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Die Kunst unserer Gegenwart lebt vom Prinzip des Verdachts: Objekte des Alltags oder monochrome Bilder interessieren uns als Kunstwerke nur, weil wir hinter ihrer scheinbar belanglosen Oberfläche ein Geheimnis vermuten. Schneeschaufeln und Fettecken im Museum erregen Verdacht, und das Publikum wird dazu animiert, an einer Debatte über diese Objekte teilzunehmen. Boris Groys zeigt, wie das Prinzip des Verdachts immer neue Kunstwerke hervorbringt.
Rezension:
- "Ein Essayist, der mit funkelnden Thesen zu brillieren versteht." (Guido Kalberer, Tagesanzeiger, 09.03.2000)
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Produktbeschreibung
Die Kunst unserer Gegenwart lebt vom Prinzip des Verdachts: Objekte des Alltags oder monochrome Bilder interessieren uns als Kunstwerke nur, weil wir hinter ihrer scheinbar belanglosen Oberfläche ein Geheimnis vermuten. Schneeschaufeln und Fettecken im Museum erregen Verdacht, und das Publikum wird dazu animiert, an einer Debatte über diese Objekte teilzunehmen. Boris Groys zeigt, wie das Prinzip des Verdachts immer neue Kunstwerke hervorbringt.

Rezension:
- "Ein Essayist, der mit funkelnden Thesen zu brillieren versteht." (Guido Kalberer, Tagesanzeiger, 09.03.2000)

Zum Autor/Herausgeber: Boris Groys, geboren am 19. März 1947 in Berlin, lehrt Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Seine Bücher im Carl Hanser Verlag: Gesamtkunstwerk Stalin (1988, Neuausstattung 1996), zusammen mit Ilja Kabakow Die Kunst des Fliehens (1991), Die Erfindung Rußlands (1995), zus. mit I. Kabakow Die Kunst der Installation (1996), Über das Neue (3. Aufl. 1997) und Die Logik der Sammlung (1997).
Autorenporträt
Boris Groys, 1947 in Ost-Berlin geboren, studierte in Leningrad. 1981 verließ er die UdSSR und lehrte seit 1994 Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Internationale Lehrtätigkeiten, zuletzt als Professor für russische und slawische Studien an der New York University. Bei Hanser erschien zuletzt: Einführung in die Anti-Philosophie (2009).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

"Nicht so ganz einfach" findet Rezensent Schamma Schahadat die von Boris Groys, Experte der russischen Avantgarde-Kunst ("Gesamtkunstwerk Stalin" 1992), vorgetragenen Thesen zu einer Phänomänologie der Medien. Leider ist das auch der Rezension anzumerken, denn Schahadat mischt in ihr die Groysschen Thesen mit der Kritik an ihnen auf eine Weise, die dem Leser wenig Überblick über das Buch verschafft. Es geht um die Medien - aber Groys sagt nach Schahadat nie genau, was "das Medium" eigentlich ist: "Avantgarde-Kunst, die Medien, das Zeichen und auch der Körper als mediale Oberfläche" werden gleichermaßen unter diesen Begriff subsumiert. Dann gibt es Medientheoretiker, unter ihnen McLuhan, dem wir den "epochemachenden Satz", so Schahadat (und Groys?) vom Medium, das die Botschaft ist, verdanken. Ein Satz, der einen Verdacht ausspricht, nämlich dass hinter der Oberfläche der Medien etwas anderes verborgen sei, ein Subjekt, das "detektivisch aufgespürt" werden muss. Die Dekonstruktivisten haben lieber das Subjekt negiert, als diese "ontologische Unruhe" zuzulassen, die so ein Verdacht auslöst. Dadurch produzieren sie nur "Effekte der Aufrichtigkeit", - aber Groys setzt dagegen den "Wunsch nach Wirklichkeit" und nennt in seinem "neuen, originellen Ansatz", so Schahadat, dies die "alte ontologische Frage nach der Substanz". Durch die Figur der "Verschwendung", des "Potlatsch", die Groys zunächst als "zentrales Thema postmoderner Theorien" herausarbeitet, gewinnt er die gewünschte "Aufrichtigkeit" zurück und landet so, meint Schahadat, wieder bei seinem Ausgangspunkt der (russischen) Avantgarde, die sich durch Reduzierung der Mittel verschwendete. Einigermaßen verwirrend und ohne jede abschließende Wertung zitiert Schahadat dann Groys: ?Wir können nicht betrachten, ohne zu verdächtigen?. Ist da wieder mal ein phänomenologisches Werk (oder nur seine Besprechung?) hart an der Trivialität vorbeigeschrammt?

© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2000

Wer immer Freddy und das Meer hört, vergisst irgendwann das Sein
Während das Radio lauter gestellt wird, bricht der Deich der Zivilisation: Boris Groys begründet die Medientheorie als Wissenschaft der Warnung / Von Claus Pias

Glaubt man Boris Groys, so bemisst sich der Erfolg eines Textes an der Menge seines mana. Die Stärke dieser magischen Kraft zeigt im Gabentausch der Seele des Geschenks an, wann es Zeit ist, seinen Besitzer wieder zu verlassen, um weiterverschenkt zu werden. Mana ist gewissermaßen eine Steuerungsinstanz für die Sehnsucht der Dinge, aus ihren Bindungen entlassen zu werden. Mana ist die Schaltuhr, mit der sich das Problem der Zirkulation der Gaben temporalisieren lässt. Für Groys ist mana daher das Bild, in dem die Zeitlichkeit der kulturellen Speicher gedacht werden kann. Nicht jeder, der schreibt, bleibt. Vielmehr bleiben Werke mit viel mana lange in den Institutionen des kollektiven Gedächtnisses erhalten, wohingegen es die Seele schwächer ausgestatteter Werke rasch wieder in die Erinnerungslosigkeit des profanen Außenraums drängt. Vorausschauende Autoren sollten sich also durch ein angemessenes mana-Reservoir für eine ungewisse Zukunft wappnen. Wie haben es beispielsweise, fragt Groys weiter, Gott, Klassenkampf und Unbewusstes geschafft, so große Vorräte anzulegen? Wie versuchten künstlerische Avantgarde, Dekonstruktion und Medientheorie es ihnen nachzumachen und einen ähnlich großen Aufschub des Vergessens zu erlangen? Und was ist zuletzt das Medium, das eine so dauerhafte Speicherung verbürgen kann?

Die Antwort ist originell: Sie alle behaupten, das "sublimste und perfekteste aller Verbrechen aufgedeckt zu haben - das Verbrechen ohne Verbrecher", und ihr Träger ist der Verdacht. Nur wem es gelingt, einen nicht zu erhärtenden und damit letztlich nicht zu stillenden Verdacht zu inszenieren, dass es etwas "hinter" oder "unter" der Oberfläche (der Welt, der Gesellschaft, dem Menschen) gebe, das sich immer wieder entzieht, gleichwohl aber die Oberflächenbewegungen bestimmt, produziert einen Überschuss an Zeit als Warten auf Offenbarung. Damit öffnen sich zwei Haltungen oder Strategien, die gleichermaßen zu Aporien führen: Entweder sucht man den Verdacht zu entschärfen oder zu vergessen, indem man auf der Oberflächlichkeit beharrt, oder man sucht ihn zu beweisen, indem man Zeichen des Geständnisses erzwingt. Das hartnäckige Leugnen der agnostischen Variante provoziert jedoch wiederum den Verdacht der Komplizenschaft, und die Aufrichtigkeit der Offenbarungen der ontologischen Variante hat immer nur eine begrenzte Haltbarkeitsdauer, der unweigerlich ein erneuter Verdacht der Unaufrichtigkeit folgt. Erstere führt von Heideggers Verdächtigung, dass jeder ontologische Verdacht selbst nur ein Effekt der Selbstverbergung des Seins sei, zur Dekonstruktion, letztere von McLuhans katholischer Theorie nichtmenschlicher Botschaften des Mediums zu gegenwärtigen Medientheorien.

Groys versucht nun nachzuweisen, dass es sich bei "der" Medientheorie (welche und wessen, bleibt unklar) eigentlich um Medienontologie handele, um ein Remake der "alten ontologischen Frage nach der Substanz" und um den metaphysischen Wunsch, zu wissen, was sich hinter der Zeichenoberfläche verbirgt. Das mache sie immerhin mutiger als die "paranoische" und "medienagnostische" Dekonstruktion, die jede ontologische Unruhe schlicht verschwinden lassen wolle und damit gebannt in "einem Zustand unendlicher Ratlosigkeit, Unsicherheit, Vorläufigkeit und Nachdenklichkeit" verharre. Im wohltemperierten Wasser ihres "flexiblen Zweifels" sind zwar die Ängste des ontologischen Verdachts aufgelöst, dafür begibt man sich aber auch der Chance "zu protestieren, zu klagen und anzuklagen, zur Verantwortung zu ziehen und zu bekämpfen. Das Ontologische wird entpolitisiert".

Form und Erfolg des medienontologischen Fragens erweisen sich als Probleme des Archivs, dessen Ökonomie Groys vor einigen Jahren ausführlich beschrieben hat. Luzide zeigte sein damaliger Versuch "Über das Neue", wie die Wirklichkeit nicht repräsentiert, sondern als das Außen eines Gesammelten erst erzeugt wird, welche taktischen Allianzen das Profane und das Valorisierte eingehen und wie das Bekannte und Routinierte dem Neuen und Authentischen eine Systemstelle anweisen. Während dieser Gedankengang glänzend funktionierte, solange er auf die künstlerische Avantgarde und das Museum bezogen blieb, erscheinen seine Wiederaufnahme, Erweiterung und terminologische Umformulierung im Hinblick auf "Medien" mehr als problematisch.

Vereinfacht (und mit Groys) gesprochen, speichert das Archiv verschiedene Zeichen, die immer eines Zeichenträgers bedürfen. Während die Zeichen aber zum Archiv gehören, ist der Zeichenträger nicht nur profan, sondern auch immer verborgen. Bilder, Texte und Filme beispielsweise sind Zeichen im Archiv, Leinwände, Bücher und Videokassetten jedoch nur Zeichenträger, auf die sich ein medienontologischer Verdacht richtet, weil sie die Möglichkeitsbedingung der Zeichen bilden. Die Zeichen wären demnach das "Mediale", ihre Träger das "Submediale". Wer nun als Medientheoretiker über die Seinsvergessenheit hinauswill und sich verdächtigend auf die Suche nach der Wahrheit des Submedialen macht, verliert stets das Mediale aus dem Blick, sieht beispielsweise die Materialität der Leinwand, aber nicht mehr das Bild. Der medienontologischen Frage steht damit nach Groys keine wissenschaftliche Beschreibung zur Verfügung, sondern nur die Hoffnung auf Offenbarung eines deus absconditus, auf eine freiwillige oder erzwungene Aufrichtigkeit des submedialen Trägerraums.

Was man aber als "aufrichtige" Botschaft des Mediums wahrzunehmen geneigt ist, fällt selbst unter die medialen Bedingungen des Archivs, des Bekannten und Unbekannten, des Konventionellen und Überraschenden, der Banalität und des Ausnahmezustands. Es ist also der Ökonomie des Neuen unterstellt, und jede Aufrichtigkeit wird früher oder später wieder Gegenstand des Verdachts, "bloß" medial, nicht aber submedial zu sein. Mit der Medientheorie kehrt Groys zufolge der Aufrichtigkeitsanspruch der künstlerischen Avantgarde zurück, der Versuch, auktoriale Zeichen gegen solche des Mediums auszutauschen.

Während dieses anregende Gedankenspiel im Großen zu funktionieren scheint, führt es im Detail nicht zuletzt deshalb zu heillosen Widersprüchen, weil keiner der drei großen Begriffe "Archiv", "Medium" und "Ökonomie" auch nur ansatzweise historisiert oder differenziert wird. Wenn beispielsweise mit "Archiv" sowohl ein Staatsarchiv, eine private Käfersammlung, ein Museum als auch Platons Ideenreich oder eine Bibliothek gemeint sein können, dann ist es mehr als fraglich, ob alle "immer weiter nach dem Vergänglichen suchen". Gleichwohl zeigen die wenigen Beispiele, dass fast immer manifeste Institutionen gemeint sind und nicht etwa ein abstraktes Archiv im Sinne Foucaults als Gesetz der Gesamtheit all dessen, was gesagt werden kann. Ebenso unbestimmt sind die "Medien". Zwar ist es (angesichts der Einfallslosigkeit unzähliger einschlägiger Arbeiten) mehr als erfreulich, wenn Archiv, Bild, Text, Film, Sprache, Gott, Leben, Computer, Natur, Unbewusstes, Sonne und Geist allesamt Medien sein können - nur ist der Bonus ihres Medien-Werdens schnell verspielt, wenn man anschließend alle gleich behandelt.

Selbst die von Friedrich Kittler einmal angebotene Minimaldefinition von Speichern, Übertragen und Prozessieren verkürzt Groys um die Prozessierung, womit er einen entscheidenden Begriff verspielt. Wenn das Archiv beispielsweise ein kultureller Speicher ist, dann fehlt mit dem Begriff der Prozessierung auch der der Erzählung als Sinn generierende Aktivierungsleistung - der Algorithmus, der auf dieser Datenbank erst aufsetzen muss, um Geschichte zu ermöglichen.

Während Groys, von der Kunst her denkend, Analogmedien naiv zum Standard macht, hat sich der Computer als Gerät erwiesen, das mit der Immaterialität von Archivalien operieren kann. Computer gehen mit Zeichen nicht bloß "quasimaschinell" um wie ein numinoses "submediales Subjekt", sondern mit Hilfe von Programmen, Speicherkapazitäten und Kanalbreiten, die eine weniger technikvergessene Theorie nicht bloß verdächtigen, sondern einfach auch lesen könnte. Und gerade die Kybernetik hat die Definition des Menschen auf eine völlig andere Weise in Frage gestellt als die Avantgarde.

Doch solche Detailkritik wird der eigentümlichen Qualität und dem Anliegen des Buches nicht gerecht. Das Interessante der gegenwärtigen Debatte liegt in der Einsicht, dass es keine Medien in einem substanziellen und historisch stabilen Sinn zu geben scheint. Der Blick einer originären Medienwissenschaft, die aus den hergebrachten Disziplinen emergiert, ohne diese einfach zu verlängern, richtet sich daher auf die Doppelbewegung, in der Apparate, Symboliken oder Institutionen zu Medien werden, lesbar, hörbar und sichtbar machen und dabei zugleich die Spuren ihrer Beteiligung löschen und selbst anästhetisch werden. Groys' Vorschlag, diese Frage als eine ontologische und zugleich politische zu verstehen, ist einer der wenigen ernsthaften Versuche zur Klärung dessen, was für ein epistemologisches Objekt Medienwissenschaft eigentlich ist.

Boris Groys: "Unter Verdacht". Eine Phänomenologie der Medien. Carl Hanser Verlag, München 2000. 232 S., br., 36,- DM.

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