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Zwei Studenten erscheinen auf einer Party, um dort Frauen zu treffen, werden aber mit der unangenehmen Wahrheit ihrer eigentlichen Wünsche konfrontiert. Ein kleiner Junge, dessen Vater vermisst wird, verbringt in rasender Wut über einen schlechten Haarschnitt die Nacht auf den Straßen von Brooklyn. Und bei einer Capoeira-Veranstaltung kämpfen zwei Brüder mit ihrer schmerzhaften Familiengeschichte. Mit scharfem Blick fängt Jamel Brinkley das Innenleben von Menschen ein, die Momente des Glücks und familiäre Geborgenheit suchen und dabei die Wucht des echten Lebens zu spüren bekommen.

Produktbeschreibung
Zwei Studenten erscheinen auf einer Party, um dort Frauen zu treffen, werden aber mit der unangenehmen Wahrheit ihrer eigentlichen Wünsche konfrontiert. Ein kleiner Junge, dessen Vater vermisst wird, verbringt in rasender Wut über einen schlechten Haarschnitt die Nacht auf den Straßen von Brooklyn. Und bei einer Capoeira-Veranstaltung kämpfen zwei Brüder mit ihrer schmerzhaften Familiengeschichte. Mit scharfem Blick fängt Jamel Brinkley das Innenleben von Menschen ein, die Momente des Glücks und familiäre Geborgenheit suchen und dabei die Wucht des echten Lebens zu spüren bekommen.
Autorenporträt
Brinkley, JamelJamel Brinkleys Kurzgeschichten erschienen u. a. in The Best American Short Stories 2018, A Public Space und Tin House. Jamel Brinkley ist Absolvent des Iowa Writers' Workshop und derzeit Fellow an der Stanford University in Kalifornien. Unverschämtes Glück ist sein erstes Buch.

Strätling, UdaUda Strätling, Übersetzerin von AutorInnen wie Aldous Huxley, Teju Cole und Marilynne Robinson, hat für Kein & Aber gemeinsam mit Matthias Göritz die Romane von Max Porter übersetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.2019

Freiheit ist unwegsames Gelände

Was kann es heißen, ein Mann zu sein? Antwort geben die Kurzgeschichten, die der amerikanische Autor Jamel Brinkley jetzt unter dem Titel "Unverschämtes Glück" publiziert hat.

Von Verena Lueken

Es gibt sie noch, die Dinge, die in den Vereinigten Staaten besser sind als hier. So lesen Amerikaner zum Beispiel gern Erzählungen. Kurzgeschichten. Nicht nur die, die berühmte Romanautorinnen zwischendurch schreiben, sondern wenn sie gut sind: auch viele andere. In Zeitschriften erscheinen sie regelmäßig, in Buchform auch, bei großen Verlagen oder kleinen, und haben Erfolg. Selbst Debüts bekommen höchste Aufmerksamkeit, von Lesern wie von der Kritik. Und das zu Recht. Zum Beispiel das Debüt von Jamel Brinkley, für das die Schriftstellerin und Illustratorin Kristen Radtke in der "Los Angeles Times" sogar eine graphische Rezension anfertigte, weil sie den Band so einmalig fand, dass ihr Worte nicht reichten, um zu sagen, warum sie so begeistert von diesen Geschichten war.

Der Verlag Kein & Aber hat das Buch, das 2018 unter dem Titel "A Lucky Man" erschien, von Uda Strätling übersetzen lassen und gibt damit den deutschen Lesern Gelegenheit, es ihren amerikanischen Freunden gleichzutun und wieder einmal einen Band mit Kurzgeschichten zur Hand zu nehmen und zu lesen und das bei uns verbreitete Desinteresse an dieser so eigenen, so unentbehrlichen Form literarischen Erzählens aufzubrechen. Der Band umfasst neun Stories, jede für sich abgeschlossen, jede mit eigenem Personal, aber doch nicht allein durch den Schauplatz New York, genauer: Brooklyn und die Bronx, miteinander verbunden. Es gibt eine gemeinsame Stimmung, fast so etwas wie eine atmosphärische Störung in den Geschichten, von denen die Ereignisse überwölbt sind, sei es eine Studentenparty, zu der zwei Freunde uneingeladen aufbrechen, oder eine Subwayfahrt, bei der ein mittelalter Mann ein letztes Mal unbemerkt ein Porträtfoto einer jungen missmutigen Frau schießt, eine Obsession seit einiger Zeit, die ihn seine Ehe kostet, wie sich herausstellt.

Die Geschichte des Mannes mit der Fotoleidenschaft ist die Titelgeschichte des Bandes. "Unverschämtes Glück" wird diesem Lincoln Murray nachgesagt, weil er eine Frau hat, um die ihn nicht nur sein Kollege James auf anzügliche Weise beneidet: "Hey, grüß sexy Lexi von mir, ja?", sagt er, was Lincoln, der ahnt, dass Lexi ihn verlassen hat, dazu bringt, einen Kugelschreiber nach James zu werfen. Viel gewalttätiger wird es nicht in dieser Geschichte, aber die Möglichkeit körperlicher Gewaltausbrüche liegt über ihr. Weil hier ein Mann beruflich als Pförtner an einer weißen Schule unter seinen Fähigkeiten bleibt und inzwischen zu alt für etwas anderes ist. Weil hier ein Mann, der jetzt verlassen wird, sich seit seiner Verlobung anhören muss, was für ein unverschämtes Glück er hatte, eine solche Frau an sich zu binden. Eine Weile nickte er dazu. Aber im Inneren dachte er: "Ein Mann eines bestimmten Schlages sollte bekommen, was er verdiente, und wenn ein Mann wie er nicht eine Frau wie sie bekommen konnte, dann lag etwas furchtbar im Argen." Tatsächlich weiß Lincoln aber, dass er tatsächlich Glück hatte.

Die Geschichte erzählt davon, wie ihm dieses Glück abhandenkommt, und die Frage ist, warum und ob es gerecht und Lincolns eigene Schuld ist? Was spürt Lexi, als sie die Fotos auf seinem Handy entdeckt? Könnte er ihr erklären, warum er sie macht? Sie erregen ihn nicht, nicht sexuell jedenfalls. Deshalb ist er von seiner Unschuld überzeugt - immerhin sind die Fotos in keiner Weise schlüpfrig. Aber Lexi spürt, dass er etwas Verbotenes tut, weil er Blicke stiehlt und festhält, flüchtige Momente, die nur vorübergleiten sollten. Und sie kann sich nicht erklären, warum. Er auch nicht. Das unverschämte Glück verschwindet.

Der mittelalte Mann im Zentrum dieser Erzählung wird gerahmt von meistens deutlich jüngeren Helden in den anderen. Sie alle teilen das Gefühl, nicht ganz dazuzugehören, wo sie sind oder hinwollen, ohne dass sie ausgestoßen wären. Ihre Familien sind in vielen Fällen gestückelt, und die Beziehungen zwischen Mutter und Sohn, Stiefvater und Sohn, Brüdern, müssen hart erarbeitet werden, und oft kommt dabei heraus, dass am Ende alle dabei bleiben, einander zu belügen.

Letztlich geht es in diesen Geschichten darum, was es heißen könnte, ein Mann zu sein. Als Heranwachsender dies zu lernen, aber von wem? Oder als Erwachsener sich selbst anzuschauen und zu erfassen, wer man geworden ist. Beides verbindet sich in der Geschichte "Alles, was der Mund isst", der komplexesten Story des Bandes. Darin geht es um zwei Brüder. Sie fahren gemeinsam zu einem Capoeira-Treffen; der eine, Carlos, hat seine Frau Sulay und seine kleine Tochter dabei. Er kann tanzen. Der andere, ältere, der allein gekommen ist, ist der Erzähler. Er versucht, sich einen Reim auf ihr Verhältnis zu machen. "Ich hatte mit meinem Bruder seit vielen Jahren nicht mehr geredet - richtig geredet. Vielleicht nie. Anscheinend wussten wir beide nicht, wo wir überhaupt hätten anfangen sollen. In Wahrheit wollte ich auch eigentlich gar nicht mit ihm reden, fühlte mich aber schuldig oder um unserer Mutter willen moralisch verpflichtet. Also machte ich mir auf dieser Fahrt vor, ich würde mir einen Ruck geben." Capoeira ist ein tänzerisches, akrobatisches Kampfspiel, und die Brüder umkreisen sich, mal scheint der eine den Verlauf zu bestimmen, mal der andere, die Macht in der gestörten Kommunikation der Brüder flottiert, manchmal auch ganz weg von beiden hin zu Sulay und zurück in einen vorübergehend unbesetzten Raum zwischen ihnen. Man spürt die Anspannung, die Abkehr, überraschende Bewegungen, Erschöpfung, und all dies, ohne dass Brinkley bis zum letzten Satz tatsächlich davon spräche, wie sie sich gemeinsam in der "Roda", der Arena dieses Spiels, gegenüberstehen.

Aber bis er sie dorthin gebracht hat, hat er ihre Brudergeschichte erzählt, von Kämpfen, Peinlichkeiten, Verrat, von Dienstleistungen am Vater des einen, Stiefvater des anderen: "Vielleicht erinnerte das Gesicht des Jungen ihn an das Gesicht der Frau, und wenn der Mann noch wach war und die Augen aufschlug, sah er im Gesicht des Jungen vielleicht ihr fragendes Gesicht, das ständige Warum, das dem Mann im Magen lag. Der Mann glaubte nicht an warum, er glaubte nur an ja."

Der Mann, die Frau, der Junge - in diesem ganz entfernten Ton spricht Brinkley vom Ungeheuerlichsten, was diese Geschichten aufbieten, dem Missbrauch durch den Vater und Stiefvater an beiden Brüdern. Er lässt offen, ob es das Schweigen darüber war, das sie so weit auseinanderriss. In einer anderen Geschichte heißt es: "Diese grundlegende Wahrheit hatte er vergessen, dass Freiheit unwegsames Gelände war." Die Freiheit, ein Mann zu sein, der ein Warum gelten lässt und nicht auf ein machtvolles Ja aus ist. Wie, ob einer dazu kommt, das liegt am Grund all dieser Geschichten, die Jamel Brinkley uns erzählt.

Jamel Brinkley: "Unverschämtes Glück".

Aus dem Amerikanischen von Uda Strätling. Verlag Kein & Aber, Zürich 2019. 330 S., geb., 22,- [Euro].

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