Intensiv erzähltes Coming-of-Age Drama mit Mystery-Elementen und schwachem Schluss
Die Freunde Johan und Max erklimmen an dessen rostigen Sprossen das verlassene Silo in Norrtälje. Oben angekommen hat Max eine schreckliche Vision der Zukunft. Er sieht einen Samhall-Bus ins Schlingern geraten, als
dessen Fahrer die Kontrolle über das Fahrzeug verliert. Zeitgleich stößt ein Mann, indem er sich an…mehrIntensiv erzähltes Coming-of-Age Drama mit Mystery-Elementen und schwachem Schluss
Die Freunde Johan und Max erklimmen an dessen rostigen Sprossen das verlassene Silo in Norrtälje. Oben angekommen hat Max eine schreckliche Vision der Zukunft. Er sieht einen Samhall-Bus ins Schlingern geraten, als dessen Fahrer die Kontrolle über das Fahrzeug verliert. Zeitgleich stößt ein Mann, indem er sich an einer Frau mit ihrem Kinderwagen vorbei schiebt, den Wagen an, und der Wagen mit dem Baby darin rollt direkt auf den Bus zu.
Der Roman ist von der ruhigen Erzählweise von John Ajvide Lindqvist geprägt, die sich Zeit in der Vorstellung seiner Figuren lässt. Dabei ist die Tragik in ihrem Leben, die in den traumatischen Erlebnissen ihrer Vergangenheit verankert ist und sich auf die Gegenwart etwa in Gestalt von unterdrückten Wutausbrüchen auswirkt, für mich nachvollziehbar geworden. Der als Charakterstudie angelegte Einstieg von Unwesen erhält einen besonderen Touch durch die Mystery-Elemente, die der Autor von Beginn an in die Handlung integriert. Diese bestehen zunächst in der Vorsehung brutaler Todesfälle. Insgesamt besteht in der ersten Hälfte des Romans, bevor der mysteriöse Container im Hafenareal auftaucht und geöffnet wird, der Horror eher im verzweifelten Zusammenbruch des keine zehn Jahre alten Johans, der überfordert ist, nachdem seine Mutter sich selbst verletzt hat, oder in einer abstoßenden Vergewaltigung, die dem Opfer die herrschenden, den Täter schützenden Machtverhältnisse deutlich vor Augen führt.
Indem sich John Ajvide Lindqvist dabei Zeit lässt, die durch den Container ausgelösten Veränderungen zu beschreiben, breitet sich das Böse schleichend in Norrtälje aus. Das bleibt zunächst ein wenig greifbarer Schrecken, der dann immer mehr Gestalt annimmt, als die Todesrate steigt, wenn Selbstmorde und grundlose erscheinende, aus dem nichts kommende Attacken, deren Gewalt aus dem Ruder läuft, zunehmen. Erträglich werden die grausamen Szenen durch den oft nerdlastigen Humor und die sich entwickelnde Liebesgeschichte, in deren Mittelpunkt die Pokemon-Go Gruppe Roslagen steht.
Der erste Teil Entei hat mich mit seiner abwechslungsreichen Erzählweise überzeugt, die die gegenwärtigen, um den Container kreisenden Ereignisse mit dem Leid derer, die darin gefangen gewesen sind, mit der die fünf Hauptfiguren Siw, Anna, Johan, Max und Marko belastenden Vergangenheit, und mit Momentaufnahmen, die die durch losgelassene Grauen in Norrtälje umschlagenden Stimmung illustrieren, kombiniert. Nach dem starken Entei fällt das darauf folgende Suicune deutlich ab. Da haben sich für mich schon zu dessen Beginn Längen eingeschlichen, die teilweise in unnötigen Wiederholungen begründet lagen. Auch scheint die Handlung auf der Stelle zu treten, wenn die vom Autor in Entei immer weiter angezogenen Spannungsschrauben wieder gelockert werden.
Suicune wäre stärker ausgefallen, wenn darin die in Entei begonnenen Entwicklungen in konsequenter Weise fortgeführt worden wären. So hätte ich etwa erwartet, dass die in Entei eindringlich geschilderten im Krieg erlebten Schrecken, und Johans tief verwurzelter Hass, der im Umgang der Kommunalverwaltung mit seiner an Wahnvorstellungen leidenden Mutter begründet liegt, in Suicune eine größere Rolle spielen würden. Denn diese überzeugenden Elemente hätten durch das in Norrtälje angekommene Unwesen derart forciert werden können, dass diese beinahe schmerzhafte Intensität gewonnen hätten. Stattdessen hat sich John Ajvide Lindqvist in neu eingeführten Handlungssträngen verstrickt, die nicht an die Qualität von denen in Entei heranreichen und im Vergleich dazu blass geblieben sind. Auch zeigt der Autor Schwächen in seinen Massen-Szenen, die eigentlich ein Norrtälje, das auf den gähnenden Abgrund zusteuert, wenn sich der um sich greifende Wahnsinn in Gewalt und Aggression entlädt und die ganze Stadt in Chaos versinkt, vor meinem inneren Auge hätten lebendig werden lassen sollen.
Besser sind dem Autor die Kammerspiel-artigen Teile seiner Geschichte gelungen, die sich auf die jeweiligen persönlichen Konstellationen konzentrieren. So wäre dieser Roman für mich stärker ausgefallen, wenn der Autor das Norrtälje beherrschende Grauen ganz auf Ebene seiner gut ausgearbeiteten Figuren und deren Beziehungen untereinander beschrieben hätte. Zudem hat mich das gefällige Ende, bei dem sich plötzlich alles in Wohlgefallen auflöst, nicht vollends überzeugt. Denn dabei sind Fragen für mich offen geblieben, die die Geschichte des Unwesens, das Norrtälje heimgesucht hat, betreffen. Dazu hätte ich mir mehr Informationen gewünscht. Auch scheint mir die Erklärung, die sich auf die besonderen Fähigkeiten von Max, Siw und deren Familie bezieht, nicht gänzlich schlüssig zu sein. Insgesamt hätte ich mir eher einen Schluss wie den von "So finster die Nacht" gewünscht, der in konsequenter Weise die darin erzählte Geschichte abgerundet und dessen ambivalente Note Raum für die sie dadurch eröffnenden Abgründe gelassen hat.