Mit Hilfe der Methode "Romeo", wesentlich von Markus Wolf mitentwickelt, wurden ausgesuchte Stasi-Agenten der "Hauptverwaltung Aufklärung" (dem Auslandsgeheimdienst der DDR) als Charmante Liebhaber getarnt, auf westdeutsche Sekretärinnen angesetzt. Man achtete darauf, daß diese Frauen bereits in wichtigen Ämtern oder Ministerien arbeiteten oder schleuste sie in entsprechend attraktive Institutionen. Das Buch beleuchtet die inneren Strukturen jenes geheimen Machtapparats. Die Autorin ist den tragischen Lebensläufen einiger Frauen nachgegangen, die bis heute von jenen Ereignissen gezeichnet sind und unter schweren Schuld- und Schamgefühlen leiden. Im Zuge der Recherchen ist es außerdem gelungen, die Biographien, persönlichen Hintergründe und geheimdienstlichen Einsatztechniken einiger "Romeos" zu rekonstruieren.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.1999Geld oder Liebe
Agentenromanzen im Groschenromanstil und eine kühle biographische Darstellung
Elisabeth Pfister: Unternehmen Romeo. Die Liebeskommandos der Stasi. Aufbau-Verlag, Berlin 1999. 208 Seiten, 24 Abbildungen, 36,- Mark.
Caterina Abbati: Ich, Carmen Mory. Das Leben einer Berner Arzttochter und Gestapo-Agentin (1906-1947). Chronos-Verlag, Zürich 1999. 263 Seiten, 22 Abbildungen, 39,- Mark.
"Unternehmen Romeo. Die Liebeskommandos der Stasi" ist, wie es der Titel verspricht, ein Buch voller grotesker Geschichten von keuschen Maiden, die bösen Männern, welche in Wahrheit keine Prinzen, sondern Rumpelstilzchen der Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik waren, in die Hände fielen und elend daran zugrunde gingen. Wenigstens legt uns diese Sichtweise Elisabeth Pfister, die Autorin, nahe. Mit "Unternehmen Romeo" (dieser Begriff "ist überall gebräuchlich, sowohl bei ehemaligen HVA-Kadern als auch in den Medien") bezeichnet sie die Methode zur Informationsbeschaffung, nach der männliche Stasi-Agenten Liebesbeziehungen mit Frauen aus der Bundesrepublik eingingen und sie dann dazu bewegten, geheime Unterlagen von ihren Arbeitsstellen in Bundesbehörden oder Botschaften an sie weiterzugeben, was jene dann über Jahre hinweg auch taten. So etwas konnte nur der Stasi einfallen, glaubt Frau Pfister: Im Westen kam man "einfach nicht darauf, wie ein hoher ehemaliger BND-Beamter der Autorin glaubhaft versicherte".
Von den drei porträtierten Frauen waren zwei aufgrund eines pathologischen Mangels an Selbstwertgefühl leicht zu gewinnen. Die Männer mussten sich ihnen nur verständnisinnig nähern und dann das Blaue vom Himmel herab lügen, schon schleppten sie kiloweise Unterlagen aus ihren Behörden heraus. Die dritte war zwar von ihrem späteren Ehemann angeworben worden, tat ihre Agentenarbeit aber aus Überzeugung und war dabei so erfolgreich, dass sie schon nach einem halben Jahr den Vaterländischen Verdienstorden in Gold erhielt und ihr Mann nur noch als Bote für ihre Dossiers fungierte. Elisabeth Pfister bedient sich der Mittel des Groschenromans und schildert diese drei Fälle durchweg als wahr gewordene Spießerphantasie von der hilflosen Frau, die durch "Missbrauch ihrer Wünsche, ihres Körpers und ihrer Gefühle" durch einen skrupellosen Mann zum Spielball böser Mächte wird. Arm an Nebensätzen, reich an Adjektiven ist ihr Stil, mehrfach stellt sie die Diagnose "sexuelle" oder "erotische Hörigkeit" und scheut sich nicht, auch noch das Potenzgeprahle der Stasi-Agenten getreulich zu kolportieren, als ob schmierige Methoden verlangten, dass man schmierig von ihnen spricht: "Sein Lächeln ist ihr größter Lohn. Denn das verratene Material ist ihre Liebesgabe, ihr Opfer, das Zeugnis ihrer vorbehaltlosen Liebe. Auch wenn sie es nicht versteht, sie weiß, wie tief seine sozialistische Überzeugung ist, wie sehr er mit Zähnen und Klauen sein Land gegen jeden Einwand verteidigt und rechtfertigt . . . Obwohl sie seinetwegen in Haft war, . . . hält sie auch jetzt nur ein einziger Gedanke aufrecht: dass sie Herbert Schröter eines Tages wieder sehen wird."
Hier aber wird die Stasi in die Schauerromantauglichkeit hinein dämonisiert und damit tatsächlich verharmlost, denn plötzlich gehört sie zur Folklore vom Reich des Bösen. Das gibt es aber in Wirklichkeit gar nicht, denn es ist Teil eines anderen Reiches: des Märchenreiches. Der Stoff könnte sicherlich sachlich aufbereitet werden, in der hier gewählten Form eignen sich die Geschichten aber höchstens für Romanheftchen, die am Kiosk verkauft werden.
Unter Romanschreibern scheint verschärftes Bleistiftspitzen allerdings ein unwillkürlicher Reflex auf das Agentenleben zu sein. Über die Gestapo-Agentin Carmen Mory erschien der erste Roman, noch verschlüsselt, bereits 1950 (Joachim von Kürenberg: Bella Donna - Das gefährliche Leben der Carmen Morell), und derzeit steht auf den Schweizer Bestsellerlisten ein nunmehr unverschlüsselter von Lukas Hartmann. In Anspielung auf Sacher-Masochs Grundlagenwerk für den heute so gepflegten Masochismus ist er "Die Frau im Pelz. Leben und Tod der Carmen Mory" betitelt.
Dieses Buch habe ich nicht gelesen, der Titel scheint mir indes etwas zu fein für die Frau, die Caterina Abbati in ihrer gleichzeitig erschienenen, mit wissenschaftlichen Methoden erarbeiteten Biographie vorstellt. Danach war Carmen Mory alles andere als ein feiner Mensch. Vielmehr hat sie schon als Kind gerne gelogen, sich in Szene gesetzt und intrigiert, später auch im Bekanntenkreis regelmäßig gestohlen und diesbezügliche Anzeigen mit Denunziationen beantwortet. In den Schweizer Bergen, wo sie 1906 geboren worden war, konnte sie sich nicht entfalten, und so siedelte sie nach Aufenthalten in England und den Niederlanden nach Deutschland über. In den dreißiger Jahren lebte sie in Berlin, der Hauptstadt des Dritten Reiches, wo ihre Talente auf fruchtbaren Boden fielen. Sie gab sich als politische Journalistin aus, schrieb auch den einen oder anderen antisemitischen Artikel, war aber neben dem Stehlen hauptsächlich mit Spitzeln für die Gestapo beschäftigt. Das tat sie nicht aus Liebe, sondern für Geld (im Übrigen erhielten auch die von Elisabeth Pfister porträtierten Frauen Geld, wenn auch - wegen der Liebe - teilweise nur wenig).
Schließlich schickte die Gestapo sie nach Paris, wo sie Emigranten überwachte, bis sie von den Franzosen verhaftet und 1940 zum Tode verurteilt wurde, ebenso wie ihr Verlobter und ein weiterer Agent. Die beiden letzteren fanden den Tod, sie aber wurde begnadigt und kehrte nach der Besetzung Frankreichs nach Berlin zurück. Dort nahm man sie allerdings auch fest, weil sie offensichtlich zur Doppelagentin geworden war, und tatsächlich hatte sie der französische Präsident unter der Auflage, "sich weiterhin dem Nachrichtendienst zur Verfügung zu halten", begnadigt. Erst war sie 15 Monate in Einzelhaft im KZ Ravensbrück, dann ein gutes Jahr zu Verhören in Berlin im Gefängnis, schließlich wieder in Ravensbrück und dem Nebenlager Barth an der Ostsee. Dorthin wurde sie als Gestapo-Spitzel geschickt, denn wer sich verkauft hat, ist verraten und muss auch als KZ-Häftling noch spitzeln.
Nach der Befreiung flüchtete Carmen Mory sich in die britische Zone, arbeitete sofort für den britischen Geheimdienst, um Nazi-Verbrecher aufzuspüren, und nutzte ihr neues Amt dafür, ihre Diebeszüge nach Luxusgütern (Kosmetika, Uhren, Kleidungsstücke) nunmehr als "Beschlagnahmungen" zu deklarieren. Carmen Mory lebte gern auf großem Fuße. Am Ende verschafften ihr die Briten, die sie nicht mehr in ihrem Geheimdienst wollten, einen Sekretärinnenposten bei einem UN-Flüchtlingshilfswerk in Hamburg, der ihr nicht behagte, bis sie, auch von den Briten, wiederum vor Gericht gestellt wurde, jedoch nicht wegen ihrer vielfältigen Spionagedienste.
Vielmehr lautete die Anklage, sie habe in Ravensbrück "in wenigstens 60 Fällen Lagerinsassen durch eigenhändige Vornahme unmittelbar tödlich wirkender Injektionen umgebracht" sowie Selektionen für die Gaskammer durchgeführt. Wiederum zum Tode verurteilt, nahm sie sich nach der Ablehnung ihres Gnadengesuchs im April 1947 das Leben. Bei der Verkündung ihres Todesurteils trug sie ein Seidenkostüm und besagten Pelz.
Carmen Morys Leben muss durch keinerlei Stilmittel aufgepeppt werden, es war schillernd genug, und so beschränkt Caterina Abbati sich in ihrer Biographie auf die Fakten: Sie berichtet ausschließlich, was sie belegen kann, und dabei fährt sie eine wahnwitzige Fülle von Material auf. Manchmal hat sie das nicht sehr gut organisiert, manchmal ist nicht genau zu verstehen, was gerade geschieht, dafür scheinen nebensächliche Dinge, wie etwa Familienzwistigkeiten, allzu detailliert dargestellt, wogegen aus keinem einzigen von Carmen Morys politischen Artikeln zitiert wird. Insgesamt erscheint diese Form der Darstellung aber angemessen. Sie zeigt, dass so ein Agentenleben in erster Linie aus Unmengen von beschriebenem Papier besteht, das die Nachwelt, um sich vom trüben Tun ein halbwegs klares Bild zu verschaffen, aus zahllosen Archiven fischen muss. Das hat wenig Glamouröses, nichts von "Bella Donna" oder "Liebeskommando", doch es kommt aus der Wirklichkeit, und die ist immer aufregender, als es jede Nachdichtung sein kann. Folgerichtig besteht Caterina Abbatis Nachwort, eine wunderbare Idee, hauptsächlich aus einer sehr langen Auflistung des Inventars von Carmen Morys letzter Zelle. Denn die Dinge sind unschuldig, aber voller Geschichten. Zu Carmen Morys Dingen gehörte ein einziges Buch: eine englische Ausgabe von "Tristram Shandy", dem Roman über die Unmöglichkeit, ein Leben aufzuschreiben.
IRIS HANIKA
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Agentenromanzen im Groschenromanstil und eine kühle biographische Darstellung
Elisabeth Pfister: Unternehmen Romeo. Die Liebeskommandos der Stasi. Aufbau-Verlag, Berlin 1999. 208 Seiten, 24 Abbildungen, 36,- Mark.
Caterina Abbati: Ich, Carmen Mory. Das Leben einer Berner Arzttochter und Gestapo-Agentin (1906-1947). Chronos-Verlag, Zürich 1999. 263 Seiten, 22 Abbildungen, 39,- Mark.
"Unternehmen Romeo. Die Liebeskommandos der Stasi" ist, wie es der Titel verspricht, ein Buch voller grotesker Geschichten von keuschen Maiden, die bösen Männern, welche in Wahrheit keine Prinzen, sondern Rumpelstilzchen der Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik waren, in die Hände fielen und elend daran zugrunde gingen. Wenigstens legt uns diese Sichtweise Elisabeth Pfister, die Autorin, nahe. Mit "Unternehmen Romeo" (dieser Begriff "ist überall gebräuchlich, sowohl bei ehemaligen HVA-Kadern als auch in den Medien") bezeichnet sie die Methode zur Informationsbeschaffung, nach der männliche Stasi-Agenten Liebesbeziehungen mit Frauen aus der Bundesrepublik eingingen und sie dann dazu bewegten, geheime Unterlagen von ihren Arbeitsstellen in Bundesbehörden oder Botschaften an sie weiterzugeben, was jene dann über Jahre hinweg auch taten. So etwas konnte nur der Stasi einfallen, glaubt Frau Pfister: Im Westen kam man "einfach nicht darauf, wie ein hoher ehemaliger BND-Beamter der Autorin glaubhaft versicherte".
Von den drei porträtierten Frauen waren zwei aufgrund eines pathologischen Mangels an Selbstwertgefühl leicht zu gewinnen. Die Männer mussten sich ihnen nur verständnisinnig nähern und dann das Blaue vom Himmel herab lügen, schon schleppten sie kiloweise Unterlagen aus ihren Behörden heraus. Die dritte war zwar von ihrem späteren Ehemann angeworben worden, tat ihre Agentenarbeit aber aus Überzeugung und war dabei so erfolgreich, dass sie schon nach einem halben Jahr den Vaterländischen Verdienstorden in Gold erhielt und ihr Mann nur noch als Bote für ihre Dossiers fungierte. Elisabeth Pfister bedient sich der Mittel des Groschenromans und schildert diese drei Fälle durchweg als wahr gewordene Spießerphantasie von der hilflosen Frau, die durch "Missbrauch ihrer Wünsche, ihres Körpers und ihrer Gefühle" durch einen skrupellosen Mann zum Spielball böser Mächte wird. Arm an Nebensätzen, reich an Adjektiven ist ihr Stil, mehrfach stellt sie die Diagnose "sexuelle" oder "erotische Hörigkeit" und scheut sich nicht, auch noch das Potenzgeprahle der Stasi-Agenten getreulich zu kolportieren, als ob schmierige Methoden verlangten, dass man schmierig von ihnen spricht: "Sein Lächeln ist ihr größter Lohn. Denn das verratene Material ist ihre Liebesgabe, ihr Opfer, das Zeugnis ihrer vorbehaltlosen Liebe. Auch wenn sie es nicht versteht, sie weiß, wie tief seine sozialistische Überzeugung ist, wie sehr er mit Zähnen und Klauen sein Land gegen jeden Einwand verteidigt und rechtfertigt . . . Obwohl sie seinetwegen in Haft war, . . . hält sie auch jetzt nur ein einziger Gedanke aufrecht: dass sie Herbert Schröter eines Tages wieder sehen wird."
Hier aber wird die Stasi in die Schauerromantauglichkeit hinein dämonisiert und damit tatsächlich verharmlost, denn plötzlich gehört sie zur Folklore vom Reich des Bösen. Das gibt es aber in Wirklichkeit gar nicht, denn es ist Teil eines anderen Reiches: des Märchenreiches. Der Stoff könnte sicherlich sachlich aufbereitet werden, in der hier gewählten Form eignen sich die Geschichten aber höchstens für Romanheftchen, die am Kiosk verkauft werden.
Unter Romanschreibern scheint verschärftes Bleistiftspitzen allerdings ein unwillkürlicher Reflex auf das Agentenleben zu sein. Über die Gestapo-Agentin Carmen Mory erschien der erste Roman, noch verschlüsselt, bereits 1950 (Joachim von Kürenberg: Bella Donna - Das gefährliche Leben der Carmen Morell), und derzeit steht auf den Schweizer Bestsellerlisten ein nunmehr unverschlüsselter von Lukas Hartmann. In Anspielung auf Sacher-Masochs Grundlagenwerk für den heute so gepflegten Masochismus ist er "Die Frau im Pelz. Leben und Tod der Carmen Mory" betitelt.
Dieses Buch habe ich nicht gelesen, der Titel scheint mir indes etwas zu fein für die Frau, die Caterina Abbati in ihrer gleichzeitig erschienenen, mit wissenschaftlichen Methoden erarbeiteten Biographie vorstellt. Danach war Carmen Mory alles andere als ein feiner Mensch. Vielmehr hat sie schon als Kind gerne gelogen, sich in Szene gesetzt und intrigiert, später auch im Bekanntenkreis regelmäßig gestohlen und diesbezügliche Anzeigen mit Denunziationen beantwortet. In den Schweizer Bergen, wo sie 1906 geboren worden war, konnte sie sich nicht entfalten, und so siedelte sie nach Aufenthalten in England und den Niederlanden nach Deutschland über. In den dreißiger Jahren lebte sie in Berlin, der Hauptstadt des Dritten Reiches, wo ihre Talente auf fruchtbaren Boden fielen. Sie gab sich als politische Journalistin aus, schrieb auch den einen oder anderen antisemitischen Artikel, war aber neben dem Stehlen hauptsächlich mit Spitzeln für die Gestapo beschäftigt. Das tat sie nicht aus Liebe, sondern für Geld (im Übrigen erhielten auch die von Elisabeth Pfister porträtierten Frauen Geld, wenn auch - wegen der Liebe - teilweise nur wenig).
Schließlich schickte die Gestapo sie nach Paris, wo sie Emigranten überwachte, bis sie von den Franzosen verhaftet und 1940 zum Tode verurteilt wurde, ebenso wie ihr Verlobter und ein weiterer Agent. Die beiden letzteren fanden den Tod, sie aber wurde begnadigt und kehrte nach der Besetzung Frankreichs nach Berlin zurück. Dort nahm man sie allerdings auch fest, weil sie offensichtlich zur Doppelagentin geworden war, und tatsächlich hatte sie der französische Präsident unter der Auflage, "sich weiterhin dem Nachrichtendienst zur Verfügung zu halten", begnadigt. Erst war sie 15 Monate in Einzelhaft im KZ Ravensbrück, dann ein gutes Jahr zu Verhören in Berlin im Gefängnis, schließlich wieder in Ravensbrück und dem Nebenlager Barth an der Ostsee. Dorthin wurde sie als Gestapo-Spitzel geschickt, denn wer sich verkauft hat, ist verraten und muss auch als KZ-Häftling noch spitzeln.
Nach der Befreiung flüchtete Carmen Mory sich in die britische Zone, arbeitete sofort für den britischen Geheimdienst, um Nazi-Verbrecher aufzuspüren, und nutzte ihr neues Amt dafür, ihre Diebeszüge nach Luxusgütern (Kosmetika, Uhren, Kleidungsstücke) nunmehr als "Beschlagnahmungen" zu deklarieren. Carmen Mory lebte gern auf großem Fuße. Am Ende verschafften ihr die Briten, die sie nicht mehr in ihrem Geheimdienst wollten, einen Sekretärinnenposten bei einem UN-Flüchtlingshilfswerk in Hamburg, der ihr nicht behagte, bis sie, auch von den Briten, wiederum vor Gericht gestellt wurde, jedoch nicht wegen ihrer vielfältigen Spionagedienste.
Vielmehr lautete die Anklage, sie habe in Ravensbrück "in wenigstens 60 Fällen Lagerinsassen durch eigenhändige Vornahme unmittelbar tödlich wirkender Injektionen umgebracht" sowie Selektionen für die Gaskammer durchgeführt. Wiederum zum Tode verurteilt, nahm sie sich nach der Ablehnung ihres Gnadengesuchs im April 1947 das Leben. Bei der Verkündung ihres Todesurteils trug sie ein Seidenkostüm und besagten Pelz.
Carmen Morys Leben muss durch keinerlei Stilmittel aufgepeppt werden, es war schillernd genug, und so beschränkt Caterina Abbati sich in ihrer Biographie auf die Fakten: Sie berichtet ausschließlich, was sie belegen kann, und dabei fährt sie eine wahnwitzige Fülle von Material auf. Manchmal hat sie das nicht sehr gut organisiert, manchmal ist nicht genau zu verstehen, was gerade geschieht, dafür scheinen nebensächliche Dinge, wie etwa Familienzwistigkeiten, allzu detailliert dargestellt, wogegen aus keinem einzigen von Carmen Morys politischen Artikeln zitiert wird. Insgesamt erscheint diese Form der Darstellung aber angemessen. Sie zeigt, dass so ein Agentenleben in erster Linie aus Unmengen von beschriebenem Papier besteht, das die Nachwelt, um sich vom trüben Tun ein halbwegs klares Bild zu verschaffen, aus zahllosen Archiven fischen muss. Das hat wenig Glamouröses, nichts von "Bella Donna" oder "Liebeskommando", doch es kommt aus der Wirklichkeit, und die ist immer aufregender, als es jede Nachdichtung sein kann. Folgerichtig besteht Caterina Abbatis Nachwort, eine wunderbare Idee, hauptsächlich aus einer sehr langen Auflistung des Inventars von Carmen Morys letzter Zelle. Denn die Dinge sind unschuldig, aber voller Geschichten. Zu Carmen Morys Dingen gehörte ein einziges Buch: eine englische Ausgabe von "Tristram Shandy", dem Roman über die Unmöglichkeit, ein Leben aufzuschreiben.
IRIS HANIKA
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