Alle meine jüngsten Forschungs- und Publikationsvorhaben, zu denen ich zuletzt Archivreisen nach Petersburg und Moskau plante, und verabredete Treffen mit Kollegen und Freunden zu Veranstaltungen, die in Ufa und Kiew vorbereitet wurden, hatten sich nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 faktisch über Nacht erledigt. Die gesamte Entwicklung gleicht einem Desaster: Nach Jahrzehnten intensiver und ertragreicher Arbeit, an deren Beginn eine Aspirantur noch in der Sowjetunion stand und später dann in Russland sowie anderen Nachfolgestaaten der zerfallenen UdSSR, liegen nicht wenige Kontakte auf Eis. Einige der Kollegen leben inzwischen in Frankreich, Großbritannien, Polen oder auch in Deutschland. Themen wie Exil oder auch staatlicher Terror haben eine völlig neue Aktualität gewonnen und verdrängen inzwischen die meisten zuvor im Zentrum der Aufmerksamkeit stehenden Fragestellungen. Vieles, was doch überwunden und erledigt schien im Russland des 21. Jahrhunderts, ist heute wieder an der Tagesordnung. Wie konnte das passieren? Was ist geschehen? Was hätte man kommen sehen können und was hat man, mit Blick auf die eigenen Hoffnungen, verdrängt? Meine in jener zurückliegenden Zeit notierten Beobachtungen in den Großstädten und in der russischen Provinz sprechen aus diesem Blickwinkel für sich. Es lohnt, sie heute noch einmal zur Hand zu nehmen und zu prüfen. Denn die in der Zeitschrift "Das Blättchen" zwischen 1998 und 2007 abgedruckten Reisenotizen haben durch diese jüngste Entwicklung eine besondere Aktualität gewonnen - und um diese Erinnerungen noch besser verstehen und einordnen zu können, habe ich ihren Neudrucken knappe Erläuterungen zu den jeweils in diesen Jahren stattgefundenen Ereignissen sowie zu den wichtigsten Akteuren, Parteien und Organisationen hinzugefügt.
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