Was haben The Beatles mit Arthur Schopenhauer und Julia Kristeva gemeinsam? Was verbindet Hermann Hesse mit C.G. Jung, Annie Besant oder Victor Segalen? Egal ob auf der Suche nach Inspiration, spiritueller Erleuchtung, wissenschaftlicher Erkenntnis oder aus schlichter Neugier, die Faszination für den Fernen Osten eint sie alle auf die eine oder andere Weise. Ebenso sind umgekehrt die Besuche Rabindranath Tagores und des Grafen Kuki Shuzos oder die Iwakura-Mission im Westen Bekenntnisse eines gegenseitigen Interesses.
Auch in seinem neuen Buch widmet sich der Literaturwissenschaftler Elmar Schenkel den Berührungspunkten und Verbindungen zweier Welten. »Unterwegs nach Xanadu« nimmt er seine Leser_innen mit auf eine spannende und anregende Entdeckungsreise durch die Geschichte des kulturellen Austauschs des Westens mit Ost- und Südostasien. Schenkel erkundet diese Begegnungen in stimmungsvoll erzählten Episoden als Teil einer wechselseitigen Kulturgeschichte, die bis zurück in das 13. Jahrhundert und weiter reicht.
Von Yoga über Haikus bis Zen, Schenkel zeigt auf, dass die Begegnungen von Osten und Westen neben Momenten der Bewunderung und der Befremdung auch durch die Bereitschaft voneinander zu lernen geprägt sind.
Auch in seinem neuen Buch widmet sich der Literaturwissenschaftler Elmar Schenkel den Berührungspunkten und Verbindungen zweier Welten. »Unterwegs nach Xanadu« nimmt er seine Leser_innen mit auf eine spannende und anregende Entdeckungsreise durch die Geschichte des kulturellen Austauschs des Westens mit Ost- und Südostasien. Schenkel erkundet diese Begegnungen in stimmungsvoll erzählten Episoden als Teil einer wechselseitigen Kulturgeschichte, die bis zurück in das 13. Jahrhundert und weiter reicht.
Von Yoga über Haikus bis Zen, Schenkel zeigt auf, dass die Begegnungen von Osten und Westen neben Momenten der Bewunderung und der Befremdung auch durch die Bereitschaft voneinander zu lernen geprägt sind.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2021So unbewegt war Asien nicht
Elmar Schenkel sammelt Begegnungen zwischen Westen und Osten
"Westliche Menschen auf der Suche nach sich selbst", so fasst Elmar Schenkel seinen Befund zusammen, "gehen oft nach Indien, wenn sie in Krisen sind." Das sind die Schwärmer, die Meditierenden und die Guru-Anhängerinnen. In Richtung China wenden sich dagegen eher die Rationalisten, denen es die lebensnahen Ratschläge des Konfuzius angetan haben, obwohl auch die chinesische Klassik ein gutes Maß an Esoterikfutter zu bieten hat, etwa die Kombinationsspiele des Yijing (I Ching, "Buch der Wandlungen"). Japan wiederum bedient den westlichen Ästhetizismus: die stille Konzentration der Tee-Zeremonie, die schlichte Kraft der Berge und Wellen des Hokusai, eine formklare Architektur, die europäische Besucher immer wieder an die Griechen erinnert hat.
Zu diesem leicht klischeeverdächtigen Ergebnis gelangt Schenkel per Husarenritt durch die Ideengeschichte von dem barocken Polyhistor Athanasius Kircher bis zu Peter Sloterdijk. Vieles wird angetippt, weniges ausgeführt. Im besten Fall - und das wäre schon ein Erfolg des Buches - möchte man anderswo weiterlesen. Standardthemen werden hastig, oberflächlich und ohne zureichende Nachforschung geradezu erledigt. Über Leibniz' Interesse am China seiner Zeit, über die Rolle der Jesuiten als Kulturvermittler, über Gandhis ambivalentes Verhältnis zum Westen oder über den japanischen Schriftsteller Mori Ogai im Deutschland des Kaiserreichs ist schon viel Klügeres geschrieben worden, von dem sich hier nicht einmal ein leises Echo findet.
Das Buch beginnt wirkungsvoll mit dem sensationellen Auftritt des jungen Inders Vivekananda vor dem Weltparlament der Religionen 1893 in Chicago, der medialen Erhöhung des Hinduismus von einer südasiatischen Spezialreligion zu einer universalen Weisheitslehre. Knapp wird der weitere Zusammenhang skizziert: einerseits die Entwicklung der Sanskritphilologie in Europa vom späten achtzehnten Jahrhundert bis zu Max Müller in Oxford, einem der Begründer der vergleichenden Religionswissenschaft, andererseits die bizarren Spekulationen der "Theosophie", von Schenkel als "bucklige Verwandtschaft" der seriösen Indologie charakterisiert. Solche komplexeren ideengeschichtlichen Konstellationen bleiben allerdings im Fortgang des Buches eher selten. Die vielen Autoren und Autorinnen - unter ihnen schöne Funde, etwa die österreichische Kunsthistorikerin Indiens Stella Kramrisch und die viktorianische Weltreisende Isabelle Bird - werden einzeln und nacheinander abgehandelt. Nur ausnahmsweise werden tatsächliche Begegnungen, wie der Titel sie zu versprechen scheint, jenseits von Memoiren und Reiseliteratur anschaulich gemacht.
Der politische Aspekt, der auch bei scheinbar rein kulturellen Wahrnehmungen und Kontakten selten fehlt, hätte deutlicher werden können. Asien war nicht so unbewegt und "ewig" bei sich bleibend, wie viele westliche Beobachter es sich einredeten. Elmar Schenkel erlaubt sich hier allenfalls Andeutungen: Die Obsession der deutschen Geopolitik mit dem immer militaristischer und imperialistischer werdenden Japan wird gestreift, auch die Mao-Begeisterung des frühen französischen Poststrukturalismus. Wie aber reagierten europäische Beobachter zum Beispiel auf den indischen Freiheitskampf und die Radikalisierung der chinesischen Revolution ab der Vierter-Mai-Bewegung von 1919? Dort, wo Schenkel ausnahmsweise politisch nachbohrt, wird er fündig. Kein anderes Buch schien Japan tiefer erfasst zu haben als der unverwüstliche Weltbestseller "Zen in der Kunst des Bogenschießens" (1948) des Erlanger Philosophieprofessors Eugen Herrigel, der von 1924 bis 1929 in Japan gelehrt hatte. Herrigel trat später in die NSDAP ein und brachte es im Krieg bis zum Rektor seiner Universität. Zusammenhänge? Gewiss komplizierte, aber mehr als nur Zufall.
Xanadu ist übrigens nicht bloß die Opiumvision des englischen Romantikers Samuel Taylor Coleridge aus dem Jahre 1797, als die es immer, auch in diesem Buch, zitiert wird. Man kann dort ankommen. Das heutige Shangdu liegt etwa 350 Kilometer nördlich von Beijing im innermongolischen Grasland und ist über grobe Schotterstraßen nur in einem gut gefederten Geländewagen einigermaßen bequem erreichbar. Von der Sommerresidenz des mongolischen Großkhans und chinesischen Kaisers Kubilai, einst einer Palaststadt von 100 000 Einwohnern, sind nur kümmerlichste Ruinen erhalten; der Tourismus beschränkt sich auf hartgesottene Mongolen-Nostalgiker. Doch man fühlt sich am Ziel: Von hier aus wurde um 1270 die halbe Welt regiert.
JÜRGEN OSTERHAMMEL
Elmar Schenkel:
"Unterwegs nach Xanadu". Begegnungen zwischen Ost und West.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021. 367 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Elmar Schenkel sammelt Begegnungen zwischen Westen und Osten
"Westliche Menschen auf der Suche nach sich selbst", so fasst Elmar Schenkel seinen Befund zusammen, "gehen oft nach Indien, wenn sie in Krisen sind." Das sind die Schwärmer, die Meditierenden und die Guru-Anhängerinnen. In Richtung China wenden sich dagegen eher die Rationalisten, denen es die lebensnahen Ratschläge des Konfuzius angetan haben, obwohl auch die chinesische Klassik ein gutes Maß an Esoterikfutter zu bieten hat, etwa die Kombinationsspiele des Yijing (I Ching, "Buch der Wandlungen"). Japan wiederum bedient den westlichen Ästhetizismus: die stille Konzentration der Tee-Zeremonie, die schlichte Kraft der Berge und Wellen des Hokusai, eine formklare Architektur, die europäische Besucher immer wieder an die Griechen erinnert hat.
Zu diesem leicht klischeeverdächtigen Ergebnis gelangt Schenkel per Husarenritt durch die Ideengeschichte von dem barocken Polyhistor Athanasius Kircher bis zu Peter Sloterdijk. Vieles wird angetippt, weniges ausgeführt. Im besten Fall - und das wäre schon ein Erfolg des Buches - möchte man anderswo weiterlesen. Standardthemen werden hastig, oberflächlich und ohne zureichende Nachforschung geradezu erledigt. Über Leibniz' Interesse am China seiner Zeit, über die Rolle der Jesuiten als Kulturvermittler, über Gandhis ambivalentes Verhältnis zum Westen oder über den japanischen Schriftsteller Mori Ogai im Deutschland des Kaiserreichs ist schon viel Klügeres geschrieben worden, von dem sich hier nicht einmal ein leises Echo findet.
Das Buch beginnt wirkungsvoll mit dem sensationellen Auftritt des jungen Inders Vivekananda vor dem Weltparlament der Religionen 1893 in Chicago, der medialen Erhöhung des Hinduismus von einer südasiatischen Spezialreligion zu einer universalen Weisheitslehre. Knapp wird der weitere Zusammenhang skizziert: einerseits die Entwicklung der Sanskritphilologie in Europa vom späten achtzehnten Jahrhundert bis zu Max Müller in Oxford, einem der Begründer der vergleichenden Religionswissenschaft, andererseits die bizarren Spekulationen der "Theosophie", von Schenkel als "bucklige Verwandtschaft" der seriösen Indologie charakterisiert. Solche komplexeren ideengeschichtlichen Konstellationen bleiben allerdings im Fortgang des Buches eher selten. Die vielen Autoren und Autorinnen - unter ihnen schöne Funde, etwa die österreichische Kunsthistorikerin Indiens Stella Kramrisch und die viktorianische Weltreisende Isabelle Bird - werden einzeln und nacheinander abgehandelt. Nur ausnahmsweise werden tatsächliche Begegnungen, wie der Titel sie zu versprechen scheint, jenseits von Memoiren und Reiseliteratur anschaulich gemacht.
Der politische Aspekt, der auch bei scheinbar rein kulturellen Wahrnehmungen und Kontakten selten fehlt, hätte deutlicher werden können. Asien war nicht so unbewegt und "ewig" bei sich bleibend, wie viele westliche Beobachter es sich einredeten. Elmar Schenkel erlaubt sich hier allenfalls Andeutungen: Die Obsession der deutschen Geopolitik mit dem immer militaristischer und imperialistischer werdenden Japan wird gestreift, auch die Mao-Begeisterung des frühen französischen Poststrukturalismus. Wie aber reagierten europäische Beobachter zum Beispiel auf den indischen Freiheitskampf und die Radikalisierung der chinesischen Revolution ab der Vierter-Mai-Bewegung von 1919? Dort, wo Schenkel ausnahmsweise politisch nachbohrt, wird er fündig. Kein anderes Buch schien Japan tiefer erfasst zu haben als der unverwüstliche Weltbestseller "Zen in der Kunst des Bogenschießens" (1948) des Erlanger Philosophieprofessors Eugen Herrigel, der von 1924 bis 1929 in Japan gelehrt hatte. Herrigel trat später in die NSDAP ein und brachte es im Krieg bis zum Rektor seiner Universität. Zusammenhänge? Gewiss komplizierte, aber mehr als nur Zufall.
Xanadu ist übrigens nicht bloß die Opiumvision des englischen Romantikers Samuel Taylor Coleridge aus dem Jahre 1797, als die es immer, auch in diesem Buch, zitiert wird. Man kann dort ankommen. Das heutige Shangdu liegt etwa 350 Kilometer nördlich von Beijing im innermongolischen Grasland und ist über grobe Schotterstraßen nur in einem gut gefederten Geländewagen einigermaßen bequem erreichbar. Von der Sommerresidenz des mongolischen Großkhans und chinesischen Kaisers Kubilai, einst einer Palaststadt von 100 000 Einwohnern, sind nur kümmerlichste Ruinen erhalten; der Tourismus beschränkt sich auf hartgesottene Mongolen-Nostalgiker. Doch man fühlt sich am Ziel: Von hier aus wurde um 1270 die halbe Welt regiert.
JÜRGEN OSTERHAMMEL
Elmar Schenkel:
"Unterwegs nach Xanadu". Begegnungen zwischen Ost und West.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021. 367 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Mit Interesse und Vergnügen hat Rezensent Harald Eggebrecht diese Geschichte eines regen Kulturaustauschs zwischen Ost und West gelesen. Marco Polo kommt darin ebenso vor wie die Beatles, der indische Popguru Baghwan oder die deutschen Indologen Max Müller und Heinrich Zimmer. Während erstere ihre Vorstellungen vom anderen in realen Begegnungen überprüfen konnten, zogen es die beiden Indologen vor, ihre Träume und Projektionen lieber nicht an der Wirklichkeit zu messen, lesen wir. Erstaunlicherweise waren beide dennoch ausgezeichnete Wissenschaftler auf ihrem Gebiet. Auch die Nazianhängerin Savitri Devi kommt vor, eine geborene Französin, der Begeisterung für Hitler Eggebrecht zeigt, dass Kulturaustausch manchmal mysteriöse Wege geht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.04.2022Oh, wie schön ist Xanadu
Der Kulturforscher Elmar Schenkel hat ein Buch geschrieben über die Träume und Trugbilder der abendländischen Faszination für den Fernen Osten
Von Marco Polo, dem ersten China-Besucher aus dem Westen, bis zum indischen Popguru Baghwan lässt Elmar Schenkel einen schillernden Reigen von Persönlichkeiten antanzen, die vom regen, manchmal überraschenden, manchmal befremdenden, immer aber hochinteressanten und erhellenden Austausch zwischen Fernost und dem Okzident zeugen. In drei Großkapiteln – Indien, China, Japan – versammelt Schenkel, Jahrgang 1953, emeritierter Anglist von der Universität Leipzig, Porträtskizzen, die belegen, wie verflochten fernöstliches Denken und Handeln in Religion und Mythologie mit abendländischen Denk- und Glaubenstraditionen sind.
Doch damit nicht genug, denn nicht nur reale Begegnungen spielen eine Rolle, sondern auch Projektionen, Träume und Trugbilder. Man denke an das verwunschene Shangri-La, irgendwo im Himalaja in Tibet versteckt und unauffindbar für den Normalsterblichen wie einst im mittelalterlichen Abendland die Gralsburg Montsalwatsch. Oder jener Wunderort Xanadu, wo Kublai Khan sich einen kuppelreichen Palast erbauen ließ. Die bis in die Gegenwart reichende Wirkung von solchen Heilsorten, an denen Weisheit und Frieden, Wohlstand und Glück den dort lebenden Menschen gewiss sind, wenn sie sich denn lossagen von all jenen materiellen und selbstsüchtigen Bestrebungen, die Herz und Geist verhärten. Schenkels Porträts werden zu einem so abwechslungsreichen wie widerspruchsvollen west-östlichen Bildersaal, der große Lust auf weiterführende Lektüre macht.
Welche Träume allein Indien auslöste in deutschen Dichter- und Denkerköpfen, zeigt sich etwa in den Biografien der beiden Indologen Max Müller (1823-1900) und Heinrich Zimmer (1890-1943). Müller, Sohn des „Winterreise“-Dichters Wilhelm Müller, der ein großer Griechenkenner war, ohne je in Griechenland gewesen zu sein, wurde zum ersten und wichtigsten Übersetzer aus dem Sanskrit und anderen altasiatischen Sprachen. Er entwickelte aus seinen umfassenden Kenntnissen Altindiens heraus das wissenschaftliche Konzept von vergleichender Religionswissenschaft und vergleichender Mythenforschung und bekleidete als erster den neuen Lehrstuhl für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Oxford.
Max Müller wiederum ist bis heute für Indologen und auch in Indien selbst eine der Portalfiguren der Indienforschung – Goethe-Institute werden in Indien gern als „Max Mueller Bhavan“ bezeichnet –, wurde er in deutschen Sprachraum nach seinem Tod vergessen. Dabei geht auf ihn der Begriff des „Arischen“, einem Wort aus dem Sanskrit, zurück, das er nur auf seine Forschungen der einschlägigen Sprachfamilie bezog. Dass daraus dann ein Rassismuskonzept gemacht wurde mit grauenvollen Folgen, dagegen hat Müller energisch protestiert. Es sei gegen jede Logik, Sprachfamilien mit physischer Rasse oder Abstammung gleichzusetzen.
In diesem düsteren Zusammenhang zeichnet Schenkel auch den Lebensweg der Nazianhängerin Savitri Devi nach, die an Hitler, Hakenkreuz und den Sieg der Arier fanatisch glaubte, sich unermüdlich mit Alt- und Neonazis und Holocaustleugnern traf: Die gebürtige Französin hat in einschlägigen Kreisen immer noch bekannt.
Selbst in Indien war der große Indienforscher Max Müller nie. Auch Heinrich Zimmer, ebenfalls Indologe mit großer Nachwirkung bis heute, hat das Land seiner Sehnsucht nie betreten und wollte es wohl auch nicht, um nicht durch die harte Realität des indischen Lebens nicht aus seinen romantischen Träumen einer allweisen uralten Kultur aufgeweckt zu werden.
Bestaunt wurden die indischen Gurus, Swamis und Yogis, wenn sie in den Westen kamen, immer. Sie machten – wie Vivekananda auf der Konferenz der Weltreligionen in Chicago 1893 oder der erste indische Literaturnobelpreisträger Rabindranath Tagore auf seinen Weltreisen, die ihn auch mit Albert Einstein zusammenbrachten – Furore durch eminente Bildung und große Friedens- und Weisheitsreden. Sie wurden berühmt als Lehrer der Beatles wie Maharishi Mahesh Yogi. Oder sie inspirieren als Propagandisten der Gewaltlosigkeit wie Mahatma Gandhi bis heute Bürgerrechtsbewegungen.
Das China-Kapitel beginnt danach mit der Pilgerfahrt des uigurischen Mönchs Rabban Bar Sauma nach Rom. Die Reise wird etwa zehn Jahre dauern. Zuvor waren nestorianische Christen, die 431 auf dem Konzil von Ephesus als Häretiker verurteilt wurden, bis nach Sumatra ausgewichen. Der China-Verehrer Gottfried Wilhelm Leibniz tritt auf und Schenkel geht dem fatalen Mythos von der „Gelben Gefahr“ nach, der mit dem Überfall auf Pearl Harbour dann auf Japan übertragen wird.
Japan erweist sich im letzten Kapitel schließlich als die fernste Kultur. Vieles bleibt geheimnisvoll: Die Strenge und „Reinheit“ des Zen-Buddhismus, die Konzentration der Haiku-Gedichte oder die Farbigkeit und Poesie des Japonismus, also die im ausgehenden 19. Jahrhundert und beginnenden 20. Jahrhundert aufkommenden Japanmode, die Kunst, Musik und Literatur unter dem Eindruck der berühmten Holzschnitte von Hokusei, man denke an Claude Debussys „La mer“ oder Van Goghs Japan-Faszination. Ihrerseits ergreifen die Japaner nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings die Initiative, lernen den Westen nicht nur kennen, sondern lassen sich auch von seinen Stärken inspirieren. Westliche Philosophen und Forscher wie Roland Barthes oder Michel Foucault suchen dagegen – wie viele ihrer Vorgänger – im Land weiter das Fremde. Mysterium Kulturaustausch.
HARALD EGGEBRECHT
Die einflussreichsten deutschen
Indologen haben das Land
ihrer Sehnsucht nie betreten
Elmar Schenkel: Unterwegs nach Xanadu - Begegnungen zwischen Ost und West. S. Fischer, Frankfurt 2021.
368 Seiten, 26 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Der Kulturforscher Elmar Schenkel hat ein Buch geschrieben über die Träume und Trugbilder der abendländischen Faszination für den Fernen Osten
Von Marco Polo, dem ersten China-Besucher aus dem Westen, bis zum indischen Popguru Baghwan lässt Elmar Schenkel einen schillernden Reigen von Persönlichkeiten antanzen, die vom regen, manchmal überraschenden, manchmal befremdenden, immer aber hochinteressanten und erhellenden Austausch zwischen Fernost und dem Okzident zeugen. In drei Großkapiteln – Indien, China, Japan – versammelt Schenkel, Jahrgang 1953, emeritierter Anglist von der Universität Leipzig, Porträtskizzen, die belegen, wie verflochten fernöstliches Denken und Handeln in Religion und Mythologie mit abendländischen Denk- und Glaubenstraditionen sind.
Doch damit nicht genug, denn nicht nur reale Begegnungen spielen eine Rolle, sondern auch Projektionen, Träume und Trugbilder. Man denke an das verwunschene Shangri-La, irgendwo im Himalaja in Tibet versteckt und unauffindbar für den Normalsterblichen wie einst im mittelalterlichen Abendland die Gralsburg Montsalwatsch. Oder jener Wunderort Xanadu, wo Kublai Khan sich einen kuppelreichen Palast erbauen ließ. Die bis in die Gegenwart reichende Wirkung von solchen Heilsorten, an denen Weisheit und Frieden, Wohlstand und Glück den dort lebenden Menschen gewiss sind, wenn sie sich denn lossagen von all jenen materiellen und selbstsüchtigen Bestrebungen, die Herz und Geist verhärten. Schenkels Porträts werden zu einem so abwechslungsreichen wie widerspruchsvollen west-östlichen Bildersaal, der große Lust auf weiterführende Lektüre macht.
Welche Träume allein Indien auslöste in deutschen Dichter- und Denkerköpfen, zeigt sich etwa in den Biografien der beiden Indologen Max Müller (1823-1900) und Heinrich Zimmer (1890-1943). Müller, Sohn des „Winterreise“-Dichters Wilhelm Müller, der ein großer Griechenkenner war, ohne je in Griechenland gewesen zu sein, wurde zum ersten und wichtigsten Übersetzer aus dem Sanskrit und anderen altasiatischen Sprachen. Er entwickelte aus seinen umfassenden Kenntnissen Altindiens heraus das wissenschaftliche Konzept von vergleichender Religionswissenschaft und vergleichender Mythenforschung und bekleidete als erster den neuen Lehrstuhl für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Oxford.
Max Müller wiederum ist bis heute für Indologen und auch in Indien selbst eine der Portalfiguren der Indienforschung – Goethe-Institute werden in Indien gern als „Max Mueller Bhavan“ bezeichnet –, wurde er in deutschen Sprachraum nach seinem Tod vergessen. Dabei geht auf ihn der Begriff des „Arischen“, einem Wort aus dem Sanskrit, zurück, das er nur auf seine Forschungen der einschlägigen Sprachfamilie bezog. Dass daraus dann ein Rassismuskonzept gemacht wurde mit grauenvollen Folgen, dagegen hat Müller energisch protestiert. Es sei gegen jede Logik, Sprachfamilien mit physischer Rasse oder Abstammung gleichzusetzen.
In diesem düsteren Zusammenhang zeichnet Schenkel auch den Lebensweg der Nazianhängerin Savitri Devi nach, die an Hitler, Hakenkreuz und den Sieg der Arier fanatisch glaubte, sich unermüdlich mit Alt- und Neonazis und Holocaustleugnern traf: Die gebürtige Französin hat in einschlägigen Kreisen immer noch bekannt.
Selbst in Indien war der große Indienforscher Max Müller nie. Auch Heinrich Zimmer, ebenfalls Indologe mit großer Nachwirkung bis heute, hat das Land seiner Sehnsucht nie betreten und wollte es wohl auch nicht, um nicht durch die harte Realität des indischen Lebens nicht aus seinen romantischen Träumen einer allweisen uralten Kultur aufgeweckt zu werden.
Bestaunt wurden die indischen Gurus, Swamis und Yogis, wenn sie in den Westen kamen, immer. Sie machten – wie Vivekananda auf der Konferenz der Weltreligionen in Chicago 1893 oder der erste indische Literaturnobelpreisträger Rabindranath Tagore auf seinen Weltreisen, die ihn auch mit Albert Einstein zusammenbrachten – Furore durch eminente Bildung und große Friedens- und Weisheitsreden. Sie wurden berühmt als Lehrer der Beatles wie Maharishi Mahesh Yogi. Oder sie inspirieren als Propagandisten der Gewaltlosigkeit wie Mahatma Gandhi bis heute Bürgerrechtsbewegungen.
Das China-Kapitel beginnt danach mit der Pilgerfahrt des uigurischen Mönchs Rabban Bar Sauma nach Rom. Die Reise wird etwa zehn Jahre dauern. Zuvor waren nestorianische Christen, die 431 auf dem Konzil von Ephesus als Häretiker verurteilt wurden, bis nach Sumatra ausgewichen. Der China-Verehrer Gottfried Wilhelm Leibniz tritt auf und Schenkel geht dem fatalen Mythos von der „Gelben Gefahr“ nach, der mit dem Überfall auf Pearl Harbour dann auf Japan übertragen wird.
Japan erweist sich im letzten Kapitel schließlich als die fernste Kultur. Vieles bleibt geheimnisvoll: Die Strenge und „Reinheit“ des Zen-Buddhismus, die Konzentration der Haiku-Gedichte oder die Farbigkeit und Poesie des Japonismus, also die im ausgehenden 19. Jahrhundert und beginnenden 20. Jahrhundert aufkommenden Japanmode, die Kunst, Musik und Literatur unter dem Eindruck der berühmten Holzschnitte von Hokusei, man denke an Claude Debussys „La mer“ oder Van Goghs Japan-Faszination. Ihrerseits ergreifen die Japaner nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings die Initiative, lernen den Westen nicht nur kennen, sondern lassen sich auch von seinen Stärken inspirieren. Westliche Philosophen und Forscher wie Roland Barthes oder Michel Foucault suchen dagegen – wie viele ihrer Vorgänger – im Land weiter das Fremde. Mysterium Kulturaustausch.
HARALD EGGEBRECHT
Die einflussreichsten deutschen
Indologen haben das Land
ihrer Sehnsucht nie betreten
Elmar Schenkel: Unterwegs nach Xanadu - Begegnungen zwischen Ost und West. S. Fischer, Frankfurt 2021.
368 Seiten, 26 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
eine spannende und anregende Entdeckungsreise Soester Anzeiger 20211029