Marktplatzangebote
7 Angebote ab € 1,00 €
  • Broschiertes Buch

Diese Idee mit dem Tagebuch ist ja so was von schwachsinnig! Das Schreiben würde ihr guttun, hat Ms Leone zu Holly gesagt. Aber wie, bitte schön, sollen Wörter Holly eine Familie verschaffen? Oder ihr Leben in Ordnung bringen? Wörter können überhaupt nichts und Ms Leone hat keine Ahnung. Und doch ... Mit jedem Tag, den Holly allein Richtung Westen reist, füllen sich die Seiten. Die Wörter werden immer mehr zu ihrer Stütze auf einem langen Weg ins Ungewisse.

Produktbeschreibung
Diese Idee mit dem Tagebuch ist ja so was von schwachsinnig! Das Schreiben würde ihr guttun, hat Ms Leone zu Holly gesagt. Aber wie, bitte schön, sollen Wörter Holly eine Familie verschaffen? Oder ihr Leben in Ordnung bringen? Wörter können überhaupt nichts und Ms Leone hat keine Ahnung.
Und doch ... Mit jedem Tag, den Holly allein Richtung Westen reist, füllen sich die Seiten. Die Wörter werden immer mehr zu ihrer Stütze auf einem langen Weg ins Ungewisse.
Autorenporträt
Dr. Gabriele Haefs studierte in Bonn und Hamburg Sprachwissenschaft. Seit 25 Jahren übersetzt sie u.a. aus dem Dänischen, Englischen, Niederländischen und Walisischen. Sie wurde dafür u.a. mit dem Gustav- Heinemann-Friedenspreis und dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet, 2008 mit dem Sonderpreis für ihr übersetzerisches Gesamtwerk. 2011 wurde Gabriele Haefs als Königlich Norwegische Ritterin des St.Olavs Ordens in der Norwegischen Botschaft in Berlin ausgezeichnet u.a. für ihre Übersetzungen, für die Vermittlung von norwegischen Büchern nach Deutschland sowie für das Knüpfen von Kontakten im Kulturbereich ganz allgemein.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.09.2011

Überall muss es besser sein
Ein Mädchen flieht vor schrecklichen Pflegeeltern und lebt auf der Straße
Können Worte Wirklichkeit benennen und verändern? Holly würde diese Frage mit Ja beantworten, jedenfalls am Ende des Romans Unter meinen Füßen die Straße von Wendelin Van Draanen, der ihre Geschichte erzählt. Denn der Vorschlag einer Lehrerin, Tagebuch zu führen, rettet das Leben der zwölfjährigen Heldin, auch wenn erst einmal alles dagegen spricht. Ihre Mutter, Fixerin, hat sich den goldenen Schuss gesetzt, seitdem wird das Mädchen von der Straße weg in Pflegefamilien verräumt, von Pflegevätern missbraucht, von der Pflegemutter, – sadistische Pedantin – , in den Keller gesperrt. Holly hungert, Holly friert, Holly hat Angst, und da ist keiner, der ihr glaubt, am wenigstens die, die helfen sollten, die sogenannte Fürsorge, das Jugendamt. Also haut Holly ab, überall muss es besser sein, im Rucksack das Tagebuch, ein Buch mit leeren Seiten. Sinnfälliger könnte die Metaphorik kaum sein, die Intention kaum deutlicher: das Ziel, ein neues Kapitel aufzuschlagen.
Dabei glaubt Holly zunächst kein Wort. „Wörter“, notiert sie auf der ersten Seite, „können mein Leben nicht in Ordnung bringen. Wörter können mir keine Familie verschaffen. Wörter können überhaupt nichts.“ Das stimmt und auch wieder nicht. Denn indem sich Holly den Worten anvertraut, indem sie aufschreibt, was ihr widerfährt, wird sie wehrhaft. Sie bannt Erinnerungen wie Erfahrungen, verfasst Gedichte und entkommt dem Teufelskreis aus empfundener und realer Ohnmacht. Die Gedanken sind frei, die Worte auch. Was sie schreibt, gehört ihr. Was sie denkt, kann keiner ihr nehmen, was sie sich ausdenkt, kann keiner verbieten.
Nun stellt sich aber die Frage der Glaubwürdigkeit. Die Überlegungen über Gott, die Welt und die Blaue Dame, Schutzherrin der Straßenkinder, sind die der Autorin, ihrer Figur in den Mund gelegt. Im Nachwort bekennt Wendelin Van Draanen, die für ihre Geschichte gründlich recherchiert, Betroffene befragt, in Obdachlosenasylen übernachtet hat, dass sie „absolut an die Macht des Wortes glaubt“. Mit ihrem Roman hat sie ein Exempel statuiert und nimmt die Gefahr romantischer Verklärung in Kauf. Holly schafft den Absprung über ihre Neudefinierung. Als Obdachlose sieht sie sich nicht, eine Nomadin will sie sein und wird gerettet werden. Doch der Versuch, irgendwie zurechtzukommen, gerät zum (Sozial)Kitsch, wenn die Flucht als abenteuerliche Reise gen Westen inszeniert, das Stranden am Ozean sich so liest: „Haben Sie jemals gesehen, wie der Mond im Meer sich spiegelt? / Ein Spiegel aus Wasser, aus Licht, aus Träumen / Er schimmert, reflektiert / Und spült durch Ihre Gedanken / Und Sie fühlen sich allein / Aber nicht / Einsam.“
Hunger, Durst, Kälte, Nässe, Dreck, Brutalität kennen solche Differenzierungen nicht. Darum hat der Roman dort seine Stärken, wo Überleben auf der Straße präzise beschrieben ist, wo gebettelt, geklaut, gestunken, verfolgt, gejagt, vertrieben wird. Nein, schön ist das alles nicht. Aber weil es das nicht ist, sollte nichts beschönigt werden. Denn die wirkliche Macht der Worte zeigt und misst sich an der Wirklichkeit. Manchmal muss sie dafür zur Ohnmacht und Sprachlosigkeit zurückkehren. (ab 12 Jahre) CHRISTINE KNÖDLER
WENDELIN VAN DRAANEN: Unter meinen Füßen die Straße. Aus dem Englischen von Gabriele Haefs. Carlsen 2011. 256 Seiten, 14 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr