Unternehmenskriminalität ist Kriminalität, die Unternehmensangehörige zum Vorteil ihres Unternehmens begehen. Obwohl einzelne Fälle wie die Korruptionsaffäre um Siemens ein gewaltiges Medienecho erzeugen, ist über das Phänomen Unternehmenskriminalität in seiner Breite wenig bekannt. Es ist weitestgehend unklar, in welchem Umfang Unternehmenskriminalität auftritt, welche Merkmale sie aufweist und wo ihre Ursachen zu suchen sind. Die vorliegende Arbeit widmet sich dieser Forschungslücke und blickt dafür auf ein eher dunkles Kapitel der bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte zurück.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.04.2015Wohlerzogene Kriminelle
Unbefriedigendes über Unternehmenskriminalität
Es wäre reizvoll, die Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik neu zu schreiben, sie nicht nur als ein Narrativ von Innovationen, Exportwundern und strotzender Leistungskraft zu fassen, sondern auch die dunklen Seiten des Erfolgs einzubeziehen. Eine solche Wirtschaftsgeschichte als Kriminalitätsgeschichte enthält das Buch Stefanie Werners leider nicht. Vielmehr wirft es einige Schlaglichter auf das "Dunkelfeld" der Unternehmenskriminalität. In einem knappen rechtshistorischen Überblick treten die siebziger Jahre als Umbruchsphase hervor. War nach dem Krieg ein großzügiger Umgang mit Gesetzesbrüchen von Unternehmen üblich - Werner spricht von "Liberalisierung und Entkriminalisierung" -, kam es nun zu einer schrittweisen Verschärfung der Gesetze und der Strafverfolgung. Leider bleiben die Ursachen dieser Trendumkehr im Dunkeln.
Der Hauptteil der Arbeit stützt sich auf die Analyse zweiter Datensätze, gewonnen aus 399 Zeitungsartikeln und 140 Strafakten der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Diese Daten eigenen sich kaum, um ein repräsentatives Bild des Feldes und seiner Trends über Jahrzehnte zu rekonstruieren. Die erfassten Delikte reichen von Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung und den Arbeitsschutz bis zu der angeblich so seltenen Korruption (nur 0,4 Prozent der Fälle) und dem vermeintlich wichtigsten Delikt, dem Betrug (36 Prozent).
Interessant sind jedoch einzelne Befunde. Das Sozialprofil der Täter ist erschreckend durchschnittlich. Sie sind zumeist sozial völlig unauffällig und haben keine Vorstrafen. Sie besitzen eine gute Bildung, oft Hochschulabschlüsse, sind älter als 37 Jahre, fast immer männlich und verheiratet. Sie sind ein Spiegelbild des mittleren und gehobenen Managements, mithin jenes Personenkreises, der überhaupt nur solche Taten begehen kann. Tröstlich ist ein weiterer, ebenfalls wenig überraschender Befund, nämlich dass diese Leistungsträger aus der Mitte der Gesellschaft "im Vergleich zu gewöhnlichen Kriminellen ... deutlich seltener drogenabhängig" sind.
Die im Untertitel genannte These, dass sich diese Straftaten für Unternehmen immer lohnen, wird empirisch an keiner Stelle belegt. Die Studie übersieht schlechterdings, dass die betrachteten Delikte in den Unternehmen teilweise große Schäden anrichten. Unterschlagung, Betrug, Bestechung von Firmenangehörigen verursachen oft hohe Kosten. Meist sind sie von der Unternehmensspitze weder angeordnet noch gebilligt worden, sondern qua Eigeninitiative auf nachgeordneten Hierarchiestufen, teils auch durch Einzeltäter begangen worden. Manche Schmiergelder wurden für Aufträge gezahlt, auf die man vergeblich wartete. Betrogene Kunden wenden sich ab. Unterschlagenes und versickertes Geld fehlt in der Bilanz. Reputationseffekte werden erst gar nicht thematisiert. Die Verfasserin widerspricht ihrer These, wenn sie anmerkt, dass seit 1992 über die Rechtsfigur des Verfalls der gesamte Vorteil einer Strafhandlung ohne Gegenrechnung von Kosten eingezogen werden kann, so dass sich ein negativer Saldo ergibt.
Warum werden Manager kriminell? Wie die Kriminalökonomie schon lange weiß, wollen sie ihren Eigennutz erhöhen. Niedrige Sanktionen, ein geringes Entdeckungsrisiko, unzureichende Kontrollen und Arglosigkeit der Opfer bilden weitere Anreize. Allerdings ist die Abschreckung in den vergangenen Jahrzehnten durch eine schrittweise Erhöhung der Sanktionen, vor allem im Ordnungswidrigkeitenrecht, merklich gestiegen. Das Buch schließt mit Empfehlungen an den Gesetzgeber, das Strafrecht zu verschärfen und die Übernahme von Rechtskosten durch Arbeitgeber und Strafrechtsschutzversicherungen zu verbieten. So anregend einzelne Passagen des Buches auch sind, so unbefriedigend bleibt die Lektüre. Eine fundierte historische Analyse, die eine Entwicklung der Unternehmenskriminalität nachzeichnet und sie in die gesamte Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik seit 1949 einordnet, bleibt weiterhin ein Desiderat.
HARTMUT BERGHOFF
Stefanie Werner: Unternehmenskriminalität in der Bundesrepublik Deutschland. Thorbecke, Ostfildern 2014, 232 Seiten., 39 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unbefriedigendes über Unternehmenskriminalität
Es wäre reizvoll, die Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik neu zu schreiben, sie nicht nur als ein Narrativ von Innovationen, Exportwundern und strotzender Leistungskraft zu fassen, sondern auch die dunklen Seiten des Erfolgs einzubeziehen. Eine solche Wirtschaftsgeschichte als Kriminalitätsgeschichte enthält das Buch Stefanie Werners leider nicht. Vielmehr wirft es einige Schlaglichter auf das "Dunkelfeld" der Unternehmenskriminalität. In einem knappen rechtshistorischen Überblick treten die siebziger Jahre als Umbruchsphase hervor. War nach dem Krieg ein großzügiger Umgang mit Gesetzesbrüchen von Unternehmen üblich - Werner spricht von "Liberalisierung und Entkriminalisierung" -, kam es nun zu einer schrittweisen Verschärfung der Gesetze und der Strafverfolgung. Leider bleiben die Ursachen dieser Trendumkehr im Dunkeln.
Der Hauptteil der Arbeit stützt sich auf die Analyse zweiter Datensätze, gewonnen aus 399 Zeitungsartikeln und 140 Strafakten der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Diese Daten eigenen sich kaum, um ein repräsentatives Bild des Feldes und seiner Trends über Jahrzehnte zu rekonstruieren. Die erfassten Delikte reichen von Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung und den Arbeitsschutz bis zu der angeblich so seltenen Korruption (nur 0,4 Prozent der Fälle) und dem vermeintlich wichtigsten Delikt, dem Betrug (36 Prozent).
Interessant sind jedoch einzelne Befunde. Das Sozialprofil der Täter ist erschreckend durchschnittlich. Sie sind zumeist sozial völlig unauffällig und haben keine Vorstrafen. Sie besitzen eine gute Bildung, oft Hochschulabschlüsse, sind älter als 37 Jahre, fast immer männlich und verheiratet. Sie sind ein Spiegelbild des mittleren und gehobenen Managements, mithin jenes Personenkreises, der überhaupt nur solche Taten begehen kann. Tröstlich ist ein weiterer, ebenfalls wenig überraschender Befund, nämlich dass diese Leistungsträger aus der Mitte der Gesellschaft "im Vergleich zu gewöhnlichen Kriminellen ... deutlich seltener drogenabhängig" sind.
Die im Untertitel genannte These, dass sich diese Straftaten für Unternehmen immer lohnen, wird empirisch an keiner Stelle belegt. Die Studie übersieht schlechterdings, dass die betrachteten Delikte in den Unternehmen teilweise große Schäden anrichten. Unterschlagung, Betrug, Bestechung von Firmenangehörigen verursachen oft hohe Kosten. Meist sind sie von der Unternehmensspitze weder angeordnet noch gebilligt worden, sondern qua Eigeninitiative auf nachgeordneten Hierarchiestufen, teils auch durch Einzeltäter begangen worden. Manche Schmiergelder wurden für Aufträge gezahlt, auf die man vergeblich wartete. Betrogene Kunden wenden sich ab. Unterschlagenes und versickertes Geld fehlt in der Bilanz. Reputationseffekte werden erst gar nicht thematisiert. Die Verfasserin widerspricht ihrer These, wenn sie anmerkt, dass seit 1992 über die Rechtsfigur des Verfalls der gesamte Vorteil einer Strafhandlung ohne Gegenrechnung von Kosten eingezogen werden kann, so dass sich ein negativer Saldo ergibt.
Warum werden Manager kriminell? Wie die Kriminalökonomie schon lange weiß, wollen sie ihren Eigennutz erhöhen. Niedrige Sanktionen, ein geringes Entdeckungsrisiko, unzureichende Kontrollen und Arglosigkeit der Opfer bilden weitere Anreize. Allerdings ist die Abschreckung in den vergangenen Jahrzehnten durch eine schrittweise Erhöhung der Sanktionen, vor allem im Ordnungswidrigkeitenrecht, merklich gestiegen. Das Buch schließt mit Empfehlungen an den Gesetzgeber, das Strafrecht zu verschärfen und die Übernahme von Rechtskosten durch Arbeitgeber und Strafrechtsschutzversicherungen zu verbieten. So anregend einzelne Passagen des Buches auch sind, so unbefriedigend bleibt die Lektüre. Eine fundierte historische Analyse, die eine Entwicklung der Unternehmenskriminalität nachzeichnet und sie in die gesamte Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik seit 1949 einordnet, bleibt weiterhin ein Desiderat.
HARTMUT BERGHOFF
Stefanie Werner: Unternehmenskriminalität in der Bundesrepublik Deutschland. Thorbecke, Ostfildern 2014, 232 Seiten., 39 Euro
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