Ein Fest der Niedertracht
Wer in den Niederlanden promoviert, bekommt diesen Klassiker geschenkt - als Warnung. Doch welch ein Vergnügen! Als Roef Dingelam, Professor der Chemie an einer Provinzuniversität in Hollands flachem Norden, eines Samstagmorgens ein Telegramm erhält, kann er es kaum glauben: Er, der neue Nobelpreisträger für Chemie! Es dauert nicht lange, da steht sein beschauliches Leben kopf. Als die Missgunst der engstirnigen Kollegen schließlich groteske Züge annimmt, bleibt Roef Dingelam nur ein einziger Ausweg: die Flucht.
"Die niederländische Literatur ist ohne Hermans undenkbar." Cees Nooteboom
Wer in den Niederlanden promoviert, bekommt diesen Klassiker geschenkt - als Warnung. Doch welch ein Vergnügen! Als Roef Dingelam, Professor der Chemie an einer Provinzuniversität in Hollands flachem Norden, eines Samstagmorgens ein Telegramm erhält, kann er es kaum glauben: Er, der neue Nobelpreisträger für Chemie! Es dauert nicht lange, da steht sein beschauliches Leben kopf. Als die Missgunst der engstirnigen Kollegen schließlich groteske Züge annimmt, bleibt Roef Dingelam nur ein einziger Ausweg: die Flucht.
"Die niederländische Literatur ist ohne Hermans undenkbar." Cees Nooteboom
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Willem Frederik Hermans war ein Misanthrop, der die Welt für eine Hölle hielt. Aber er war auch ein begnadeter Satiriker und in diesem Roman um einen älteren Geologieprofessor, der den Nobelpreis gewinnt, zeigt sich Hermans auf dem Höhepunkt seiner Kunst, freut sich Rezensentin Kristina Maidt-Zinke. So unkorrekt wie man in den Siebzigern nur sein konnte, zielt Hermans auf das akademische Milieu jener Zeit auf, seine Spießigkeit, seine Intrigen- und Klatschsucht. Das hat gelegentlich Längen, aber alles in allem hat sich die Rezensentin prächtig amüsiert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2016Schwarze Seelen, helle Freude
Der bitterböse Roman „Unter Professoren“ von Willem Frederik Hermans in neuer Übersetzung
– in der Auseinandersetzung mit den Niederlanden der Siebzigerjahre ist der Autor zu satirischer Hochform aufgelaufen
VON KRISTINA MAIDT-ZINKE
Nach dem legendären niederländisch-flämischen Buchmessenschwerpunkt 1993 waren es Namen wie Harry Mulisch und Cees Nooteboom, die beim deutschen Publikum das Bild der niederländischen Nachkriegsliteratur bestimmten. Dabei fiel die Veranstaltung noch in die Lebenszeit von Willem Frederik Hermans (1921 -- 1995), der in seiner Heimat als viel bedeutender gilt, freilich auch als ungleich schwieriger.
Erst Jahre nach seinem Tod wurden größere Teile seines Œuvres ins Deutsche übersetzt, und zumindest bei der Kritik erregten Romane wie „Die Dunkelkammer des Damokles“ und „Nie mehr schlafen“ viel Bewunderung, durchmischt mit jener Irritation, die das misanthropische Weltbild des Autors und die Eiseskälte seiner Prosa schon bei seinen Landsleuten ausgelöst hatten. Von Erfahrungen der Kriegs- und Besatzungszeit tief geprägt, sah Hermans sich als Bewohner eines „sadistischen Universums“, in dem alle zivilisatorischen Ordnungen die Herrschaft von Willkür und Zufall nur notdürftig verschleiern.
Doch der „epistemologische Nihilismus“ des großen Romanciers und Essayisten (in geringerem Umfang auch Lyrikers und Dramatikers), den sein Kollege Cees Nooteboom als charmant-mondän beschrieb, hatte noch eine andere Seite: Als begnadeter Polemiker und gnadenloser Kritiker der niederländischen Kultur samt ihrer Selbstzufriedenheit konnte Hermans zu satirischer Hochform auflaufen. Sein Meisterstück in dieser Hinsicht ist das Epos „Unter Professoren“ (1975), in dem er seine langjährigen Erfahrungen als Hochschullehrer für Geologie an der Universität Groningen verarbeitet hat.
Tatsächlich wurde dieses Werk vor 30 Jahren schon einmal ins Deutsche gebracht, gewann aber bei uns keinen Blumentopf. Vielleicht stand die einschlägige Leserschaft damals zu sehr im Bann der Neuen Frankfurter Schule, um den Anspielungsreichtum eines niederländischen Schlüsselromans würdigen zu können, der sich nicht einmal die Mühe gibt, Erwartungen an einen Campusroman angelsächsischer Tradition zu erfüllen. Hermans, der das Buch im selbstgewählten Pariser „Exil“ verfertigte, bediente prinzipiell keine Erwartungen. Vielmehr pflegte er Feindschaften, stichelte unermüdlich gegen Zeitgenossen und war als Verächter von Ehrungen und Preisen bekannt.
Um die höchste aller Auszeichnungen geht es in dem Roman, der nun in neuer Übersetzung abermals vorliegt. Roef Dingelam, Professor für technische Chemie an der wiedererkennbaren Alma Mater zu Groningen, wird in seinem Wochenendhaus von der Nachricht überrascht, er habe den Nobelpreis erhalten, und zwar für die Entdeckung einer Substanz mit unaussprechlicher Formel, ebenso verwendbar als Weißmacher im Waschpulver wie als Potenzmittel. Nicht nur fühlt sich der linkische Naturwissenschaftler im Rentenalter mit der späten Prominenz überfordert. Er wird überdies grausam mit den intellektuellen Grenzen seiner Gattin Gré konfrontiert, deren Reaktion auf die Freudenbotschaft sich in der Frage nach der Preissumme erschöpft, gipfelnd in der Feststellung: „Aber davon können wir doch nicht leben!“
Die Rache hat der Autor, stellvertretend für seinen Antihelden, schon in der Beschreibung der Dame vorweggenommen: „Sie trug eine blaugeblümte Schürze, rote Plüschpantoffeln an den Füßen und stachlige Plastiklockenwickler in den grauen Haaren. Die Form ihrer Brille erinnerte entfernt an einen Schmetterling. Sonst war an Gré nichts Schmetterlingshaftes. Wer hätte auch je einen Schmetterling von achtundfünfzig Jahren gesehen?“ Hermans, das zeigt sich schon hier, war politisch so unkorrekt, wie man es in den Siebzigern nur sein konnte.
Davon lebt denn auch seine Schilderung des Universitätsmilieus, in dem Demokratisierung, Konsenszwang und Debattenwahn und grotesk-chaotischer Studenten-Aktionismus („Mein Reagenzglas gehört mir!“) sehr unterhaltsam kollidieren. Davon leben ebenso die eingeschobenen Tagebuchfragmente des Psychiaters Eddy Barend: „Zu mir kommen Patienten, zu denen ich nach bestem Wissen und Gewissen sagen könnte, dass ihre psychischen Probleme wie weggeblasen wären, wenn sie ihre Kinder aus dem Fenster werfen und ihre Frau erwürgen würden.“ Seine komfortable Existenz verdankt er der Tatsache, dass er solche Diagnosen für sich behält.
Barend wird am Ende seinem Schulfreund Dingelam eine Reise nach Paris und Monaco verordnen, um der Enge der Provinz zu entfliehen – und den Intrigen missgünstiger Kollegen nach Bekanntwerden der Nobelpreis-Sensation. Die Romanhandlung besteht überwiegend im genüsslichen Ausbreiten jener Machenschaften und Kommentare, und es soll nicht verhehlt werden, dass Hermans uns dabei Längen zumutet. Dann wieder gibt es skurrile Szenen wie die, in der die Professorenclique einen Sexclub aufsucht, weil beim Gastgeber die Getränke ausgegangen sind. Die niederländische Sparsamkeit wird unbarmherzig aufgespießt, genau wie Klatschsucht, Erbsenzählerei, Habgier und die „Große Sexuelle Befreiung“, außerdem – sehr amüsant – gewisse Exzesse der Stadtverschönerung.
Hermans war kein Zyniker: Bei aller Schwärze seiner Weltsicht hat er die Trostbedürftigkeit des Individuums nicht vergessen. Seltsam rührende Züge trägt die Beziehung der kinderlosen Dingelams zu dem lebenden Hahn, den ihnen der Bauer vom Nachbarhof als Präsent zum Nobelpreis aufdrängt. Und am Ende, in Monte Carlo, scheint das Paar gar auf unbeholfene Weise wieder zueinanderzufinden.
Im Nachwort referiert ein fiktiver Professor Zomerplaag die Vorgänge, die zu Hermans’ Weggang aus Groningen führten. Dass der Autor den gesamten Roman auf die Rückseiten überflüssiger Universitätsformulare gekritzelt hat, möchte man nur zu gern glauben. Dass man als Outsider nicht jedes Detail entschlüsseln kann, muss das Vergnügen nicht schmälern.
Der linkische Chemieprofessor
ist vom späten Ruhm
des Nobelpreises überfordert
Hermans war politisch so
unkorrekt, wie man es in den
Siebzigern nur sein konnte
Willem Frederik Hermans: Unter Professoren. Roman. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen
und Barbara Heller. Aufbau Verlag, Berlin 2016.
512 Seiten, 22,95 Euro. E-Book 16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Der bitterböse Roman „Unter Professoren“ von Willem Frederik Hermans in neuer Übersetzung
– in der Auseinandersetzung mit den Niederlanden der Siebzigerjahre ist der Autor zu satirischer Hochform aufgelaufen
VON KRISTINA MAIDT-ZINKE
Nach dem legendären niederländisch-flämischen Buchmessenschwerpunkt 1993 waren es Namen wie Harry Mulisch und Cees Nooteboom, die beim deutschen Publikum das Bild der niederländischen Nachkriegsliteratur bestimmten. Dabei fiel die Veranstaltung noch in die Lebenszeit von Willem Frederik Hermans (1921 -- 1995), der in seiner Heimat als viel bedeutender gilt, freilich auch als ungleich schwieriger.
Erst Jahre nach seinem Tod wurden größere Teile seines Œuvres ins Deutsche übersetzt, und zumindest bei der Kritik erregten Romane wie „Die Dunkelkammer des Damokles“ und „Nie mehr schlafen“ viel Bewunderung, durchmischt mit jener Irritation, die das misanthropische Weltbild des Autors und die Eiseskälte seiner Prosa schon bei seinen Landsleuten ausgelöst hatten. Von Erfahrungen der Kriegs- und Besatzungszeit tief geprägt, sah Hermans sich als Bewohner eines „sadistischen Universums“, in dem alle zivilisatorischen Ordnungen die Herrschaft von Willkür und Zufall nur notdürftig verschleiern.
Doch der „epistemologische Nihilismus“ des großen Romanciers und Essayisten (in geringerem Umfang auch Lyrikers und Dramatikers), den sein Kollege Cees Nooteboom als charmant-mondän beschrieb, hatte noch eine andere Seite: Als begnadeter Polemiker und gnadenloser Kritiker der niederländischen Kultur samt ihrer Selbstzufriedenheit konnte Hermans zu satirischer Hochform auflaufen. Sein Meisterstück in dieser Hinsicht ist das Epos „Unter Professoren“ (1975), in dem er seine langjährigen Erfahrungen als Hochschullehrer für Geologie an der Universität Groningen verarbeitet hat.
Tatsächlich wurde dieses Werk vor 30 Jahren schon einmal ins Deutsche gebracht, gewann aber bei uns keinen Blumentopf. Vielleicht stand die einschlägige Leserschaft damals zu sehr im Bann der Neuen Frankfurter Schule, um den Anspielungsreichtum eines niederländischen Schlüsselromans würdigen zu können, der sich nicht einmal die Mühe gibt, Erwartungen an einen Campusroman angelsächsischer Tradition zu erfüllen. Hermans, der das Buch im selbstgewählten Pariser „Exil“ verfertigte, bediente prinzipiell keine Erwartungen. Vielmehr pflegte er Feindschaften, stichelte unermüdlich gegen Zeitgenossen und war als Verächter von Ehrungen und Preisen bekannt.
Um die höchste aller Auszeichnungen geht es in dem Roman, der nun in neuer Übersetzung abermals vorliegt. Roef Dingelam, Professor für technische Chemie an der wiedererkennbaren Alma Mater zu Groningen, wird in seinem Wochenendhaus von der Nachricht überrascht, er habe den Nobelpreis erhalten, und zwar für die Entdeckung einer Substanz mit unaussprechlicher Formel, ebenso verwendbar als Weißmacher im Waschpulver wie als Potenzmittel. Nicht nur fühlt sich der linkische Naturwissenschaftler im Rentenalter mit der späten Prominenz überfordert. Er wird überdies grausam mit den intellektuellen Grenzen seiner Gattin Gré konfrontiert, deren Reaktion auf die Freudenbotschaft sich in der Frage nach der Preissumme erschöpft, gipfelnd in der Feststellung: „Aber davon können wir doch nicht leben!“
Die Rache hat der Autor, stellvertretend für seinen Antihelden, schon in der Beschreibung der Dame vorweggenommen: „Sie trug eine blaugeblümte Schürze, rote Plüschpantoffeln an den Füßen und stachlige Plastiklockenwickler in den grauen Haaren. Die Form ihrer Brille erinnerte entfernt an einen Schmetterling. Sonst war an Gré nichts Schmetterlingshaftes. Wer hätte auch je einen Schmetterling von achtundfünfzig Jahren gesehen?“ Hermans, das zeigt sich schon hier, war politisch so unkorrekt, wie man es in den Siebzigern nur sein konnte.
Davon lebt denn auch seine Schilderung des Universitätsmilieus, in dem Demokratisierung, Konsenszwang und Debattenwahn und grotesk-chaotischer Studenten-Aktionismus („Mein Reagenzglas gehört mir!“) sehr unterhaltsam kollidieren. Davon leben ebenso die eingeschobenen Tagebuchfragmente des Psychiaters Eddy Barend: „Zu mir kommen Patienten, zu denen ich nach bestem Wissen und Gewissen sagen könnte, dass ihre psychischen Probleme wie weggeblasen wären, wenn sie ihre Kinder aus dem Fenster werfen und ihre Frau erwürgen würden.“ Seine komfortable Existenz verdankt er der Tatsache, dass er solche Diagnosen für sich behält.
Barend wird am Ende seinem Schulfreund Dingelam eine Reise nach Paris und Monaco verordnen, um der Enge der Provinz zu entfliehen – und den Intrigen missgünstiger Kollegen nach Bekanntwerden der Nobelpreis-Sensation. Die Romanhandlung besteht überwiegend im genüsslichen Ausbreiten jener Machenschaften und Kommentare, und es soll nicht verhehlt werden, dass Hermans uns dabei Längen zumutet. Dann wieder gibt es skurrile Szenen wie die, in der die Professorenclique einen Sexclub aufsucht, weil beim Gastgeber die Getränke ausgegangen sind. Die niederländische Sparsamkeit wird unbarmherzig aufgespießt, genau wie Klatschsucht, Erbsenzählerei, Habgier und die „Große Sexuelle Befreiung“, außerdem – sehr amüsant – gewisse Exzesse der Stadtverschönerung.
Hermans war kein Zyniker: Bei aller Schwärze seiner Weltsicht hat er die Trostbedürftigkeit des Individuums nicht vergessen. Seltsam rührende Züge trägt die Beziehung der kinderlosen Dingelams zu dem lebenden Hahn, den ihnen der Bauer vom Nachbarhof als Präsent zum Nobelpreis aufdrängt. Und am Ende, in Monte Carlo, scheint das Paar gar auf unbeholfene Weise wieder zueinanderzufinden.
Im Nachwort referiert ein fiktiver Professor Zomerplaag die Vorgänge, die zu Hermans’ Weggang aus Groningen führten. Dass der Autor den gesamten Roman auf die Rückseiten überflüssiger Universitätsformulare gekritzelt hat, möchte man nur zu gern glauben. Dass man als Outsider nicht jedes Detail entschlüsseln kann, muss das Vergnügen nicht schmälern.
Der linkische Chemieprofessor
ist vom späten Ruhm
des Nobelpreises überfordert
Hermans war politisch so
unkorrekt, wie man es in den
Siebzigern nur sein konnte
Willem Frederik Hermans: Unter Professoren. Roman. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen
und Barbara Heller. Aufbau Verlag, Berlin 2016.
512 Seiten, 22,95 Euro. E-Book 16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.2017Der Fortschritt altert würdelos
Willem Frederik Hermans' Roman "Unter Professoren"
In den frühen siebziger Jahren kommt die Nachricht noch per Telegramm. Roef Dingelam, Chemiker an einer niederländischen Provinzuniversität, wird mit dem Nobelpreis ausgezeichnet für die Synthese einer Substanz, die der Menschheit vielfältigen Nutzen zu bringen verspricht: als Weißmacher in Waschmitteln, als Medikament gegen Epilepsie und als Potenzmittel. Zuerst gratuliert ein Landwirt aus der Nachbarschaft. Er schenkt dem Wissenschaftler einen prächtigen Hahn und hegt dabei durchaus Hintergedanken: Einen Teil der Nobelpreissumme hätte er gern geliehen für seinen geplanten Schweinestall. "Unter Professoren" ist ein Campusroman, der mit leicht höhnischem Unterton die Provinzialität der Niederlande zum Leitmotiv macht.
Willem Frederik Hermans (1921 bis 1995) ist ein moderner Klassiker, von dem einige Romane bereits in zuverlässigen deutschen Übersetzungen zu lesen sind, allen voran das kürzlich neu aufgelegte Meisterwerk "Die Dunkelkammer des Damokles": ein düsterer Roman über die Niederlande im Zweiten Weltkrieg, in dem Hermans mit beklemmender Intensität das "sadistische Universum" beschwört, wie seine berühmte poetologische Formel lautet. Er war zudem ein Autor, der den Wissenschaftsbetrieb kannte, denn er lehrte viele Jahre Geologie an der Universität Groningen, bevor er diese wegen "Intrigen" verließ und nach Paris ins "Exil" ging, um sich von dort in harschen Kommentaren über sein Heimatland vernehmen zu lassen.
"Unter Professoren", 1975 erschienen, ist eine Abrechnung mit den Groninger Zuständen, ein Werk mit einigen Schlüsselromanqualitäten. Der Nobelpreisträger Roef Dingelam lebt zurückgezogen auf dem Land und hegt in aller Stille den Groll auf seinen Fachbereichsleiter Tamstra, der "nie hätte Hochschullehrer werden dürfen". Noch umkämpfter als die Theorien sind an Universitäten die Dienstzimmer, und so nimmt es Dingelam dem Kollegen besonders übel, dass er ihn aus seinem schönen Raum im Laborgebäude vertrieben hat, um seinen eigenen Assistenten hineinzusetzen. Im Lauf von fünfhundert Seiten kriegen viele Professoren ihr Fett ab: Der eine hat sich in ein abseitiges Thema verbohrt, ein anderer hat sich beim Publikum angebiedert und hat verdächtigen publizistischen Erfolg; der Kuratoriumspräsident ist ein unfähiger Zahnmediziner, der immerhin Verwaltung kann. Wie überhaupt die meisten Professoren die wuchernde Universitätsbürokratie klammheimlich begrüßen: lieber "öde" Sitzungen als die Mühen von Forschung und Lehre.
Letztere lohnt sich auch kaum angesichts einer Studentenschaft, die von Hermans noch weniger schmeichelhaft dargestellt wird als der Lehrkörper. Mögen es im Einzelfall liebenswürdige junge Leute sein, im protestierenden Kollektiv erweisen sie sich als komplett zeitgeistverdummt. "Unter Professoren" ist eine Satire auf den politisierten Universitätsbetrieb nach 1968. Das Institut des Nobelpreisträgers wird unter der Parole "Mein Reagenzglas gehört mir" von Studenten besetzt. Die Feier zu Dingelams Ehren muss wegen einer Rauchbombe in der Aula abgebrochen werden. Marx, Mao, Marcuse sind die neuen Heiligen; allerorten wird "repressive Toleranz" gewittert.
Hermans war ein Polemiker, der Skandale genoss. Wegen Beleidigung der holländischen Katholiken hatte er sich in einem Prozess zu verantworten; er lehnte die meisten Literaturpreise ab und wurde von manchen als "paranoider Querulant" bezeichnet. Umso enttäuschender, dass der Biss in "Unter Professoren" auf Dauer doch ziemlich zahnlos wirkt. Oder ist die Kritik am Universitätsbetrieb - intellektuelle Mediokrität, intrigantes Pöstchengerangel, beflissene Anpassung an herrschende Diskurse - inzwischen so selbstverständlich geworden, dass einem die Satire hier bereits klischeehaft vorkommt?
Hermans plädierte für einen Roman, "in dem kein Spatz vom Dach fällt, ohne dass es Folgen hat", an einer Romanfigur dürfe nur das zählen, was für die Handlung entscheidend sei. Psychologische Komplexität interessierte ihn nicht - deshalb vertragen seine Werke aber auch keine Weitschweifigkeit. "Unter Professoren" leidet genau daran: an den allzu weitschweifigen Plaudereien und missgünstigen Sticheleien der Gelehrten, die irgendwann gar in einen Sex-Club wechseln, weil andernorts zu später Stunde keine Getränke mehr zu bekommen sind. In solchen Szenen vergegenwärtigt der Roman die endlich auch das platte Land erreichende Sexwelle der Siebziger.
Allerdings wird der Muff des Jahrzehnts nicht nur thematisiert, er hängt auch selbst über dieser in die Breite gegangenen Romankomödie, die trotz gelungener und witziger Passagen nicht zu Hermans' besten Werken zählt. Das Ende ist erstaunlich freundlich. Nur für den Hahn, der unterdessen zum liebgewordenen Mitbewohner geworden ist, geht es übel aus.
WOLFGANG SCHNEIDER
Willem Frederik Hermans: "Unter Professoren". Roman.
Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen und Barbara Heller. Aufbau Verlag, Berlin 2016. 512 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Willem Frederik Hermans' Roman "Unter Professoren"
In den frühen siebziger Jahren kommt die Nachricht noch per Telegramm. Roef Dingelam, Chemiker an einer niederländischen Provinzuniversität, wird mit dem Nobelpreis ausgezeichnet für die Synthese einer Substanz, die der Menschheit vielfältigen Nutzen zu bringen verspricht: als Weißmacher in Waschmitteln, als Medikament gegen Epilepsie und als Potenzmittel. Zuerst gratuliert ein Landwirt aus der Nachbarschaft. Er schenkt dem Wissenschaftler einen prächtigen Hahn und hegt dabei durchaus Hintergedanken: Einen Teil der Nobelpreissumme hätte er gern geliehen für seinen geplanten Schweinestall. "Unter Professoren" ist ein Campusroman, der mit leicht höhnischem Unterton die Provinzialität der Niederlande zum Leitmotiv macht.
Willem Frederik Hermans (1921 bis 1995) ist ein moderner Klassiker, von dem einige Romane bereits in zuverlässigen deutschen Übersetzungen zu lesen sind, allen voran das kürzlich neu aufgelegte Meisterwerk "Die Dunkelkammer des Damokles": ein düsterer Roman über die Niederlande im Zweiten Weltkrieg, in dem Hermans mit beklemmender Intensität das "sadistische Universum" beschwört, wie seine berühmte poetologische Formel lautet. Er war zudem ein Autor, der den Wissenschaftsbetrieb kannte, denn er lehrte viele Jahre Geologie an der Universität Groningen, bevor er diese wegen "Intrigen" verließ und nach Paris ins "Exil" ging, um sich von dort in harschen Kommentaren über sein Heimatland vernehmen zu lassen.
"Unter Professoren", 1975 erschienen, ist eine Abrechnung mit den Groninger Zuständen, ein Werk mit einigen Schlüsselromanqualitäten. Der Nobelpreisträger Roef Dingelam lebt zurückgezogen auf dem Land und hegt in aller Stille den Groll auf seinen Fachbereichsleiter Tamstra, der "nie hätte Hochschullehrer werden dürfen". Noch umkämpfter als die Theorien sind an Universitäten die Dienstzimmer, und so nimmt es Dingelam dem Kollegen besonders übel, dass er ihn aus seinem schönen Raum im Laborgebäude vertrieben hat, um seinen eigenen Assistenten hineinzusetzen. Im Lauf von fünfhundert Seiten kriegen viele Professoren ihr Fett ab: Der eine hat sich in ein abseitiges Thema verbohrt, ein anderer hat sich beim Publikum angebiedert und hat verdächtigen publizistischen Erfolg; der Kuratoriumspräsident ist ein unfähiger Zahnmediziner, der immerhin Verwaltung kann. Wie überhaupt die meisten Professoren die wuchernde Universitätsbürokratie klammheimlich begrüßen: lieber "öde" Sitzungen als die Mühen von Forschung und Lehre.
Letztere lohnt sich auch kaum angesichts einer Studentenschaft, die von Hermans noch weniger schmeichelhaft dargestellt wird als der Lehrkörper. Mögen es im Einzelfall liebenswürdige junge Leute sein, im protestierenden Kollektiv erweisen sie sich als komplett zeitgeistverdummt. "Unter Professoren" ist eine Satire auf den politisierten Universitätsbetrieb nach 1968. Das Institut des Nobelpreisträgers wird unter der Parole "Mein Reagenzglas gehört mir" von Studenten besetzt. Die Feier zu Dingelams Ehren muss wegen einer Rauchbombe in der Aula abgebrochen werden. Marx, Mao, Marcuse sind die neuen Heiligen; allerorten wird "repressive Toleranz" gewittert.
Hermans war ein Polemiker, der Skandale genoss. Wegen Beleidigung der holländischen Katholiken hatte er sich in einem Prozess zu verantworten; er lehnte die meisten Literaturpreise ab und wurde von manchen als "paranoider Querulant" bezeichnet. Umso enttäuschender, dass der Biss in "Unter Professoren" auf Dauer doch ziemlich zahnlos wirkt. Oder ist die Kritik am Universitätsbetrieb - intellektuelle Mediokrität, intrigantes Pöstchengerangel, beflissene Anpassung an herrschende Diskurse - inzwischen so selbstverständlich geworden, dass einem die Satire hier bereits klischeehaft vorkommt?
Hermans plädierte für einen Roman, "in dem kein Spatz vom Dach fällt, ohne dass es Folgen hat", an einer Romanfigur dürfe nur das zählen, was für die Handlung entscheidend sei. Psychologische Komplexität interessierte ihn nicht - deshalb vertragen seine Werke aber auch keine Weitschweifigkeit. "Unter Professoren" leidet genau daran: an den allzu weitschweifigen Plaudereien und missgünstigen Sticheleien der Gelehrten, die irgendwann gar in einen Sex-Club wechseln, weil andernorts zu später Stunde keine Getränke mehr zu bekommen sind. In solchen Szenen vergegenwärtigt der Roman die endlich auch das platte Land erreichende Sexwelle der Siebziger.
Allerdings wird der Muff des Jahrzehnts nicht nur thematisiert, er hängt auch selbst über dieser in die Breite gegangenen Romankomödie, die trotz gelungener und witziger Passagen nicht zu Hermans' besten Werken zählt. Das Ende ist erstaunlich freundlich. Nur für den Hahn, der unterdessen zum liebgewordenen Mitbewohner geworden ist, geht es übel aus.
WOLFGANG SCHNEIDER
Willem Frederik Hermans: "Unter Professoren". Roman.
Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen und Barbara Heller. Aufbau Verlag, Berlin 2016. 512 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main