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Johannes Ludewig gehörte als Spitzenbeamter im Kanzleramt zum engsten Kreis um Helmut Kohl und erlebte die dramatischen Monate zu Beginn des Jahres 1990 hautnah mit. Als immer mehr DDR-Bürger die Seiten wechselten nach dem Motto: Kommt die D-Mark nicht zu uns, kommen wir zu ihr , geriet die deutsche Politik unter ungeheuren Druck. Heftig wurden die unterschiedlichen Entwürfe einer möglichen Währungsunion diskutiert, einer Vereinigung zweier vollkommen unterschiedlicher Volkswirtschaften, für die es bisher keine Blaupause gab. Und das in wenigen Wochen! Johannes Ludewig saß am Tisch zusammen…mehr

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Produktbeschreibung
Johannes Ludewig gehörte als Spitzenbeamter im Kanzleramt zum engsten Kreis um Helmut Kohl und erlebte die dramatischen Monate zu Beginn des Jahres 1990 hautnah mit. Als immer mehr DDR-Bürger die Seiten wechselten nach dem Motto: Kommt die D-Mark nicht zu uns, kommen wir zu ihr , geriet die deutsche Politik unter ungeheuren Druck. Heftig wurden die unterschiedlichen Entwürfe einer möglichen Währungsunion diskutiert, einer Vereinigung zweier vollkommen unterschiedlicher Volkswirtschaften, für die es bisher keine Blaupause gab. Und das in wenigen Wochen!
Johannes Ludewig saß am Tisch zusammen mit Männern wie Günther Krause, Horst Teltschik, Horst Köhler, Wolfgang Schäuble und vielen anderen, die das Konzept für diesen gewaltigen Umbau in reale Politik umsetzten. Sein Buch dokumentiert die eigentliche politische Arbeit abseits der Öffentlichkeit es berichtet von ungewöhnlichen Menschen und ungewöhnlichen Entscheidungen. Nach 25 Jahren Mauerfall das spannende Protokoll eines Insiders.
Autorenporträt
Johannes Ludewig, geboren 1945 in Hamburg, studierte Betriebswirtschaft und Politische Wissenschaften in seiner Heimatstadt, in Stanford und Paris. Nach ersten Berufsjahren im Bundeswirtschaftsministerium wechselte er 1983 ins Bundeskanzleramt. Dort war er für wirtschaftspolitische Fragen verantwortlich und ab 1990 zusätzlich für die Währungs- und Wirtschaftsunion und die Gesamtorganisation des Aufbaus Ost. Nach kurzer Tätigkeit als Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium übernahm er 1997 den Vorstandsvorsitz der Deutschen Bahn, später die Leitung der Europäischen Eisenbahnen in Brüssel. Seit 2006 ist er Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrats im Bundeskanzleramt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.08.2015

Mittendrin statt nur dabei
Kohl-Vertrauter Johannes Ludewig zieht eine positive Bilanz der deutschen Einheit

Als Gruppen- beziehungsweise Abteilungsleiter im Kanzleramt und enger Vertrauter Helmut Kohls, als Koordinator für die neuen Länder und als Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium war Johannes Ludewig im Prozess der deutschen Wiedervereinigung mittendrin statt nur dabei. Mit einem Vierteljahrhundert Abstand legt er seine Erinnerungen aus dem administrativen Maschinenraum der deutschen Einheit vor. Seine entspannte Rückschau ist von großem Respekt vor (fast) allen Beteiligten geprägt, von Helmut Kohl bis zu den ostdeutschen Betriebsräten. Sie liest sich angenehm, wobei manche Milde der Distanz nicht mit dem Empfinden des historischen Augenblicks zu verwechseln ist. Lothar de Maizières Rede im Berliner Schauspielhaus am 2. Oktober 1990 zum Beispiel, der an diesem Abend "Abschied ohne Tränen" von der DDR nahm und hinzusetzte, "wir wollen die Einheit, auch wenn nicht alle diesen Übergang heute mit leichtem Herzen erleben", wurde nicht von allen westdeutschen Teilnehmern als Ausdruck dessen wahrgenommen, "was alle empfinden", sondern von vielen als Ostalgie kritisiert. Und die gleiche Augenhöhe mit den ostdeutschen Vertretern in den Verhandlungen um die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion vom 18. Mai 1990, von der Ludewig berichtet, wurde von Seiten der Letzteren wohl etwas weniger gleich erlebt als von Ersteren.

Die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion etablierte das Muster der Wiedervereinigung: Aufbau Ost durch Nachbau West. Das Ziel war der "Aufbau einer Wirtschaft, die auf eigenen Beinen steht", mit einer modernen Industrie im Zentrum und ohne Abhängigkeit von Dauersubventionen. Als Methode wurde mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zum 1. Juli 1990 eine Schocktherapie gewählt, der ein unerwartet heftiger Deindustrialisierungsschock folgte. 1992 waren die neuen Länder praktisch deindustrialisiert; ihr Anteil an der gesamtdeutschen industriellen Wertschöpfung lag bei gerade einmal 3,5 Prozent.

Im Zentrum des Geschehens und der Kritik stand die Treuhandanstalt, die mit den Worten ihres Vorsitzenden Detlev Rohwedder der Maßgabe "schnelle Privatisierung - entschlossene Sanierung - behutsame Stillegung" folgte. Dabei war, so Ludewig, die "Kernidee, dass jedes Unternehmen grundsätzlich eine Chance haben muss, sofern Mindestvoraussetzungen dafür gegeben sind". Die Treuhand stand vor einer Aufgabe von enormen Größenordnungen, die bei ihrer Einrichtung 1990 völlig unterschätzt wurden - wie sehr, zeigte sich an der Diskrepanz zwischen den erwarteten Privatisierungserlösen von 600 Milliarden D-Mark und dem tatsächlichen Abschluss mit einem Defizit von 230 Milliarden D-Mark. Das Hauptproblem war dabei nicht einmal in erster Linie der verschlissene Kapitalstock, der sich durch Neuinvestitionen beheben ließ, so der Ökonom Karl-Heinz Paqué, sondern ein anderes Problem, das sich als sehr viel hartnäckiger herausstellte: der strukturelle Mangel an wettbewerbs- und weltmarktfähigen Produkten nach vierzig Jahren Planwirtschaft.

Der unerwartet schwierige "Aufbau Ost" und die sozialpolitischen Flankierungen führten die Bundesrepublik an den Rand der Leistungsfähigkeit - und noch vor zehn Jahren war öffentlich weithin von einer misslungenen Einheit die Rede. Alternativen zur eingeschlagenen Politik wurden von Anfang an vorgebracht, von Oskar Lafontaines Konzept kurzfristiger Finanzhilfen für die DDR und der langfristigen Einbettung einer Wiedervereinigung in die europäische Einigung bis zu Plänen, in den neuen Ländern eine Sonderwirtschaftszone einzurichten. Aber auch wenn man ungern von "Alternativlosigkeit" sprechen mag, so ist eine wirklich tragfähige Alternative, wie sich eine leistungsfähige Wirtschaft in den Ländern ohne Deindustrialisierungsschock, Massenabwanderung und Massenarbeitslosigkeit hätte aufbauen lassen, bis heute nicht in Sicht. In vieler Hinsicht glich die deutsche Einheit nach 1990 der Quadratur eines Kreises.

Ludewigs Fazit ist daher sicher nicht falsch und wirkt angesichts der Dramatik der Situation doch allzu abgewogen: "Unsere Konzepte und Strategien sind sicher gut überlegt, aber ich muss immer wieder neu überprüfen, ob sie die beiden Teile unseres Landes näher zusammen- oder weiter auseinanderbringen. Und es ist nicht nur wichtig, was wir tun, sondern auch, wie wir es tun, wenn wir einander zuhören und wie wir miteinander reden." Auf dieser sozialpsychologischen Ebene waren die Probleme nach 1990 doch größer, als es hier den Anschein hat.

Anschaulich präsentiert Ludewig eine Reihe sehr unterschiedlicher Beispiele aus seiner Praxis des Aufbaus Ost. Dabei wird offenkundig, dass seine Sympathien der bundesdeutschen Tradition des Korporatismus und der Sozialpartnerschaft gehören, die nach 1990 in die schweren Wasser der Folgelasten der Wiedervereinigung sowie der Infragestellungen durch den shareholder value-Kapitalismus geriet und im frühen 21. Jahrhundert in reformierter Form wie Phoenix aus der Asche globaler Krisen gestiegen ist. Eine positive Rolle spielte in Ludewigs Sicht vor allem die IG Chemie, die in erster Linie um die Sicherung von Produktionsstandorten kämpfte, während es der IG Metall vor allem um die Angleichung der Löhne ging. Letztere führte dazu, dass ostdeutsche Arbeitgeber scharenweise aus dem Flächentarifvertrag ausschieden, ohne dass ihnen die Betriebsräte entgegengetreten wären. Ihnen gilt ohnehin Ludewigs besonderer Respekt: "Ohne diese Industrie-Betriebsräte hätte der Aufbau Ost nicht stattgefunden. Denn was nützen Millionen oder Milliarden auf einem Treuhand- oder Regierungskonto, wenn keiner mitmacht? Die Ost-Betriebsräte hatten diesen Mut mitzumachen, auch wenn das, was von ihnen zu leisten war, mehr war, als Menschen zugemutet werden darf."

Umgekehrt stand ihm der ermordete Detlef Rohwedder auf Seiten der Treuhandanstalt erkennbar näher als Birgit Breuel mit ihren grundsätzlichen ordnungspolitischen Orientierungen. Als sich die großen Hoffnungen von 1990 nicht erfüllten, dass es nach kurzer Durststrecke steil bergauf gehe, schwenkte die Bundesregierung 1993 im "Solidarpakt" mit SPD und Gewerkschaften auf die Politik der Sicherung industrieller Kerne in den neuen Ländern um, die unter hohen Kosten regional bedeutsame Standorte wie die Ostseewerften, EKO-Stahl in Brandenburg oder SKET Schwermaschinen in Magdeburg erhielt. Aufschlussreich für die Wahrnehmungen und den Politikstil im Umfeld Kohls ist dabei eine Erinnerung, die Ludewig von einem Besuch Kohls in Schkopau mitgenommen hat: Nach der Veranstaltung habe ein Arbeiter ihnen zugerufen "Danke, Helmut, mit der Chemie, das wird hier was!"

Auch wenn der "Aufbau einer Wirtschaft, die auf eigenen Beinen steht", in der 1990 erwarteten Form nicht gelungen ist, zieht Ludewig eine positive Bilanz, wobei die Ergebnisse der zeithistorischen Forschung in diesen Erinnerungen nur sehr eingeschränkten Niederschlag finden. Zwar mangelt es den neuen Ländern nach wie vor an Unternehmenszentralen samt Forschungs- und Entwicklungsabteilungen und somit an regionalen Innovationskernen (samt selbsttragender Steuerbasis). Zugleich aber lässt sich sagen, dass die vielbeklagte "verlängerte Werkbank" das Beste ist, was sich unter den Umständen entwickeln konnte, die sehr viel schwieriger waren als gedacht. In Zukunft nötig ist die Förderung innovativer Konzepte und Gründungen, und Hoffnungen macht Ludewig die zunehmend dynamische Gründerszene in Berlin. Verglichen mit 1990, ist das weniger, als in der Euphorie erwartet, aber deutlich mehr, als bei nüchterner Betrachtung zu erwarten gewesen wäre - und als in den anderen postkommunistischen Staaten entstanden ist. Grund wurde gelegt, aber es hat sich gezeigt, dass nachhaltig blühende Landschaften noch mehr Zeit brauchen und sich auch nur bedingt planen lassen.

ANDREAS RÖDDER

Johannes Ludewig: Unternehmen Wiedervereinigung. Von Planern, Machern, Visionären. Osburg Verlag, Hamburg 2015. 288 S., 22,- [Euro].

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