Eine Studie zur medialen Wahrnehmung von Krieg und Gewalt auf dem Balkan, wo sich im Vorfeld des Ersten Weltkrieges die Kriegsrealität des 20. Jahrhunderts ankündigte. Ohne Krieg keine Nation und kein Nationalstaat - das wurde im 19. Jahrhundert zu einer europäischen Erfahrung. Die Nation sprach vom Volkskrieg, doch die Staaten suchten ihn im Stil eines Kabinettskrieges zu führen. Der Krieg sollte möglichst nicht auf die Zivilbevölkerung übergreifen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.03.2009Mit Wucht
Balkankriege und Presse vor dem Ersten Weltkrieg
Die Mitte und der Westen Europas sahen vor dem Ersten Weltkrieg in der "orientalischen Frage" eine Gefahr für Frieden und Stabilität. Heftig gestritten wurde, ob auf dem angeblich halbzivilisierten Balkan ein System neuer Nationalstaaten entstehen oder ob das Osmanenreich zur Aufrechterhaltung der Ordnung Bestand haben sollte. Liberale englische und nationalistische irische Zeitungen setzten auf die Nationen, während deutsche und konservative britische Zeitungen in der Türkei einen Damm gegen nationalistische Untaten sahen. Solche Beobachtungen von Florian Keisinger überraschen nicht, doch umso erschütternder sind seine Untersuchungen, die den medialen Umgang mit den Balkankriegen als Desaster erscheinen lassen. Mit Wucht beteiligte sich die Presse daran, einen Weltkrieg herbeizureden. Eine große Zahl von Kriegsberichterstattern, zumeist vom eigentlichen Geschehen ferngehalten, sandte einen reißerischen Mix aus Informationen, Gerüchten und Spekulationen in die Heimatländer. Hier verkauften sich gruselige Geschichten über bestialische Volkskriege glänzend.
Verheerend war die "Lehre", dass die rasch aufeinanderfolgenden Balkankriege den kommenden Weltkrieg ankündigten. Darüber hinaus verdichtete sich die Vorstellung, dass in einem solchen Weltenbrand neuartige "Gesetze" bestimmend sein würden, an denen man sich orientieren müsse, wenn man den Kampf der Zukunft bestehen wolle. So gewöhnte eine bereits ritualisierte Propaganda mit oft erfundenen Kriegsgreueln das europäische Publikum an den Gedanken, dass Feinde in modernen Kriegen notorische Bestien seien, ausgerichtet auf eine gnadenlose Ausrottung des Widersachers. Die Studie Keisingers, abgestützt auf viele der Presse entnommene Berichte, ist ein bewegender Beitrag zur Geschichte jenes alten Europas, das blind auf sein Ende zuschritt.
GÜNTER WOLLSTEIN
Florian Keisinger: Unzivilisierte Kriege im zivilisierten Europa? Die Balkankriege und die öffentliche Meinung in Deutschland, England und Irland 1876-1913. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2008. 201 S., 34,90 [Euro].
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Balkankriege und Presse vor dem Ersten Weltkrieg
Die Mitte und der Westen Europas sahen vor dem Ersten Weltkrieg in der "orientalischen Frage" eine Gefahr für Frieden und Stabilität. Heftig gestritten wurde, ob auf dem angeblich halbzivilisierten Balkan ein System neuer Nationalstaaten entstehen oder ob das Osmanenreich zur Aufrechterhaltung der Ordnung Bestand haben sollte. Liberale englische und nationalistische irische Zeitungen setzten auf die Nationen, während deutsche und konservative britische Zeitungen in der Türkei einen Damm gegen nationalistische Untaten sahen. Solche Beobachtungen von Florian Keisinger überraschen nicht, doch umso erschütternder sind seine Untersuchungen, die den medialen Umgang mit den Balkankriegen als Desaster erscheinen lassen. Mit Wucht beteiligte sich die Presse daran, einen Weltkrieg herbeizureden. Eine große Zahl von Kriegsberichterstattern, zumeist vom eigentlichen Geschehen ferngehalten, sandte einen reißerischen Mix aus Informationen, Gerüchten und Spekulationen in die Heimatländer. Hier verkauften sich gruselige Geschichten über bestialische Volkskriege glänzend.
Verheerend war die "Lehre", dass die rasch aufeinanderfolgenden Balkankriege den kommenden Weltkrieg ankündigten. Darüber hinaus verdichtete sich die Vorstellung, dass in einem solchen Weltenbrand neuartige "Gesetze" bestimmend sein würden, an denen man sich orientieren müsse, wenn man den Kampf der Zukunft bestehen wolle. So gewöhnte eine bereits ritualisierte Propaganda mit oft erfundenen Kriegsgreueln das europäische Publikum an den Gedanken, dass Feinde in modernen Kriegen notorische Bestien seien, ausgerichtet auf eine gnadenlose Ausrottung des Widersachers. Die Studie Keisingers, abgestützt auf viele der Presse entnommene Berichte, ist ein bewegender Beitrag zur Geschichte jenes alten Europas, das blind auf sein Ende zuschritt.
GÜNTER WOLLSTEIN
Florian Keisinger: Unzivilisierte Kriege im zivilisierten Europa? Die Balkankriege und die öffentliche Meinung in Deutschland, England und Irland 1876-1913. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2008. 201 S., 34,90 [Euro].
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