Im Jahr 1999 kamen unvorstellbares Leid und unzählbarer Verlust durch Hitlers Unrechtsregime zur öffentlichen Verhandlung. Unter großer internationaler Anteilnahme wurden Entschädigungen für NS-Opfer und die Rückgabe von jüdischem Vermögen ausgehandelt. Erstmals wird nun ein Blick in die Akten gewährt. Stuart E. Eizenstat, Chefunterhändler der USA, schildert den internen, konfliktreichen Verhandlungsverlauf, der politische und historische Hintergründe und die Schicksale hinter den Zahlen zutage brachte. Gerechtigkeit konnte hier nur unvollkommen sein. Im Gegenzug gelang es, namhafte Banken, Versicherungen und Konzerne durch politischen Druck als Profiteure zu entlarven und wieder auflebende antisemitische Strömungen aufzuzeigen.
Ein Zeitdokument
Das ist die Chronik der Gespräche, Verhandlungen, des Streits, des Pokerns und schließlich der Übereinkunft, um zehn Milliarden DM für den so genannten Zwangsarbeiterfonds aufzubringen und möglichst gerecht zu verteilen. Der Verhandlungsführer der US-Seite, Stuart E. Eizenstat, zugleich stellvertretender Finanzminister, hat seine Strategie, die langjährigen und langwierigen Gespräche und die Ergebnisse (1999) notiert. Ein Zeitdokument nicht nur für Historiker.
Eine Sammelklage
Nach dem Bundesentschädigunsgesetz hatte die Bundesrepublik, 1952 beginnend, bereits 100 Milliarden Dollar an 500.000 Überlebende der Nazi-Willkür in aller Welt gezahlt. Ausgelöst wurde die aktuelle Diskussion durch US-Anwälte, die "ein neues, unwiderstehliches Ziel" (Eizenstat) für ihre Angriffe entdeckt hatten: deutsche Unternehmen, die während der Hitler-Ära Arbeitssklaven beschäftigt hatten. 1998 wurde eine Sammelklage gegen mehrere Konzerne eingereicht. Die Abordnung der deutschen Industrie akzeptierte bei den folgenden Verhandlungen die historische Verantwortung für ihre Verstrickung in das NS-System und die gewaltsame Rekrutierung von Zwangsarbeitern. Die Honorare für die 52 Anwaltskanzleien wurden auf ein Prozent der Gesamtsumme begrenzt; in den USA sind bei Schadenersatzprozessen 15 bis 30 Prozent üblich.
Mehrere Forderungen
Was bleibt noch offen? Es gibt noch etwa 30.000 jüdische Forderungen an Schweizer Banken sowie ungelöste Eigentumsansprüche der Katholischen Kirche in der Tschechischen Republik. Aber auch dies teilt Eizenstat mit: Zur allgemeinen Überraschung deckte Israels größte Bank, die Leumi Bank, 2001 auf, dass sie 13.000 ruhende Konten führt. Sie waren in der Mehrzahl von europäischen Juden eingerichtet worden, die Geld für eine Einreiseerlaubnis in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina zur Verfügung haben wollten. Und so werden wohl in der Frage von Entschädigungszahlungen weitere Kapitel aufgeschlagen werden.
(Mathias Voigt, literaturtest.de)
"Stuart Eizenstat erzählt eine außergewöhnliche Geschichte, sie offenbart das Beste wie das Schlechteste im Menschen und oft auch jenes dazwischen. Er berichtet von seinen persönlichen Erfahrungen bei den schwierigen und konfliktreichen internationalen Verhandlungen, um den Holocaust-Opfern endlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ein wichtiges Buch, das ich jedem empfehle, der sich ernsthaft den Menschenrechten verpflichtet fühlt." (Jimmy Carter)
"Imperfect Justice ist der ergreifende Bericht über die ein halbes Jahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg geführten juristischen Auseinandersetzungen um die Rückgabe der von Nazi-Deutschland geraubten Vermögenswerte und die finanziellen Entschädigungen für die zu jahrelanger Sklavenarbeit verurteilten Opfer. Stuart Eizenstats Erinnerungen über seine bei diesen qualvollen Verhandlungen erzielten Erfolge ist ein eindringliches Dokument von historischer Bedeutung." (Herman Wouk)
"Was Botschafter Eizenstat erreicht hat - und was er so präzise wie leidenschaftlich erzählt -, grenzt nahezu an ein Wunder. Wenn es sich auch nur um »unvollkommene Gerechtigkeit« handelt, wie Stu behauptet, so muss dem entgegengehalten werden, dass ohne seine Bemühungen die meisten der Betroffenen und deren Familien, die diese schlimmsten Greueltaten der Geschichte überlebt haben, überhaupt nichts bekommen hätten. Sein Buch gehört zu den grundlegenden Dokumenten über die Geschichte nach dem Holocaust, von dem wir alle lernen können." (Richard Holbrooke)
Das ist die Chronik der Gespräche, Verhandlungen, des Streits, des Pokerns und schließlich der Übereinkunft, um zehn Milliarden DM für den so genannten Zwangsarbeiterfonds aufzubringen und möglichst gerecht zu verteilen. Der Verhandlungsführer der US-Seite, Stuart E. Eizenstat, zugleich stellvertretender Finanzminister, hat seine Strategie, die langjährigen und langwierigen Gespräche und die Ergebnisse (1999) notiert. Ein Zeitdokument nicht nur für Historiker.
Eine Sammelklage
Nach dem Bundesentschädigunsgesetz hatte die Bundesrepublik, 1952 beginnend, bereits 100 Milliarden Dollar an 500.000 Überlebende der Nazi-Willkür in aller Welt gezahlt. Ausgelöst wurde die aktuelle Diskussion durch US-Anwälte, die "ein neues, unwiderstehliches Ziel" (Eizenstat) für ihre Angriffe entdeckt hatten: deutsche Unternehmen, die während der Hitler-Ära Arbeitssklaven beschäftigt hatten. 1998 wurde eine Sammelklage gegen mehrere Konzerne eingereicht. Die Abordnung der deutschen Industrie akzeptierte bei den folgenden Verhandlungen die historische Verantwortung für ihre Verstrickung in das NS-System und die gewaltsame Rekrutierung von Zwangsarbeitern. Die Honorare für die 52 Anwaltskanzleien wurden auf ein Prozent der Gesamtsumme begrenzt; in den USA sind bei Schadenersatzprozessen 15 bis 30 Prozent üblich.
Mehrere Forderungen
Was bleibt noch offen? Es gibt noch etwa 30.000 jüdische Forderungen an Schweizer Banken sowie ungelöste Eigentumsansprüche der Katholischen Kirche in der Tschechischen Republik. Aber auch dies teilt Eizenstat mit: Zur allgemeinen Überraschung deckte Israels größte Bank, die Leumi Bank, 2001 auf, dass sie 13.000 ruhende Konten führt. Sie waren in der Mehrzahl von europäischen Juden eingerichtet worden, die Geld für eine Einreiseerlaubnis in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina zur Verfügung haben wollten. Und so werden wohl in der Frage von Entschädigungszahlungen weitere Kapitel aufgeschlagen werden.
(Mathias Voigt, literaturtest.de)
"Stuart Eizenstat erzählt eine außergewöhnliche Geschichte, sie offenbart das Beste wie das Schlechteste im Menschen und oft auch jenes dazwischen. Er berichtet von seinen persönlichen Erfahrungen bei den schwierigen und konfliktreichen internationalen Verhandlungen, um den Holocaust-Opfern endlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ein wichtiges Buch, das ich jedem empfehle, der sich ernsthaft den Menschenrechten verpflichtet fühlt." (Jimmy Carter)
"Imperfect Justice ist der ergreifende Bericht über die ein halbes Jahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg geführten juristischen Auseinandersetzungen um die Rückgabe der von Nazi-Deutschland geraubten Vermögenswerte und die finanziellen Entschädigungen für die zu jahrelanger Sklavenarbeit verurteilten Opfer. Stuart Eizenstats Erinnerungen über seine bei diesen qualvollen Verhandlungen erzielten Erfolge ist ein eindringliches Dokument von historischer Bedeutung." (Herman Wouk)
"Was Botschafter Eizenstat erreicht hat - und was er so präzise wie leidenschaftlich erzählt -, grenzt nahezu an ein Wunder. Wenn es sich auch nur um »unvollkommene Gerechtigkeit« handelt, wie Stu behauptet, so muss dem entgegengehalten werden, dass ohne seine Bemühungen die meisten der Betroffenen und deren Familien, die diese schlimmsten Greueltaten der Geschichte überlebt haben, überhaupt nichts bekommen hätten. Sein Buch gehört zu den grundlegenden Dokumenten über die Geschichte nach dem Holocaust, von dem wir alle lernen können." (Richard Holbrooke)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.2003Gerechtigkeit auf amerikanisch
Stuart Eizenstat zur Entschädigung von Opfern des Nationalsozialismus
Stuart Eizenstat: Unvollkommene Gerechtigkeit. C. Bertelsmann Verlag, München 2003, 478 Seiten, 24,90 Euro.
Vor wenigen Jahren sind die Schrecknisse der Nazi-Herrschaft, vor allem die Beraubung, Vertreibung und Ermordung der europäischen Juden und die damit verbundenen Vermögensfragen, noch einmal Gegenstand emotionsgeladener politischer und juristischer Auseinandersetzungen gewesen. Dabei ging es gleichermaßen um Geschäfte wie Gerechtigkeit, um Milliarden wie Moral. Treibende Kraft war die Regierung von Bill Clinton, die unter dem innenpolitischen Druck amerikanischer Juden alle noch offenen Eigentums- und Entschädigungsfragen im Zusammenhang mit dem Holocaust bis zum Ende des Jahrtausends lösen wollte, was ihr dann auch gelungen ist. Eine maßgebliche Rolle spielten ferner die Sammelklagenanwälte sowie die großen jüdischen Organisationen. Konkret ging es um die Verwertung von Raubgold, um namenlose jüdische Konten, um Beutekunst, Versicherungspolicen und die Entschädigung von Zwangsarbeitern.
Als erstes rückten die Schweizer Banken mit ihren namenlosen Konten ins Blickfeld, was die Schweiz zur intensiven Auseinandersetzung mit ihrem Verhalten im Zweiten Weltkrieg zwang. Am Ende stand 1998 ein Milliardenvergleich. Dann folgten Sammelklagen gegen deutsche Unternehmen mit starken Geschäftsinteressen in den Vereinigten Staaten. Das führte ebenfalls zur Aufarbeitung eines unerledigten Kapitels deutscher Geschichte, der Entschädigung ausländischer Zwangsarbeiter. Im Sommer 2000 wurde dazu ein deutsch-amerikanisches Regierungsabkommen geschlossen und das Gesetz über die Errichtung einer Stiftung zur Entschädigung ausländischer Zwangsarbeiter verabschiedet. Die deutsche Wirtschaft und der Staat brachten dafür gut 10 Milliarden DM auf.
Eine Schlüsselfigur bei allen diesen Verhandlungen ist Stuart Eizenstat gewesen, der Sonderbeauftragte Präsident Bill Clintons für alle Vermögensfragen der Holocaust-Ära. Sein jetzt vorliegender Insider-Bericht beschreibt das Tauziehen mit der Schweiz ebenso ausführlich wie den Streit mit Deutschland wegen der Zwangsarbeiterentschädigung, die Verhandlungen über Nazi-Beutekunst ebenso wie das Ringen um Entschädigungen in Österreich und Frankreich. Das überaus aufschlußreiche und faszinierend geschriebene Buch des amerikanischen Chefunterhändlers sollte Pflichtlektüre für alle diejenigen sein, die sich mit der Entschädigung von Nazi-Opfern, aber auch mit den Mechanismen amerikanischer Politik beschäftigen. Wer sich außerdem für eine deutsche Sicht interessiert, sollte das nebenstehend besprochene luzide Buch von Susanne-Sophia Spiliotis lesen.
Aus Eizenstats Buch wird deutlich, daß die schwierigen und langwierigen Verhandlungen entscheidend durch die Politik der amerikanischen Regierung geprägt worden sind. Das verwundert nicht, da Repräsentanten des Jüdischen Weltkongresses wie Edgar Bronfman gute Verbindungen zum Ehepaar Clinton besitzen und prominente Sammelklagenanwälte großzügige Spender der Demokratischen Partei sind. Eizenstat sieht in diesem politischen Druck amerikanischer Juden nichts Negatives. Dies sei die übliche Form amerikanischen Lobbyismus. Hinzu kommt der häufig anzutreffende moralische Impetus amerikanischer Außenpolitik. Ebenso deutlich wird, daß die eigentliche Brisanz der Auseinandersetzungen und das vielfach aufkommende Unverständnis in den unterschiedlichen Rechtssystemen und Rechtskulturen in Europa und Amerika begründet war. So sind die Sammelklagen weniger ein Mittel zur Rechtsfindung als ein öffentlichkeitswirksames Instrument, um Druck auszuüben.
Eizenstat nimmt in bezug auf die Unzulänglichkeiten des amerikanischen Rechtssystems, die Macht der Anwälte und die Sammelklagen kein Blatt vor den Mund, wehrt sich allerdings gegen den Vorwurf einer "Holocaust-Industrie". "Die Holocaust-Fälle waren Teil der weitreichenden Exzesse des Systems von Sammelklagen, das in den USA bei Schadensersatzprozessen Anwendung findet, jedoch außer Kontrolle gerät und die US-Wirtschaft stark zu belasten beginnt. Dieses System muß dringend reformiert werden, aber dies ist kein Grund, speziell die Holocaust-Vergleiche zu verdammen." Eizenstats Buch zeigt, daß er darum bemüht war, ein fairer Vermittler im Widerstreit der weit auseinanderklaffenden Interessen zu sein. Gänzlich unparteiisch ist er freilich nicht gewesen, wie man zwischen den Zeilen lesen kann. Er hat als Vermittler zugleich einen Kreuzzug für Gerechtigkeit geführt, und zwar für "Gerechtigkeit auf amerikanisch". Sein Credo war "faire" Entschädigung. "Ich glaube, die dauerhafteste Hinterlassenschaft der von mir geleiteten Bemühungen bestand schlicht darin, daß endlich die Wahrheit auftauchte . . . die Wahrheit über das ungesühnte Unrecht an Millionen von Menschen."
Das schließt auch Kritik an der Regierung Franklin D. Roosevelt ein, die zwar von der Verfolgung und Ermordung der Juden wußte, aber kaum Flüchtlinge aufnahm und nichts gegen den Holocaust unternahm. Vor diesem Hintergrund entbehrt es nicht der Pikanterie, daß die Regierung von George W. Bush jetzt ein Schadensersatz-Gesetz kritisiert, das auch beim Entschädigungsstreit eine Rolle spielte, den Alien Tort Claims Act von 1789, weil es angeblich amerikanische Interessen im Kampf gegen Terror stört. Es geht dabei um Schäden durch Völker- und Menschenrechtsverletzung.
Eizenstats Hoffnung richtet sich auf "Erinnerung durch Erziehung" und auf eine prophylaktische Wirkung auf das Verhalten multinationaler Konzerne gegenüber Unrechtsregimen. "Ich hoffe, daß eine unserer bleibenden Botschaften lautet: Unabhängig von Verträgen und rechtlichen Präzedenzfällen gibt es vor dem Tribunal der öffentlichen Meinung keine begrenzte Haftung für Konzerne." So wurden später selbst in Israel bei Banken und staatlichen Institutionen nachrichtenlose Vermögen von Holocaust-Opfern aufgedeckt.
In bezug auf die Verhandlungen mit Deutschland ist Eizenstat sicher darin beizupflichten, daß die "freiwillig" aufgebrachten Milliarden weniger moralischem Verantwortungsgefühl entsprangen als vielmehr dem Bestreben, die rechtlich zweifelhaften Sammelklagen so schnell und billig wie möglich vom Tisch zu bekommen, um ungestört das Amerika-Geschäft weiterbetreiben zu können. Konzerne seien eben keine Wohlfahrtseinrichtungen, schreibt Eizenstat. Dennoch bleibt bei der Lektüre dieser Passagen ein zwiespältiges Gefühl zurück; denn Eizenstat konzediert den Unternehmen und ihrer neuen Managergeneration durchaus auch moralisches Verantwortungsgefühl.
Das billigt er auch dem Verhandlungsführer der Stiftungsinitiative, Daimler-Vorstand Manfred Gentz, zu, spricht ihm aber im Gegensatz zu dem Beauftragten der Bundesregierung Otto Graf Lambsdorff Sensibilität und politisches Gespür ab, weil er hartnäckig die berechtigten Interessen der Unternehmen vertrat, vor allem in puncto Rechtssicherheit. Eizenstat ist nach wie vor überzeugt, in der Endphase der Verhandlungen richtig gehandelt zu haben, wo es zum Eklat mit Gentz kam, der den Amerikanern absprachewidrige Änderungen und "Diktatur" vorwarf. Auf deutscher Seite sieht man diese Dinge verständlicherweise anders.
Eizenstats Buch zeigt, daß mit der Aufarbeitung der Holocaust-Vermögensfragen auch eine neue Entwicklung zivilrechtlicher Haftung bei Menschenrechtsverletzungen eingeleitet worden ist. Sie hängt mit der Globalisierung zusammen, mit der Ausbreitung amerikanischer Rechtskultur und damit verbunden mit einer "Klägerdiplomatie" in der Außenpolitik.
JÜRGEN JESKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Stuart Eizenstat zur Entschädigung von Opfern des Nationalsozialismus
Stuart Eizenstat: Unvollkommene Gerechtigkeit. C. Bertelsmann Verlag, München 2003, 478 Seiten, 24,90 Euro.
Vor wenigen Jahren sind die Schrecknisse der Nazi-Herrschaft, vor allem die Beraubung, Vertreibung und Ermordung der europäischen Juden und die damit verbundenen Vermögensfragen, noch einmal Gegenstand emotionsgeladener politischer und juristischer Auseinandersetzungen gewesen. Dabei ging es gleichermaßen um Geschäfte wie Gerechtigkeit, um Milliarden wie Moral. Treibende Kraft war die Regierung von Bill Clinton, die unter dem innenpolitischen Druck amerikanischer Juden alle noch offenen Eigentums- und Entschädigungsfragen im Zusammenhang mit dem Holocaust bis zum Ende des Jahrtausends lösen wollte, was ihr dann auch gelungen ist. Eine maßgebliche Rolle spielten ferner die Sammelklagenanwälte sowie die großen jüdischen Organisationen. Konkret ging es um die Verwertung von Raubgold, um namenlose jüdische Konten, um Beutekunst, Versicherungspolicen und die Entschädigung von Zwangsarbeitern.
Als erstes rückten die Schweizer Banken mit ihren namenlosen Konten ins Blickfeld, was die Schweiz zur intensiven Auseinandersetzung mit ihrem Verhalten im Zweiten Weltkrieg zwang. Am Ende stand 1998 ein Milliardenvergleich. Dann folgten Sammelklagen gegen deutsche Unternehmen mit starken Geschäftsinteressen in den Vereinigten Staaten. Das führte ebenfalls zur Aufarbeitung eines unerledigten Kapitels deutscher Geschichte, der Entschädigung ausländischer Zwangsarbeiter. Im Sommer 2000 wurde dazu ein deutsch-amerikanisches Regierungsabkommen geschlossen und das Gesetz über die Errichtung einer Stiftung zur Entschädigung ausländischer Zwangsarbeiter verabschiedet. Die deutsche Wirtschaft und der Staat brachten dafür gut 10 Milliarden DM auf.
Eine Schlüsselfigur bei allen diesen Verhandlungen ist Stuart Eizenstat gewesen, der Sonderbeauftragte Präsident Bill Clintons für alle Vermögensfragen der Holocaust-Ära. Sein jetzt vorliegender Insider-Bericht beschreibt das Tauziehen mit der Schweiz ebenso ausführlich wie den Streit mit Deutschland wegen der Zwangsarbeiterentschädigung, die Verhandlungen über Nazi-Beutekunst ebenso wie das Ringen um Entschädigungen in Österreich und Frankreich. Das überaus aufschlußreiche und faszinierend geschriebene Buch des amerikanischen Chefunterhändlers sollte Pflichtlektüre für alle diejenigen sein, die sich mit der Entschädigung von Nazi-Opfern, aber auch mit den Mechanismen amerikanischer Politik beschäftigen. Wer sich außerdem für eine deutsche Sicht interessiert, sollte das nebenstehend besprochene luzide Buch von Susanne-Sophia Spiliotis lesen.
Aus Eizenstats Buch wird deutlich, daß die schwierigen und langwierigen Verhandlungen entscheidend durch die Politik der amerikanischen Regierung geprägt worden sind. Das verwundert nicht, da Repräsentanten des Jüdischen Weltkongresses wie Edgar Bronfman gute Verbindungen zum Ehepaar Clinton besitzen und prominente Sammelklagenanwälte großzügige Spender der Demokratischen Partei sind. Eizenstat sieht in diesem politischen Druck amerikanischer Juden nichts Negatives. Dies sei die übliche Form amerikanischen Lobbyismus. Hinzu kommt der häufig anzutreffende moralische Impetus amerikanischer Außenpolitik. Ebenso deutlich wird, daß die eigentliche Brisanz der Auseinandersetzungen und das vielfach aufkommende Unverständnis in den unterschiedlichen Rechtssystemen und Rechtskulturen in Europa und Amerika begründet war. So sind die Sammelklagen weniger ein Mittel zur Rechtsfindung als ein öffentlichkeitswirksames Instrument, um Druck auszuüben.
Eizenstat nimmt in bezug auf die Unzulänglichkeiten des amerikanischen Rechtssystems, die Macht der Anwälte und die Sammelklagen kein Blatt vor den Mund, wehrt sich allerdings gegen den Vorwurf einer "Holocaust-Industrie". "Die Holocaust-Fälle waren Teil der weitreichenden Exzesse des Systems von Sammelklagen, das in den USA bei Schadensersatzprozessen Anwendung findet, jedoch außer Kontrolle gerät und die US-Wirtschaft stark zu belasten beginnt. Dieses System muß dringend reformiert werden, aber dies ist kein Grund, speziell die Holocaust-Vergleiche zu verdammen." Eizenstats Buch zeigt, daß er darum bemüht war, ein fairer Vermittler im Widerstreit der weit auseinanderklaffenden Interessen zu sein. Gänzlich unparteiisch ist er freilich nicht gewesen, wie man zwischen den Zeilen lesen kann. Er hat als Vermittler zugleich einen Kreuzzug für Gerechtigkeit geführt, und zwar für "Gerechtigkeit auf amerikanisch". Sein Credo war "faire" Entschädigung. "Ich glaube, die dauerhafteste Hinterlassenschaft der von mir geleiteten Bemühungen bestand schlicht darin, daß endlich die Wahrheit auftauchte . . . die Wahrheit über das ungesühnte Unrecht an Millionen von Menschen."
Das schließt auch Kritik an der Regierung Franklin D. Roosevelt ein, die zwar von der Verfolgung und Ermordung der Juden wußte, aber kaum Flüchtlinge aufnahm und nichts gegen den Holocaust unternahm. Vor diesem Hintergrund entbehrt es nicht der Pikanterie, daß die Regierung von George W. Bush jetzt ein Schadensersatz-Gesetz kritisiert, das auch beim Entschädigungsstreit eine Rolle spielte, den Alien Tort Claims Act von 1789, weil es angeblich amerikanische Interessen im Kampf gegen Terror stört. Es geht dabei um Schäden durch Völker- und Menschenrechtsverletzung.
Eizenstats Hoffnung richtet sich auf "Erinnerung durch Erziehung" und auf eine prophylaktische Wirkung auf das Verhalten multinationaler Konzerne gegenüber Unrechtsregimen. "Ich hoffe, daß eine unserer bleibenden Botschaften lautet: Unabhängig von Verträgen und rechtlichen Präzedenzfällen gibt es vor dem Tribunal der öffentlichen Meinung keine begrenzte Haftung für Konzerne." So wurden später selbst in Israel bei Banken und staatlichen Institutionen nachrichtenlose Vermögen von Holocaust-Opfern aufgedeckt.
In bezug auf die Verhandlungen mit Deutschland ist Eizenstat sicher darin beizupflichten, daß die "freiwillig" aufgebrachten Milliarden weniger moralischem Verantwortungsgefühl entsprangen als vielmehr dem Bestreben, die rechtlich zweifelhaften Sammelklagen so schnell und billig wie möglich vom Tisch zu bekommen, um ungestört das Amerika-Geschäft weiterbetreiben zu können. Konzerne seien eben keine Wohlfahrtseinrichtungen, schreibt Eizenstat. Dennoch bleibt bei der Lektüre dieser Passagen ein zwiespältiges Gefühl zurück; denn Eizenstat konzediert den Unternehmen und ihrer neuen Managergeneration durchaus auch moralisches Verantwortungsgefühl.
Das billigt er auch dem Verhandlungsführer der Stiftungsinitiative, Daimler-Vorstand Manfred Gentz, zu, spricht ihm aber im Gegensatz zu dem Beauftragten der Bundesregierung Otto Graf Lambsdorff Sensibilität und politisches Gespür ab, weil er hartnäckig die berechtigten Interessen der Unternehmen vertrat, vor allem in puncto Rechtssicherheit. Eizenstat ist nach wie vor überzeugt, in der Endphase der Verhandlungen richtig gehandelt zu haben, wo es zum Eklat mit Gentz kam, der den Amerikanern absprachewidrige Änderungen und "Diktatur" vorwarf. Auf deutscher Seite sieht man diese Dinge verständlicherweise anders.
Eizenstats Buch zeigt, daß mit der Aufarbeitung der Holocaust-Vermögensfragen auch eine neue Entwicklung zivilrechtlicher Haftung bei Menschenrechtsverletzungen eingeleitet worden ist. Sie hängt mit der Globalisierung zusammen, mit der Ausbreitung amerikanischer Rechtskultur und damit verbunden mit einer "Klägerdiplomatie" in der Außenpolitik.
JÜRGEN JESKE
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Marianne Heuwagen bespricht in einer Doppelrezension zwei Bücher über die Geschichte der Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter in Deutschland. Das Buch "Unvollendete Gerechtigkeit" von Stuart E. Eizenstat überzeugt die Rezensentin durch die Breite der untersuchten Hintergründe. Stuart Eizenstat, der die Verhandlungen mit der deutschen Wirtschaft über eine Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter leitete, arbeite das "gesamte Spektrum" der Folgen des Zweiten Weltkriegs auf, lobt Heuwagen, der es gefällt, dass der Autor nicht nur aus seiner "persönlichen Perspektive" berichtet, sondern auch andere wichtige Protagonisten der Verhandlungen um die Entschädigung von ehemaligen Zwangsarbeitern eingehend vorstellt. Dadurch entstehe ein "komplexes Bild" dieses schwierigen Kapitels deutscher Geschichte, so die Rezensentin anerkennend. Lediglich dass Eizenstat den Eindruck erweckt, die Entschädigungszahlungen deutscher Konzerne seien ausschließlich auf Druck der amerikanischen Regierung erreicht worden, findet Heuwagen ungerecht und sie weist auf die Bemühungen um Entschädigungen seitens der rot-grünen Bundesregierung hin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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