen. Der in seiner Heimat zum Tode verurteilte Diktator von einst zeigt in Interviews und in seinen im Internet kursierenden Memoiren keinerlei Reue und lebt seelenruhig im Exil in Zimbabwe und Südafrika. Das sollte nicht nur die Äthiopier empören.

SABINE BERKING

Maaza Mengiste: "Unter den Augen des Löwen". Roman.

Aus dem Englischen von Andreas Jandl. Verlag das Wunderhorn, Heidelberg 2012. 315 S., geb., 24, 80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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