Was haben The Beatles mit Arthur Schopenhauer und Julia Kristeva gemeinsam? Was verbindet Hermann Hesse mit C.G. Jung, Annie Besant oder Victor Segalen? Egal ob auf der Suche nach Inspiration, spiritueller Erleuchtung, wissenschaftlicher Erkenntnis oder aus schlichter Neugier, die Faszination für den Fernen Osten eint sie alle auf die eine oder andere Weise. Ebenso sind umgekehrt die Besuche Rabindranath Tagores und des Grafen Kuki Shuzos oder die Iwakura-Mission im Westen Bekenntnisse eines gegenseitigen Interesses.
Auch in seinem neuen Buch widmet sich der Literaturwissenschaftler Elmar Schenkel den Berührungspunkten und Verbindungen zweier Welten. »Unterwegs nach Xanadu« nimmt er seine Leser_innen mit auf eine spannende und anregende Entdeckungsreise durch die Geschichte des kulturellen Austauschs des Westens mit Ost- und Südostasien. Schenkel erkundet diese Begegnungen in stimmungsvoll erzählten Episoden als Teil einer wechselseitigen Kulturgeschichte, die bis zurück in das 13. Jahrhundert und weiter reicht.
Von Yoga über Haikus bis Zen, Schenkel zeigt auf, dass die Begegnungen von Osten und Westen neben Momenten der Bewunderung und der Befremdung auch durch die Bereitschaft voneinander zu lernen geprägt sind.
Auch in seinem neuen Buch widmet sich der Literaturwissenschaftler Elmar Schenkel den Berührungspunkten und Verbindungen zweier Welten. »Unterwegs nach Xanadu« nimmt er seine Leser_innen mit auf eine spannende und anregende Entdeckungsreise durch die Geschichte des kulturellen Austauschs des Westens mit Ost- und Südostasien. Schenkel erkundet diese Begegnungen in stimmungsvoll erzählten Episoden als Teil einer wechselseitigen Kulturgeschichte, die bis zurück in das 13. Jahrhundert und weiter reicht.
Von Yoga über Haikus bis Zen, Schenkel zeigt auf, dass die Begegnungen von Osten und Westen neben Momenten der Bewunderung und der Befremdung auch durch die Bereitschaft voneinander zu lernen geprägt sind.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2021So unbewegt war Asien nicht
Elmar Schenkel sammelt Begegnungen zwischen Westen und Osten
"Westliche Menschen auf der Suche nach sich selbst", so fasst Elmar Schenkel seinen Befund zusammen, "gehen oft nach Indien, wenn sie in Krisen sind." Das sind die Schwärmer, die Meditierenden und die Guru-Anhängerinnen. In Richtung China wenden sich dagegen eher die Rationalisten, denen es die lebensnahen Ratschläge des Konfuzius angetan haben, obwohl auch die chinesische Klassik ein gutes Maß an Esoterikfutter zu bieten hat, etwa die Kombinationsspiele des Yijing (I Ching, "Buch der Wandlungen"). Japan wiederum bedient den westlichen Ästhetizismus: die stille Konzentration der Tee-Zeremonie, die schlichte Kraft der Berge und Wellen des Hokusai, eine formklare Architektur, die europäische Besucher immer wieder an die Griechen erinnert hat.
Zu diesem leicht klischeeverdächtigen Ergebnis gelangt Schenkel per Husarenritt durch die Ideengeschichte von dem barocken Polyhistor Athanasius Kircher bis zu Peter Sloterdijk. Vieles wird angetippt, weniges ausgeführt. Im besten Fall - und das wäre schon ein Erfolg des Buches - möchte man anderswo weiterlesen. Standardthemen werden hastig, oberflächlich und ohne zureichende Nachforschung geradezu erledigt. Über Leibniz' Interesse am China seiner Zeit, über die Rolle der Jesuiten als Kulturvermittler, über Gandhis ambivalentes Verhältnis zum Westen oder über den japanischen Schriftsteller Mori Ogai im Deutschland des Kaiserreichs ist schon viel Klügeres geschrieben worden, von dem sich hier nicht einmal ein leises Echo findet.
Das Buch beginnt wirkungsvoll mit dem sensationellen Auftritt des jungen Inders Vivekananda vor dem Weltparlament der Religionen 1893 in Chicago, der medialen Erhöhung des Hinduismus von einer südasiatischen Spezialreligion zu einer universalen Weisheitslehre. Knapp wird der weitere Zusammenhang skizziert: einerseits die Entwicklung der Sanskritphilologie in Europa vom späten achtzehnten Jahrhundert bis zu Max Müller in Oxford, einem der Begründer der vergleichenden Religionswissenschaft, andererseits die bizarren Spekulationen der "Theosophie", von Schenkel als "bucklige Verwandtschaft" der seriösen Indologie charakterisiert. Solche komplexeren ideengeschichtlichen Konstellationen bleiben allerdings im Fortgang des Buches eher selten. Die vielen Autoren und Autorinnen - unter ihnen schöne Funde, etwa die österreichische Kunsthistorikerin Indiens Stella Kramrisch und die viktorianische Weltreisende Isabelle Bird - werden einzeln und nacheinander abgehandelt. Nur ausnahmsweise werden tatsächliche Begegnungen, wie der Titel sie zu versprechen scheint, jenseits von Memoiren und Reiseliteratur anschaulich gemacht.
Der politische Aspekt, der auch bei scheinbar rein kulturellen Wahrnehmungen und Kontakten selten fehlt, hätte deutlicher werden können. Asien war nicht so unbewegt und "ewig" bei sich bleibend, wie viele westliche Beobachter es sich einredeten. Elmar Schenkel erlaubt sich hier allenfalls Andeutungen: Die Obsession der deutschen Geopolitik mit dem immer militaristischer und imperialistischer werdenden Japan wird gestreift, auch die Mao-Begeisterung des frühen französischen Poststrukturalismus. Wie aber reagierten europäische Beobachter zum Beispiel auf den indischen Freiheitskampf und die Radikalisierung der chinesischen Revolution ab der Vierter-Mai-Bewegung von 1919? Dort, wo Schenkel ausnahmsweise politisch nachbohrt, wird er fündig. Kein anderes Buch schien Japan tiefer erfasst zu haben als der unverwüstliche Weltbestseller "Zen in der Kunst des Bogenschießens" (1948) des Erlanger Philosophieprofessors Eugen Herrigel, der von 1924 bis 1929 in Japan gelehrt hatte. Herrigel trat später in die NSDAP ein und brachte es im Krieg bis zum Rektor seiner Universität. Zusammenhänge? Gewiss komplizierte, aber mehr als nur Zufall.
Xanadu ist übrigens nicht bloß die Opiumvision des englischen Romantikers Samuel Taylor Coleridge aus dem Jahre 1797, als die es immer, auch in diesem Buch, zitiert wird. Man kann dort ankommen. Das heutige Shangdu liegt etwa 350 Kilometer nördlich von Beijing im innermongolischen Grasland und ist über grobe Schotterstraßen nur in einem gut gefederten Geländewagen einigermaßen bequem erreichbar. Von der Sommerresidenz des mongolischen Großkhans und chinesischen Kaisers Kubilai, einst einer Palaststadt von 100 000 Einwohnern, sind nur kümmerlichste Ruinen erhalten; der Tourismus beschränkt sich auf hartgesottene Mongolen-Nostalgiker. Doch man fühlt sich am Ziel: Von hier aus wurde um 1270 die halbe Welt regiert.
JÜRGEN OSTERHAMMEL
Elmar Schenkel:
"Unterwegs nach Xanadu". Begegnungen zwischen Ost und West.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021. 367 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Elmar Schenkel sammelt Begegnungen zwischen Westen und Osten
"Westliche Menschen auf der Suche nach sich selbst", so fasst Elmar Schenkel seinen Befund zusammen, "gehen oft nach Indien, wenn sie in Krisen sind." Das sind die Schwärmer, die Meditierenden und die Guru-Anhängerinnen. In Richtung China wenden sich dagegen eher die Rationalisten, denen es die lebensnahen Ratschläge des Konfuzius angetan haben, obwohl auch die chinesische Klassik ein gutes Maß an Esoterikfutter zu bieten hat, etwa die Kombinationsspiele des Yijing (I Ching, "Buch der Wandlungen"). Japan wiederum bedient den westlichen Ästhetizismus: die stille Konzentration der Tee-Zeremonie, die schlichte Kraft der Berge und Wellen des Hokusai, eine formklare Architektur, die europäische Besucher immer wieder an die Griechen erinnert hat.
Zu diesem leicht klischeeverdächtigen Ergebnis gelangt Schenkel per Husarenritt durch die Ideengeschichte von dem barocken Polyhistor Athanasius Kircher bis zu Peter Sloterdijk. Vieles wird angetippt, weniges ausgeführt. Im besten Fall - und das wäre schon ein Erfolg des Buches - möchte man anderswo weiterlesen. Standardthemen werden hastig, oberflächlich und ohne zureichende Nachforschung geradezu erledigt. Über Leibniz' Interesse am China seiner Zeit, über die Rolle der Jesuiten als Kulturvermittler, über Gandhis ambivalentes Verhältnis zum Westen oder über den japanischen Schriftsteller Mori Ogai im Deutschland des Kaiserreichs ist schon viel Klügeres geschrieben worden, von dem sich hier nicht einmal ein leises Echo findet.
Das Buch beginnt wirkungsvoll mit dem sensationellen Auftritt des jungen Inders Vivekananda vor dem Weltparlament der Religionen 1893 in Chicago, der medialen Erhöhung des Hinduismus von einer südasiatischen Spezialreligion zu einer universalen Weisheitslehre. Knapp wird der weitere Zusammenhang skizziert: einerseits die Entwicklung der Sanskritphilologie in Europa vom späten achtzehnten Jahrhundert bis zu Max Müller in Oxford, einem der Begründer der vergleichenden Religionswissenschaft, andererseits die bizarren Spekulationen der "Theosophie", von Schenkel als "bucklige Verwandtschaft" der seriösen Indologie charakterisiert. Solche komplexeren ideengeschichtlichen Konstellationen bleiben allerdings im Fortgang des Buches eher selten. Die vielen Autoren und Autorinnen - unter ihnen schöne Funde, etwa die österreichische Kunsthistorikerin Indiens Stella Kramrisch und die viktorianische Weltreisende Isabelle Bird - werden einzeln und nacheinander abgehandelt. Nur ausnahmsweise werden tatsächliche Begegnungen, wie der Titel sie zu versprechen scheint, jenseits von Memoiren und Reiseliteratur anschaulich gemacht.
Der politische Aspekt, der auch bei scheinbar rein kulturellen Wahrnehmungen und Kontakten selten fehlt, hätte deutlicher werden können. Asien war nicht so unbewegt und "ewig" bei sich bleibend, wie viele westliche Beobachter es sich einredeten. Elmar Schenkel erlaubt sich hier allenfalls Andeutungen: Die Obsession der deutschen Geopolitik mit dem immer militaristischer und imperialistischer werdenden Japan wird gestreift, auch die Mao-Begeisterung des frühen französischen Poststrukturalismus. Wie aber reagierten europäische Beobachter zum Beispiel auf den indischen Freiheitskampf und die Radikalisierung der chinesischen Revolution ab der Vierter-Mai-Bewegung von 1919? Dort, wo Schenkel ausnahmsweise politisch nachbohrt, wird er fündig. Kein anderes Buch schien Japan tiefer erfasst zu haben als der unverwüstliche Weltbestseller "Zen in der Kunst des Bogenschießens" (1948) des Erlanger Philosophieprofessors Eugen Herrigel, der von 1924 bis 1929 in Japan gelehrt hatte. Herrigel trat später in die NSDAP ein und brachte es im Krieg bis zum Rektor seiner Universität. Zusammenhänge? Gewiss komplizierte, aber mehr als nur Zufall.
Xanadu ist übrigens nicht bloß die Opiumvision des englischen Romantikers Samuel Taylor Coleridge aus dem Jahre 1797, als die es immer, auch in diesem Buch, zitiert wird. Man kann dort ankommen. Das heutige Shangdu liegt etwa 350 Kilometer nördlich von Beijing im innermongolischen Grasland und ist über grobe Schotterstraßen nur in einem gut gefederten Geländewagen einigermaßen bequem erreichbar. Von der Sommerresidenz des mongolischen Großkhans und chinesischen Kaisers Kubilai, einst einer Palaststadt von 100 000 Einwohnern, sind nur kümmerlichste Ruinen erhalten; der Tourismus beschränkt sich auf hartgesottene Mongolen-Nostalgiker. Doch man fühlt sich am Ziel: Von hier aus wurde um 1270 die halbe Welt regiert.
JÜRGEN OSTERHAMMEL
Elmar Schenkel:
"Unterwegs nach Xanadu". Begegnungen zwischen Ost und West.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021. 367 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Mit Interesse und Vergnügen hat Rezensent Harald Eggebrecht diese Geschichte eines regen Kulturaustauschs zwischen Ost und West gelesen. Marco Polo kommt darin ebenso vor wie die Beatles, der indische Popguru Baghwan oder die deutschen Indologen Max Müller und Heinrich Zimmer. Während erstere ihre Vorstellungen vom anderen in realen Begegnungen überprüfen konnten, zogen es die beiden Indologen vor, ihre Träume und Projektionen lieber nicht an der Wirklichkeit zu messen, lesen wir. Erstaunlicherweise waren beide dennoch ausgezeichnete Wissenschaftler auf ihrem Gebiet. Auch die Nazianhängerin Savitri Devi kommt vor, eine geborene Französin, der Begeisterung für Hitler Eggebrecht zeigt, dass Kulturaustausch manchmal mysteriöse Wege geht.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
eine spannende und anregende Entdeckungsreise Soester Anzeiger 20211029